menschenrechte – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org Für die soziale, antipolitische und antinationale Selbstorganisation des Proletariats! Sat, 15 Mar 2025 22:53:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://swiderstand.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1128/2022/05/cropped-28385945-32x32.png menschenrechte – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org 32 32 Neue Broschüre: Globale Klassenkämpfe (2023/2024) https://swiderstand.blackblogs.org/2025/03/15/neue-broschuere-globale-klassenkaempfe-2023-2024/ Sat, 15 Mar 2025 22:53:39 +0000 https://swiderstand.blackblogs.org/?p=822 Unsere neue Broschüre „Globale Klassenkämpfe (2023/2024)“ (ca. 138 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Einleitung

1. Kapitalistische Ausbeutung und politische Verwaltung des Weltproletariats

2. Weltbourgeoisie und Weltproletariat

3. Institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und klassenkämpferische Selbstorganisation

4. Kämpfe im Güter- und Personenverkehr (Logistik)

5. Auseinandersetzungen in der Textilindustrie

6. Klassenkonflikte in der Metall- und Elektroindustrie

7. Klassenkämpfe im Gesundheitswesen und in der Pflege

8. Lehrkräfte im Klassenkampf

9. Auseinandersetzungen bei Medien und in der IT-Branche

10. Konflikte auf dem Bau

11. Kämpfe im Handel

12. Klassenauseinandersetzungen in der Finanzbranche (Banken und Versicherungen)

13. Klassenkonflikte im Gastgewerbe

14. Auseinandersetzungen in der Land- und Forstwirtschaft

15. Klassenkämpfe im öffentlichen Dienst und in den Staatsapparaten

16. Konflikte in der Reinigungsbranche

17. Klassenauseinandersetzungen in der Nahrungsmittelindustrie

18. Klassenzusammenstöße in der Rohstoff- und Energiegewinnung

19. Branchenübergreifende Klassenkonflikte

20. Klassenübergreifende größere Sozialproteste

Auseinandersetzungen in der Textilindustrie

In Bangladesch streikten Ende Oktober 2023 in den Städten Ashulia und Gazipur die ProletarierInnen von dutzenden Textilunternehmen. Sie blockierten die Straßen, wie die Polizei mitteilte. Die Repressionskräfte setzten Gummigeschosse und Tränengas gegen die Klassengeschwister ein. Am 30. Oktober 2023 starb ein Mann bei diesen Klassenauseinandersetzungen. Es war Rasel Howlader, ein Arbeiter aus der Textilfabrik Design Express in Gazipur. Außerdem verletzten die Bullen bei einer Schießerei Amirul Islam, der bei Columbia Garments schuftete. Ein weiterer Mensch kam in einer brennenden Fabrik ums Leben. In Gazipur lassen mehr als tausend Betriebe Textilien – viele für westliche Marken – von „ihren“ ProletarierInnen für Hungerlöhne herstellen.

Der Klassenkampf der TextilarbeiterInnen entwickelte sich, als die Bourgeoisie dieser Branche am 22. Oktober 2023 auf der vierten Sitzung des Lohnausschusses eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 10.400 BDT (94 US-Dollar) vorschlug. Dieser vorgeschlagene Mindestlohn lag unter den biosozialen Reproduktionskosten. Die Textilgewerkschaften von Bangladesch forderten seit Beginn des Jahres 2023 die Erhöhung des Mindestlohnes von 8.000 BDT (75 US-Dollar) auf 23.000 BDT (215 US-Dollar).

Als sich der offene Klassenkampf in der Textilindustrie Ende Oktober 2023 entfaltete, ging der politische Gewaltapparat auch repressiv gegen FunktionärInnen der Textilgewerkschaften vor. So wurden Ende Oktober 2023 Mossarrof Hossain von BMGGTWF, Jewel Miya von BIGUF und Masud Rana von BGTLWF verhaftet. Die Bullen zeigten weitere GewerkschafterInnen wegen Vandalismus und Körperverletzung an.

Anfang November 2023 ging der militante Klassenkampf weiter und weitete sich geographisch noch aus, wie wir in der Zeitung lesen konnten: „Die Massenproteste von Beschäftigten der Textilindustrie in Bangladesch sind auch am Mittwoch (1. November 2023) weitergegangen. Erneut demonstrierten Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter und errichteten Straßensperren in der Hauptstadt Dhaka. Bei Kundgebungen in den nördlichen Vororten Ashulia und Gazipur war es seit Montag (30. Oktober 2023) zu Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Mindestens zwei Menschen starben. Die Behörden sprachen am Mittwoch (1. November 2023) von mindestens 5.000 Demonstrierenden, AFP-Reporter vor Ort setzten die Zahl höher an. In Gazipur kam es der örtlichen Polizei zufolge zu Steinwürfen. Dhaka und seine Vororte sind ein Zentrum der Textilindustrie, H & M, Gap, Adidas oder Puma lassen dort Kleidung herstellen. Der Mindestlohn der Branche liegt umgerechnet bei rund 70 Euro im Monat, die Gewerkschaft fordert eine Verdreifachung.“ (Bangladesch: Proteste in der Textilindustrie, in: junge Welt vom 2. November 2023, S. 1.)

Zum Höhepunkt dieser Klassenauseinandersetzung streikten zehntausende TextilarbeiterInnen in Bangladesch. Die ProletarierInnen legten mehr als 300 Fabriken lahm. 50 Fabriken wurden im Kampf verwüstet. Der Staat konnte diesen Klassenkonflikt nicht nur mit der Peitsche befrieden, so erhöhte er im November 2023 für Dezember dieses Jahres den Mindestlohn von umgerechnet 8.000 BTD (67 US-Dollar) auf 12.500 BDT (105 US-Dollar). Die Erhöhung entsprach der Hälfte der Forderungen der Gewerkschaften. Deshalb ging der Klassenkampf weiter.

In einer Zeitung der deutschen Bourgeoisie, im Manager-Magazin, konnten wir am 11. November 2023 über die Auswirkungen des Klassenkampfes in der Textilbranche von Bangladesch auf die globale Kapitalvermehrung lesen: „Im teils gewaltsamen Streit um höhere Löhne in der Textilbranche in Bangladesch sind am Samstag (11. November 2023) 150 Fabriken auf unbestimmte Zeit geschlossen worden. Sie befinden sich in den wichtigen Industriestädten Ashulia und Gazipur nördlich der Hauptstadt Dhaka, wie die Polizei der Nachrichtenagentur AFP sagte. Die Hersteller fürchten demnach zum Beginn der neuen Arbeitswoche in dem südasiatischen Land weitere Streiks.

In Bangladesch gibt es seit zwei Wochen heftige und teils gewaltsame Proteste. Die Arbeiter der zahlreichen Textilfabriken des Landes fordern eine Erhöhung ihres Mindestlohns auf umgerechnet mindestens 190 Euro im Monat, was eine Verdreifachung des aktuellen Niveaus wäre. Eine von der Regierung eingesetzte Kommission hatte am Dienstag (7. November 2023) eine Mindestlohnerhöhung um 56,25 Prozent auf 104 Euro ab Dezember angekündigt.

Die Gewerkschaft der Textilarbeiter wies dies als ,inakzeptabel‘ zurück. Die Lohnerhöhung sei nicht mit den steigenden Kosten für Lebensmittel, Wohnungsmieten, Gesundheitsversorgung und Schulgebühren vereinbar. In den vergangenen Tagen kam es erneut zu heftigen Protesten, bei denen eine Frau getötet wurde – der dritte Todesfall seit Beginn der Demonstrationen.

Am Donnerstag (9. November 2023) gerieten 15.000 Arbeiter mit der Polizei aneinander und plünderten rund ein Dutzend Fabriken, darunter die Fabrik Tusuka. Nach Angaben der Polizei wurden wegen des Angriffs auf diese Fabrik Ermittlungen gegen 11.000 Unbekannte eingeleitet. Die Beamten leiten nach großen Protesten häufig Ermittlungen gegen tausende Menschen ein, was laut Kritikern dazu dient, gegen Andersdenkende vorzugehen.“ (https://www.manger-magazin.de/unternehmen/industrie/zara-h-und-m-und-co-150-textilfabriken-in-bangladesch-auf-unbestimmte-zeit-geschlossen-a-cfb97584-3288-42f1-abcf-6c28c79dd4e6.)

Der politische Gewaltapparat setzte gegen das klassenkämpferische Proletariat auch Grenztruppen ein, um den großangelegten Ausstand von TextilarbeiterInnen zu unterdrücken. Die harte Auseinandersetzung zwischen Proletariat und Bourgeoisie in Bangladesch führte auch zu einem vierten Todesopfer. So teilten die Bullen mit, dass am 11. November der 42-jährige Textilarbeiter Jalal Uddin, der Anfang des Monats bei Zusammenstößen mit staatlichen Repressionsorganen verletzt worden war, seinen Verletzungen erlag.

Hannes Koch und Natalie Mayroth schrieben am 26. November 2023 in der taz über die Situation in der Textilindustrie von Bangladesch: „Die Stimmung in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, ist weiter angespannt. Auch während der Schnäppchenwoche Black Week kam es zu Protesten. Zudem jährte sich am vergangenen Freitag (24. November 2023) der Brand bei Tazreen Fashions, bei dem 2012 mindestens 112 Menschen starben. Näher:innen machten in den vergangenen Tagen auf geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam. (…)

Bangladesch steht wenige Wochen vor den Parlamentswahlen, die ohnehin unruhige Zeiten versprechen. Zwar laufen die Textilfabriken nach heftigen Protesten mit mindestens vier Toten wieder. Doch der Unmut über den neuen Mindestlohn, der ab Dezember gilt, bleibt. Die Proteste begannen im Oktober, als der Verband der Textilhersteller vorschlug, den Mindestlohn nur geringfügig zu erhöhen. Seit 2018 war er nicht mehr gestiegen.

Die Fronten sind verhärtet, wie die Inhaftierung des Gewerkschaftsführers Babul Hossain von der Bangladesh Garment Workers Solidarity zeigt. Hossain rief Kolleg:innen auf, auf eine bessere Arbeitsgesetzgebung und einen höheren Mindestlohn zu dringen. Seine Kollegin Taslima Akter glaubt, er wurde verhaftet, um die Bewegung zu stoppen. Premierministerin Sheikh Hasina kündigte am Sonntag (26. November 2023) ein hartes Vorgehen gegen Brandstifter an, um Leben und Eigentum zu schützen.“ (https://taz.de/Textilwirtschaft-in-Bangladesch/!5972782/.)

Es war also dem Staat durch massive Repression und die minimale Erhöhung des Mindestlohnes gelungen, im Verlauf des Monats November 2023 den Klassenkampf des Textilproletariats zu ersticken. Diese Erhöhung wurde jedoch durch eine Inflation von 9 Prozent wieder aufgefressen. Außerdem überzog der politische Gewaltapparat das klassenkämpferische Proletariat mit Repression. Er leitete mindestens 43 Strafverfahren gegen 20.000 ArbeiterInnen ein. Über hundert Klassengeschwister wurden vom Staat inhaftiert. Im Jahre 2024 wurden 115 TextilproletarierInnen von der bürgerlichen Klassenjustiz inhaftiert. Viele TextilarbeiterInnen wurden von der Bourgeoisie aus den jeweiligen Betrieben rausgeworfen und auf schwarze Listen gesetzt. Dies macht es für sie sehr schwer, einen neuen Job zu finden.

Im April 2024 forderte ein Bündnis aus elf Verbänden und Gewerkschaften der Textilbranche von Bangladesch die Erhöhung des Mindestlohnes auf 25.000 BDT (ca. 215 Euro/235 US-Dollar) pro Monat.

In China legten die Lohnabhängigen der Deli Textile Co Ltd in der Wirtschaftsentwicklungszone Xia Sha im Bezirk Qiantang von Hangzhou (Provinz Zhejiang) am 2. November 2023 die Arbeit nieder. Der Ausstand richtete sich dagegen, dass die Bourgeoisie die Fabrik an einen anderen Ort verlagern wollte – ohne die bisherigen ArbeiterInnen zu entschädigen.

Am 6. November 2023 traten die ArbeiterInnen der Yonglong-Textilfabrik in Shoxing, Provinz Zhejiang, in den Ausstand. Der Klassenkampf entzündete sich, weil sie für die Verlagerung der Fabrik keine Entschädigung erhielten.

Am 25. November 2023 streikten die ProletarierInnen in der Changshu Zhongtang Textile Co Ltd in Suzhou, Provinz Jinagsu, weil das Einzelkapital die Fabrik verlegt hatte, ohne sie zu entschädigen. Der Streik dauerte eine Zeitlang an.

Am 29. November 2023 teilte die Baoyi Shoes Factory in Yangzhou, Provinz Jiangsu mit, dass sie den Arbeitsvertrag mit „ihren“ Beschäftigten zum Ende des Jahres kündigen, aber erst am nach dem 31. Dezember 2023 ein konkretes Abfindungspaket anbieten werde. Die ProletarierInnen waren so wütend, dass sie am 30. November 2023 in den Ausstand traten. Sie forderten von dem Unternehmen sofort eine Abfindung. Am 4. Dezember 2023 war der fünfte Streiktag.

Am 17. März 2024 demonstrierten rund 1.000 WanderarbeiterInnen aus Myanmar in der südchinesischen Provinz Yunnan, die direkt an Myanmar grenzt. Die ProletarierInnen schufteten in den Bekleidungsfabriken Shangcheng und Xinjiaho. Sie forderten vor allem kürzere Arbeitszeiten und einen freien Sonntag. Bei den Protesten ging es aber auch um höhere Löhne. Unsere Klassengeschwister bekamen oft nicht den versprochenen Lohn von 1.000.000 Kyat (umgerechnet 380 US-Dollar), sondern wurden mit deutlich weniger abgespeist. Die chinesische Bourgeoisie reagierte mit staatlicher Repression. So wurde eine Demonstrantin über die Grenze nach Myanmar abgeschoben.

Am 4. September 2024 errichteten Arbeiterinnen im Bezirk Linping, Hangzhu, Provinz Zhejiang, ansatzweise die Diktatur des Proletariats, die keine Staatsform ist, wie der Marxismus behauptet, sondern Gewalt und Zwang der klassenkämpferischen Lohnabhängigen gegen Bourgeoisie und die repressiven Staatsorgane. Die Proletarierinnen nahmen den Textilkapitalisten Shen Jinrong fest. Das war der Besitzer einer Bekleidungsfabrik im Dorf Tunli im Bezirk Linping in Hanzhou. Er floh bereits mehrfach an anderen Orten mit unbezahlten Löhnen. Die Diktatur des Proletariats bildet sich bereits ansatzweise im reproduktiven Klassenkampf, sie ist eine revolutionäre Tendenz. In der möglichen sozialen Revolution muss die proletarische Diktatur Kapital und Staat zerschlagen – und damit prozesshaft in die klassen- und staatenlose Gesellschaft übergehen (siehe auch Kapitel 3).

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Neue Broschüre: Kritik der globalen Politik III https://swiderstand.blackblogs.org/2024/11/24/neue-broschuere-kritik-der-globalen-politik-iii/ Sun, 24 Nov 2024 23:33:43 +0000 https://swiderstand.blackblogs.org/?p=798 Unsere neue Broschüre „Kritik der globalen Politik III“ (ca. 13 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Einleitung

Kritik der Identitätspolitik

I. Die nationalkapitalistische Formierung von Identitäten

1. Die Nationalkapitale

2. SklavInnen, LohnarbeiterInnen und nichtlohnarbeitende ProletarierInnen

3. Rassismus

4. „InländerInnen“ und „AusländerInnen“, das migrantische Proletariat

5. Patriarchat und Sexismus

6. Die binärgeschlechtlich-heterosexuell-monogame Normierung

II. Die konkurrenzförmige Formierung von Identitäts-Subjekten

1. „Identität“ als Kostüm der bürgerlichen Konkurrenzindividuen

2. Rechtskonservativ-neofaschistische Identitätspolitik

3. Linksliberale Identitätspolitik

4. Linkskonservative Identitätspolitik a la Sahra Wagenknecht

III. Die sozialrevolutionäre Aufhebung der Identitätspolitik

1. Proletarisch-revolutionäres Klassenbewusstsein als Identität der Identitätsaufhebung

2. Die tendenzielle Aufhebung der Spaltungslinien durch reproduktiven Klassenkampf

3. Die sozialrevolutionäre Aufhebung aller bürgerlicher Identität

Kritik des demokratischen Untertanenbewusstseins

I. Die Ideologie von der „Volksherrschaft“

1. Die ideologische Herrschaft des „Volkes“ als Klassendiktatur der Bourgeoisie

2. „ArbeiterInnendemokratie“ als begrifflicher Unsinn

II. Die Demokratie als besondere Staatsform des Kapitals

1. Freie Wahlen als Ermächtigung und Legitimierung von politischer Herrschaft

2. Demokratische Narrenfreiheiten für das „Volk“

3. Gewerkschaften, Streikrecht sowie kapitalistische Wirtschafts- und Arbeitsdemokratie

4. „Direkte Demokratie“ als staatsbürgerliches Ideal

5. Die heiligen Menschenrechte

6. Gewaltenteilung in der Diktatur der DemokratInnen

7. „Die Diktatur“: das Feindbild aller guten DemokratInnen

8. Demokratisch-faschistische Sozialreaktion

Freie Wahlen als Ermächtigung und Legitimierung von politischer Herrschaft

Freie Wahlen sind das Kriterium, die eine Demokratie von anderen Herrschaftsformen des Kapitals unterscheidet. Zunächst einmal ist interessant, was bei freien Wahlen alles nicht zur Wahl steht. Das ist erstens die totalitäre Herrschaft des Tauschwertes über Gebrauchs- und Produktionswert. Bedürfnisse nach bestimmten Waren oder warenförmigen Dienstleistungen zählen in einer kapitalistischen Warenproduktion nichts ohne das nötige Kleingeld, um diese sich auch leisten zu können. Dass ist die Diktatur des Tauschwertes über den Gebrauchswert, die nützlichen Eigenschaften der Waren und warenförmigen Dienstleistungen.

LohnarbeiterInnen werden von ihren AusbeuterInnen in der Regel nicht angemietet, wenn sie nicht deren Geld vermehren. Die Produktion von Mehrwert, den sich die AusbeuterInnen der Lohnarbeit aneignen, ist absolute Bedingung der Einstellung von ProletarierInnen in der Warenproduktion (siehe Kapitel I.1 der Schrift Kritik der Identitätspolitik). Das ist die totalitäre Herrschaft des Tauschwertes über den Produktionswert, die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit der Waren und warenförmigen Dienstleistungen.

Auch das Monopol der BerufspolitikerInnen auf die gesamtgesellschaftliche Organisation der kapitalistischen Klassengesellschaft steht in freien Wahlen nicht zur Wahl. Auch nicht die Existenz des Staates. Der politische Gewaltapparat ist weder wähl- noch abwählbar. Was in einer kapitalistischen Demokratie wähl- und abwählbar ist, ist das konkrete Management des Staates, die Regierung. Die Wähl- und Abwählbarkeit der Regierung gewährleistet die Reproduktion des Staates als politischen Gewaltapparat der Kapitalvermehrung.

Freie Wahlen sind eine Herrschaftstechnik, bei der die klassenübergreifenden WählerInnen die BerufspolitikerInnen ermächtigen, entweder den Staat zu regieren oder systemloyal-parlamentarisch gegen die Regierung – aber eben nicht gegen den Staat! – zu opponieren. ProletarierInnen verschwinden bei dieser demokratischen Herrschaftstechnik im klassenneutralen Wahlvolk. Sie gehen unter im Stimmvieh. BerufspolitikerInnen, egal ob regierend oder systemloyal opponierend, egal ob mittig, links oder rechts, sind die ManagerInnen der gesamtgesellschaftlichen Organisation der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit. Sie leben – auch jene der parlamentarischen Opposition – vom staatlich angeeigneten Mehrwert, also von der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnabhängigen, die sie politisch mit organisieren. In „freien Wahlen“ ermächtigen also die ProletarierInnen ihre strukturellen KlassenfeindInnen, die BerufspolitikerInnen, in ihrem Namen – aber gegen ihre Interessen – entweder den Staat zu regieren oder systemloyal in ihm zu opponieren. Am Politrummel der freien Wahlen teilzunehmen, ist für ProletarierInnen Verarschung und Selbstverarschung. Als WählerInnen trinken ProletarierInnen auch noch den Kakao, durch den sie gezogen werden.

In Form von freien Wahlen tragen die Basiseinheiten der bürgerlichen Politik, die politischen Parteien, ihre Konkurrenz aus. In Wahlen wird mitentschieden, welche Parteien den Staat regieren – auch in Form von Parteienkoalitionen – und welche in die parlamentarische Opposition gehen. Politische Parteien sind klassengespalten. Ihre bürgerlich-bürokratischen Apparate aus BerufspolitikerInnen und -ideologInnen sowie hauptamtlichen FunktionionärInnen bestimmen wesentlich was läuft und was nicht läuft im Parteiladen, während die kleinbürgerlich-proletarische Basis nicht mehr als Manövriermasse darstellt. Demokratien sind pluralistische Mehrparteiendiktaturen, in der die politischen Basiseinheiten ihre Konkurrenz in freien Wahlen austragen.

