südafrika – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org Für die soziale, antipolitische und antinationale Selbstorganisation des Proletariats! Wed, 22 Feb 2023 05:29:32 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://swiderstand.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1128/2022/05/cropped-28385945-32x32.png südafrika – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org 32 32 Neue Broschüre: Antinationale Schriften III https://swiderstand.blackblogs.org/2018/09/25/antinationale-schriften-iii/ https://swiderstand.blackblogs.org/2018/09/25/antinationale-schriften-iii/#respond Tue, 25 Sep 2018 20:27:59 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=153 Unsere neue Broschüre „Schriften zum Imperialismus“ (ca. 124 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Afrika im Fadenkreuz der Imperialismen
I. Kolonialismus
1.Vorindustriekapitalistische Sklaverei
2. Britischer Kolonialismus
3. Französischer Imperialismus
1. EU-Imperialismus
2. Britischer Neokolonialismus
3. Französischer Neokolonialismus
4. US-Imperialismus
5. Deutscher Imperialismus
6. Chinesischer Imperialismus

III. Staatskapitalistischer Imperialismus
1. Sozialökonomischer Imperialismus
2. Militärischer Imperialismus

Beispiel Afrika: Nationale „Befreiung“ als Teil der kapitalistischen Sozialreaktion
I. Allgemeine Betrachtung
1. Der grundsätzlich sozialreaktionäre Charakter der Nation
2. Die sozialökonomische Schwäche des schwarzafrikanischen Kapitalismus
3. Afrika und die mögliche soziale Revolution

II. Konkrete Länderbeispiele
1. Ägypten
2. Algerien
3. Simbabwe
4. Südafrika

Nationalismen in Europa
I. EUropäischer Chauvinismus
1. EU: Das kontinental-imperialistische Zweckbündnis europäischer Nationalstaaten
2. Nationale Konkurrenz innerhalb der EU
3. Brüsseler/Berliner „Sparprogramme“ gegen das Proletariat
4. Der britische Austritt aus der EU

II. Spaltungsnationalismen innerhalb europäischer Staaten
1. Der schottische Salonnationalismus
2. Der katalanische Nationalismus
3. Rechtsnationaler Rassismus in Europa