Politische „ArbeiterInnen“ Parteien (sozialdemokratische, marxistisch-leninistische und trotzkistische) integrieren sich in der Regel in die demokratisch-parlamentarischen Staaten. In Deutschland existieren drei systemloyale sozialdemokratische Parteien, die SPD, die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Aber auch sich sehr rrrrevolutionär gebende marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien wie die D„K“P, die MLPD und die Sozialistische Gleichheitspartei treten bei Wahlen an. Sie helfen damit in der Praxis das parlamentarisch-demokratische Herrschaftssystem zu reproduzieren, die ProletarierInnen zum Stimmvieh zu machen. Politische Parteien können den Staat nur reproduzieren. Sie sind Fleisch vom Fleische des Kapitalismus.

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Für die globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen! https://swiderstand.blackblogs.org/2024/07/31/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/ Wed, 31 Jul 2024 03:49:40 +0000 https://swiderstand.blackblogs.org/?p=758 Die massenmörderische Krisen- und Kriegsdynamik des globalen Kapitalismus schreit geradezu nach einer planetaren Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen. Das Weltproletariat wird erbarmungslos von der Weltbourgeoisie verheizt. Der Klassenkampf des Proletariats wird noch immer innerhalb des reproduktiven Rahmens des Kapitalismus geführt, dessen Perspektive für die ProletarierInnen nur Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, staatliche Elendsverwaltung, eine sich vertiefende ökosoziale Kriese und Krieg beziehungsweise einen asozialen Frieden bedeuten kann.

Die globale institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien) ist der bürokratische Ausdruck der den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen des proletarischen Klassenkampfes. Die bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparate integrierten sich mehrheitlich in den Kapitalismus und wurden Fleisch von seinem Fleische. Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus (Linke Sozialdemokratie, Marxismus-Leninismus, Trotzkismus und Linkskommunismus) sind entweder selbst Teil des kapitalistischen Problems oder außerstande eine revolutionäre Alternative zu Kapital, Staat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln.

Letzteres trifft besonders auf den Linkskommunismus zu. Er ist aufgrund seines Antiparlamentarismus, seiner Gewerkschaftsfeindlichkeit und seiner Ablehnung der nationalen Befreiung/Selbstbestimmung zu radikal, um sich in den Kapitalismus zu integrieren, aber zu parteimarxistisch-ideologisch borniert, um den konterrevolutionären Charakter des staatstragenden Bolschewismus ab 1917 zu erkennen und zu begreifen, dass die politische Partei grundsätzlich eine bürgerlich-bürokratische Organisationsform ist, die nur den Kapitalismus reproduzieren, aber eben nicht revolutionär überwinden kann. Das peinliche Rumgeeiere in der Staatsfrage – der berühmt-berüchtigte „Halbstaat“, den die LinkskommunistInnen in der Revolution aufmachen wollen –, ist eine antirevolutionäre Tendenz. Erstens kann es nur ganze Staaten geben und zweitens sind die immer konterrevolutionär!

Eine globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen als organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus ist also absolut notwendig. Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) strebt mittelfristig eine globale Föderation dieser revolutionären Kräfte an.

Keine bürokratisch-zentralistische und ideologisch-dogmatische „Internationale“!

Wir streben keine bürokratisch-zentralistische Internationale an, mit einem riesigen globalen Apparat, der die einzelnen Sektionen in den verschiedenen Nationen anführt. Nein, die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen, die wir mittelfristig und geduldig mit euch zusammen aufbauen wollen, soll klar und eindeutig mit der bürokratisch-zentralistischen und ideologisch-dogmatischen Tradition der parteimarxistischen (sozialdemokratischen, marxistisch-leninistischen und trotzkistischen) vier Internationalen brechen. Selbstverständlich soll sie sich auch von internationalen anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenschlüssen unterscheiden.

Die globale Vernetzung soll die unterschiedlichen theoretisch-kulturellen Ursprünge und Traditionen nicht einebnen, sondern produktiv zusammenführen. Sie soll praktische Gemeinschaftserlebnisse von Individuen und Kleingruppen sowie die inhaltliche Diskussion zwischen ihnen ermöglichen und damit Vereinzelung überwinden. Ganz auf der kollektiven Solidarität der Individuen und Gruppen beruhen. Einzeln und frei wie ein Baum, dabei geschwisterlich wie ein Wald!

Natürlich ist dabei auch eine Beliebigkeit zu verhindern. Die Vernetzung von revolutionären Gruppen und Individuen kann kein Selbstzweck, sondern muss die gemeinsame praktisch-geistige Vorbereitung auf die mögliche Weltrevolution sein.

Diskussionsgrundlage für einen inhaltlichen Minimalkonsens einer globalen Föderation von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen

Damit die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen eine klare organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus werden kann, muss sie auf klaren Grundprinzipien beruhen. Die AST schlägt zur Diskussion folgende Punkte vor.

1. Für die revolutionäre Aufhebung der Warenproduktion. Die Warenproduktion basiert auf global voneinander getrennten kleinbürgerlichen und kapitalistischen Wirtschaftseinheiten, die ihre Produkte mittels der Ware-Geld-Beziehung austauschen müssen. Das Geld ist der verselbständigte Ausdruck des Tauschwertes. Basis des Tauschwertes ist der Produktionswert, die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit einer Ware. Je höher der Produktionswert einer Ware ist, umso höher ist in der Regel auch ihr Tauschwert. Außerdem wird der Tauschwert auch durch die Marktkonkurrenz aus Nachfrage und Angebot bestimmt.

Indem das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat die Produktionsmittel und die soziale Infrastruktur in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt und den Staat zerschlägt, schafft es die Voraussetzungen für die Aufhebung des Tauschwertes. Überwindung des Tauschwertes heißt, dass in der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft die Produkte nicht getauscht – auch nicht durch einen Naturaltausch ohne Geld! – sondern gesamtgesellschaftlich kollektiv-solidarisch verteilt werden. Die Individuen sind keine passiven Objekte der gesamtgesellschaftlichen Leitung und Planung der Produktion sowie der Verteilung der Produkte, sondern deren aktive Subjekte.

RevolutionärInnen kritisieren jegliche „Vergesellschaftung“ innerhalb von Warenproduktion und Staat als Scheinalternative. GenossInnenschaften und „selbstverwaltete“ Betriebe innerhalb des Kapitalismus sind im besten Falle kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion und gehen fließend in Kapitalgesellschaften über.

2. Für die revolutionäre Zerschlagung aller Staaten. Staaten sind grundsätzlich sozialreaktionäre Gewaltapparate von Klassengesellschaften. Im Kapitalismus sind die Staaten die politischen Gewaltapparate der Kapitalvermehrung. Es kann keine „progressiven“ oder „sozialistischen“ Staaten geben. Das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat muss den Staat zerschlagen! Die „Halbstaaten“ einer angeblichen „Übergangsgesellschaft“, die der Linkskommunismus herbeiphantasiert, kann es nicht geben. Zwischen dem kapitalistischen Staat und der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft gibt es keine staatsförmige „Übergangsgesellschaft“, sondern „nur“ die mögliche revolutionäre Zerschlagung des Staates! Den Staat zu zerschlagen, heißt die gesamtgesellschaftlich-kollektive Organisation des Lebens ohne Gewaltapparate und BerufspolitikerInnen.

Da das Proletariat eines Landes, einer Gruppe von Ländern, eines Kontinents unmöglich mit der sozialen Revolution warten kann, bis ihre Klassengeschwister weltweit so weit sind, kann die Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung der Nationalstaaten sein. In der Weltrevolution wird es also sowohl schon mögliche klassen- und staatenlose Gemeinschaften als auch noch kapitalistische Staaten geben. Der revolutionäre Kampf gegen die Konterrevolution – sowohl von marodierenden Banden als auch von Staaten – beruht auf der kollektiven Militanz des sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats beziehungsweise der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft, aber nicht auf von der Gesellschaft getrennten Gewaltapparaten. Letztere wären der reproduzierte Staat. In der Praxis wird es schwer werden, notwendige revolutionäre Gewalt gegen die Konterrevolution auszuüben, ohne den Staat zu reproduzieren. Aber der reproduzierte Staat ist die Konterrevolution! Deshalb kompromissloser Kampf gegen die linkskommunistische Ideologie von dem „Halbstaat“ in der angeblichen „Übergangsperiode“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus! Die Weltrevolution ist erst zu Ende, wenn alle kapitalistischen Staaten revolutionär zerschlagen sind.

3. Gegen die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien). Gewerkschaften sind der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats innerhalb des Kapitalismus. Im frühen Kapitalismus ging die Bourgeoisie noch total repressiv gegen den proletarischen Klassenkampf vor. Streiks und Gewerkschaften waren absolut verboten. Doch große Teile der herrschenden Klasse erkannten in einem sozialen Lernprozess – auch aufgrund des Druckes des klassenkämpferischen Proletariats – dass in einer Klassengesellschaft der Klassenkampf nicht effektiv absolut zu verbieten ist. So wurde in den verschiedenen Staaten der reproduktive Klassenkampf und die Gewerkschafen unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Der Klassenkampf wurde verrechtlicht und damit tendenziell entradikalisiert. Die Gewerkschaften wurden durch das durch staatliche Gesetze regulierte Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten der Konzerne zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung.

Die meisten Gewerkschaften sind durch einen antagonistischen Klassengegensatz geprägt. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Apparate der hauptamtlichen FunktionärInnen – die sozial nicht (mehr) zum Proletariat gehören – und auf der anderen die ehrenamtlichen FunktionärInnen und die lohnabhängige Basis als Manövriermasse. Die Haupttendenz der Gewerkschaftsapparate ist es, sich vollständig in den kapitalistischen Staat zu integrieren.

Gewerkschaften können grundsätzlich nur einen reproduktiv-sozialreformistischen Klassenkampf um höhere Löhne, für kürzere Arbeitszeiten und eine geringere Arbeitsintensität sowie gegen die Angriffe von Kapital und Staat innerhalb des Kapitalismus, aber eben keinen revolutionären für die klassen- und staatenlose Gesellschaft führen. Selbstverständlich gibt es zwischen ihnen große Unterschiede. So gibt es total sozialreaktionäre Gewerkschaften, die völlig in die jeweiligen Staaten integriert sind und auch deren imperialistischen Kriege unterstützen, aber auch Basisgewerkschaften, die gegen Aufrüstung, Waffenhandel und Krieg einen pazifistisch-reformistischen Klassenkampf führen.

Die Behauptungen des Anarchosyndikalismus, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen, hat er durch seine eigene Praxis widerlegt. Durch seine Anpassung an das Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das reformistische Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats wurde der Anarchosyndikalismus selbst zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus. Gewerkschaften sind die Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus, aber eben keine revolutionären zur dessen Zerschlagung. Gewerkschaften können nicht revolutionär und revolutionäre Klassenkampforganisationen (siehe Punkt 5) keine Gewerkschaften sein!

In nichtrevolutionären Zeiten können RevolutionärInnen einfache Mitglieder von Gewerkschaften sein. Aber sie dürfen keine neben- oder hauptamtlichen Funktionen in ihnen übernehmen. Gewerkschaften müssen grundsätzlich durch revolutionäre Klassenkampforganisationen, die sich allerdings erst möglicherweise in der sozialen Revolution herausbilden können, ersetzt werden. Berits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus entwickelt sich die proletarische Selbstorganisation als Alternative zur Gewerkschaftsbürokratie (siehe Punkt 5). Völlig in den kapitalistischen Staat integrierte Gewerkschaftsapparate, die auch imperialistische Kriege unterstützen, müssen aktiv in der sozialen Revolution zerschlagen werden!

Politische Parteien bildeten sich ab dem 19. Jahrhundert zu zwar nicht absolut notwendigen, doch weit verbreiteten Basiseinheiten der bürgerlichen Politik. Parlamentarische Demokratien sind pluralistische Mehrparteiendiktaturen. In ihnen konkurrieren die politischen Parteien in Form von freien Wahlen um die Beherrschung des Staatsapparates. Freie Wahlen machen aus ProletarierInnen Stimmvieh, dass ihre strukturellen KlassenfeindInnen, die BerufspolitikerInne,n dazu ermächtigt, entweder den kapitalistischen Staat zu regieren oder systemloyal zu opponieren. Neben den Demokratien gab und gibt es noch faschistische und marxistisch-leninistische (siehe Punkt 4) Einparteiendiktaturen.

Politische Parteien sind klassengespalten in bürgerlich-bürokratische Apparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen auf der einen und der kleinbürgerlich-proletarischen Basis auf der anderen Seite. Mensch kann zwischen kleinbürgerlich-radikalen Protest-/Aufstandsparteien und großbürgerlichen Systemparteien unterscheiden.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich sozialdemokratische Massenparteien als politischer Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Einige von ihnen betrogen sich selbst und das Proletariat mit einer „revolutionären“ Ideologie, die aber nicht mit ihrer Praxis des parlamentarischen Sozialreformismus übereinstimmte, sondern diese verschleierte. Sie nahmen an Wahlen teil und integrierten sich immer stärker in das parlamentarische System. Die bürgerlich-bürokratischen Apparate der sozialdemokratischen Parteien strebten als Haupttendenz an, von der Bourgeoisie voll anerkanntes Regierungspersonal des kapitalistischen Staates zu werden.

Für die europäische Sozialdemokratie kam dieser Moment im Jahre 1914, den Beginn des Ersten Weltkrieges und der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923). Die meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien unterstützten den Ersten Weltkrieg auf der Seite ihres jeweiligen Nationalstaates. Nur pazifistische und radikale Teile der Sozialdemokratie waren gegen die Kriegsbeteiligung. Während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise wurde die Sozialdemokratie – besonders die deutsche SPD – offen konterrevolutionär, die blutig das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat niederschlug. Heute ist die Sozialdemokratie vollständig in den Kapitalismus integriert.

Infolge der europäischen revolutionären Nachkriegskrise spaltete sich der radikale Flügel der Sozialdemokratie weltweit sowohl als Partei-„Kommunismus“ als auch als Rätekommunismus ab. In einigen Nationen entstanden marxistisch-leninistische Parteidiktaturen (siehe Punkt 4). In hochentwickelten privatkapitalistischen Demokratien integrierten sich marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien in das parlamentarische System. Indem Marxismus-Leninismus und Trotzkismus an parlamentarischen Wahlen teilnehmen, helfen sie dabei die Demokratie als Diktatur des Kapitals praktisch-geistig zu reproduzieren und die ProletarierInnen zum Stimmvieh abzurichten und braven demokratischen StaatsbürgerInnen zu erziehen.

Die sich vernetzenden Gruppen des revolutionären Anarchismus und des antileninistischen Kommunismus lehnen die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats und der revolutionären Minderheiten ab. Ihre Kleingruppen sind weder Gewerkschaften noch politische Parteien und sie streben es auch nicht an, es zu werden.

4. Revolutionärer Antileninismus. Die politische Machtübernahme der bolschewistischen Partei im Oktober 1917 – nach dem alten russischen Kalender – stellte keine „proletarische Revolution“ dar, wie der Parteimarxismus einschließlich des Linkskommunismus behauptet, sondern der Prologder staatskapitalistischen Konterrevolution. Das sozialreaktionäre Lenin-Trotzki-Regime zerschlug die Sowjets als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Ab der Verstaatlichung der Großindustrie im Frühsommer 1918 war es staatskapitalistisch. Es folgten weitere sozialreaktionäre politische Machteroberungen von marxistisch-leninistischen Parteiapparaten und die Herausbildung staatskapitalistischer Regimes in Euroasien, Afrika und auf Kuba.

Die ultrazentralistischen und überbürokratischen staatskapitalistischen Produktionsverhältnisse begünstigten die ursprüngliche, nachholende und beschleunigte Industrialisierung von einstigen Agrarnationen, aber auf Dauer konnten sie nicht der Konkurrenz des hochentwickelten Privatkapitalismus standhalten, weshalb sich in den marxistisch-leninistischen Staatsparteien proprivatkapitalistische Reformfraktionen entwickelten und die politische Macht eroberten. Diese transformierten dann den Staats- in den Privatkapitalismus. In der Sowjetunion und in Osteuropa zerfielen die marxistisch-leninistischen Parteidiktaturen. In China, Vietnam und auf Kuba wurde und wird das Kapital unter der Herrschaft der marxistisch-leninistischen Parteien privatisiert.

5. Für die klassenkämpferische Selbstorganisation und die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats. Das Proletariat kann nur in klassenkämpferischer Selbstorganisation seine Interessen und Bedürfnisse gegen Kapital und Staat durchsetzen. Die klassenkämpferische Selbstorganisation richtet sich bereits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Besonders in längeren Arbeitsniederlegungen, die offiziell von den Gewerkschaften geführt werden, entwickeln sich teilweise Formen der Doppelherrschaft. Auf der einen Seite die Selbstorganisation der Basis und auf der anderen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Die höchste Form nimmt die Selbstorganisation der Lohnabhängigen im reproduktiven Klassenkampf in gewerkschaftsunabhängigen wilden Streiks an. Ist die Arbeitsniederlegung relativ kurz und sind die Belegschaften verhältnismäßig klein, reicht oft bereits die informelle Selbstorganisation der Lohnabhängigen. Dauert der wilde Streik jedoch länger und/oder stehen größere beziehungsweise mehrere Belegschaften in ihm, dann werden offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation, gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees, notwendig.

Revolutionäre Kleingruppen orientieren sich auf die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats, lehnen aber den Anspruch auf dessen „Führung“ ab. Ihre Funktion ist es praktisch-geistige Impulse zur Radikalisierung des Klassenkampfes zu geben. Wohl wissend, dass der Hauptimpuls zur Radikalisierung des Proletariats dessen eigener praktischer Kampf ist. RevolutionärInnen lehnen jede Stellvertreterpolitik gegenüber dem Proletariat einschließlich des Guerillakrieges getrennt vom Klassenkampf ab.

In außerordentlichen Situationen kann sich der proletarische Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisieren. Dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation notwendig. Wir verstehen darunter die Organisation der Revolution. Diese wird sowohl durch die informelle Aktion des Proletariats als auch durch offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation geprägt sein. Die Aufgabe der revolutionären Klassenkampforganisation wird die Aufhebung der Warenproduktion (Punkt 1) und die revolutionäre Zerschlagung des Staates (Punkt 2) sein. Gelingt dies, dann transformiert sich die revolutionäre Klassenkampforganisation in die klassen- und staatenlose Gemeinschaft. Die revolutionäre Klassenkampforganisation ist also die Selbstaufhebung des Proletariats als Prozess.

Diese revolutionäre Organisation des Proletariats kann nur die Warenproduktion aufheben und den Staat zerschlagen, wenn sie ganz auf der kollektiv-solidarischen Selbstorganisation der Klasse ohne bürokratische Apparate und BerufspolitikerInnen beruht. Hauptamtliche Gewerkschafts- und ParteifunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen haben in der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats nichts zu suchen! Revolutionäre Kleingruppen der vorrevolutionären Zeit gehen in der revolutionären Klassenkampforganisation auf. Diese kann nur die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären, wenn sie bereits mit deren Organisationsprinzipien schwanger geht.

Wir wissen nicht, wie die zukünftige revolutionäre Klassenkampforganisation aussehen wird. Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) waren nur potenziell und tendenziell revolutionär. Sie hatten sich noch nicht das klare Ziel der Aufhebung der Warenproduktion und der revolutionären Zerschlagung des Staates gestellt. Und sie wurden zum Beispiel in Russland zuerst von menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen deformiert, die versuchten die Sowjets in den proprivatkapitalistischen Staat zu integrieren. Später wurden bolschewistische BerufspolitikerInnen in den Sowjets immer stärker. Die Bolschewiki forderten demagogisch: „Alle Macht den Sowjets!“ Als sie dann mit Hilfe der Sowjets die politische Macht erobert hatten, zerschlugen sie diese als Organe des selbstorganisierten Klassenkampfes. Daraus gibt es nur eine Lehre zu ziehen: BerufspolitikerInnen raus aus der revolutionären Klassenkampforganisation! Allen politischen Parteien – auch den linkskommunistischen – und Gewerkschaften einschließlich der anarchosyndikalistischen, die die Führung des revolutionären Proletariats anstreben, muss ordentlich auf die Finger geklopft werden!

6. Revolutionäre Kritik des Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien und Mobilisierung für die Demokratie. RevolutionärInnen lehnen Einheits- und Volksfronten mit bürgerlichen Kräften – einschließlich der Sozialdemokratie, des Marxismus-Leninismus und des Trotzkismus gegen den Neofaschismus ab. Sie bekämpfen ihn auf klassenkämpferisch-revolutionärer Grundlage.

Das ist die Lehre aus dem spanischen BürgerInnenkrieg (1936-1939), bei dem die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung – von den StalinistInnen und SozialdemokratInnen über die linkssozialistische POUM bis zur anarchosyndikalistischen CNT – mit anderen bürgerlichen Kräften eine Volksfront bildete, gegen die die Generäle unter Franco putschten. Die Volksfront führte sowohl einen innerkapitalistischen und sozialreaktionären BürgerInnenkrieg gegen die putschenden Generale als auch einen Klassenkampf von oben gegen das Proletariat und den linken Flügel der Volksfront (POUM und Basis der CNT). Den Klassenkampf von oben gewann die Volksfront, während sie den BürgerInnenkrieg gegen Franco verlor. RevolutionärInnen mussten sowohl die Volksfront als auch die putschenden Generäle bekämpfen.

7. Gegen nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung/Autonomie. Die Nationen sind Zwangs- und Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit. Ihr organisierender Kern ist der Nationalstaat. Nationen beruhen ökonomisch auf der erfolgreichen Vermehrung des Nationalkapitals, politisch auf der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und ideologisch auf den Nationalismus. Der Letztgenannte integriert die Lohnabhängigen in die jeweiligen Nationalstaaten und spaltet das Weltproletariat. Dieses wird in der globalen Interaktion der Nationen – sowohl kooperative Konkurrenz als auch konkurrenzförmige Kooperation – erbarmungslos verheizt. Die ProletarierInnen werden durch den Nationalismus in blutigen Gemetzeln aufeinandergehetzt – im Interesse des Weltkapitalismus.

RevolutionärInnen bekämpfen die nationalistische Benachteiligung und Unterdrückung von kulturellen, sprachlichen und religiösen Minderheiten sowie den Rassismus gegen Menschen mit bestimmten Hautfarben. Aber auch dagegen, dass aus diesen Minderheiten durch nationalistische Politik neue Nationen geformt werden. Für die dann entweder Autonomie in bestehenden Nationalstaaten verlangt und durchgesetzt (wie zum Beispiel „die KurdInnen“ im Nordirak und in Syrien) oder einen neuen unabhängigen Nationalstaat aufgemacht werden. Nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung und Autonomie kann nur Kapital und Staat reproduzieren, aber eben nicht überwinden. Gegen nationalistische Unterdrückung hilft keine nationale „Befreiung“, sondern nur die soziale Befreiung von der Nation durch die mögliche Weltrevolution und die globale klassen- und staatenlose Gemeinschaft. In der globalen Konkurrenz der Nationen unterstützen die RevolutionärInnen keinen, sondern bekämpfen alle.

8. Gegen den Pazifismus. Der (klein)bürgerliche Pazifismus tritt für den bürgerlichen Frieden sowohl innerhalb der als auch zwischen den kapitalistischen Staaten ein. Doch dieser ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz aller gegen alle. Er ist asozial und gewalttätig. Im Inneren beruht er auf dem staatlichen Gewaltmonopol und in der Außenpolitik auf Aufrüstung. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist nicht die Alternative zum Krieg, sondern dessen Quelle.

Der Pazifismus verlangt die freiwillige, kooperative und nennenswerte Abrüstung der kapitalistischen Staaten. Doch die ist aufgrund der globalen Konkurrenz illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die Zerschlagung aller Staaten durch die mögliche globale Revolution. Kompromissloser Klassenkrieg! Weltproletariat gegen Weltbourgeoisie!

9. Grundsätzliche Kritik sowohl des kapitalistischen Patriarchats als auch der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus. Für den revolutionären Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat. Das kapitalistische Patriarchat ist sowohl klassenübergreifend als auch klassenspezifisch. Frauen sind innerhalb der Bourgeoisie (Kapitalistinnen, Managerinnen, Berufspolitikerinnen und Spitzenbeamtinnen) unterrepräsentiert, während die Proletarierinnen einer sexistischen Extrauausbeutung unterworfen werden. So sind zum Beispiel Frauenlöhne durchschnittlich niedriger als Männerlöhne. Ein Ausdruck des kapitalistischen Patriarchats ist auch, dass die meisten biosozialen Reproduktionstätigkeiten (einkaufen, reinigen der Wohnung, Pflege von kranken und/alten Menschen, Beaufsichtigung und Erziehung von Kindern…) sowohl innerfamiliär als auch durch Lohnarbeit durchschnittlich hauptsächlich von Frauen verrichtet werden. Weitere Aspekte des kapitalistischen Patriarchats sind die Degradierung der Frauenkörper zum Sexualobjekt – besonders in Pornographie und Prostitution –, patriarchal-sexistische Gewalt gegen Frauen einschließlich von Femiziden sowie staatliche Repression gegen Abtreibungen.

Der (klein)bürgerliche Feminismus kämpft für Gleichberechtigung von Frauen und Männern innerhalb des Kapitalismus und damit der Klassenspaltung. Er erkämpfte in seiner Geschichte das Frauenwahlrecht, die Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufen und immer mehr Berufspolitikerinnen und Wirtschaftsmanagerinnen. Und auch die sexistische Extraausbeutung der Frauen konnte abgemildert werden. Die völlige Durchsetzung der bürgerlichen Frauenemanzipation innerhalb des Kapitalismus würde bedeuten, dass Frauen innerhalb der Bourgeoisie nicht mehr unterrepräsentiert und die Proletarierinnen nicht mehr sexistisch extra ausgebeutet werden sowie die biosozialen Reproduktionstätigkeiten gleichmäßig unter den Geschlechtern, aber ungleichmäßig zwischen den Klassen verteilt werden. Die Durchsetzung von Punkt eins ist wahrscheinlicher als der Punkte 2 und 3. Jedoch haben die Proletarierinnen nichts davon, wenn sie von mehr Politikerinnen regiert, von Kapitalistinnen ausgebeutet und von Chefinnen herumkommandiert werden. Der bürgerliche Feminismus führt geradewegs zur „feministischen Außenpolitik“ kapitalistisch-imperialistischer Staaten…

Auch wenn der (klein)bürgerliche Feminismus es noch so sehr leugnet: es gibt auch weiblichen Sexismus gegen Männer. Klar, die bürgerliche Kleinfamilie ist grundsätzlich – auch von ihrer Geschichte her – patriarchal und vom männlichen Sexismus geprägt. Aber es gibt auch zwischenmenschliche Beziehungen, in denen Frauen Männer unterdrücken. Und auch sexuelle Belästigung von Männern durch Frauen. Dieser weibliche Sexismus kommt auch teilweise im (klein)bürgerlichen Feminismus zum Ausdruck. Zum Beispiel wenn in der feministischen Ideologie teilweise unterschwellig anklingt, aber manchmal auch offen behauptet wird: Frauen sind die besseren Menschen. Oder wenn einige Feministinnen gegen trans Frauen als „Männer in Frauenkleidern“ hetzen. Das ist nicht „nur“ transfeindlich, sondern auch sexistisch gegen Männer. RevolutionärInnen bekämpfen den weiblichen Sexismus genauso konsequent wie den männlichen.

RevolutionärInnen stellen der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus grundsätzlich den revolutionären Kampf gegen das Patriarchat gegenüber. Durch die soziale Revolution sowie die klassen- und staatenlose Gemeinschaft können viele biosoziale Reproduktionstätigkeiten, die im Kapitalismus hauptsächlich innerfamiliär und von Frauen verrichtet werden, auf freiwilliger Grundlage vergesellschaftet und auf alle Geschlechter fair verteilt werden. Nur durch die revolutionäre Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung sowie des sozialen und sexuellen Elends kann auch die Prostitution überwunden werden. Ihr staatliches Verbot, die Teile des Feminismus fordern, können diese nur in den Untergrund treiben und das Leben der Prostituierten erschweren.

10. Gegen heterosexuelle und geschlechtliche Normierungen – aber auch gegen die verlogene staatliche „Regenbogentoleranz“ und kleinbürgerliche Identitätspolitik. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die staatliche Repression gegen Menschen, die der heterosexuellen und binären Geschlechternorm nicht entsprechen – homo-/bisexuelle, nichtbinäre und trans Menschen – in jenen Ländern, wo diese besteht, als auch die verlogene „Regenbogentoleranz“ von in dieser Frage liberaleren Nationen und Staatenbündnisse. Grundsätzlich braucht der Kapitalismus keine heterosexuellen und geschlechtlichen Normierungen. Solange Schwule, Lesben, nichtbinäre und trans Menschen durch fleißige Produktion und aufgeschlossenem Konsum das Kapital vermehren sowie brave StaatsbürgerInnen sind, ist für den modernen Liberalismus alles in Ordnung. Liberale Staaten und Staatenbündnisse wie die Europäische Union (EU) machen auch die „Regenbogentoleranz“ zur imperialistischen Waffe gegen Staaten, mit denen sie aus anderen Gründen konkurrieren und die repressiv die heterosexuelle und geschlechtliche Normierung durchsetzen.

RevolutionärInnen unterschieden zwischen biologischen Geschlechtern, sozialen Geschlechterrollen und individuellen Geschlechtsidentitäten. Soziale Geschlechterrollen wollen sie durch die soziale Revolution aufheben (siehe Punkt 9), während sie alle individuelle Geschlechtsidentitäten tolerieren, solange die sich nicht gegen andere richten. Soll jede/r nach seiner/ihrer Fasson glücklich werden. Aber RevolutionärInnen wissen auch, dass im Kapitalismus alle Identitäten – unter anderem „Nation“, Hautfarbe, Religion, biologisches Geschlecht, soziale Geschlechterrolle und individuell Geschlechtsidentität sowie sexuelle Orientierung – zu Kostümen im Konkurrenzkampf aller gegen alle werden. Der rechtskonservativ-neofaschistische Konkurrenzchauvinismus gegen „AusländerInnen“, „Nichtweiße“, Homosexuelle, nichtbinäre und trans Menschen genau wie die linksliberale Hetze gegen „cis-Männer“ und „alte, weiße Männer“ – damit die jungen, „nichtweißen“ Frauen innerhalb von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ordentlich Karriere machen können. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die rechtskonservativ-neofaschistische als auch die linksliberale Identitätspolitik als Konkurrenzchauvinismus und Spaltung des Weltproletariats.

11. Grundsätzliche Kritik des bürgerlichen „Umweltschutzes“ innerhalb des Kapitalismus. Für die Reinigung des Planeten von kapitalistischem Dreck! Das kapitalistische Produktionsverhältnis, in dem sich alles um die grenzenlose Vermehrung des Tauschwertes/Geldes dreht, ist absolut sozialreaktionär und zerstörerisch gegen die pflanzliche und tierische Mitwelt. Die massenhafte Vergiftung, Zubetonierung, Vermüllung und Entwaldung unseres Planeten, der Klimawandel und das massenhafte Artensterben sind lebensgefährliche Ausdrücke der vom Kapitalismus permanent produzierten sozialökologischen Krise. Die technokratischen Versuche der kapitalistischen Staaten den Klimawandel zumindest einzudämmen, verschärfen diese Krise nur. Elektromobilität statt Verbrennungsmotor! Auf dass der lebensgefährliche, ressourcenverschwenderische und zerstörerische, aber eben auch sehr profitable Individualverkehr weiter reproduziert wird. Und Wälder für neue Autobahnen weichen müssen. Eindämmung des Klimawandels durch Windräder in „Naturschutzgebieten“! So sehen die „Lösungen“ der kapitalistischen Technokratie aus.

Auch die klassenübergreifende Umweltbewegung ist aus sich heraus nicht in der Lage, die kapitalistische Vernichtung der pflanzlichen und tierischen Mitwelt sowie den Klimawandel aufzuhalten. Nur die mögliche Weltrevolution kann durch die Überwindung der kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsverhältnisse die ökosoziale Krise eindämmen. Dies spricht nicht dagegen, dass RevolutionärInnen an lokalen Bewegungen gegen konkrete kapitalistische Naturzerstörungen teilnehmen, um radikalisierende Impulse zu geben. Aber sie müssen immer die strukturelle kleinbürgerliche Beschränktheit auch der radikalsten klassenübergreifenden Umweltbewegung kritisieren. In der institutionalisierten Umweltbewegung, also in den verschiedenen kleinbürgerlichen Vereinen, haben RevolutionärInnen grundsätzlich nichts verloren.

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Inhalt

Einleitung

Die sozialstaatlich-karitative Verwaltung des kapitalistisch produzierten Elends

I. Die kapitalistisch-politische Produktion des Elends

1. Die kapitalistisch-politische Ausbeutung der Lohnabhängigen

2. Die „Freisetzung“ auf den Arbeitsmärkten

3. Die Ruinierung von produktions- und handelsmittelbesitzenden KleinbürgerInnen

4. Elend und „Armut“

II. Die sozialpolitische Verwaltung des Elends

1. Der Soziallohn

2. Sozialstaatliche Transferzahlungen an Langzeitarbeitslose

3. Der Sozialstaat als Gewaltapparat

4. Die Integration der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung in den Sozialstaat

5. Die UNO als globales Sozialamt

III. Die menschlichen Objekte der sozialstaatlichen Elendsverwaltung

1. Erkrankte Menschen

2. Menschen mit Behinderung

3. Kinder und Jugendliche

4. RentnerInnen

5. Erwerbslose Menschen

6. Fliehende und geflohene Menschen

7. Inhaftierte Menschen

Immobilieneigentum, Mietverhältnisse und Obdachlosigkeit

1. Das Eigentum an Wohnungen

2. Mietverhältnisse

3. Obdachlosigkeit

4. Staatliche Bau- und Mietenpolitik sowie Obdachlosenverwaltung

5. Wohn- und mietenpolitischer Sozialreformismus

6. Die sozialrevolutionäre Lösung der Wohnungsfrage

Die Digitalisierung der Kapitalvermehrung

I. Gesellschaftliche Aspekte der Digitalisierung

1. Wissenschaftlich-technische Aspekte der Digitalisierung

2. Sozialökonomische Aspekte der Digitalisierung

3. Sozialpsychologische Aspekte der Digitalisierung

II. Der kapitalistische Staat und die Digitalisierung

1. Die Digitalisierung der staatlichen Infrastruktur

2. Die Optimierung der staatlichen Überwachung

3. Die staatliche Subventionierung und Regulierung des digitalen Privatkapitals

4. Die zwischenstaatliche Konkurrenz um die Digitalisierung

III. Klassenkampf und Digitalisierung

1. Die Digitalisierung als Instrument im Klassenkampf von oben

2. Die Digitalisierung und der Klassenkampf der Lohnabhängigen und prekären Selbständigen

3. Obdachlosigkeit

Das Elend für große Teile des Weltproletariats, die sich den Bau eines eigenen Hauses entweder nicht leisten können oder wollen, besteht also im Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen. Ein Mangel, der sich grundsätzlich nur sozialrevolutionär durch die Aufhebung des Wohnungsmietverhältnisses als Teil der Ware-Geld-Beziehungen lösen lässt (siehe Kapitel 6 dieser Schrift).

Zum sozialen Elend des Weltproletariats gehört auch die Obdachlosigkeit. Dies ist eine globale Lebenslage, in der Menschen keinen festen Wohnsitz haben und im öffentlichen Raum, im Freien oder in Notunterkünften übernachten. In den Industriestaaten ist die Mehrzahl der obdachlosen Menschen männlich. Unter den alleinstehenden Obdachlosen sind etwa 80 Prozent Männer. In der BRD hatten 2022 607.000 Menschen nach Angaben der regierenden Charaktermasken dieses Staates keine eigene Wohnung. Ganz ohne Unterkunft auf der Straße lebten in diesem Land rund 50.000 Menschen.

Dieter Rheinisch schrieb im Dezember 2023 über die Zunahme der Obdachlosigkeit in Großbritannien und Irland: „Die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen in England nimmt dramatisch zu. Dieses Jahr (2023) werden laut einer neuen Studie 309.550 Menschen Weihnachten auf der Straße, in Notunterkünften oder im Auto verbringen müssen. Auch in Irland spitzt sich die Lage zu. (…)

So ist in England die Zahl der Obdachlosen innerhalb eines Jahres um 14 Prozent gestiegen, teilte die Hilfsorganisation Shelter am Donnerstag (14. Dezember 2023) mit. Einer von 182 Menschen ist betroffen. Bei Kindern ist das Verhältnis noch dramatischer: Eines von 85 Kindern in England ist wohnungs- oder obdachlos. Offizielle Regierungsdaten zeigen, dass derzeit eine Rekordzahl von 139.000 Kindern in provisorischen Unterkünften lebt.

Die Zahlen von Shelter zeigen, dass vor allem die Obdachlosigkeit in den vergangenen zwölf Monaten stark zugenommen hat: Mehr als 3.000 Menschen schlafen jede Nacht auf der Straße. Das ist ein Anstieg von 26 Prozent in nur einem Jahr. Fast 280.000 Menschen leben darüber hinaus derzeit in unsicheren und gesundheitsschädlichen Notunterkünften. Außerdem zeigen Zahlen der Regierung, dass fast die Hälfte der Familien in provisorischen Unterkünften seit mehr als zwei Jahren dort leben, schreibt Shelter. Hinzu kommen 20.000 Menschen in Heimen oder betreuten Unterkünften.

,Obwohl unsere Analyse die umfassendste Übersicht über die in England registrierte Obdachlosigkeit ist, ist die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher, da einige Formen der Obdachlosigkeit, wie z. B. ,Sofasurfenʻ, nicht dokumentiert sindʻ, betonte Shelter-Direktorin Polly Neate bei der Vorstellung des Berichts. ,Chronisch unzureichende Investitionen in den sozialen Wohnungsbau haben dazu geführt, dass sich die Menschen die explodierenden privaten Mieten nicht mehr leisten können und die Obdachlosigkeit auf ein Rekordniveau gestiegen istʻ, so Neate weiter. (…)

Ähnlich problematisch ist die Situation in Irland, wo die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen ebenfalls rapide ansteigt. (…) Die Zahl der Obdach- und Wohnungslosen dort liegt derzeit bei fast 15.000 Menschen. Die Dunkelziffer dürfte auch hier um ein Vielfaches höher liegen.“ (Dieter Rheinisch, Weihnachten auf der Straße, in: junge Welt vom 18. Dezember 2023, S. 9.)

Formularbeginn

Damit hinter den Zahlen die wirklichen Menschen deutlich werden, wollen wir hier die Schilderung der ehemaligen Obdachlosen Rachel Moran aus Irland wiedergeben. Rachel Moran wuchs in einer Familie mit psychisch kranken Eltern auf. Als der Vater Selbstmord beging, wurde für sie die Situation mit der Mutter unerträglich. Sie befreite sich 1989/90 mit 14 aus der Familie und geriet in die gefühlskalte Verwaltung des Sozialstaates und schließlich in die Obdachlosigkeit.

Sie schrieb später darüber: „Nur wenige Monate nach dem Selbstmord meines Vaters verließ ich mein Elternhaus. Die Paranoia meiner Mutter und ihr Hang, nach Sündenböcken zu suchen, hatten innerhalb weniger Wochen den Siedepunkt erreicht und konzentrierten sich voll auf mich. Sie bombardierte mich jeden einzelnen Tag mit Verbalattacken. Wenn wir uns heftig stritten, was andauernd der Fall war, spuckte sie regelmäßig den Hinweis aus, ich solle zu einem Sozialarbeiter gehen und mir ein Heim suchen. Je mehr ich über ihren Hinweis nachdachte, desto mehr leuchtete er mir ein. Mir graute davor, in die Welt hinauszugehen und mich allein durchzuschlagen, aber mein Leben zuhause war schlichtweg unerträglich, und ich wusste, dass ich nicht bleiben konnte, also tat ich genau das, was sie mir nahelegte. Ich ging zum Gesundheitszentrum unseres Viertels und bat um ein Gespräch mit einem Sozialarbeiter. Ich kam mir dabei sehr zielstrebig vor, so als würde ich mein Leben selbst in die Hand nehmen, sackte aber zusammen, als ich der Sozialarbeiterin unter Tränen erklärte, weshalb ich da war. Ich sagte immer wieder: ,Ich muss da raus, ich muss da endlich raus.ʻ Innerhalb einer Woche hatte sie mich tatsächlich da rausgeholt. Damit begann die schwindelerregende Erfahrung, unter staatlicher Vormundschaft zu leben.

Die erste Unterbringung, an die ich vermittelt wurde, war ein von der Heilsarmee betriebenes Heim im Stadtzentrum, das Lefroy House hieß. Im Laufe der darauffolgenden achtzehn Monate war ich immer wieder obdachlos, im Alter von vierzehn bis fünfzehneinhalb Jahren. Fast jedes Mal, wenn mein Aufenthalt in einem Heim oder in einer Pension endete, war ich wieder obdachlos. Zu Beginn meiner Phasen im äußersten Elend führte ich ein sehr einsames Leben, gab mich mit niemandem ab, ging auf niemanden zu, bat nicht um Hilfe und erhielt folglich auch keine.