Simbabwe

Im Verlauf des 15. Jahrhunderts konkurrierte portugiesisches Handelskapital gegen muslimisches an den Königshöfen auf dem Territorium des heutigen afrikanischen Staates Simbabwe. Als der portugiesische Imperialismus die mosambikanische Küste zu seiner Kolonie machte (siehe Kapitel I.5 der Schrift Afrika im Fadenkreuz der Imperialismen) und den swahilischen Küstenhandel unterband, verlor das Shona-Reich seine führende Bedeutung. Die aus dem Kongogebiet stammenden Nguni-Gemeinschaften wanderten im 17. Jahrhundert in das Gebiet südlich des Sambesi ein, am bekanntesten die Zulu in Südafrika. Auf dem Territorium des heutigen Staates Simbabwe war es die Nguni-Gemeinschaft der Ndebele (Matabele) die 1835 unter ihrem König Mzilikazi das Land eroberten und die Shona unterwarfen. Der letzte Shona-Staat der Changamire-Dynastie war durch Bürgerkriege stark destabilisiert und wurde von den neuen europäischen und afrikanischen politischen Subjekten bei ihren Machtspielchen einfach übergangen. Das Territorium des Matabele-Reiches entsprach fast dem des heutigen Staates Simbabwe.
Seit der Gründung der portugiesischen Niederlassungen in Angola und Mosambik, beanspruchte Portugal das Binnenland des südlichen Afrika von der West- bis zur Ostküste. Der portugiesische Imperialismus verfügte aber nicht über die materielle Gewalt, um diesen Anspruch auch in der Wirklichkeit umzusetzen. So stellten im 19. Jahrhundert britische sowie kapholländische (burische) Jäger, Missionäre und Händler die portugiesischen Ansprüche auf das Binnenland unter Berufung auf das Weiterbestehen des arabischen SklavInnenhandels in Frage. Sie begannen auch in das Gebiet nördlich des Limpopo einzudringen.
Der britische Kolonialpolitiker Cecil Rhodes erwarb 1888 vom Ndebele-König Lobengula Schürfrechte. Im Jahre 1889 bekam er eine Lizenz für die British South Africa Company, mit der Rhodes sich 1893 – durch Abteilungen der Kappolizei und angeheuerte Abenteurer unterstützt – das Matabele-Königreich und Gebiete nördlich des Sambesi aneignete. Dieser britische Kolonialpolitiker trieb die Besiedlung sowie die Edelmetall- und Mineralverarbeitung voran. Die Subjekte des britischen Imperialismus stießen dabei 1896/97 auf den verzweifelten, aber letztlich erfolglosen Widerstand der Ndebele und der Shona.
Rhodes Territorium wurde schließlich im Jahre 1911 in Nordrhodesien (heute der Staat Sambia) und in Südrhodesien (Simbabwe) geteilt. 1923 wurde Südrhodesien eine selbstverwaltete britische Siedlungskolonie. Die Agrarfläche wurde im Jahre 1930 in weiße und schwarze Siedlungsgebiete aufgeteilt, wobei durch den strukturellen Rassismus die schwarzafrikanische Landwirtschaft in die die ertragsarmen Gegenden abgedrängt wurde. 1950 erhielt mit der von Joshua Nkomo geführte National Democratic Party, die für eine völlige Unabhängigkeit des Landes kämpfte, auch der schwarzafrikanische Nationalismus in Südrhodesien eine politische Basisorganisation. Im Jahre 1953 wurden Nord- und Südrhodesien wieder vereint und mit Njassaland (heute der Staat Malawi) zur Föderation von Rhodesien und Njassaland unter Führung von Roy Welensky verbunden. Doch diese Föderation wurde schon 1963 wieder aufgelöst. Danach erklärten „die Weißen“ von Südrhodesien im Jahre 1964 den von ihnen beherrschten Staat als Rhodesien einseitig für sich als politisch unabhängig. Dass war quasi eine weißafrikanische Nationsbildung gegen den britischen Imperialismus – in rassistischer Abgrenzung von den SchwarzafrikanerInnen. So ähnlich wie in Südafrika (siehe Kapitel II.4 dieses Textes). Nicht von ungefähr wurde die weißafrikanische Nationsbildung in Rhodesien auch vom südafrikanischen Apartheidstaat aktiv unterstützt.
Im benachbarten Nordrhodesien und im Njassaland ergriffen schwarzafrikanische Politbonzen die Staatsmacht und wurden regierende Charaktermasken von so verstandenen schwarzafrikanischen Nationen. Im Gegensatz dazu erklärte in Rhodesien eine weiße Minderheitsregierung unter Ian Smith am 11. November 1965 einseitig die Unabhängigkeit. Doch diese wurde vom britischen Imperialismus nicht anerkannt. Großbritannien verzichtete jedoch auf die gewaltsame Wiederherstellung des Status Quo. Die Mehrzahl der schwarzafrikanischen Politbonzen von Rhodesien ging daraufhin ins Exil nach Sambia (das ehemalige Nordrhodesien) oder wurde vom weißrassistischen Regime eingeknastet. Zwischenstaatliche Verhandlungen zwischen dem britischen Imperialismus und dem weißnationalistischen Rhodesien scheiterten 1966 und 1968. Daraufhin verlangte Großbritannien vom internationalen Schiedsgericht der Nationalstaaten, der UNO, Wirtschaftssanktionen gegen Rhodesien. Die UNO verhängte auch tatsächlich im Mai 1968 voll verbindliche Sanktionsmaßnahmen. Allerdings verhinderten der britische und der US-Imperialismus 1970, dass die UNO ihre Sanktionen auf die Hauptunterstützer Rhodesiens, Portugal und Südafrika, ausweitete. Die weißafrikanischen NationalistInnen riefen 1970 Rhodesien als Republik aus, die jedoch nur von Südafrika anerkannt wurde.