Mal riss ich von Heimen aus, mal wurde ich rausgeworfen. Ich war nie gewalttätig, jedoch absolut unnachgiebig, wenn es um Regeln ging, denen ich mich nicht unterwerfen wollte. Ich war sehr willensstark und keineswegs auf den Mund gefallen. Trotz alledem kann ich einige Gründe nicht akzeptieren, die vorgebracht wurden, um mich vor die Tür zu setzen. Zu diesen Gründen gehörte, dass ich einmal mit nur einen Schuh an den Füßen ankam, weil ich kurz zuvor verprügelt worden war, oder dass man mich ein anderes Mal erwischte, in meinem Zimmer Tabletten in einem Glas gehortet zu haben, für den Fall, dass ich eventuell einmal Selbstmord begehen wollte. Ich hatte schon in meiner Kindheit Selbstmordgedanken gehabt. (…)

Der erste Schock, als ich obdachlos wurde, war die kontinuierliche, unablässige Notwendigkeit, ständig unterwegs zu sein. Die Suche nach Orten, an denen man einfach nur sein konnte, stellte ein weitaus größeres Problem dar, als ich es mir zuvor hätte träumen lassen. Nirgendwo, wo man hingeht, wird man in Ruhe gelassen. Diesen Luxus kann man nirgendwo erwarten, schließlich sind einem alle privaten Orte der Welt verschlossen, und alle öffentlichen Orte bieten keinerlei Privatsphäre. Viele der letzteren gewähren einem nicht einmal Zutritt.

Was das Problem betrifft, einen Platz zum Schlafen zu finden, so deckt buchstäblich nichts die Bedürfnisse ab, die selbst die mickrigste und schäbigste Bruchbude erfüllt. Kein einziger Platz bietet Trockenheit, Sicherheit, Sauberkeit, Wärme und einen Minimalkomfort. Eine Parkbank mag trocken sein, wenn es nicht regnet, sie mag sogar sauber sein, wenn man Glück hat, aber sie ist weder sicher noch warm, noch bequem. Eine Stelle unter einem Busch ist vielleicht trocken, falls man das Wetter auf seiner Seite hat, aber sie ist weder sicher noch sauber, noch warm, noch bequem.

Ich habe an vielen Plätzen dieser Art geschlafen und einer war so erbärmlich wie der andere. Einmal schlief ich in einem Bus, der in einem Depot mit offenen Türen abgestellt worden war. Als ich aufwachte, fuhr ich in den frühen Morgenstunden über die damals noch grünen Felder von Westdublin. Ich hatte keinen Schimmer, wo ich war, und es war ein unsanftes Erwachen, aber ich fand, dass es sich gelohnt hatte. Es war die bequemste Nacht seit Langem.

Einmal fiel ich für etwa eine halbe Stunde auf dem kalten Fliesenboden einer Toilette bei McDonaldʻs auf der OʻConnell Street in einen unruhigen Schlaf. Die Nacht zuvor hatte ich keinen Schlafplatz finden können und war zutiefst erschöpft, also ging ich zu McDonaldʻs, kaum, dass sie geöffnet hatten, um Egg McMuffins zum Frühstück zu verkaufen. Ich dachte, wenigstens auf der Toilette hätte ich einen sicheren Raum für mich. Ich wurde von einer Mitarbeiterin, die hereingekommen war, um die Toiletten zu reinigen, aus dem Schlaf gerissen und rausgeworfen. Das führt mich zur wahren und schlimmsten Verheerung, die die Obdachlosigkeit mit sich bringt: die Einsamkeit. Es ist die Erfahrung, dass man absolut unerwünscht ist, dass die eigene, bloße Anwesenheit an allen Orten und in allen Situationen ein unerquicklicher Umstand ist. Egal, wo man sich als obdachlose Person befindet, man ist immer unwillkommen. Wenn ein Mensch obdachlos ist, so sinkt sein gefühlter Wert für die Gesellschaft auf null. Er existiert nicht. Ihrem Selbstgefühl nach sind solche Menschen wertlos und missliebig, soziale Parias, Verstoßene, Außenseiter, deren bloßer Körper ein unerwünschter Störfaktor ist, den sie mit sich herumtragen müssen, wohin sie auch gehen. Sie sind im wortwörtlichsten Sinne unerwünscht. Sie sind die verkörperte Überflüssigkeit. Ich habe all diese Gefühle zu spüren bekommen, als ich obdachlos war. Das tun alle obdachlosen Menschen. Es ist unumgänglich.“ (Rachel Moran, Was vom Menschen übrig bleibt. Die Wahrheit über Prostitution, Tectum Verlag, Marburg 2015, S. 63-68.)

Rachel Moran entkam der Obdachlosigkeit, indem sie mit 15 Jahren in die Prostitution geriet, aus der sie sich dann nach sieben Jahren ebenfalls befreite…

Aber Obdachlose sind nicht nur leidende Menschen, sie sind auch Teil des globalen proletarischen Klassenkampfes. Johannes Schulten schrieb 2009 über den Wohnungsnotstand, staatliche Repression und den sozialen Widerstand in Sao Paulo/Brasilien: „In der brasilianischen 20-Millionen-Metropole Sao Paulo herrscht akuter Wohnraumnotstand. Allein in Stadtkern mangelt es nach offiziellen Angaben an 600 000 Wohnungen. Städtische ,Aufwertungsprogrammeʻ trieben die Mieten in den letzten Jahren in die Höhe. Die Immobilienspekulation boomt. Während inzwischen sogar Mittelstandsfamilien ihre Stadtwohnungen nicht mehr bezahlen können und an die Peripherie übersiedeln, bleibt für die stetig wachsende Zahl der Menschen, die ihren Lebensunterhalt in der Schattenwirtschaft verdienen, häufig nur die Favela. Aber auch in den brasilianischen Slums wird der Platz knapp. Innerhalb der letzten 20 Jahre sind die städtischen Elendsviertel fünfmal schneller gewachsen als die gesamte Metropolenregion. In den etwa 1600 Favelas im Großraum Sao Paulo leben bis zu 1,2 Millionen Menschen.

Wo staatlicherseits wenig Abhilfe zu erwarten ist, gehen Obdachlosenorganisationen seit einigen Jahren dazu über, sich den benötigten Wohnraum einfach anzueignen. Gruppen wie die 1997 gegründete Bewegung obdachloser Arbeiter (MSTS), ein Ableger der Landlosenorganisation MST, verlassen die Favelas und besetzen nicht genutztes Land in den Vorstädten.

Eine dieser Siedlungen befindet sich im Viertel Capao Redondo im Süden von Sao Paulo. Vor zwei Jahren (2007) besetzten etwa 600 Familien hier nicht genutztes Privatgelände, dass sich im Besitz eines nationalen Busunternehmens befindet. Inzwischen ist die Zahl der Familien, die dort leben, auf über 800 angewachsen. Für die Stadtverwaltung gilt die Siedlung jedoch immer noch als illegal. Am vergangenen Montag (24. August 2009) war es dann soweit. Unter dem Einsatz von Tränengas und Blendgranaten stürmten etwa 250 Polizisten der brasilianischen Militärpolizei das Gelände. Die Bewohner verteidigten sich mit dem, was sie hatten: Es flogen Steine und Molotow-Cocktails; Autos, Reifen und Schrott dienten als Barrikaden. Nach sechs Stunden war das Spektakel vorbei, der Widerstand der rund 500 Verteidiger gebrochen. Die Bulldozer rollten ein. Einen Tag später, am Dienstag (25. August 2009) stand kein Haus mehr.

Wie sehr solche Aktionen zum Alltag in Brasilien gehören, zeigt die Reaktion eines Polizeikommandeurs. Auf die Journalistenfrage, ob die Räumung angesichts der Ausschreitungen nicht abgebrochen werden müsse, antwortete er lapidar: ,Ein wenig Widerstand ist für uns normalʻ. Einen Grund, die Aktion abzubrechen, sehe er nicht. Was bleibt, waren Dutzende verhaftete Favela-Bewohner, einige Verletzte. Am Mittwoch (26. August 2009) befanden sich nach Aussagen verschiedener Obdachlosenorganisationen immer noch 500 Familien auf dem Gelände. Einen Ort, wohin sie gehen könnten, haben sie nicht.“ (Johannes Schulten, Bulldozer statt Recht auf Wohnen, in der junge-Welt-Beilage faulheit & arbeit vom 29./30. August 2009, S. 5.)

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Neue Broschüre: Revolutionäre Kritik des Trotzkismus https://swiderstand.blackblogs.org/2023/08/09/revolutionaere-kritikdestrotzkismus/ Wed, 09 Aug 2023 10:48:31 +0000 https://swiderstand.blackblogs.org/?p=657 Unsere neue Broschüre „Revolutionäre Kritik des Trotzkismus“ (ca. 137 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Paul Mattick, Bolschewismus und Stalinismus

Konkurrenten um die Macht

Die Bolschewisten und die Spontaneität der Massen

Die Partei-„Maschinerie“

Trotzki, ein Apologet des Stalinismus

Das Resultat: Staatskapitalismus

Willy Huhn, Trotzki und die proletarische Revolution

Fabrikräte und Arbeiterkontrolle

Anmerkungen des Verfassers

Willy Huhn, Trotzkis Bonapartismus 1918 bis 1923

Anmerkungen des Verfassers

Willy Huhn, Zur Theorie des „Arbeiterstaates“ in Russland

Anmerkungen des Verfassers

Nelke, Der Trotzkismus – eine Ideologie der Kapitalvermehrung

1. Der klassische Marxismus zwischen antikapitalistischer Kritik und nationalkapitalistischer Politik

2. Revolution und Konterrevolution in „Sowjet“-Russland (1917-1921)

3. Der Marxismus-Leninismus als staatskapitalistische Ideologie und Praxis

4. Der Trotzkismus als oppositionelle staatskapitalistische Ideologie

5. Wie der Trotzkismus den Privatkapitalismus reproduziert

6. Trotzkismus und Krieg

Nelke, Über Paul Mattick und Willy Huhn

1. Die Entwicklung des Rätekommunismus in Deutschland und in den Niederlanden

2. Paul Mattick

3. Die Schrift Bolschewismus und Stalinismus

4. Willy Huhn

5. Huhns Schriften gegen den Trotzkismus

Wie der Trotzkismus den Privatkapitalismus reproduziert

Innerhalb des Privatkapitalismus betrieb und betreibt der Trotzkismus eine Politik des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus einschließlich von Einheitsfronten mit der Sozialdemokratie und dem Marxismus-Leninismus. Besonders letzteres war selbstmörderisch. So war der Trotzkismus in Vietnam in den 1930er Jahren relativ stark. Doch er ging eine Einheitsfront mit den StalinistInnen ein. Letztere bauten in den 1940er Jahren die Guerillaorganisation Viet Minh auf, die auch blutig gegen TrotzkistInnen vorging.

Nach Trotzkis Ansicht hätte auch in Deutschland nur eine Einheitsfront aus Sozialdemokratie und Stalinismus die Machtübergabe an die Nazis verhindern können. Eine Einheitsfront aus jenen zwei bürgerlich-bürokratischen Parteiapparaten, die real arbeitsteilig-konkurrenzförmig die kampflose Kapitulation des Proletariats organisiert hatten?! Wirkliche RevolutionärInnen traten für den selbstorganisierten Klassenkampf – unabhängig von und gegen die Partei- und Gewerkschaftsapparate – gegen Weimarer Republik und Nazis ein. Aus revolutionärer Perspektive hätte der Faschismus in Deutschland nur verhindert werden können, wenn das Proletariat die Weimarer Republik vor der Machtübertragung an die Nazis revolutionär zerschlagen und damit die Voraussetzung für eine klassen- und staatenlosen Gemeinschaft geschaffen hätte. Sozialdemokratische, marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteiapparate konnten und können nur den Kapitalismus in privater oder verstaatlichter Form reproduzieren.

Nach der Machtübertragung an die Nazis im Jahre 1933 hielt Trotzki die von Moskau geführte „Kommunistische“ Internationale nicht mehr für reformierbar. Er trat jetzt für den Aufbau einer „Vierten Internationale“ ein, die offiziell 1938 gegründet wurde und später in mehrere globalen trotzkistischen Zusammenschlüsse zerfiel. Heute ist der Trotzkismus in seinen Hauptströmungen stark sozialdemokratisiert. So wirken in Deutschland in der Partei Die Linke, die einige Bundesländer und Kommunen mitregiert, also zum Politpersonal der Bourgeoisie gehört, auch einige TrotzkistInnen mit. Auch die radikalere trotzkistische Sozialistische Gleichheitspartei (SGP), die die Anpassung anderer Trotzkismen an Die Linke scharf kritisiert, nimmt selbst am politischen Wahlzirkus teil. Bei parlamentarischen Wahlen sind ProletarierInnen nichts als Stimmvieh, die ihre strukturellen KlassenfeindInnen, die BerufspolitikerInnen, ermächtigen zu regieren oder systemloyal zu opponieren. Indem die SGP an Parlamentswahlen teilnimmt, hilft sie dabei das demokratische Regime in diesem Land zu reproduzieren, auch wenn sie keine Chance auf Parlamentsmandate hat.

Die meisten trotzkistischen Strömungen erzeugen zum Beispiel in der BRD Illusionen in die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate, die durch das Tarifvertragsgeschäft, das Sitzen ihrer FunktionärInnen in den Aufsichtsräten der Konzerne (Wirtschaftsdemokratie) sowie in den sozialpartnerschaftlich-reformistischen Betriebs- und Personalräten (Arbeitsdemokratie) tief in das deutsche Nationalkapital und in viele Einzelkapitale als Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung integriert sind. Zwar schimpfen die TrotzkistInnen auf die Gewerkschaftsbürokratie, doch erzeugen die meisten von ihnen Illusionen in die klassenkämpferische und sozialemanzipatorische Reformierbarkeit der Gewerkschaften. Ja, TrotzkistInnen übernehmen ehren- und gar hauptamtliche Funktionen in ihnen.

Antipolitische SozialrevolutionärInnen gehen von einem antagonistischen Klassengegensatz in den Gewerkschaften aus. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen – die sozial nicht zum Proletariat gehören, sondern eine besondere Schicht von ManagerInnen bilden – und auf der anderen Seite die lohnabhängige Basis. Dieser Klassengegensatz entfaltet sich bereits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus. Oft entwickelt sich in längeren, noch offiziell von den Gewerkschaften „geführten“ Arbeitsniederlegungen die Doppelherrschaft aus der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats auf der einen und den Gewerkschaftsapparaten auf der anderen Seite. In wilden Streiks, die sich ohne oder gar gegen die Gewerkschaften entwickeln, kommt die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats klar zum Ausdruck. Sowohl auf informelle Weise als auch in Form von gewerkschaftsunabhängigen Streikkomitees.

Gewerkschaftsfeindliche SozialrevolutionärInnen können in nichtrevolutionären Zeiten Mitglieder in Gewerkschaften sein. Sie dürfen aber keine Illusionen in deren sozialemanzipatorische und klassenkämpferische Reformierbarkeit schüren und keine ehren- oder gar hauptamtliche Funktionen in ihnen übernehmen. SozialrevolutionärInnen streben langfristig die revolutionäre Zerschlagung der Gewerkschaften an.

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Neue Broschüre: Analyse und Kritik der Warenproduktion https://swiderstand.blackblogs.org/2023/07/26/neue-broschuere-analyse-und-kritik-der-warenproduktion/ Wed, 26 Jul 2023 22:26:30 +0000 https://swiderstand.blackblogs.org/?p=642 Unsere neue Broschüre „Analyse und Kritik der Warenproduktion“ (ca. 139 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Gebrauchs-, Produktions- und Tauschwert

I. Gebrauchs- und Produktionswert – allgemeine Kategorien der menschlichen Produktion

1. Der Gebrauchswert

2. Der Produktionswert

II. Der Tauschwert – besondere Kategorie der Warenproduktion

1. Die Entwicklung des Tauschwertes mit der Produktion für den Austausch

2. Tausch- und Gebrauchswert in der Warenproduktion

3. Tausch- und Produktionswert in der Warenproduktion

4. Der Mehrwert – ein ganz besonderer Teil des kapitalistisch produzierten Tauschwertes

5. Das Dreiecksverhältnis Tausch-, Gebrauchs-, und Produktionswert in der Warenproduktion

III. Kritik der marxistischen Begriffsverwirrung

1. Keine klare Unterscheidung zwischen Produktions- und Tauschwert

2. Nicht Doppel-, sondern Dreifachcharakter der Ware

Warenproduktion

I. Kleinbürgerliche Warenproduktion und kapitalistischer Handel

1. Kleinbürgerlich-selbstproduktives Eigentum an den Produktionsmitteln

2. Die embryonale Ausbeutung von Lohnarbeit in der kleinbürgerlichen Warenproduktion

3. Kapitalistischer Waren- und Geldhandel.

II. Kapitalistische Warenproduktion

1. Von der kleinbürgerlichen zur kapitalistischen Warenproduktion

2. Kapitalistische Warenproduktion auf Basis der Sklaverei

3. Kapitalistische Warenproduktion auf Basis der Lohnarbeit

4. Die Krisendynamik der industriekapitalistischen Warenproduktion

Die Entwicklung des Geldes als Verselbständigung und Abstraktion des Tauschwertes

1. Der noch nicht verselbständigte Tauschwert beim Naturaltausch

2. Die Herausbildung des allgemein anerkannten Tauschmittels

3. Die Funktionen des Geldes

4. Produktions- und Tauschwert des Metallgeldes

5. Gold als Weltgeld

6. Die Emanzipation des Buch- und Papiergeldes gegenüber der metallischen Basis

Ware-Geld-Beziehungen als verdinglichte gesellschaftliche Verhältnisse

1. Freie Marktsubjekte und Konkurrenzindividuen

2. Warenästhetik

3. Geldfetischismus

Die politische Organisation der industriekapitalistischen Warenproduktion

1. Politische Macht und Ohnmacht der Bourgeoisie in der eurasischen Übergangsperiode zum Industriekapitalismus

2. Staatlich garantierte freie Marktsubjektivität

3. Wirtschaftlicher und politischer Liberalismus

4. Die Integration der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung in den demokratischen Staat

5. Die extreme Mitte, Rechts- und Linksreaktion

6. Staatsinterventionismus und (klein)bürgerlicher Konkurrenzindividualismus

7. Der Nationalismus der freien Marktsubjekte und Konkurrenzindividuen

8. Sozialökonomische Aspekte des Imperialismus

Praktisch-geistige Reproduktion oder revolutionäre Aufhebung des Tauschwertes?!

I. Die marxistische und anarchistische Reproduktion des Tauschwertes

1. Inkonsequenzen des klassischen Marxismus

2. Die marxistisch-leninistische Verstaatlichung der Warenproduktion

3. Der Trotzkismus als eine oppositionelle staatskapitalistische Ideologie

4. Marktsozialismus

5. Die anarchistische Reproduktion der Warenproduktion

II. Die kommunistische Überwindung des Tauschwertes

1. Objektive Voraussetzung: ein großer Anteil des Weltproletariats an der globalen Bevölkerung

2. Objektiv-subjektive Voraussetzung: die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes

3. Objektiv-subjektive Voraussetzung: revolutionäre Situationen

4. Objektiv-subjektive Voraussetzung: die revolutionäre Klassenkampforganisation

5. Objektiv-subjektive Voraussetzung: die antipolitische Zerschlagung des Staates

6. Objektiv-subjektive Voraussetzung: die gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt über Produktionsmittel

7. Objektiv-subjektive Voraussetzung und Folge: die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft

III. Inkonsequenzen auf einem richtigen Weg

1. GIK, Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung

2. Guenther Sandleben, Gesellschaft nach dem Geld

Geldfetischismus

Die verdinglichte menschlich-gesellschaftliche Ware-Geld-Beziehung produziert notwendigerweise ein falsches Bewusstsein, den Geldfetischismus. Das tote Ding Geld bekommt in der Ideologie der Marktsubjekte – und auch ProletarierInnen sind als VermieterInnen ihrer Arbeitskraft und als KäuferInnen von Lebensmitteln kleinbürgerliche Marktsubjekte – eine lebendige Gestalt. Es bekommt Eigenschaften von lebendigen Menschen angedichtet. Dieser Geldfetischismus kommt auch in Alltagssprüchen zum Ausdruck. Zum Beispiel in diesem: „Geld regiert die Welt.“ Geld kann nicht regieren. Es sind kapitalistische GeldbesitzerInnen, die die Welt regieren, aber nicht das tote Ding Geld. Es ist der menschliche Besitz des Geldes, die Macht demonstriert. Die Macht, sich Arbeitskräfte zu mieten, Prostituierte sexuell zu benutzen oder sich Regierungsentscheidungen zu kaufen. Es sind die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in einer kapitalistischen Warengesellschaft, die dem toten Ding Geld eine solche Macht verleihen. Und auch kapitalistische GeldbesitzerInnen werden von der Ware-Geld-Beziehung und deren Krisen mehr beherrscht, als dass sie umgekehrt die Ware-Geld-Beziehung beherrschen.