Rhodesien war wie Südafrika eine Apartheid-Demokratie, in welcher „die Weißen“ eingeschlossen und „die Schwarzen“ ausgegrenzt wurden. Wobei sich das Zensuswahlrecht Rhodesiens aber im Gegensatz zu Südafrika nicht offen rassistisch auf die Hautfarbe berief, sondern sich an Einkommen und Bildung orientierte. Offiziell war Unabhängig von der Hautfarbe jeder Bürger Rhodesiens wahlberechtigt, der das Registrierungsformular ausfüllen konnte und ein bestimmtes Einkommensniveau erreichte. In der realen Praxis schloss dieses Wahlsystem die schwarzafrikanische Bevölkerung von politischer Beteiligung weitgehend aus. So ließen sich stets nur einige tausend SchwarzafrikanerInnen registrieren, obwohl theoretisch einige zehntausend wahlberechtigt gewesen wären. Im Jahre 1970 wurde für die SchwarzafrikanerInnen ein eigenes Wählerregister geschaffen und für diese 16 Abgeordnete zugesprochen, deren Anzahl mit dem Anstieg der schwarzafrikanischen Mehrheitsbevölkerung ebenfalls steigen sollte. Die Anforderungen wurden jedoch von den weißafrikanischen NationalistInnen Rhodesiens so hoch angesetzt, dass die politische Machteroberung von schwarzafrikanischen Politbonzen im Namen der „schwarzen Mehrheit“ auf Jahrzehnte ausgeschlossen werden sollte. Realistische Prognosen gingen damals davon aus, dass nach dieser Herrschaftstechnik die Machteroberung schwarzafrikanischer Politbonzen zwischen 2030 und 2070 eingetreten wäre. Die rhodesische Apartheid-Demokratie war also nicht ganz so grobschlächtig rassistisch wie die südafrikanische. So stellten Schwarzafrikaner die Mehrheit der Berufssoldaten (wenn auch der Offiziere erst ab 1977, ebenfalls galt die Wehrpflicht nur für „Weiße“) sowie der paramilitärischen Polizei. AfrikanerInnen mit schwarzer Hautfarbe waren ebenfalls in Wirtschaft und Verwaltung eingebunden.
Doch die Machteroberung schwarzafrikanischer Politbonzen im Namen der „schwarzen Bevölkerungsmehrheit“ erfolgte schon wesentlich früher als nach der weißafrikanischen Wahlarithmetik vorgesehen war. So lange wollten nämlich die schwarznationalistischen Politbonzen nicht warten. Und so bildeten sich politisch-militärische Organisationen zur Erkämpfung einer schwarzafrikanischen Nationsbildung im Gegensatz zur weißrassistischen. Das war zum Beispiel die 1961 von Joshua Nkomo gegründete Zimbabwe African Peoples Union (ZAPU, Afrikanische Volksunion von Simbabwe). Die ZAPU war am Anfang am sowjetischen Staatskapitalismus orientiert und wurde 1962 von der amtierenden britischen Kolonialregierung verboten. Oder zum Beispiel die 1963 gegründete Zimbabwe African National Union (ZANU), die damit ebenfalls bereits gebildet wurde, als das damalige Südrhodesien noch Kolonie des britischen Imperialismus war. Im Gegensatz zur prosowjetischen ZAPU, von der sie eine Abspaltung darstellte, orientierten sich die Politbonzen der ZANU zuerst am Maoismus und dem chinesischen Staatskapitalismus. Unnötig zu erwähnen, dass sowohl ZANU als auch ZAPU als nationalistische und prostaatskapitalistische Parteien von Anfang an absolut sozialreaktionär waren.
Nachdem das weißnationalistische Rhodesien ab Mitte der 1960er Jahre faktisch die politische Unabhängigkeit vom britischen Imperialismus erkämpft hatte, hatte der schwarzafrikanische Nationalismus in diesem Regime seinen neuen Hauptfeind. ZANU und ZAPU führten dann auch ab 1966 einen Guerillakrieg gegen die staatlichen Strukturen Rhodesiens. Allerdings blieben die militärischen Aktionen der relativ wenigen und unerfahrenen Guerillakämpfer zunächst sporadisch und gering. Doch zwischen 1973 und 1974 wurde der Guerillakrieg von der mosambikanischen Provinz Tete aus geführt und bekam auf diese Weise eine hohe außenpolitische Wirkmächtigkeit. Dadurch reifte bei den regierenden Charaktermasken des südafrikanischen Imperialismus, welche das damals in Rhodesien amtierende Smith-Regime unterstützten, der Entschluss, das letztgenannte besser durch ein alternatives, stabileres und aus Pretoria gesteuertes Machtsystem zu ersetzen und in den Einflussbereich ihrer Afrikapolitik einzubinden. Auch in der weißen Bevölkerung Rhodesiens wuchs die Unzufriedenheit mit der Regierung.
Der britische und der US-Imperialismus hatten ein Interesse daran den BürgerInnenkrieg zwischen weiß- und schwarzafrikanischen Nationalismus in Rhodesien zugunsten einer friedlichen Übergabe der politischen Macht an schwarze Politbonzen als angebliche InteressenvertreterInnen der Bevölkerungsmehrheit zu beenden. So fand unter dem Vorsitz Großbritanniens die Rhodesien-Konferenz 1976 in Genf statt, bei der die regierende Charaktermaske des weißrassistischen Rhodesiens, Ian Smith, mit den schwarznationalistischen Politbonzen der ZANU und ZAPU verhandelte. Inzwischen war die ehemalige portugiesische Kolonie Mosambik ein prostaatskapitalistischer unabhängiger Nationalstaat geworden (siehe dazu die Kapitel I.5 und III.2 der Schrift Afrika im Fadenkreuz der Imperialismen sowie Kapitel I.2 dieses Textes). Nun konnten ZANU und ZAPU ihren Guerillakrieg vom mosambikanischen Boden aus führen. Der Guerillakrieg schwächte die Infrastruktur und die Ökonomie Rhodesiens. Durch die Installierung der prostaatskapitalistischen Regimes in Angola und Mosambik, die besonders vom kubanischen Imperialismus offensiv unterstützt wurde, hatte die Führungsmacht des privatkapitalistischen Westblockes, die USA, ein Interesse daran, die Flamme des BürgerInnenkrieges zu löschen, um zu verhindern, dass durch ein Sieg im Guerillakrieg auch in Rhodesien eine prosowjetische Regierung entstehen würde. Deshalb übte Washington Druck auf das weißnationalistische Regime in Rhodesien aus, sich schließlich „friedlich“-diplomatisch wegverhandeln zu lassen. Gleichzeitig schränkte das südafrikanische Apartheid-Regime die Unterstützung für das rhodesische Regime ein. Das Kräfteverhältnis hatte sich stark zu Ungunsten des weißafrikanischen Nationalismus verschoben. Doch die Rhodesien-Konferenz scheiterte schließlich im Dezember 1976 an dem Zank der schwarznationalistischen Politbonzen der ZANU und ZAPU.