„Geld muss arbeiten!“ lautet eine Weisheit der kapitalistischen Warenproduktion. Sie ist durch und durch falsches Bewusstsein, wie sie aber notwendigerweise von der verdinglichten menschlich-gesellschaftlichen Ware-Geld-Beziehung produziert wird. Geld kann nicht arbeiten. Es sind produktionsmittelbesitzende KleinbürgerInnen und Lohnabhängige, die materiell-praktisch Waren und warenförmige Dienstleistungen produzieren, deren Verkauf dann das Geld vermehrt. In der kapitalistischen Warenproduktion vermehren die ProletarierInnen durch ihre Lohnarbeit das Geld der Bourgeoisie. „Geld muss arbeiten“ lenkt von der Ausbeutung des proletarischen Menschen durch die menschlichen Produktionsmittel- und GeldbesitzerInnen ab. „Arbeitendes“ beziehungsweise „sich vermehrendes Geld“ ist die Umwandlung des Geldkapitals in menschliches produktives Kapital, das dann für die Bourgeoisie noch mehr Geld produziert. Die wirkliche Produktivität der LohnarbeiterInnen wird durch den Geldfetischismus zur scheinbaren Produktivität des Kapitals beziehungsweise der Bourgeoisie. Dies wird auch durch die Bezeichnung „kapitalistische WarenproduzentInnen“ für KapitalistInnen deutlich. Doch KapitalistInnen produzieren keine Waren, sondern lassen diese von ihren Lohnabhängigen produzieren und verkaufen. Der positive Geldfetischismus, der in dem Satz „Geld muss arbeiten“ so „wunderbar“ zum Ausdruck kommt, verschleiert also die kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit.

Zum negativen Geldfetischismus neigen dagegen weltweit Millionen ProletarierInnen, die am Ende des Geldes noch so viel Monat übrighaben. Die nicht wissen, wie sie die wichtigsten Dinge bezahlen sollen und deshalb nachts nicht schlafen können. Viele fluchen dann laut oder leise: „Scheiß Geld!“. Doch es ist nicht das tote Ding Geld, was sie bedrückt, es sind die verdinglichten menschlich-gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie dazu sozialökonomisch zwingen, ihre Arbeitskraft gegen Geld zu vermieten, um sich dafür dann die notwendigsten Lebensmittel zu kaufen. Es ist die kapitalistische Produktionsweise, die die grenzenlose Vermehrung des Geldes zum Hauptzweck des ganzen Geschehens macht. Deren Tendenz dafür ProletarierInnen überauszubeuten, so dass deren biosoziale Reproduktion gefährdet ist. So dass diejenigen, die ganz viel Geld für die Bourgeoisie produzieren, in der Regel relativ – und nicht gerade selten auch absolut – wenig selbst davon haben. Der Fluch „Verdammtes Geld!“ lenkt von den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Warenproduktion nicht weniger ab wie der positive Geldfetischismus.

Der negative Geldfetischismus reagiert sich wütend und hasserfüllt am Geld ab, während die anderen politökonomischen Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft bejaht und begrüßt werden. So ist es bei vielen linken und rechten IdeologInnen gang und gebe die „Realwirtschaft“ – also die kapitalistische Warenproduktion – gegen die böse Finanz- und Bankenwelt auszuspielen. Als ob nicht die ganze „Realwirtschaft“ notwendig vom Ziel befeuert würde, das Geld grenzenlos zu vermehren. Wer zwischen Banken und der „Realwirtschaft“ als zwischen „böse“ und „gut“ unterscheidet, ist objektiv ein/e Demagoge/in.

Der negative Geldfetischismus wird von den untereinander konkurrierenden Marktsubjekten – einschließlich der ProletarierInnen – gegenseitig moralisierend als ethischer Überbau des Konkurrenzkampfes in Stellung gebracht. Die jeweils anderen denken nur an das Geld! So kann die sozialökonomische Tatsache, dass fast alle Menschen im Kapitalismus die verdinglichte Ware-Geld-Beziehung leben und gezwungenermaßen ihr Leben, Tun, Denken und Fühlen mehr oder weniger vom Geld bestimmt ist, ausgeblendet, von sich selbst als Marktsubjekt abgelenkt und moralisierend-gehässig auf die jeweils anderen gelenkt werden. Der negative Geldfetischismus verband sich mit dem Antijudaismus und richtete sich mörderisch-hasserfüllt gegen „die Geldjuden“. Die kleinbürgerliche und kapitalistische Warenproduktion badete sich in Judenblut, wodurch auch „arische“ KleinbürgerInnen und Bourgeois ihr Geld auf Kosten der jüdischen Konkurrenz vermehren konnten.

Für die Nazis waren die Juden eine geldgierige „Rasse“. Hier ein Zitat von Hitler, welches das ziemlich gut veranschaulicht. So schrieb er am 16. September 1919: „Der Antisemitismus als politische Bewegung darf nicht und kann nicht bestimmt werden durch Momente des Gefühls, sondern durch die Erkenntnisse von Tatsachen. Tatsachen aber sind: Zunächst ist das Judentum unbedingt Rasse und nicht Religionsgemeinschaft. Und der Jude selbst bezeichnet sich nie als jüdischen Deutschen, jüdischen Polen oder etwa jüdischen Amerikaner, sondern stets als deutschen, polnischen oder amerikanischen Juden. Noch nie hat der Jude von fremden Völkern, in deren Mitte er lebt, viel mehr angenommen als die Sprache. Und damit ergibt sich die Tatsache, dass zwischen uns eine nichtdeutsche, fremde Rasse lebt, nicht gewillt und auch nicht imstande, ihre Rasseneigenarten zu opfern, ihr eigenes Fühlen, Denken und Streben zu verleugnen, und die dennoch politisch die gleichen Rechte besitzt wie wir selber. Bewegt sich schon das Gefühl des Juden im rein Materiellen, so noch mehr sein Denken und Streben. Der Tanz ums Goldene Kalb wird zum erbarmungslosen Kampf um alle jene Güter, die nach unserem inneren Gefühl nicht die höchsten und einzig erstrebenswerten auf dieser Erde sein sollen.

Sein Mittel zum Kampf ist jene öffentliche Meinung, die nie ausgedrückt wird durch die Presse, wohl aber immer durch sie geführt und gefälscht wird. Seine Macht ist die Macht des Geldes, dass sich in Form des Zinses in seinen Händen mühe- und endlos vermehrt, und den Völkern jenes gefährlichste Joch aufzwingt, dass sie seines anfänglichen goldenen Schimmers wegen so schwer in seinen späteren traurigen Folgen zu erkennen vermögen. Alles was Menschen zu Höherem streben lässt, sei es Religion, Sozialismus, Demokratie, es ist ihm alles nur Mittel zum Zweck, Geld- und Herrschgier zu befriedigen. Sein Wirken wird in seinen Folgen zur Rassentuberkulose der Völker.“

Hier sehen wir deutlich, wie der Kleinbürger Hitler den negativen Geldfetischismus mit der „wissenschaftlichen Rassenlehre“ verknüpfte. Die eigene kleinbürgerliche Konzentration auf das Geld wurde auf die „anderen“, die Juden und Jüdinnen, projiziert und diese Objekte der eigenen Projektion fanatisch bekämpft. Nun ja, indem die Nazis 1933 von der Mehrheit der deutschen Bourgeoisie als ihre offiziellen Folterknechte und Mordbuben gemietet wurden, konnten nicht wenige Nazibonzen ihre Taschen mit Geld füllen. Durch die „Arisierung der deutschen Wirtschaft“ konnten „arische“ KapitalistInnen auf Kosten der enteigneten jüdischen Bourgeoisie ihr Geld vermehren. Negativer Geldfetischismus als Moment des Konkurrenzkampfes im Rahmen der Geldvermehrung.

…..

Der Wirtschaftsliberale Silvio Gesell hatte nichts gegen die kapitalistische Warenproduktion an sich, als negativer Geldfetischist reagierte er sich am zinstragenden Bankkapital ab. Als ArbeiterInnen galten ihm fast alle Klassen und Schichten der kapitalistischen Gesellschaft, von den KönigInnen bis zu den HilfsarbeiterInnen – nur die von Kapitalzinsen Lebenden galten ihm als SchmarotzerInnen. Das war die alte Gegenüberstellung des „produktiven“ Kapitals, das in der Industrie und im Handel angelegt war, gegen das „schmarotzende“ zinstragende Kapital. Diese Ideologie, die nicht nur von Gesell produziert wurde, unterschlägt, dass im Kapitalismus nur das Proletariat und das KleinbürgerInnentum produktiv sind. Erstere vermehrt durch dessen Arbeit das Kapital der Bourgeoisie. Der Zins, von dem einige Angehörige der Bourgeoisie leben, ist lediglich ein Teil des Mehrwertes, der durch die Ausbeutung des Proletariats entsteht. Auch unterschlug Gesell, dass es auch dem Industrie- und Handelskapital um die Vermehrung des Tauschwertes, also des Geldes, geht. Gießkannen, Panzer und pazifistische Bücher werden nur hergestellt, wenn ihre Produktion und Verkauf den KapitalistInnen mehr einbringen als das ganze kostet. Allerdings verband Gesell seinen negativen Geldfetischismus nicht mit dem Antijudaismus, er stellte also das zinstragende Kapital nicht als „jüdisches“ dar. Total reaktionär war seine Ideologie trotzdem, weil sie die Quelle des kapitalistischen Geldreichtums, die Ausbeutung des Proletariats im Produktionsprozess, verdunkelte. Gesell war also ein Freund der kapitalistischen Warenproduktion und ein negativer Geldfetischist. Er kam auf die Idee ein „Schwundgeld“ oder „Knochengeld“ zu schaffen, das Geld sollte also aus einem Material geschaffen werden, das seine Substanz verlieren würde und deshalb nicht gehortet werden könnte.

Auch der kommunistische Anarchist Erich Mühsam (siehe Kapitel I.5 der Schrift Praktisch-geistige Reproduktion oder revolutionäre Aufhebung des Tauschwertes) triftete teilweise in negativen Geldfetischismus ab. Er schrieb über die Geldtheorie von Gesell: „…seine Geldtheorie dagegen scheint berufen, nicht, wie er annahm das Wirtschaftsregulativ der freiheitlichen Gesellschaft zu werden, wohl aber das Übergangsverfahren vom kapitalistischen Währungssystem zum geldlosen Kommunismus zu ermöglichen.“ (Erich Mühsam, Ein Wegbahner. Nachruf zum Tode Gesells 1930, in: Klaus Schmitt (Hg.), Silvio Gesell. Marx der Anarchisten? Texte zur Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus und der Kinder und Mütter vom patriarchalischen Bodenunrecht,Karin Kramer Verlag, Berlin 1989, S. 297.) Der letzte Satz ist natürlich Unsinn. Mühsam zeigt sich hier als negativer Geldfetischist, der sich am Ding Geld abreagiert, anstatt darüber nachzudenken wie die verdinglichten Tauschverhältnisse der Warenproduktion, also die Ware-Geld-Beziehungen durch eine klassen- und staatenlose gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel aufgehoben werden kann (siehe Kapitel II.6 des Textes Praktisch-geistige Reproduktion oder revolutionäre Aufhebung des Tauschwertes).

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Neue Broschüre: Kritik der Globalen Politik I https://swiderstand.blackblogs.org/2022/09/03/neue-broschuere-kritik-der-globalen-politik-i/ Sat, 03 Sep 2022 12:04:02 +0000 http://swiderstand.blackblogs.org/?p=444 Unsere neue Broschüre „Kritik der Globalen Politik I“ (ca. 135 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Allgemeine Betrachtung über die sozialreaktionäre kapitalistische Modernisierung
1. Die industriekapitalistische Produktionsweise
2. Die bürgerlichen Staaten und ihr Internationalismus
3. Bürgerliche Staatsformen und politische Parteien
4. Staatsinterventionismus
5. Imperialismus und nationale „Befreiung“ als Durchsetzungsformen des Weltkapitalismus
6. Reproduktiver Klassenkampf und Gewerkschaften
7. Der Parteimarxismus als kapitalistische Modernisierungsideologie
8. Kapitalistisches Patriarchat und bürgerliche Frauenemanzipation
9. Der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus

Krieg und Frieden in Afghanistan
1. Afghanistan zwischen Britisch-Indien und Russland
2. Afghanistan nach dem Zweiten Weltkrieg
3. Der marxistisch-leninistische Staatsstreich
4. Die internationale Aufrüstung des Islamismus
5. Die Intervention des sowjetischen Imperialismus
6. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen
7. Der US-Imperialismus und Al-Qaida
8. Die westliche Besatzung von Afghanistan
9. Die sozialökonomische und politische Entwicklung in Afghanistan unter westlicher Besatzung
10. Die Taliban wieder an der Macht
11. Afghanistan im Zusammenhang des zweiten Kalten Krieges

Der Libanon in der Krise
1. Kurze Geschichte des Libanon
2. Die tiefe Krise des Libanon ab 2019
3. Die Explosion der organisierten Verantwortungslosigkeit
4. Die soziale Protestbewegung vom 17. Oktober 2019
5. Die langfristige sozialrevolutionäre Krisenlösung

Politische Machtkämpfe in Bolivien
1. Das linksreaktionäre Morales-Regime
2. Der rechtsreaktionäre Putsch
3. Das rechtsreaktionäre Regime
4. Der erneute Wahlsieg der Linksreaktion
5. Fazit