Aber das weißnationalistische Regime von Ian Smith war nicht mehr zu halten. Deshalb begann es von innen zu zerfallen. Als Reaktion auf die Verhandlungsergebnisse der Rhodesien-Konferenz in Genf traten am 3. Juli 1977 einige Mitglieder der Regierungspartei aus der Rhodesian Front aus und gründeten kurz darauf eine ultrarechte Partei, die Rhodesian Action Party. Darauf reagierte die regierende Charaktermaske Ian Smith mit der Auflösung des Parlaments und mit Neuwahlen für 85.000 Weiße und einen sehr kleinen Kreis „schwarzer“ Wähler. Doch auch dieses Manöver verstärkte nur die Instabilität des weißnationalistischen Regimes. Dem US-Imperialismus war klar, dass dessen Ersetzung durch ein schwarznationalistisches Regime nicht mehr lange auf sich warten würde, also versuchte er Einfluss auf die gegeneinander konkurrierenden schwarzen Politbonzen zu bekommen. Der Präsident Tansanias, Julius Nyerere, versuchte seinen imperialistischen Einfluss in der Region zu erhöhen, indem er zwischen den konkurrierenden schwarzafrikanischen NationalistInnen Rhodesiens vermittelte. Auch ein einheimischer „schwarzer“ Politbonze, Abel Muzorewa, begann den schwarzafrikanischen Nationalismus im Interesse einer Verhandlungslösung zu zähmen. Das südafrikanische Apartheid-Regime begann nun militärisch in Rhodesien auf eigene Faust zu intervenieren. Der prochinesische schwarze Politbonze Mugabe wandte sich daraufhin hilfesuchend an Peking, was wiederum den prosowjetischen schwarzafrikanischen NationalistInnen nicht passte, die selbstverständlich Hilfe in Moskau suchten.
Der politischen und militärischen Führung Rhodesiens wurde langsam bewusst, dass der Krieg gegen den schwarzafrikanischen Nationalismus militärisch nicht gewinnbar war. Ian Smith nahm Verhandlungen zu „moderaten“ und konservativ eingestellten schwarzen Politbonzen auf, die nicht in den Guerillakrieg involviert waren, um diesen Krieg durch diese gemäßigten schwarzen NationalistInnen, afrikanische Nachbarstaaten sowie westliche Länder – insbesondere des britischen Imperialismus – auch ohne direkte Einbeziehung der Guerillabewegungen beenden zu können. So fanden zwischen Dezember 1977 und März 1978 mehrere Geheimtreffen zwischen Ian Smith und den schwarzafrikanischen Politbonzen Muzorewa, Sithole und Chirau zu Verfassungsfragen statt. Am 3. März 1978 war es dann so weit, Smith schloss eine Vereinbarung mit drei schwarzen Führern unter Führung Bischof Abel Muzorewa zur Bildung einer Übergangsregierung. Diese Übergangsregierung sollte auf eine Konfliktlösung zugunsten der europäischen SiedlerInnen hinarbeiten, wozu es allerdings wegen des weiterhin tobenden Guerillakrieges zu spät war. Im Rahmen der Übereinkunft spielte natürlich die Hauptherrschaftstechnik der Demokratie, die Parlamentswahlen nach allgemeinen Wahlrecht, eine wichtige und herausragende Rolle. In diesen gewann im April 1979 Muzorewa. Die neue Verfassung trat am 1. Juni 1979 in Kraft und der Staat wurde in Simbabwe-Rhodesien umbenannt. Die neue Regierung mit Muzorewa als Regierungschef nahm die Arbeit auf. An der Regierung war auch Ian Smith als Minister ohne Geschäftsbereich beteiligt.
Doch da an der Bildung der Übergangsregierung die schwarznationalistischen Guerillaorganisationen eben nicht beteiligt waren, konnte die erstere auch keinen Frieden organisieren. Auch die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen und die internationale Anerkennung konnte die neue Regierung nicht erreichen. Der britische Imperialismus unternahm durch eine von ihm organisierte Friedenskonferenz in Londoner Lancaster House ab 12. September 1979 eine wichtige diplomatische Initiative zu einer Befriedung des Konflikts im Interesse der Kapitalvermehrung. Die Patriotic Front der schwarznationalistischen Guerillaorganisationen und die Übergangsregierung von Simbabwe-Rhodesien unterzeichneten nach mehreren Wochen schließlich auf der Konferenz einen Waffenstillstand. Auch sollten mal wieder Wahlen zur Ermächtigung der regierenden Charaktermasken eines international anerkannten Staates Simbabwe stattfinden. Der Weg über die internationale Anerkennung eines afrikanischen Staates Simbabwe führte über die diplomatische Rückgängigmachung der weißnationalistischen Unabhängigkeitserklärung Rhodesiens aus dem Jahre 1965. Das simbabwisch-rhodesische Parlament nahm im Dezember 1979 die einseitige Unabhängigkeitserklärung von Rhodesien aus dem Jahr 1965 zurück. Vorübergehend wurde noch für eine kurze Zeit die britische Kolonie Südrhodesien wiederhergestellt.
Die Neuwahlen vom Februar 1980 gewann Robert Mugabe und seine ZANU-PF. Am 18. April 1980 konnten die schwarzafrikanischen NationalistInnen die politische Unabhängigkeit von Simbabwe feiern. Auch dieser afrikanische Staat war selbstverständlich ein struktureller Klassenfeind der Lohnabhängigen. Als solcher geriet er auch bald in den Klassenkampf. So streikten im Oktober 1981 landesweit über 1.000 Krankenpflegerinnen und LehrerInnen. Der Staat inhaftierte 200 Streikende. Dadurch bewies sich durch sehr handfeste materielle Gewalt, dass die schwarzafrikanischen Politbonzen eben nicht die Interessenvertreter des schwarzen Proletariats waren und dass nationale „Befreiung“ Teil der kapitalistischen Sozialreaktion ist.
Auch der blutige Konkurrenzkampf zwischen den Politbonzen ging weiter. So explodierte am 18. Oktober 1981 eine Bombe in der Parteizentrale der ZANU. Anfang Februar 1982 wurden von den Repressionskräften der regierenden ZANU mehrere Waffenlager ausgehoben, die nach der Regierungspropaganda vom politischen Konkurrenzverein ZAPU angelegt worden sein soll. Nun tobte ein blutiger Konkurrenzkampf zwischen ZANU und ZAPU. Die zu diesem Zeitpunkt noch in der Regierung von Simbabwe sitzenden Vertreter der ZAPU wurden von den ZANU-Politbonzen herausgeworfen. Der Terror der ZANU gegen die politische Konkurrenz richtete sich auch gegen die unbeteiligte Zivilbevölkerung. Im Jahre 1987 ging das ZANU-Regime wieder blutig gegen die ZAPU-Konkurrenz vor. Nach dem Terror erfolgte 1988 die Vereinigung von ZANU und ZAPU zur ZANU-PF (Afrikanische Nationalunion von Simbabwe – Patriotische Front). Die ZANU hatte die Konkurrenzpartei ZAPU quasi aufgefressen.
In Osteuropa war in den 1940er Jahren das Fressen der sozialdemokratischen Parteien durch die „kommunistischen“ der Beginn einer staatskapitalistischen Entwicklung. Nun, in Simbabwe hatte eine prochinesische Partei eine prosowjetische geschluckt. Außerdem befanden wir uns Ende der 1980er Jahre, also in einer Zeit der Todeskrise des sowjetisch-osteuropäischen und des asiatischen Staatskapitalismus beziehungsweise dessen Transformation in den Privatkapitalismus, so zum Beispiel China, zu der die ZANU und der Staat Simbabwe sehr gute Beziehungen hatten. Und doch war die ZANU-PF durch das Schlucken ihrer alten Konkurrentin dermaßen berauscht, dass sie beschloss, die Wahlen von 1990 zu einer Abstimmung über die Einführung einer Einparteienregierung und die Verankerung des „Sozialismus“ in der Verfassung zu machen. 1990 brach aber der osteuropäische Staatskapitalismus vollständig zusammen und die Sowjetunion röchelte nur noch so vor sich hin (zur UdSSR und deren Satelliten hatte Simbabwe trotz der prochinesischen Ausrichtung der ZANU sehr gute außenpolitische Beziehungen), während China kurz vor seiner Offensive in der Privatisierung des Kapitals stand. Ganz schlechte internationale Rahmenbedingungen für einen simbabwischen Staatskapitalismus also. So unterblieb das mit dem „Sozialismus“ in der Verfassung des Staates und der offensichtlichen Errichtung einer Einparteiendiktatur. Trotz dem Gefasel über „Sozialismus“ der ZANU-Politbonzen in den 1980er Jahren, blieb Simbabwe ein privatkapitalistisches Land, wenn auch der Staat Anteile von Unternehmen übernahm oder ganze Betriebe verstaatlichte, mit einem Mehrparteiensystem. Und nach dem Zusammenbruch des sowjetisch-osteuropäischen Staatskapitalismus warfen sich die schwarzafrikanischen NationalistInnen in die Arme der globalen Finanzorganisation des westlich-privatkapitalistischen Blockes, IWF und den von dieser verordneten „Sparprogrammen“ auf Kosten des Proletariats.
Wie wir weiter oben beschrieben haben, wurde Simbabwe letztendlich nicht durch einen militärisch siegreichen Guerillakrieg ein unabhängiger kapitalistischer Nationalstaat, sondern durch Verhandlungen mit der Übergangsregierung von Simbabwe-Rhodesien und dem britischen Imperialismus. Diese Verhandlungslösungen schützten die weißafrikanischen SiedlerInnen und deren politisch-parlamentarischen Vertretung im schwarz-national „befreiten“ Simbabwe. So sah das Abkommen mit Großbritannien vor, dass im simbabwischen Parlament 20 „weiße“ und 80 „schwarze“ Abgeordnete sitzen sollten. Die weißafrikanische Partei des Ian Smith, die Republikanische Front, benannte sich im April 1984 in Konservative Allianz um und speilte die Rolle einer rechtsdemokratischen Oppositionspartei, die jedoch auch teilweise in die Regierungspolitik integriert wurde. Allerdings spalteten sich am 4. März 1982 neun weiße Abgeordnete von der Republikanischen Front ab, um als „Unabhängige“ mit dem ZANU-Regime zu kooperieren.
Die WeißafrikanerInnen stellten im national „befreiten“ Simbabwe weniger als 1 Prozent der Bevölkerung dar, verfügten aber weiterhin bis in die 1990er Jahre hinein über 70 Prozent des urbanen Landes zur marktwirtschaftlichen Nutzung. Im oben beschriebenen Lancaster-House-Abkommen zwischen britischen Imperialismus und schwarzafrikanischen Nationalismus war vereinbart worden, dass mensch die weißafrikanischen SiedlerInnen nicht entschädigungslos enteignen würde, sondern gegen Bezahlung dazu bringen wolle, auf Land zugunsten schwarzafrikanischer Landloser zu verzichten. Doch dies geschah nicht. Der Staat Simbabwe hoffte vergebens auf britisches Geld, um den WeißafrikanerInnen Land abzukaufen. Doch 2000 ging das schwarznationalistische Regime zur gewaltsamen Bodenreform über. Diese gewaltsame Bodenreform war durch und durch sozialreaktionär. Das Regime schürte schwarzafrikanischen Rassismus gegen die weißen SiedlerInnen zum Systemerhalt und das durch die gewaltsame Bodenreform gewonnene Land wurde außer an landlose schwarze BäuerInnen oft auch an PolitikerInnen und Militärs sowie an Präsident Mugabes Verwandte und FreundInnen verteilt, die von Agrarwirtschaft keine Ahnung oder keine Lust zu ihr hatten und sich nun in den ehemaligen Villen der Weißen breit machten. Die Bodenreform führte zu einer Krise der Agrarproduktion, weil die schwarzen BäuerInnen keine systematische Unterstützung durch den Staat bekamen.