Die bürgerlichen Staaten und ihr Internationalismus

Der bürgerliche Staat ist im Privatkapitalismus (siehe zum Staatskapitalismus Kapitel 7) der ideelle Gesamtkapitalist, der politische Gewaltapparat der Kapitalvermehrung. Er übt sowohl ein Geld- als auch ein Gewaltmonopol aus. Als politischer Gewaltapparat überführt er das Geld in seine Nationaluniform, die Währung. In der Europäischen Union (EU), einer imperialistischen Zweckgemeinschaft einiger Staaten dieses Kontinents, haben sich mehrere Länder auf die gemeinsame Währung des Euro, geeinigt. Die grenzenlos-expansive Vermehrung des Geldes in seiner jeweiligen Nationaluniform ist das oberste Staatsprogramm der politischen Gewaltapparate. Der bürgerliche Staat formiert die Einzelkapitale auf seinem Territorium zum gesellschaftlichen Gesamtkapital, zum Nationalkapital.
Das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates sorgt für inneren Frieden. Auch in Demokratien kümmern sich hochgerüstete Geheimdienste und Bullerei darum, dass das Staatsvolk, die Nation, friedlich bleibt. Die Nation ist ein Kunstprodukt kapitalistischer Politik. Sie ist eine lediglich indirekte Vergesellschaftung der untereinander konkurrierenden Marktsubjekte und der gegeneinander kämpfenden Klassen – Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat – über Ware-Geld-Beziehungen und den politischen Gewaltapparat. Eine Nation ist eine scheinbare Gemeinschaft und ein gemeinschaftlicher Schein. Letzterer wird durch die Ideologie des Nationalismus erzeugt. Er produziert die Illusion, dass UnterdrückerInnen und Unterdrückte, AusbeuterInnen und Ausgebeutete, einer untrennbaren Schicksalsgemeinschaft angehören können. Nationen beruhen also nicht nur auf politische Gewalt – verkörpert im Nationalstaat –, sondern auch auf die ideologische Illusion einer Gemeinschaft. Die bürgerlichen Marktsubjekte – einschließlich der ProletarierInnen (siehe Kapitel 1) – fliehen aus der Kälte des Konkurrenzindividualismus in die scheinbare Wärme der Nation.
Viele kapitalistische Nationen berufen sich ideologisch auf dominierende Sprach- und Kulturgemeinschaften, zum Beispiel der Staat BRD auf die deutsche Sprache und Kultur. Die vorkapitalistisch entstandenen Sprach- und Kulturgemeinschaften sind jedoch nicht mit den kapitalistischen Nationen identisch. Besonders deutlich wird das bei Nationen, die ursprünglich aus ganz vielen unterschiedlichen Sprach- und Kulturgemeinschaften zusammengesetzt wurden, wie die US-amerikanische. Manchmal ist auch eine bestimmte Religion besonders eng mit bestimmten Sprach- und Kulturgruppen verbunden. Eine solche Rolle füllt zum Beispiel in Polen der Katholizismus aus. Oder der Hindunationalismus in Indien, der sich besonders aggressiv gegen die muslimische Minderheit im Land richtet. Gemeinsame Religion, Sprache und Kultur sollen die Menschen ideologisch verbinden, die sich als Marktsubjekte und unterschiedliche Klassen gegeneinander bekämpfen.
Und das gelingt auch in der Regel in relativ stabilen kapitalistischen Nationen – solange der Klassenkampf zwischen Kapital und Lohnarbeit reproduktiv (siehe Kapitel 6) und auch der Konkurrenzkampf zwischen den politischen Strömungen friedlich bleibt. Ist letzteres nicht mehr gewehrleistet, dann sind das staatliche Gewaltmonopol und die Einheit der Nation durch BürgerInnenkrieg gefährdet. Durch solche innerstaatlichen Gemetzel fühlen sich natürlich auch oft ausländische Staaten eingeladen, sich bewaffnet in die BürgerInnenkriege einzumischen. Wir werden das am Beispiel des afghanischen und libanesischen BürgerInnenkrieges ausführlicher beschreiben (siehe die Kapitel 3-9 des Textes Krieg und Frieden in Afghanistan sowie das Kapitel 1 der Schrift Der Libanon in der Krise).
Innerstaatlicher Frieden erfordert also ein praktisch durchgesetztes staatliches Gewaltmonopol. Es sichert, dass sich die StaatsbürgerInnen als Konkurrenzsubjekte legal nicht gegenseitig verprügeln und töten dürfen. Illegal machen sie das natürlich in einem gewissen Umfang. Der innere Frieden in kapitalistischen Staaten ist also gewissermaßen ein latenter BürgerInnenkrieg niederer Intensität. Legal zuschlagen und töten dürfen nur die offiziellen Hooligans des Staates, die Bullen, SoldatInnen und GeheimdienstlerInnen.
Der bürgerliche Staat ist Schiedsrichter des permanenten Konkurrenzkampfes der Einzelkapitale und der Marktsubjekte. In dieser Funktion als ideeller Gesamtkapitalist macht er den Einzelkapitalen und Konkurrenzindividuen Vorgaben, was sie im ständigen Gegeneinander tun dürfen und was nicht.
Als politischer Gewaltapparat der Kapitalvermehrung schützt er alle Eigentumsformen der Warenproduktion grundsätzlich gegen das eigentumslose Proletariat. Am Anfang illegalisierten auch demokratische Staaten den proletarischen Klassenkampf total. Inzwischen kontrollieren demokratische Staaten durch ein Streikrecht, ein Tarifvertragssystem und in die Nationalkapitale integrierte bürgerlich-bürokratische Gewerkschaftsapparate wesentlich besser und effektiver das klassenkämpferische Proletariat (siehe Kapitel 6).
Als politischer Gewaltapparat der Kapitalvermehrung nimmt der bürgerliche Staat auch direkt und indirekt an der Ausbeutung der Lohnarbeit teil. Besitzt der Staat industrielle Produktions-, Transport und Verkehrsmittel, mit und an denen LohnarbeiterInnen Mehrwert produzieren, den sich der politische Gewaltapparat aneignet, dann reden wir von Staatskapitalismus. Staatsbesitz an Aktien an oder von gesamten kapitalistischen Unternehmen ist institutionelles Eigentum. Nicht individuelle Personen besitzen Produktionsmittel oder Anteile an kapitalistischen Unternehmen, sondern der überpersönliche politische Gewaltapparat. Aber die regierenden BerufspolitikerInnen und das Management verstaatlichter kapitalistischer Unternehmen üben die EigentümerInnenfunktionen des Staates aus. Besitzt der politische Gewaltapparat nur eine Minderheit der industriellen Produktionsmittel beziehungsweise der Aktien, dann haben wir eine staatskapitalistische Tendenz innerhalb des Privatkapitalismus vor uns. Übt der Staat jedoch ein Eigentumsmonopol in der Industrie aus, dann ist dies Ausdruck einer staatskapitalistischen Produktionsweise (siehe Kapitel 7).
Neben den Mehrwert produzierenden ProletarierInnen in Staatsfirmen beutet der politische Gewaltapparat auch im Privatkapitalismus auch die Arbeitskraft von staatlich dienenden Lohnabhängigen aus. Letztere produzieren weder Tausch- noch Mehrwert, sondern Gebrauchswerte. Zum Beispiel vermitteln die LehrerInnen in staatlichen Schulen das jeweilige Wissen, was die Arbeitskräfte, Marktsubjekte und StaatsbürgerInnen in ihren Funktionen unbedingt benötigen. Oder die Bullen, die für den Staat für „innere Sicherheit“ sorgen. Diese staatlich dienenden Lohnabhängigen sind klassenmäßig von den regierenden BerufspolitikerInnen, die als ManagerInnen des Staates zur Bourgeoisie gehören, getrennt. Letztere halten die großen Reden und werden auch wesentlich besser bezahlt als die staatlich dienenden LohnarbeiterInnen, obwohl diese die eigentliche Arbeit verrichten. Darin besteht die Ausbeutung der staatlich dienenden Lohnabhängigen durch den politischen Gewaltapparat, auch wenn sie keinen Mehrwert produzieren, sondern aus dem staatlich angeeigneten Mehrwert bezahlt werden. Staatlich dienende Lohnabhängige werden vom dialektischen Widerspruch beherrscht, dass sie einerseits teilweise repressiv gegen das klassenkämpferische Proletariat vorgehen – zum Beispiel die Bullen – anderseits aber auch einen reproduktiven Klassenkampf um Löhne, Arbeitszeiten und -bedingungen gegen das regierende BerufspolitikerInnentum als Management des ideellen Gesamtkapitalisten führen.
Durch die Besteuerung seiner BürgerInnen eignet sich der bürgerliche Staat indirekt einen Teil des Mehrwertes an. Besteuert der politische Gewaltapparat den Geldlohn, dann lässt er faktisch Mehrwert für sich produzieren und realisieren. Bei der Besteuerung des Konsums der Lohnabhängigen verwandelt er einen Teil des Lohnes in staatlich angeeigneten Mehrwert. Die Steuern, die die Bourgeoisie – KapitalistInnen, ManagerInnen, hohe BerufspolitikerInnen und SpitzenbeamtInnen – zahlt, stellt eine Umverteilung des Mehrwertes an den politischen Gewaltapparat dar. Sowohl die besteuerten Gewinne der KapitalistInnen sowie die Gehälter der ManagerInnen, hohen BerufspolitikerInnen und SpitzenbeamtInnen als auch die Steuern, die die Bourgeoisie auf ihren Konsum zahlt, haben die Lohnabhängigen erarbeitet. Die Lohnabhängigen werden also nicht nur als Steuerzahlende, sondern auch als SteuerproduzentInnen vom kapitalistischen Staat ausgebeutet. Die Steuern, die das produktions- und handelsmittelbesitzende KleinbürgerInnentum (KleinbäuerInnen, HandwerkerInnen, KleinhändlerInnen und FreiberuflerInnen) auf dessen Gewinn und Konsum zahlt, hat es sowohl teilweise selbst erarbeitet als auch stammt es zu einem anderen Teil aus dem Mehrwert, den die von ihm ausgebeuteten Lohnabhängigen produziert und realisiert haben.
Der politische Gewaltapparat verteilt den angeeigneten Mehrwert um. Ein Teil fließt als eine Art Soziallohn an die Lohnabhängigen zurück. Das sind die scheinbar kostenlosen beziehungsweise zwar gebührenpflichtigen, aber nicht kostendeckenden Dienstleistungen des Staates an die Lohnabhängigen, wie zum Beispiel der Schulunterricht auch für proletarische Kinder. Scheinbar kostenlos sind diese Dienstleistungen, weil die Lohnabhängigen sie ja in ihrer Funktion als Steuerzahlende und SteuerproduzentInnen erarbeitet haben. Teilweise bekommen auch nichtlohnarbeitende Schichten des Proletariats wie Erwerbslose und RentnerInnen als ehemalige LohnarbeiterInnen steuerfinanzierte staatliche Transferzahlungen. Zum Beispiel in Deutschland an Langzeitarbeitslose und staatliche Finanzflüsse an die gesetzliche Rentenversicherung. Ein anderer Teil der staatlichen Zahlungen an Erwerbslose und RentnerInnen stammt also in der BRD aus der gesetzlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Außerdem gibt es in Deutschland noch die Kranken-, die Pflege- und die Unfallversicherung. Bis auf die Unfallversicherung zahlen sowohl die Lohnarbeit anmietenden „ArbeitgeberInnen“ als auch die Lohnabhängigen Beiträge. Aber natürlich wurden auch die Beiträge der AusbeuterInnen an die gesetzlichen Sozialversicherungen von den Lohnabhängigen selbst erarbeitet. Der Soziallohn und die Transferzahlungen an die nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats stellen nichts anderes als staatliche Elendsverwaltung und das Eingeständnis dar, dass der ausgezahlte Geldlohn nicht zur biosozialen Reproduktion des Proletariats bei allen möglichen Risiken des Daseins im Kapitalismus ausreicht. Große Teile der politischen Linken bekommen es fertig, den Sozialstaat für „fortschrittlich“ zu halten, obwohl er auf der sozialreaktionären kapitalistischen Ausbeutung von Lohnarbeit beruht.
Ein anderer Teil des staatlich angeeigneten Mehrwertes fließt als Subvention an das Privatkapital. Übrigens stellen Staatsaufträge an das Privatkapital keine Umverteilung des Mehrwertes, sondern die Umwandlung seiner Form dar. Der Staat eignet sich den Mehrwert in Form von Geld an. Kauft er jetzt bei privatkapitalistischen Rüstungsunternehmen Mordwerkzeug ein, dann hat er nun ein Mehrprodukt zum Tauschwert des von ihm bezahlten Preises. Bezahlt der politische Gewaltapparat aber einen viel höheren Preis für Rüstungsgüter, als die eigentlich wert sind, dann haben wir es mit einer versteckten Subvention zu tun. In hoch entwickelten kapitalistischen Industriestaaten entwickelte sich ein Militärisch-Industrieller Komplex aus Militär, Politik sowie privatkapitalistischen Rüstungs- und SöldnerInnenfirmen heraus. Der Militärisch-Industrielle Komplex ist ein Ausdruck des kapitalistischen Imperialismus. Unter modernem Imperialismus verstehen wir die ökonomische, politisch-diplomatische, propagandistisch-ideologische und militärisch-kriegerische Expansion sowohl von einzelnen Nationalkapitalen/-staaten als auch von Blöcken (zum Beispiel EU und NATO als kollektive Organe des westlichen Imperialismus).
Der Imperialismus ist eine aggressiv-expansive Form des bürgerlichen Internationalismus. Letzterer ist die globale Interaktion der Nationalkapitale und -staaten. Die globale Interaktion der Nationen beruht auf kooperativer Konkurrenz und konkurrenzförmiger Kooperation der Nationen. Sowohl der Frieden zwischen Staaten als nichtmilitärische Form der Konkurrenz als auch der Krieg sind Ausdrucksweisen des bürgerlichen Internationalismus. Der bürgerliche Frieden trägt in sich den imperialistischen Krieg wie die Wolke den Regen. Im Weltkapitalismus kann der Frieden nur Zwischenkrieg sein. Der Frieden bereitet den nächsten Krieg und der Krieg den nächsten Frieden vor. Ein Ausschluss des Krieges und eine kollektive freiwillige Abrüstung der kapitalistischen Staaten bei deren Weiterexistenz ist das größte Ideal des kleinbürgerlichen Pazifismus, welches jedoch an der Realität der zwischenstaatlichen Konkurrenz nur scheitern kann. Es gibt nur eine Möglichkeit der globalen Abrüstung der Staaten: ihre Zerschlagung durch die Weltrevolution und die Herausbildung einer klassen- und staatenlosen planetaren Solidargemeinschaft (siehe Kapitel 5 der Schrift Der Libanon in der Krise). Dieses Ziel stellt sich der sozialrevolutionäre Universalismus als Todfeind des bürgerlichen Nationalismus und Internationalismus.
Ökonomischer Ausdruck des bürgerlichen Internationalismus ist der Welthandel und der produktive Kapitalexport (ausländische Direktinvestitionen). Politischer Ausdruck des bürgerlichen Internationalismus und zugleich die Verkörperung der größten Ideale der Weltbourgeoisie, wie der Weltfrieden, die Menschenrechte und des Völkerrechtes stellen die Vereinten Nationen (UNO) dar. Bevor wir die UNO auseinandernehmen – vorerst leider nur theoretisch – wollen wir uns die drei genannten Ideale der Weltbourgeoisie etwas genauer ansehen. Die „Bewahrung des Weltfriedens“, welche sich die UNO auf ihre Fahnen schreibt, ist natürlich eine Fata Morgane der bürgerlichen Ideologieproduktion. Irgendwo auf dieser kapitalistisch-durchgeknallten Welt wird der Konkurrenzkampf immer militärisch ausgetragen. Und das, was nicht existieren kann, kann natürlich auch nicht bewahrt werden. In einer Zeit, wo die imperialistischen Staaten über Massenvernichtungswaffen verfügen, mit der sie die ganze Weltbevölkerung auslöschen können, ist die Verhinderung eines atomaren Overkills das Einzige, was bisher möglich war. Und diese Möglichkeit beruht einzig auf der Gewissheit, dass in einem direkten Krieg zwischen Atomwaffenstaaten derjenige, der als erster den Atomcolt zieht, als zweiter stirbt. Aber die indirekten Stellvertreterkriege gingen im ersten und zweiten Kalten Krieg munter weiter (siehe die Texte über Afghanistan und den Libanon).
Die Menschenrechte sind das größte Ideal der Weltbourgeoisie. Also schauen wir uns diese genauer an. Sie sind die ideologisierte Praxis der Staaten, nämlich festzulegen, welche Rechte ihre Insassen haben. Rechte sind staatlich anerkannte Bedürfnisse. Menschenrechte beruhen also auf dem staatlichen Gewaltmonopol. Nach dem Ideal haben alle Menschen in der kapitalistischen Internationale – die Gesamtheit der bürgerlichen Nationalstaaten – die gleichen Rechte. Was sie jedoch in der Geschichte nicht hatten. Am Anfang des Kapitalismus hatten Frauen zum Beispiel nicht die gleichen Rechte wie Männer. Und in den USA, die sich von Anfang an zu den Menschenrechten bekannten, wurden „schwarze“ Menschen sogar bis 1865 versklavt und auch später hatten sie lange nicht die gleichen Rechte wie „weiße“ StaatsbürgerInnen. Das Gleiche gilt für die amerikanischen UreinwohnerInnen, die massakriert, vertrieben und in Reservate interniert wurden.
Aber selbst, wo alle Menschen gemäß dem Ideal in einem bürgerlichen Staat die gleichen Rechte haben, dann kann das nur die rechtliche Gleichheit auf der Grundlage sozialer Ungleichheit sein. So haben in einem bürgerlichen Rechtsstaat alle Menschen das Recht kapitalistische Unternehmen zu gründen. Das ist die rechtliche Gleichheit. Die soziale Ungleichheit sorgt dafür, dass Bourgeois kapitalistische Unternehmen gründen und die ProletarierInnen in ihnen ausgebeutet werden. In Frankreich, wo die Bourgeoisie, als sie Ende des 18. Jahrhunderts an die politische Macht kam (siehe Kapitel 3), die heiligen Menschenrechte verkündete, verbot sie im Namen dieses heiligsten Ideals dem Proletariat jegliche Klassenkampforganisation. Damit sagte sie ganz unverblümt: Die Menschenrechte sind unvereinbar mit den Klasseninteressen des Proletariats. Heute sagt das die Bourgeoisie meistens nicht mehr so deutlich. Umso wichtiger ist es, dass diese Tatsache von proletarischen RevolutionärInnen unmissverständlich in der größten Klarheit ausgesprochen wird. Es ist unmöglich, eine Revolution gegen den Kapitalismus zu machen mit bürgerlichen Idealen im Kopf. Nur SozialdemokratInnen betteln bei der Bourgeoisie für Menschenrechte auch für ProletarierInnen. Die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats ist dagegen mit der praktizierten bürgerlichen Ideologie der Menschenrechte unvereinbar.
Aber für das politisierte KleinbürgerInnentum sowie für das sozialreformistische Bewusstsein des Proletariats stellen die Menschenrechte selbstverständlich auch das Heiligste des Heiligen dar. Es ist das ideale Maß, an der die Praxis des staatlichen Gewaltmonopols gemessen wird. Wie gesagt, die Menschenrechte sind die ideologisierte Praxis des staatlichen Gewaltmonopols. Globale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben dann auch nichts Grundsätzliches am Gewaltmonopol der bürgerlichen Staaten auszusetzen. Sie kritisieren lediglich die „unverhältnismäßige“ Gewalt der offiziellen Hooligans des Staates, wobei sie zu Vertreterinnen eines gesunden Verhältnisses staatlicher Gewalt werden. Was es natürlich nur in der Ideologie geben kann. So fordern die menschenrechtsbewegten KleinbürgerInnen immer von den repressiven Staatsorganen, deren Job es ist, Menschen im Auftrag des Staates zu verletzen und zu töten, doch bitteschön die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit und auf Leben einzuhalten. Ein Fulltimejob in einer kapitalistischen Konkurrenz- und Klassengesellschaft, in der sich die Menschen permanent verletzen und töten. Das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und Leben gilt in der Ideologie universal, indem es praktisch permanent nicht gilt. Das Verletzen von Menschen ist im Kapitalismus Alltag, das Verletzen von Menschenrechten dagegen ein schweres Verbrechen. Das einzige Menschenrecht, was wirklich praktisch universell gilt, ist das Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln, welches in der Praxis das Recht ist, eigentumslose proletarische Menschen auszubeuten. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Eine soziale Revolution ist auch eine gegen die Menschenrechte als ideologisierte Praxis und praktizierte Ideologie des Kapitalismus!
Indem das höchste Organ des bürgerlichen Internationalismus, die UNO, sich zu der weltweiten Geltung der Menschenrechte bekennt, ist sie ein Subjekt des Menschenrechtsimperialismus. Sie ist berechtigt, sich im Namen der Menschenrechte in die Nationalstaaten einzumischen und diese wegen Verletzung dieses heiligsten Ideals zu kritisieren. Dieses Recht maßt sich auch der westliche Menschenrechtsimperialismus an. Da die Menschenrechte universell sind, sind auch nach westlichen IdeologInnen EU und NATO für deren globalen Durchsetzung zuständig. So formulierte die Außenministerin des deutschen Imperialismus, Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), zum Beispiel: „Das ist doch die Stärke der Menschenrechte: Unteilbarkeit, egal an welchen Fleckchen der Welt man lebt.“ (Zitiert nach junge Welt vom 2. Juni 2022, S. 4). Menschen, ihr seid arme Schweine! Egal, wo ihr lebt, den Baerböcken (m/w/d) des
westlichen Menschenrechtsimperialismus werdet ihr nicht entkommen!
Indem imperialistische Staaten sich für die Menschenrechte in anderen Nationen zuständig fühlen, dehnen sie das, was sie im eigenen nationalen Laden gewohnheitsmäßig tun, nämlich die Rechte ihrer BürgerInnen durch ihren politischen Gewaltapparat zu bestimmen, auch auf das konkurrierende Ausland aus. Sie stellen fest, dass andere Staaten die universellen Menschenrechte ihrer StaatsbürgerInnen nicht anerkennen und interpretieren das als Recht, sich im Namen des heiligsten Ideals des Globus in die inneren Angelegenheiten der betreffenden Nationen einzumischen. Dies kann sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Sind die Beziehungen zu einem Staat eher kooperativ, dann kann die Aufforderung der westlich-imperialistischen MenschenrechtsfreundInnen an andere Nationen, doch bitte schön die Menschenrechte einzuhalten, in einem Nebensatz untergebracht werden. Überwiegt aber die Konkurrenz, wie zum Beispiel im Verhältnis des kollektiven Westens zu Russland und China im zweiten Kalten Krieg, dann kann eine richtige aggressive Kampagne im Namen der Menschenrechte geführt werden. Dies ist dann nichts anderes als propagandistisch-ideologischer Imperialismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen sowohl den westlichen Menschenrechtsimperialismus als auch die inneren Zustände in Russland und China, so wie in allen Staaten der kapitalistischen Internationale. Letzteres selbstverständlich nicht im Namen der Menschenrechte, sondern aus einem sozialrevolutionären Universalismus heraus.
Außerdem ist die UNO auch eine Verkörperung des Völkerrechtes. Was ist das Völkerrecht? Nun, die „Völker“ sind die klassengespaltenen Insassen der bürgerlichen Staaten. Nach der bürgerlichen Ideologie sind die „Völker“ die Subjekte des Staates. Das ist natürlich Unsinn. Bürgerliche Staaten sind nicht der politische Ausdruck der klassenneutralen „Völker“, sondern der politische Gewaltapparat der jeweiligen nationalen Bourgeoisie. Das Völkerrecht ist also das Recht der Staaten. Ein Recht, was in der Ideologie über ihnen stehen soll. Damit ist das Völkerrecht mehr praktizierte Ideologie als ideologisierte Praxis. Denn damit das Völkerrecht wirklich materiell durchgesetztes Recht werden kann, muss es eine Weltregierung geben, die das erstgenannte auch global in allen Staaten durchsetzen kann. Eine solche Weltregierung kann es nicht geben, die zwischenstaatliche Konkurrenz macht sie zur Unmöglichkeit. Es gibt nur die UNO als eine Organisation des Internationalismus der Nationalstaaten.
Eines der wichtigsten Prinzipien des Völkerrechtes ist zum Beispiel das Verbot von Führen von Angriffskriegen, es sei denn die UNO hat diese ermächtigt. Dieses Verbot hindert die imperialistischen Staaten nicht daran, Angriffskriege gegen andere Nationen zu führen. Zum Beispiel der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien 1999 oder die Invasion Russlands in der Ukraine im Jahre 2022. Beide imperialistische Aggressionen wurden nicht von der UNO gedeckt, waren also völkerrechtswidrig. Das Völkerecht ist eine Patrone des propagandistisch-ideologischen Imperialismus. Als die NATO 1999 gegen Jugoslawien Krieg führte, war das Völkerrecht eine Waffe des Kremls, der die Aggression des kollektiven Westens ablehnte. 2022, als russische Truppen in der Ukraine einfielen, verurteilte dies der westliche Imperialismus als völkerrechtswidrig. Und bewaffnete den ukrainischen Nationalismus, der natürlich wie alle Nationalismen sozialreaktionär ist. Dadurch führten NATO und EU einen indirekten Stellvertreterkrieg gegen den russischen Imperialismus, der durch einen Wirtschaftskrieg ergänzt wurde. SozialrevolutionärInnen müssen Russland, den ukrainischen Nationalismus und EU/NATO als Kriegstreiber kompromisslos bekämpfen
Das Völkerrecht als bürgerliches Ideal interessiert uns nicht die Bohne. Wir bekämpfen die imperialistischen Kriege, weil in ihnen das Leben und die Gesundheit der kleinbürgerlichen/proletarischen Zivilbevölkerung für kapitalistische und politische Interessen geopfert werden. Mit dem Völkerrecht unter dem Arm lassen sich keine imperialistischen Kriege bekämpfen – aber rechtfertigen. So gingen die Kriege des US-Imperialismus gegen Nordkorea (1950-1953) – nachdem dieser Staat zuerst Südkorea angegriffen hatte – und gegen den Irak 1991, zuvor hatte im August 1990 das irakische Regime Kuwait annektiert, völkerrechtlich voll in Ordnung, weil die UNO zu diesen Gemetzeln ermächtigt hatte. Das Gleiche gilt für die Besatzung Afghanistans durch den westlichen Imperialismus von 2001 bis 2021 (siehe Kapitel 8 der Schrift Krieg und Frieden in Afghanistan).
Die UNO ist als höchste Verkörperung des bürgerlichen Internationalismus alles andere als eine idyllische „Völkerfamilie“. Sie ist hierarchisch gegliedert. In ihr geben die stärksten Imperialismen den Ton an. Macht kommt auch in der UNO aus der Atombombe. So sind die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – die übrigens mit einem Vetorecht ausgestattet sind und auf diese Weise Beschlüsse der UNO gegen ihre Interessen verhindern können – die Atomwaffenmächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Die UNO war und ist – besonders während der zwei Kalten Kriege – ein Austragungsort unterschiedlicher imperialistischer Interessen. Außerdem ist sie so etwas wie ein internationales Sozialamt, die das Elend des Weltkapitalismus ein wenig eindämmt und verwaltet.

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Inhalt

Einleitung

I. Allgemeine Betrachtung über die Vermehrung der Nationalkapitale
1. Die Vermehrung der Nationalkapitale
2. Die Periode der beschleunigten Kapitalvermehrung
3. Die strukturelle Profitproduktionskrise
4. Kapitalvermehrung, Klassenkampf und institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung
5. Die globale Interaktion der Nationalkapitale

II. Die Entstehung der USA
1. Die UreinwohnerInnen Nordamerikas
2. Die europäische Kolonialisierung Nordamerikas
3. Die Entstehung eines rassistisch „weiß“ geprägten nordamerikanischen Nationalismus
4. Die Interaktion von SklavInnen und Seeleuten in Nordamerika
5. Die kleinbürgerlich-proletarische Sozialbewegung gegen den britischen Kolonialismus
6. Der sozialreaktionäre US-amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775-1883)

III. Die Expansion des US-amerikanischen Nationalkapitals
1. Der Industriekapitalismus im Norden der USA
2. Die agrarkapitalistische Plantagensklaverei im Süden der USA
3. Der sozialreaktionäre US-amerikanische BürgerInnenkrieg (1861-1865)
4. Go West!
5. Die Expansion des US-amerikanischen Industriekapitalismus
6. Klassenkämpfe und die Entstehung der US-amerikanischen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung
7. Die Entwicklung des US-amerikanischen Imperialismus in Lateinamerika bis 1914

IV. Krise – Kriegskonjunktur – Krise – Kriegskonjunktur
1. Die strukturelle Profitproduktionskrise ab 1913
2. Kriegskonjunktur
3. Der Kriegseintritt der USA
4. Die „Roaring Twenties“ des US-Kapitalismus
5. Die sozialökonomische Kooperation zwischen den USA und dem sowjetischen Staatskapitalismus
6. Die Investition der US-Bourgeoisie in den europäischen Faschismus
7. Der US-Imperialismus in Lateinamerika (1914-1945)
8. Die Weltwirtschaftskrise
9. Klassenkämpfe und New Deal
10. Die USA im Zweiten Weltkrieg

V. Vom Nachkriegsaufschwung in die strukturelle Profitproduktionskrise
1. Der Nachkriegsaufschwung in den USA
2. Die USA in der strukturellen Profitproduktionskrise
3. Die Krise 2007-2009
4. Die sozialökonomische Krise von 2020

Go West!