In den 1980er Jahren gehörte Simbabwe zu den am stärksten industrialisierten Staaten Afrikas. Bis Ende der 1990er Jahre entwickelte sich die kapitalistische Ökonomie Simbabwes zur Freude seiner regierenden Charaktermasken. Die jedoch ab Ende der 1990er Jahre unfähig darin waren, dass Nationalkapital weiter beschleunigt zu vermehren. So gilt die simbabwische Nationalökonomie heute als „eine der ärmsten Volkswirtschaften der Welt“. (Wikipedia, Stichwort: Wirtschaft Simbabwes.) Die Wirtschaftsleistung dieses afrikanischen Staates sank von Ende der 1990er Jahre bis heute um mehr als 50 Prozent. Ein Ausdruck des ökonomischen Niederganges war die Hyperinflation ab 2007. Im November 2008 erreichte diese Hyperinflation in Simbabwe mit 79,6 Milliarden Prozent (kein Rechtschreibfehler!) ihren Höhepunkt. Daraufhin wurde im Jahre 2009 der Simbabwe-Dollar faktisch abgeschafft und durch ausländische Währungen ersetzt, jedoch erst 2015 offiziell aus dem Verkehr gezogen. Zusätzlich zu Hyperinflation wurde das simbabwische Nationalkapital von August 2008 bis Juni 2009 von einer alle Provinzen des Landes erfassenden und 4000 Tote fordernden Cholera-Epidemie geschwächt. Beruht schon die beschleunigte Vermehrung des Nationalkapitals auf der Ausbeutung des Proletariats, so stürzt die kapitalistische Krise unzählige Menschen in das „unproduktive“ Elend der Erwerbslosigkeit. So ist es auch in Simbabwe. „Es wird (…) davon ausgegangen, dass die Arbeitslosigkeit bei 94 % liegt.“ (Wikipedia, Stichwort: Wirtschaft Simbabwes.)
Simbabwe war offiziell eine Mehrparteidemokratie – die wir SozialrevolutionärInnen genau so konsequent bekämpfen wie alle anderen Staatsformen auch –, die sich aber immer stärker zur persönlichen Diktatur Mugabes entwickelte. Dies war wiederum nur eine besondere politische Form der sozialen Diktatur des Kapitals. Eine besonders widerliche sozialreaktionäre Kampagne des Mugabe-Regimes war die gegen Homosexualität zu Beginn der 1990er Jahre. Mugabe stellte Homosexualität als „unnatürlich“ und „unafrikanisch“ dar. Er diffamierte Homosexuelle als „minderwertiger als Schweine“. Seit den 1990er Jahre konnten in Simbabwe Homosexuelle mit zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Ab 2006 wurden auch Küssen und Händchenhalten zwischen Schwulen repressiv durch Gefängnis geahndet. Das sozialreaktionäre Regime wies auch im Jahre 2001 erstmals Jugendliche zum National Youth Service in Lager ein, wo sie im Sinne des Staates politisch und militärisch „geschult“ wurden, dass heißt eine ideologische Gehirnwäsche verpasst bekamen. Im Jahre 2005 führte das Mugabe-Regime regelrecht Krieg gegen die Armen, indem es Slumsiedlungen niederwalzen ließ.
Die soziale Unzufriedenheit mit dem Mugabe-Regime konnte auch in Simbabwe von einer politischen Oppositionspartei in kapitalismuskonforme Bahnen gelenkt werden. Es ist immer und überall das gleiche Lied: Die politischen Oppositionsparteien stellen die sozialen Verwerfungen des Kapitalismus als Problem einer falschen Regierung da. Ihre politische Konkurrenz regiert und macht alles falsch. Wenn sie, die jetzige politische Opposition regieren würde, wäre alles besser. In Simbabwe sang dieses Lied seit 1999 das von Morgan Tsvangirai geführte Movement for Democratic Change (MDC), seit 2005 Movement for Democratic Change – Tsvangirai (MDC-T). Das MDC-T war auch wegen dem Widerkäuen demokratischer Sonntagsideale wie Freiheit und Menschenrechte beim westlichen Imperialismus sehr beliebt, während das Mugabe-Regime dort immer unbeliebter wurde. So wurde Simbabwe im Jahre 2002 aus dem vom britischen Imperialismus dominierten Commonwealth wegen Verletzungen von Menschenrechten und der Verschiebung der Wahlen 2002 sowie Wahlfälschung suspendiert. Ab 2002 zogen sich auch die westlichen Geldgeber und Handelspartner weitgehend aus dem afrikanischen Land zurück, wodurch der Einfluss des chinesischen Imperialismus auf Simbabwe stieg. Im Jahre 2003 verließ das Mugabe-Regime den Commonwealth.
Bei der Präsidentschaftswahl im März 2008 gewann Tsvangirai vom MDC-T in der ersten Runde mit 47,9 Prozent mehr WählerInnenstimmen als Mugabe. Der vom Westen geliebte Musterdemokrat wurde jedoch vom Regime drangsaliert, worauf er sich von der zweiten Runde zurückzog. Dadurch gewann Mugabe diese zweite Runde der Präsidentschaftswahl. Mugabe machte jedoch als alter/neuer Präsident im Februar 2009 Tsvangirai zum Ministerpräsidenten einer Einheitsregierung. Die politische Integration des Vorzeigedemokraten in das Regime war von Mugabe ein geschickter Schachzug, um Tsvangirai zu entzaubern. Die Präsidentschaftswahl von 2013 wurde von Mugabe abermals klar, und die gleichzeitige Parlamentswahl von seiner ZANU-PF mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen.
Mugabe war lange Zeit die Personifizierung der korrupten schwarzafrikanischen Politbonzenschicht Simbabwes. Aber im November 2017 wurde er doch vom Militär durch einen Putsch entmachtet. In den internen Machtkämpfen der Polit- und Militäreliten ging es um die Nachfolge von Mugabe. Seine Ehefrau Grace hatte den Ehrgeiz Vizepräsidentin zu werden. Mugabe kam dem am 6. November 2017 nach und entließ den bisherigen Vizepräsidenten Emmerson Mnangagwa. Der besaß jedoch das Vertrauen des Militärs, welches am 15. November 2017 faktisch putschte und die Macht übernahm. Am 19. November wurde Mugabe als Vorsitzender der ZANU-PF abgesetzt; am 21. November trat er als Präsident zurück, nachdem das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet hatte. Drei Tage später wurde Mnangagwa neuer Präsident von Simbabwe.

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Neue Broschüre: Globale Klassenkämpfe (2008-2013) https://swiderstand.blackblogs.org/2014/02/20/neue-broschuere-globale-klassenkaempfe-2008-2013/ https://swiderstand.blackblogs.org/2014/02/20/neue-broschuere-globale-klassenkaempfe-2008-2013/#comments Thu, 20 Feb 2014 14:07:44 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=79 Unsere neue Broschüre: „Globale Klassenkämpfe (2008-2013)“ (ca. 119 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt Ihr für 5-€ (inkl. Porto) hier über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.


Inhalt

Einleitung

I. Die globale Klassenspaltung
1. Das Weltproletariat
2. Die Weltbourgeoisie
3. Das globale KleinbürgerInnentum

II. Die Kapitalvermehrung gegen das Weltproletariat
1. Die Bourgeoisie geht über proletarische Leichen
2. Konjunkturprogramme reproduzieren den Kapitalismus
3. Sparprogramme als asoziale Offensiven der Bourgeoisie
4. Staatsterror

III. Gewerkschaftsapparate gegen das Weltproletariat
1. Argentinien
2. Deutschland
3. Südafrika

IV. Streiks und Straßenbewegungen
1. Globale Massenstreiks
2. Globale Straßenbewegungen
3. Streiks in der chinesischen Autoindustrie
4. Der „arabische Frühling“ in Ägypten

V. Der Kampf der MigrantInnen
1. ArbeitsmigrantInnen
2. Der migrantische Kampf gegen nationalstaatliche Repression
3. Solidarität mit unseren migrantischen Klassengeschwistern!