Zu der Expansion des US-amerikanischen Nationalkapitals gehört auch die Erschließung des „Wilden Westens“, der in unzähligen Westernheftchen, -romanen und -filmen idealisiert und verkitscht wurde. Geographisch umfasst der Westen der USA die westlich des Mississippi gelegenen Gebiete. Im engeren Sinne dauerte die Periode des „Wilden Westens“ von 1850 bis 1890. Sie war durch Kriege der USA gegen die Stämme der UreinwohnerInnen und durch die Besiedlung des Westens durch AngloamerikanerInnen beziehungsweise europäischen EmigrantInnen geprägt. Die Romantisierung der Erschließung des Westens der USA für die Kapitalvermehrung beruht auf der Ideologisierung der Marktsubjektivität zur „Freiheit“, des hemmungslosen Konkurrenzindividualismus und -chauvinismus zu „Männlichkeit“, „eiserne Entschlossenheit“ und „Draufgängertum“ sowie der Vertreibung/Internierung der und des Massakers an den UreinwohnerInnen als „Kampf tapferer Männer für die Zivilisation“. Nachdem die Kulturindustrie erst viele Millionen Dollar an dieser Ideologisierung dieses sozialreaktionären Prozesses verdient hatte, kamen dann nach und nach auch einige kritische Western beziehungsweise Antiwestern in die Kinos.
Doch verlassen wir wieder die kulturell-ideologische Ebene und begeben uns wieder in die damalige Realität des „Wilden Westens“. Seit ca. 1850 begaben sich immer Menschen aus dem zunehmend besiedelten Osten des Landes in den noch weitgehend von „Weißen“ unerschlossenen Westen. Unter ihnen befanden sich auch viele EinwandererInnen aus Europa. Dazu kamen nach der industriekapitalistischen Aufhebung der Sklaverei durch den US-amerikanischen BürgerInnenkrieg jetzt auch doppelt freie afroamerikanische ProletarierInnen, die versuchten im Westen kleinbürgerliche FarmerInnen zu werden. Doch die Erschließung des Westens brachte auch ein Landproletariat hervor, die Cowboys.
Ab 1846 siedelte sich die Religionsgemeinschaft der Mormonen im heutigen US-Bundesstaat Utah an, um dort in Ruhe ihre Ideologie leben zu können. Die meisten Menschen gingen jedoch in den Westen, weil sie im Osten keine FarmerInnen mehr werden konnten und einem Dasein als LohnarbeiterInnen entfliehen wollten. In diesem Sinne wirkte die Expansion nach Westen entspannend und dämpfend auf die Konkurrenz- und Klassenkämpfe im Osten der USA. Auch die Goldfunde in der Nähe von San Francisco ab 1848 – der kalifornische Goldrausch – lockte viele Abenteurer in den Westen. So nahmen die SiedlerInnentrecks nach Kalifornien enorm zu.
In den fruchtbaren Ebenen der Prärie, dort wo die Region der Großen Ebenen in den Mittleren Westen übergeht, entwickelten sich in weiten Landstrichen Getreideanbau und Viehzucht als sozialökonomische Basis. Mit der Viehzucht entstanden auch die agrarischen Lohnarbeiter des Westens, die Cowboys. Sie waren besonders für die berittenen Viehtriebe unentbehrlich. Jedoch nahm die Bedeutung der Cowboys ab Mitte der 1870er Jahre mit der Entwicklung der Eisenbahnlinien ab – jetzt konnte das Vieh auf dem Schienenweg transportiert werden. Auch durch die Verbreitung des Stacheldrahtzauns, durch die die Viehherden eingezäunt werden konnten, nahm die Nachfrage nach der Lohnarbeit der Cowboys ab. Das führte zu Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Viele ehemalige Cowboys wurden zu Gesetzlosen. Vor allem in den 1870er und 1880er Jahren waren Banditenbanden, die sich auch aus ehemaligen Cowboys zusammensetzten, weit verbreitet. Die Cowboys beteiligten sich auch an den bewaffneten Konkurrenzkämpfen im Westen um agrarische Nutzfläche, an den Weidekriegen. So zum Beispiel am Lincoln-County-Rinderkrieg im Jahre 1878.
Infrastrukturell wurde der Westen immer besser erschlossen. So wurden die Trails, Überlandrouten, ständig ausgebaut, beispielsweise der Bozeman Trail und der Old Spanish Trail. Daneben entwickelten sich auch in den 1860er Jahren die Postkutschenlinien der Wells-Fargo Company und der Butterfield Overland Mail. Auch der Pony-Express als Form der Nachrichtenübermittlung entfaltete sich. Doch diese Formen der Logistik und Nachrichtenübermittlung bekamen noch in den 1860er Jahren Konkurrenz durch den Eisenbahnbau und der Errichtung von Telegrafenleitungen.
Die UreinwohnerInnen wurden durch die Erschließung des Westens für die US-amerikanische Kapitalvermehrung vertrieben, ermordet und in Reservate gesperrt. Beendet wurden die sogenannten „Indianerkriege“ des US-Imperialismus durch das Massaker der US-Armee an etwa 200 bis 300 Lakota am Wounded Knee Creek/South Dakota im Dezember 1890 (siehe: Nelke, Die kapitalistische Vernichtung beziehungsweise Integration des vorkapitalistischen Kommunismus, a.a.O., S. 49-51).
Politisch wurde die Erschießung des Westens durch den Beitritt dieser Territorien als Bundesstaaten der USA beendet. In den Jahren 1889 und 1890 wurden alle nordwestlichen Territorien zu US-Bundesstaaten. Der Südwesten folgte. Utah im Jahre 1896, Arizona und New Mexico 1912.

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Inhalt

Einleitung

Der politische Überbau der herrschenden Kapitalvermehrung
I. Basiseinheiten der bürgerlichen Politik
1. Was ist Politik?
2. Die Entwicklung von Tausch- und Mehrwertproduktion in vorindustriel-
kapitalistischen Gesellschaften als geschichtlicher Voraussetzung der bürgerlichen Politik
3. Die kapitalistische Warenproduktion als sozialökonomische Basis der bürgerlichen Politik
4. Die bürgerliche Familie als biosoziales Reproduktionsverhältni
5. Der bürgerliche Staat als politischer Gewaltapparat der Kapitalvermehrung
6. Politische Parteien als Basiseinheiten der bürgerlichen Politik
7. Bürgerlicher Nationalismus und Internationalismus
II. Kapitalistische Wirtschafts- und Familienpolitik
1. Die allgemeinen Entwicklungstendenzen der Kapitalvermehrung bestimmen die bürgerliche Politik
2. Merkantilismus
3. Der Industriekapitalismus der relativ freien Konkurrenz
4. Staatsinterventionismus
5. Staatskapitalismus
6. „Neoliberalismus“
III. Politische Formen der kapitalistischen Herrschaft und des Konkurrenzkampfes
1. Von Kaufleuten politisch beherrschte Städte und handelskapitalistische Stadtstaaten
2. Der Absolutismus
3. Demokratien
4. Militärdiktaturen, Militärputsche/Staatsstreiche, BürgerInnen- und Guerillakriege
5. Faschismus/Nationalsozialismus
6. Islamismus
7. Marxistisch-leninistische Parteidiktaturen
IV. Kleinbürgerliche Protestpolitik
1. Das Wesen kleinbürgerlicher Protestpolitik
2. Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung
3. Frauen- und LGBTQ-Bewegung, Antisexismus
4. Antikolonialismus, BürgerInnenrechtsbewegung und Antirassismus
5. StudentInnen- und Antiatomkraftbewegung, Maoismus und die Grünen
6. Rechte Identitäts- und Straßenpolitik
7. Linke Identitäts- und Straßenpolitik

Sozialrevolutionäre Antipolitik

1. Was ist sozialrevolutionäre Antipolitik?
2. Politische und antipolitische Tendenzen des proletarischen Klassenkampfes
3. Antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppen
4. Die mögliche antipolitische Zerschlagung der Staaten
5. Der Kommunismus als nachpolitische, klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft

Was ist Politik?

Politik ist die staatsförmige gesamtgesellschaftliche Organisation von Klassengesellschaften. Die gesamtgesellschaftliche Organisation wird dabei von einer Gruppe von hauptamtlichen PolitikerInnen monopolisiert ausgeübt. Die PolitikerInnen kamen und kommen meistens aus der jeweils sozialökonomisch herrschenden Klasse. Manchmal wurden und werden auch Emporkömmlinge aus unteren Klassen PolitikerInnen. Klassen sind größere gesellschaftliche Menschengruppen, die sich dadurch voneinander unterscheiden, dass sie verschiedene Funktionen in einer bestimmten geschichtlichen Produktionsweise einnehmen. Es bildeten sich im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung herrschende Klassen heraus, die von der Ausbeutung der produktiven Tätigkeit der beherrschten Klasse lebten. Klassengesellschaften sind also soziale Systeme, in denen eine Gruppe von Menschen eine andere ausbeutet. Um die Ausbeutung der beherrschten Klasse durch die herrschende abzusichern braucht es einen politischen Gewaltapparat, den Staat. Der Staat ist das politische Machtorgan der jeweils sozialökonomisch herrschenden Klassen auf einem bestimmten Territorium. Staaten werden von PolitikerInnen beherrscht. Sie bestehen aus bewaffneten Menschen (Polizei, Armee, Geheimdienste und Gefängnisaufseher) und zivilen Angestellten. Die Staatsfunktionen sind hierarchisch gegliedert.
Politik ist also ein Ausdruck tief gespaltener Gesellschaften. Herrschende und beherrschte Klassen konnten und können unmöglich durch gemeinsame Konsensfindung vereint solidarisch die Gesellschaft gestalten, so wie das in vorpolitischen, klassen- und staatenlosen Gesellschaften geschah (siehe Kapitel I.2 dieser Schrift) oder möglicherweise in der nachpolitischen, klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft wieder sein wird (siehe Kapitel 5 des Textes Sozialrevolutionäre Antipolitik). Es braucht die Politik und den Staat, um die Klassengesellschaft gesamtgesellschaftlich zu organisieren und gegen den Widerstand der unterdrückten Klasse zu beschützen. Politik und Staaten richten sich immer strukturell gegen die unterdrückten Klassen. Doch wo Menschen andere Menschen ausbeuten und politisch unterdrücken, entwickelt sich auch notwendigerweise der Widerstand der Ausgebeuteten und Unterdrückten heraus. Dies ist der Klassenkampf. Es gibt keine Klassengesellschaften ohne Klassenkampf. Der von PolitikerInnen beherrschte Staat ist eine politische Waffe der jeweils sozialökonomisch herrschenden Klassen.
Politik gab es nicht ewig, die Menschheit hat die längste Zeit ihrer Geschichte im vorpolitischen Urkommunismus als klassen- und staatenlosen Gesellschaften gelebt. Doch aus der klassenlosen Urgesellschaft entwickelte sich aus einer immer größeren sozialen Ungleichheit heraus zuerst das politisch-vorstaatliche Häuptlingstum beziehungsweise die militärische Demokratie und schließlich die Staaten als politische Gewaltapparate heraus. Diese Entwicklung der politischen Klassengesellschaften mündete in der heute global herrschenden kapitalistischen Produktionsweise und der „internationalen Gemeinschaft“ der Nationalstaaten, die auf der Ausbeutung der Lohnarbeit beruhen. Gegenüber dem vorpolitischen Urkommunismus, der auf großer sozialer Gleichheit und solidarischer Konsensfindung beruhte, sind Politik und Staatsorganisation absolut sozialreaktionär. Auch wenn sie im Vergleich zur vorpolitischen und vorstaatlichen Zeit technologische und kulturelle Weiterentwicklung hervorbrachte. Es gab, es gibt und es wird niemals sozialemanzipatorische Staaten geben. Politik kann nur den Staat in veränderter Form reproduzieren. Diese mag sich deshalb manchmal noch so revolutionär geben – letztendlich ist sie sozialreaktionär (siehe Teil VI dieser Schrift). Nur durch sozialrevolutionäre Antipolitik, die den Staat zerschlägt und die Warenproduktion überwindet, kann sich das heute kapitalistisch ausgebeutete und politisch verwaltete Proletariat sozial befreien und sich selbst als beherrschte Klasse aufheben (siehe den Text Sozialrevolutionäre Antipolitik).

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Neue Broschüre: Der Privatkapitalismus in Russland und Osteuropa (1985-2020) https://swiderstand.blackblogs.org/2020/03/15/neue-broschure-der-privatkapitalismus-in-russland-und-osteuropa-1985-2020/ Sun, 15 Mar 2020 22:16:40 +0000 http://swiderstand.blackblogs.org/?p=257 Unsere neue Broschüre „Der Privatkapitalismus in Russland und Osteuropa (1985-2020)“ (ca. 126 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

I. Die Transformation zum Privatkapitalismus
1. Der Kapitalismus
2. Der sowjetisch-osteuropäische Staatskapitalismus
3. Die Todeskrise des sowjetisch-osteuropäischen Staatskapitalismus
4. Die Privatisierung des Kapitals
5. Das soziale Elend der Transformation
6. Die pluralistisch-demokratische Mehrparteien-Diktatur

II. Die Stellung Russlands und Osteuropas im Weltkapitalismus
1. Russland und Osteuropa in der globalen Offensive des Privatkapitals
2. Die relativ untergeordnete Integration Russlands und Osteuropas in den Weltkapitalismus
3. Die Ostexpansion von NATO und EU
4. Vom sowjetischen zum russischen Imperialismus
5. Russland und der Westen: Von der bedingten Kooperation zum zweiten Kalten Krieg

III. Klassenkämpfe
1. Das Proletariat als Manövriermasse der proprivatkapitalistischen Kräfte
2. Klassenkämpfe in der Privatwirtschaft
3. Klassenkämpfe im staatlichen Sektor
4. Die mögliche soziale Revolution in Russland und Osteuropa

Die Privatisierung des Kapitals

In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Jugoslawiens sowie in den anderen Ländern Osteuropas transformierte sich die Staatsbourgeoisie in die privatkapitalistische Bourgeoisie. In Russland rekrutierten sich die neuen PrivatkapitalistInnen aus der Wirtschaftstechnokratie und aus dem „kommunistischen“ Politbonzentum – besonders aus dem Komsomol, dieser jungen Garde des Privatkapitals. Karl-Heinz Gräfe schrieb darüber: „Die Moskauer Soziologin Olga Krystanovskaja ermittelte (Stand 1994), dass während der Perestroika (1985-1991) der Kern der neuen wirtschaftlichen Elite vor allem aus folgenden sozialen und politischen Gruppen kam: 23 Prozent waren Direktoren größerer Betriebe und Angestellte in Ministerien (Promysleniki), 17 Prozent Komsomolfunktionäre, 15 Prozent Beschäftigte von Forschungseinrichtungen, 8 Prozent Angehörige aus wichtigen Ministerien sowie der obersten Schicht der Kultur- und Wissenschaftsintelligenz.“ (Karl-Heinz Gräfe, Die Herausbildung des oligarchischen Kapitalismus in Russland, in: Z., Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 99, September 2014, S. 34/35.)

Die erste Welle der Privatisierung des russischen Kapitals erfolgte von 1992 bis 1994. In dieser Phase sollten 20.000 von 25.000 Mittel- und Großbetrieben privatisiert werden. Um die Privatisierung des Kapitals nicht als das erscheinen zu lassen was sie war, nämlich die Geburt von PrivatkapitalistInnen als Kern der russischen Bourgeoisie, wurde vom Jelzin-Regime das Märchen vom „Volkskapitalismus“ inszeniert. So konnten die Belegschaften Anteile ihrer Betriebe erwerben. Diese Anteile lagen bei 40 Prozent. Außerdem waren 25 Prozent nicht handelbare Anteilsscheine auf mögliche Gewinnbeteiligungen der Firmen, die in Form von Dividenden ausgezahlt wurden. Dadurch wurde die Anzahl der sich in den Händen der Belegschaften befindenden stimmberechtigten Aktien auf 15 Prozent reduziert. Die übrigen 60 Prozent blieben in Besitz des russischen Staates oder wurden privatisiert. Außerdem waren die Belegschaftsaktien nicht namentlich gebunden, sie konnten also ohne Probleme weiter verhökert werden. Selbstverständlich entstand durch diese Art „Volkskapitalismus“ ein ungleiches Verhältnis zwischen dem Betriebsmanagement und den lohnabhängigen Belegschaften. Er begünstigte natürlich die ManagerInnen. Oft kauften die letzteren der Belegschaft ihre Aktien wieder ab und entwickelten sich so zu PrivatkapitalistInnen. Auch wurden durch die Hyperinflation – die wir weiter unten genauer beschreiben werden – der Nominalwert der Anteilsscheine faktisch wertlos, so dass viele Lohnabhängige diese unter ihrem Wert weiterverkauften.
Bis in den April 1994 wurden 80 Prozent der zu privatisierenden Betriebe in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die Entstaatlichung des russischen Kapitals wurde erfolgreich organisiert. Im Jahre 1995 trug der Staat nur noch 55 Prozent zum russischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Die meisten Privatfirmen gingen aus der Entstaatlichung des Kapitals hervor. Der Anteil neu gegründeter Privatunternehmen an der Wertschöpfung betrug lediglich 20 Prozent.
Die erste Welle der Privatisierung des russischen Kapitals war mit der Liberalisierung der Wirtschaft verbunden. Dazu gehörte auch die Freigabe der Preise, die vorher vom Staat zentralbürokratisch festgelegt wurden. Bereits am 2. Januar 1992, also am zweiten Tag nach der Auflösung der Sowjetunion, gab der russische Staat die Verbraucherpreise – bis auf wenige Lebensmittel (Brot und Milch) sowie Dienstleistungen (öffentliche Verkehrsmittel) – frei. Die Folge war eine Hyperinflation. Diese betrug im Jahre 1992 874 Prozent und 1993 307 Prozent.
Auch das staatliche Außenhandelsmonopol wurde durch die privatkapitalistische Liberalisierung der Wirtschaft gebrochen. Privatfirmen beteiligten sich am Außenhandel. Hier waren die Übergänge von legalen ökonomischen Prozessen und Wirtschaftskriminalität besonders fließend. Der russische Staat vergab Lizenzen an private Kapitale zum Import von Technologie und Know-how. Durch den Erhalt der Lizenzen verfügten die Privatfirmen über gewisse Privilegien. So konnten sie zum Beispiel ausländische Währungen erwerben, um damit den Import ausländischer Waren zu finanzieren. Sowohl die Vergabe als auch der Entzug der Lizenzen durch die russische Regierung erfolgte nach undurchsichtigen Kriterien. Nach verschiedenen Schätzungen wurden zwischen 1992 und 1994 20 Prozent der gesamten russischen Erdöl- und 1/3 der der Metallproduktion aus Russland rausgeschmuggelt. Zur Drehscheibe dieses Schmuggels entwickelte sich das Baltikum.
Im Zuge der Transformation entwickelten sich in Russland auch Privatbanken. Neben den privatisierten staatlichen Banken gründeten sich auch neue private Geldinstitute. Deren Anzahl stieg bis 1995 auf über 2.500 an. Das Finanzkapital vermehrte sich überwiegend durch den Handel mit Devisen und russischen Staatsanleihen. Auch bildeten sich internationale Joint Ventures. So war die deutsche Dresdner Bank durch ihre Tochtergesellschaft Dresdner Kleinwort schon in den frühen 1990er Jahren auf dem russischen Kapitalmarkt vertreten. Die österreichische Raiffeisenbank gründete 1996 ihre Niederlassung in Russland.
Zwischen 1995 und 1997 entwickelte sich die zweite Privatisierungswelle in Russland. Diese wurde von der russischen Regierung mit Verpflichtungen gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) begründet. Als sich der russische Staat immer stärker verschuldete, bekam er vom IWF Kredite. So wurde die zweite Privatisierungswelle mit der Konsolidierung des russischen Staatshaushaltes begründet. Denn die Kreditvergabe des IWF an Russland war wie üblich mit Forderungen nach Etatkürzungen und Privatisierungen verbunden. Auf diese Weise trug der IWF zur weltweiten Offensive des Privatkapitals bei (siehe Kapitel II.1) – und zur globalen Verelendung des Proletariats. Das Jelzin-Regime konnte sich wiederum bei der ideologischen Rechtfertigung der zweiten Privatisierungswelle hinter dem IWF verstecken.
Bei dieser zweiten Welle der Privatisierung des russischen Kapitals konnten Privatbanken Aktienpakete staatlicher Unternehmen erwerben, indem sie dem Staat Kredite zur Haushaltsfinanzierung anboten. Dies geschah in so genannten Pfandauktionen (Aktien-Kredit-Swaps, AKS), die den Beteiligten viele Manipulationsmöglichkeiten bot. Ausländisches Kapital war dabei nicht zugelassen. So mästete der russische Staat auch durch die AKS ein einheimisches Privatkapital. Die Mindestangebote für die zu ersteigernden Betriebe waren sehr niedrig angesetzt. Auch durften die russischen Banken, die die Auktion organisierten, selbst mitbieten. Außerdem besaßen sie das Recht, die Gebote der Konkurrenz aus technischen Gründen zu disqualifizieren. Auf diese Weise wurden bis 1998 zwölf Aktienpakete verkauft. Der russische Staat nahm durch diese Privatisierung des Kapitals rund 700 Millionen Dollar ein.
Die Mehrheit der Aktienpakete übernahmen Banken. Deren Gebote gingen nicht 15 Prozent über das Mindestgebot hinaus. In einem Großteil der Fälle entsprach das noch nicht einmal dem Wert von zwei Jahresgewinnen der ersteigerten Firmen. Ein Beispiel für die zweite Welle der Privatisierung ist jene des Bergbau- und Metallurgiekonzerns Norilsk Nikel. Die Auktion wurde von der Oneksimbank durchgeführt. Erworben wurden 51 Prozent von der Norilsk Nikel – ebenfalls von der Oneksimbank, für lediglich 170 Millionen Dollar. Dagegen betrug der Jahresgewinn des Konzerns 1995 rund 3. Milliarden Dollar.
Der russische Staat war in der ursprünglichen Privatisierung des Kapitals dessen Gewaltapparat sowohl gegen konkurrierende Kapitalfraktionen, die eine langsamere und „behutsamere“ Entstaatlichung der Ökonomie anstrebten (siehe Kapitel I.6), als auch gegen das klassenkämpferische Proletariat (III.4). Nachdem die ziemlich „wilde“ Privatisierung durch die AKS eine mächtige und superreiche Schicht von Oligarchen als herrschendem Kern der russischen Bourgeoisie hervorbrachte, verbot der Staat diese im Jahre 1997. Bei der Durchführung der Privatisierungen in den 1990er Jahren erwies sich der russische Staat als politischer Gewaltapparat der entstehenden PrivatkapitalistInnen – und besonders deren mächtigsten Fraktion, den Oligarchen. Diese bekamen im Jelzin-Regime auch immer mehr politische Macht (siehe Kapitel I.6).
Typisch für die gewaltige sozialökonomische Macht der russischen Oligarchen sind große Finanzholdings, die verschiedene Industriebranchen miteinander verbinden. Ihre wirtschaftliche Macht beruht vorwiegend auf Banken beziehungsweise Finanzholdings, Rohstofffirmen und Medienkonzerne. Letzteres bedeutete, dass die Oligarchen auch eine große Rolle in der kapitalistischen Ideologieproduktion spielten. Innerhalb des privatisierten russischen Kapitals kam es zu einer enormen Konzentration und Zentralisation der sozialökonomischen Macht, welche auch nach imperialistischer Expansion verlangte (siehe Kapitel II.4).
Der russische Staat verschuldete sich gewaltig beim privatisierten Finanzkapital, welches wiederum von den Oligarchen beherrscht wurde. Um das Finanzkapital zu mästen, deregulierte der russische Staat den Bankensektor in den 1990er Jahren weitgehend. Ab 1996 wurden die staatlichen Vorschriften für den Devisenhandel weiter gelockert. Doch die Haupteinnahme des Finanzkapitals war die Spekulation mit russischen Staatsanleihen, mit dem die Banken allerdings ihren politischen Gewaltapparat in den Bankrott trieben. So gab das Jelzin-Regime zur Finanzierung seines Staatshaushaltes ab 1993 so genannte kurzfristige russische Staatsanleihen (GKO) aus. Sie waren mit einer ungewöhnlich kurzen Laufzeit verzinst, was die regierenden Charaktermasken des politischen Gewaltapparates dazu sozialökonomisch zwang, sich immer wieder aufs Neue zu verschulden – um alte Schulden begleichen zu können. Der russische Staat verblutete finanziell und das private Finanzkapital war ein verdammt gieriger Vampir. Dieses Finanzkapital, was von der Verschuldung des russischen Staates lebte, war vorherrschend russländisch-national. Der Anteil des ausländischen Finanzkapitals an der Spekulation mit russischen Staatsanleihen betrug lediglich 20 Prozent. Von 1994 bis 1997 brachten die GKO eine jährliche Rendite von 100 Prozent.
Bis zur russischen Finanzkrise von 1998 (siehe Kapitel II.2). Im Anschluss an diese Krise kam es zu einer Zunahme der politischen Regulierung der russischen Sozialökonomie. Und innerhalb des russischen Privatkapitalismus entwickelten sich wieder stärkere staatsinterventionistische und -kapitalistische Tendenzen (siehe Kapitel I.6).
Wie in Russland entwickelten sich in Osteuropa in den 1990er Jahren einheimische PrivatkapitalistInnen heraus – bis auf in Ostdeutschland, wo sich die westdeutsche Bourgeoisie das meiste privatisierte Kapital aneignete (siehe weiter unten in diesem Kapitel).
Im staatskapitalistischen Polen gab es den größten Privatsektor innerhalb des osteuropäischen Einflussgebietes des sowjetischen Imperialismus. So gab es kleinbürgerlich-kleinkapitalistisches Privateigentum in der Landwirtschaft, in industriellen Kleinbetrieben, Reparaturwerkstätten, Handel und Touristik. 1980/81 entwickelte sich die proprivatkapitalistische Gewerkschaft Solidarnosc als bürokratisch entfremdeter Ausdruck des proletarischen Klassenkampfes gegen den polnischen Staatskapitalismus (siehe Kapitel III.1). Um eine Invasion des sowjetischen Imperialismus in Polen zu verhindern, ging die inländische Staatsbourgeoisie schließlich mit der Verhängung des Kriegsrechtes gegen das klassenkämpferische Proletariat und Solidarnosc vor. Als 1985 Gorbatschow der neue Boss im Kreml wurde, setzte sich 1988 auch innerhalb der polnischen Staatsbourgeoisie die proprivatkapitalistische Fraktion – verkörpert in der Person von Mieczlaw F. Rakowski – durch. Sowohl der Solidarnosc-Apparat als auch der proprivatkapitalistische Flügel der Staatsbourgeoisie nutzten den proletarischen Klassenkampf und die Illusionen der Lohnabhängigen in Marktwirtschaft und Demokratie, um das Kapital zu privatisieren. Am Runden Tisch beschlossen Solidarnosc und der Rakowski-Flügel der Herrschenden Anfang 1989 die Transformation zum Privatkapitalismus.
Bei den teilweise freien Wahlen – siehe zu diesem demokratischen Herrschaftsmechanismus Kapitel I.6 – zum Parlament am 4. Juni 1989 konnte die Opposition die politische Macht erringen. Polnischer Ministerpräsident wurde einer der wichtigsten Solidarnosc-Berater, Tadeusz Mazowiecki. Diese Regierung organisierte die Privatisierung des Kapitals per Schocktherapie. Während es im Jahre 1990 in Polen noch mehr als 8.500 Staatsbetriebe gab, waren es 2014 noch 249.
Während der Todeskrise des osteuropäischen Staatskapitalismus zerfiel die Tschechoslowakei in die zwei privatkapitalistischen Staaten Tschechische Republik und Slowakische Republik. Über die wilde Form der Privatisierung des Kapitals in Tschechien schrieb Ilona Svihliková: „Für den Transformationsprozess spielte der Staat eine entscheidende Rolle. Die Regierung lehnte zwar aus ideologischen Gründen staatliche Eingriffe als ,soziales Ingenieurwesen‘strikt ab, führte aber gleichzeitig massive Eingriffe durch. Die Form und Geschwindigkeit des Privatisierungsprozesses und die Eigentumsübertragungen veränderten die ökonomische und soziale Struktur des Landes radikal. Die Privatisierung wurde nicht als Instrument, sondern als Ziel an sich präsentiert: Je schneller alles privatisiert wurde, desto besser für die Wirtschaft. Dabei war die so genannte ,Kleine Privatisierung‘eigentlich keine Privatisierung, da die Interessenten nur die Berechtigung erwerben konnten, z. B. ein kleines Ladengeschäft zu betreiben. Die Form dieser Privatisierung war so ,erfolgreich´, dass sie die Voraussetzung für das systematische Eindringen der ausländischen Handelsketten schuf.
Den wichtigsten Schritt stellte die Kuponprivatisierung dar. Die – zumindest offiziell propagierte – Idee bestand darin, einen ,Volkskapitalismus‘zu schaffen, in dem jeder Bürger Aktionär werden sollte. Vaclav Klaus zeigte sich gegenüber ausländischen Investoren abgeneigt und widersetzte sich dem Verkauf von Skoda an den deutschen Volkswagen-Konzern. Die aus der Kuponprivatisierung hervorgegangenen Kleinaktionäre hatten keinerlei Einfluss auf das Handeln der Betriebe. Sie verfügten weder über die notwendigen Informationen noch hatten sie entsprechende Erfahrung. Zudem waren sie unglaublich zersplittert. Die Rolle der Privatisierung wurde im Übrigen verzerrt. Ihr Sinn sollte eigentlich nicht darin bestehen, so schnell wie möglich neue Eigentümer zu finden, sondern das Verhalten der Betriebe zu verändern. Vorteile hatten natürlich jene Personen, die besser als die normalen Bürger über den wirklichen Stand der Betriebe informiert waren, und die so genannten Investitionsfonds, die zumeist von Banken gegründet worden waren. Die Banken befanden sich aber (noch) im Staatseigentum. Der Konzentrationsprozess vollzog sich schnell, da die meisten Bürger Bargeld bevorzugten und der Ausverkauf des nationalen Reichtums der sozialen ,Abfederung‘diente. (Anmerkung von Nelke: Das Gerede vom nationalen Ausverkauf ist ein Klassiker des Rechts- und Linksnationalismus.) Milos Pick konstatierte, dass sich sehr schnell eine neue Machtpyramide herausgebildet hatte: etwa 500 Familien kontrollierten die ganze Wirtschaft, ohne sie zu besitzen. Damit ist eigentlich ein neues ,ökonomisches Politbüro‘entstanden, das nie gewählt wurde. (Anmerkung von Nelke: Hier wird wieder fleißig demokratisches Untertanentum reproduziert. Für die DemokratInnen ist Herrschaft legitim, solange die Herrschenden von den Herrschaftslosen durch freie Wahlen legitimiert werden, siehe dazu auch Kapitel I.6.) ,Extreme Konzentration der ökonomischen Macht, extrem abgehoben von hochgradig zersplittertem Streubesitz – das ist das Ergebnis der Kuponprivatisierung‘(M. Pick, Stát blahobytu, nebo kapitalismus? My a svet v ére neoliberlismu 1989-2006, Grimmus, Vsen 2009, S. 42.)
Jan Stráský, ein ehemaliger Mitarbeiter von Václav Klaus, hat 2013 in einem sehr kritischen Interview nach all den Jahren offen zugegeben, dass die Privatisierung als ein Prozess organisiert wurde, bei dem man ,das Licht ausschaltete´, damit die ,Fähigsten‘den Reichtum unter sich verteilen konnten. Er beschreibt in dem Interview (Rozkradena rebublika?, Ekonom, c. 14, 2013, str. 6-7) die Methoden, mit denen das gemacht wurde. Andere Kritiker betonen die Bedeutung der Amnestie, die Václav Klaus kurz vor Ende seiner Amtszeit als Präsident Anfang 2013 erließ: Diejenigen, die sich durch die Privatisierung bereichert hatten und die die Politik und Medien beherrschen bzw. besitzen, sollten nie juristisch belangt werden. Die Geschwindigkeit, mit der die Privatisierung durchgesetzt wurde, war entscheidend: Es ging darum, möglichst schnell eine ,Elite‘zu schaffen, die den Prozess der neoliberalen Politik tragen würde.“ (Ilona Svihliková, Der Übergang zum Kapitalismus in der Tschechischen Republik, in: Z., Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 99, a.a.O., S. 75-77.)
Im Gegensatz zu den meisten nachsowjetischen und osteuropäischen Nationalstaaten wurde die Transformation zum Privatkapitalismus in Belarus nicht „wild“ und mittels einer neoliberalen Schocktherapie durchgeführt. Dort setzten die regierenden Charaktermasken auf einen etatistischen Staatsinterventionismus, in dem auch Staatsfirmen weiterhin eine große Rolle spielten. Schleichend wuchs aber auch dort der Privatsektor.
Die Institution, die das einstige ostdeutsche Staatskapital vorwiegend im Interesse der westdeutschen Bourgeoisie privatisierte oder per Betriebsschließungen vernichtete – auf diese Weise wurde Konkurrenz aus dem Wege geräumt – war die Treuhandanstalt (THA). Ihr Erfinder war der kleinbürgerliche Demokrat aus der einstigen DDR-Opposition Wolfgang Ullmann, der am Runden Tisch – an dem die gewendeten DDR-Regime-Parteien und die kleinbürgerliche Opposition zusammensaßen und tagträumten, während der bundesdeutsche Imperialismus die nackten Tatsachen des Anschlusses schuf – einen typischen „Dritten Weg“ zwischen Privat- und Staatskapitalismus ausklügelte, wobei selbstverständlich alle politökonomischen Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft reproduziert wurden: Ware, Geld, Kapital, Lohnarbeit und Staat. So sollte in die Treuhandanstalt nach Herrn Ullmann das gesamte DDR-Staatskapital eingebracht werden und durch Anteilsscheine ein Viertel davon an die ostdeutsche Bevölkerung privatisiert werden. Die restlichen Dreiviertel sollten Staatseigentum bleiben beziehungsweise zur Begleichung von Schulden und Restitutionsansprüchen verwendet werden. Privateigentum an Produktionsmitteln? Aber sicher doch, aber das privatisierte Staatseigentum sollte schön an die kleinen Leute und nicht an die großen Konzerne gehen. Das waren die KleinbürgerInnenträume eines „Dritten Weges“, der mit der sozialrevolutionären Alternative zum Kapitalismus, die gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel in einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft, nicht das Geringste zu tun hatte. Die bundesdeutsche Bourgeoisie, die die kleinbürgerlichen politischen Oppositionellen als nützliche IdiotInnen zur Destabilisierung des SED-Regimes genutzt hatte, schob beim imperialistischen Anschluss Ostdeutschlands die kleinbürgerlichen TagträumerInnen einfach beiseite und schuf harte Fakten.
Durch die „freien Wahlen“, die selbstverständlich die ostdeutschen Marionetten des westdeutschen Politbetriebes gewannen, waren dann die Machtverhältnisse zur Privatisierung des ostdeutschen Staatskapitals im Hauptinteresse der westdeutschen Bourgeoisie klar. Am 17. Juni 1990 wurde mit der Mehrheit der Regierungsparteien der DDR dann das „Gesetz über die Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)“ beschlossen. Die Treuhandanstalt wurde zum verlässlichen Instrument der Privatisierung und Plattmachung der ostdeutschen Wirtschaft. So wurden 85 Prozent des Produktivvermögens an westdeutsches oder an ausländisches Kapital verkauft. Siemens zum Beispiel kaufte von der Treuhand 16 ehemalige DDR-Betriebe zum Schnäppchenpreis von insgesamt 250 Millionen D-Mark. Wir sind keine kleinbürgerlichen ostdeutschen RegionalistInnen. Auch eine Privatisierung, welche stärker eine ostdeutsche Kapitalbildung gefördert hätte, wäre aus revolutionärer Sicht natürlich genauso zu kritisieren gewesen wie die vorwiegende reale Übernahme der ostdeutschen Wirtschaft durch westdeutsches Kapital.
Jörg Roesler schrieb über die Privatisierung des ostdeutschen Kapitals im Interesse der westdeutschen Bourgeoisie: „Die entscheidenden dauerhaften Veränderungen in der Wirtschaft in Richtung kapitalistischer Produktionsverhältnisse vollzogen sich in den (ab Oktober 1990) Bestandteil der Bundesrepublik werdenden ,neuen Bundesländern‘(NBL) auf dem Gebiet der Eigentumsverhältnisse. (Anmerkung von Nelke: Roesler meint hier die Transformation vom Staats- zum Privatkapitalismus. Für Roesler war die DDR nicht staatskapitalistisch, sondern „sozialistisch“.) Mit dem 1. Juli 1990 hatte die Treuhandanstalt (THA) als nunmehr reine Privatisierungsbehörde ihre Arbeit aufgenommen. Sie übernahm die Verantwortung für die Transformation von 8.500 Betrieben mit 45.000 Betriebsteilen und 4,1 Millionen Beschäftigten, d.h. für 40 Prozent aller Beschäftigten in der DDR. Als sie Ende Dezember 1994 ihre Tätigkeit nach der Durchsetzung von mehr als 15.000 Privatisierungen einstellte, war in den NBL in der Industrie – im beträchtlichen Maße auch in der Landwirtschaft – an Stelle des staatssozialistischen (= staatskapitalistischen, Anmerkung von Nelke) privatkapitalistisches Eigentum getreten. Nur im geringen Maße wurde Staatseigentum rekommunalisiert.
Die übergroße Mehrheit (ca. 85 Prozent) der Betriebsverkäufe ging – gemessen an der Zahl der Arbeitsplätze – an Unternehmen in den alten Bundesländern. Seitens der von der Bundesregierung über das Finanzministerium gesteuerten, vom Bundestag und den Landtagen der NBL kaum kontrollierten, THA waren nach Einschätzung des SPD-Politikers Sigmar Gabriel Übernahmekonditionen ausgelobt worden ,die für manche Unternehmer unbestreitbar einen hohen Reiz ausübten, in die neuen Bundesländer zu wechseln´. Diese günstigen Bedingungen galten nicht für ausländische Unternehmen, die die Bundesregierung eher fernzuhalten trachtete. An sie wurden aus dem Fonds der Staatsbetriebe 1.860 Betriebe bzw. Betriebsteile mit knapp 10 Prozent der Beschäftigten verkauft, überwiegend an Firmen aus den USA, Frankreich und Großbritannien.
Den Gedanken, auch ostdeutschen Managern die Möglichkeit zu geben, sich in ,Unternehmer-Eigentümer‘zu verwandeln, hatte die Bundesregierung zunächst nicht ernsthaft erwogen. Erst Ende 1991/Anfang 1992, als die THA nicht mehr umhin konnte, zu akzeptieren, dass für ganze Gruppen von kleinen und mittleren Betrieben Ostdeutschlands von westdeutscher Seite kein Interesse bestand, korrigierte die Bundesregierung ihre Haltung und stimmte der Privatisierung auf dem Wege des Management-Buy-Out (MBO) bzw. Management-Buy-In (MBI) zu. Insgesamt handelte es sich um 2.100 Betriebe. Gemessen an den Beschäftigten betrug deren Anteil allerdings lediglich 6 Prozent. Da die meisten früheren ,Wirtschaftskapitäne‘aus Ostdeutschland nicht genügend Startkapital besaßen, waren sie bestrebt, sich mit westdeutschen Mittelstands-Unternehmen gleicher Branche zusammen zu tun, die über Investitionsmittel und über ausgebaute Vertriebswege verfügten (MBI). Für die rein ostdeutschen MBO-Betriebe erwiesen sich die materiellen Anforderungen vielfach als zu groß, so dass sie nach wenigen Jahren liquidiert oder an westdeutsche Unternehmen verkauft werden mussten. Für die MBI steht als erfolgreichstes Unternehmen die Sektkellerei Rotkäppchen in Freyburg/Unstrut, für das Schicksal der MBO das aus dem VEB Florena Waldheim hervorgegangene zunächst sehr erfolgreiche Unternehmen Florena Cosmetic GmbH, das 2002 vom Hamburger Beiersdorf-Konzern übernommen wurde. Ähnlich dem Schicksal der MBO war das der erst 1972 verstaatlichten privaten und ,halbstaatlichen‘Unternehmen, die die THA 1990/91 reprivatisiert hatte – insgesamt knapp 3.000 kleinere Unternehmen.
Zur Herausbildung einer eigenen spezifischen Kapitalistenklasse ist es in der DDR demnach, wenn überhaupt, nur marginal gekommen. Es dominiert in Ostdeutschland eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur. Damit waren auch keine nennenswerten Möglichkeiten zur Vermögensanhäufung durch ostdeutsche Unternehmer gegeben. Anders als in einigen Ländern Osteuropas sind ,Oligarchen‘in der Ex-DDR nicht anzutreffen. Der gewerbliche Mittelstand rekrutiert sich aus dem – bis 1989 überwiegend privat gebliebenen bzw. genossenschaftlich arbeitenden Handwerk, sowie aus den nach 1990 weiterhin überwiegend genossenschaftlich arbeitenden Landwirten, auf deren Betriebe die THA in der Regel keinen Zugriff erhalten hatte. Dazu gehört auch ein Teil der ehemals leitenden Angestellten von Ladengeschäften, Gaststätten, Hotels, Apotheken, Buchhandlungen und Kinos, die per Kreditaufnahme in Zusammenhang mit der bereits 1990/91 von der THA durchgeführten ,kleinen Privatisierung‘Eigentümer geworden waren.“ (Jörg Roesler, Ostdeutschland seit 1990, in: Z., Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 99, a.a.O., S. 55-57.)

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