Der „arabische Frühling“ in Ägypten

Das ägyptische Proletariat war vor, während und nach der Regierungszeit Mubaraks sehr klassenkämpferisch. Wir wollen in diesem Kapitel den Klassenkampf des Proletariats in Ägypten zwischen 2011 und 2013 beleuchten. Dieser Klassenkampf war mitunter sehr militant, das Proletariat in Ägypten hat sich aber bislang noch zu keinem sozialrevolutionärem Sein und Bewusstsein hin gekämpft. Noch führt es einen reproduktiven Klassenkampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im Rahmen von Warenproduktion und Politik, aber noch nicht bewusst für deren revolutionäre Sprengung. So führte der Klassenkampf des Proletariats dazu, dass das ägyptische Nationalkapital in Form von zwei Militärputschen und einer freien demokratischen Wahl das politische Personal auswechselte, weil mit den alten Regierungsformen nicht mehr erfolgreich der Klassenkampf von oben zu führen war. So lange das Proletariat nicht die Politik aufhebt, kann sein Klassenkampf nur dazu beitragen, dass die regierenden Charaktermasken der Politik wechseln…
Doch berichten wir schön der Reihe nach. Inspiriert vom Beginn des „arabischen Frühlings“ in Tunesien – einer gewaltigen sozialen Straßenbewegung, die zwischen Dezember 2010 und Januar 2011 das Staatsoberhaupt Ben Ali zum Rücktritt zwang – entwickelte sich auch in Ägypten ab dem 25. Januar 2011 eine soziale Straßenbewegung in den größten Städten, die sozial vorwiegend vom KleinbürgerInnentum und Proletariat getragen wurde und die sich vor allem gegen die regierende Charaktermaske Ägyptens, Mubarak, richtete. Diese soziale Protestbewegung zwang Mubarak – gegen den anfänglichen gewaltsamen Widerstand „seines“ Repressionsapparates – am 11. Februar 2011 zum Rücktritt. Vom Beginn des „arabischen Frühlings“ in Ägypten bis zum Sturz Mubaraks starben bei diesen sozialen Auseinandersetzungen 846 Menschen.
Im Mittelpunkt der bürgerlichen Betrachtung des „arabischen Frühlings“ in Ägypten stehen die klassenübergreifende Straßenbewegung und sein zentraler Ort, der Tahrir-Platz in Kairo. SozialrevolutionärInnen müssen stattdessen immer die bedeutende Rolle des proletarischen Klassenkampfes beim Sturz Mubaraks betonen. Wie wir schon weiter oben schrieben, ist der Höhepunkt einer sozialen Straßenbewegung der massenhafte Streik der ArbeiterInnenklasse. Das lohnabhängige Proletariat legt die Arbeit nieder und demonstriert auf den öffentlichen Straßen und Plätzen seinen sozialen Widerstand. So war es auch in Ägypten. Gewaltige Massenstreiks, die sich von den Textilfabriken im Nildelta über die Fabriken des Militärs bis zum öffentlichen Dienst erstreckten, zeigten dem Militär deutlich, dass Mubarak gegen das klassenkämpferische Proletariat nicht mehr zu halten war und so setzten sie ihn ab, um das ägyptische Nationalkapital zu retten. Das Militär spielte übrigens schon zur Mubarak-Zeit eine wichtige Rolle in der ägyptischen Wirtschaft. Wir können geradezu von einem Militärkapitalismus in Ägypten sprechen. So besaß und besitzt das ägyptische Militär unter anderem Hotels, Bäckereien und Autofabriken. Um das Nationalkapital im Allgemeinen und sein Besitz im Besonderen gegen das klassenkämpferische Proletariat zu schützen, übernahm das Militär in Form eines Militärrates die unmittelbare politische Herrschaft in Ägypten.
Und das Proletariat? Sowohl innerhalb der klassenübergreifenden Straßenbewegung als auch im proletarischen Klassenkampf gegen das Mubarak-Regime kämpften die Lohnabhängigen vor allem für ihre sozialen Interessen – wenn auch stark belastet mit großen Illusionen und politideologisch stark entfremdet. Viele Menschen in Ägypten reagierten ihre soziale Wut an der regierenden Charaktermaske Mubarak ab, dachten, wenn er weg ist, würde quasi automatisch ein schöneres Leben beginnen. Dass die soziale Befreiung einen konsequenten Kampf gegen das gesamte ägyptische Nationalkapital erfordert, das war nur einer kleinen revolutionären Minderheit in und außerhalb Ägyptens bewusst. So bestand zwar objektiv eine revolutionäre Situation in Ägypten – das Nationalkapital konnte mit den alten politischen Methoden nicht mehr die Ausbeutung des Proletariats organisieren. Doch das Bewusstsein des Proletariats war reproduktiv, es war bereit innerhalb einer klassenübergreifenden Straßenbewegung und auch auf proletarischer Klassenbasis in Form von Streiks für ein besseres Leben zu kämpfen – aber noch innerhalb der kapitalistischen Warenproduktion und des Staates. Vor und während des „arabischen Frühlings“ war das Proletariat in Ägypten sehr klassenkämpferisch, es hat sich aber noch nicht zu einem sozialrevolutionären Sein und Bewusstsein hin gekämpft. Diese Möglichkeit besteht noch, aber der Weg dorthin wird hart und steinig sein.
Der demokratische Nationalpazifist Jürgen Todenhöfer, der an den Straßendemonstrationen gegen Mubarak in Kairo teilgenommen hatte, gibt uns einen kleinen Einblick – wenn auch einen ideologisch stark entfremdeten – in das widersprüchliche proletarisch-kleinbürgerliche Bewusstsein während des „arabischen Frühlings“ in Ägypten:
„Am Tag nach Mubaraks Rücktritt frage ich ein Dutzend junger Ägypter, was die Revolution ihnen persönlich bringen werde. Alle sind überzeugt, dass sich ihr Einkommen innerhalb des nächsten Jahres verdoppeln oder verdreifachen werde. Dass sie bald eine viel größere Wohnung haben werden als jetzt. Dass alles besser und schöner werde.
Alle setzen Demokratie mit Wohlstand gleich. Alle glauben, dass beides sehr schnell kommen werde. Ich habe nicht widersprochen. Obwohl jede demokratische Regierung schon aufgrund dieser riesigen Erwartungen vor fast unlösbaren Aufgaben stehen wird.“ (Jürgen Todenhöfer, Du sollst nicht töten. Mein Traum vom Frieden, Bertelsmann Verlag, München 2013, S. 147.)
Genau das waren und sind die proletarischen Illusionen in die Demokratie – nicht nur in Ägypten: Viele Klassengeschwister weltweit glauben noch immer, dass Demokratie mehr wäre als eine herrschaftstechnokratische Form des Kapitals, um die Ausbeutung des Proletariats zu organisieren. Doch die Demokratie hat vor allem eins zu organisieren, nämlich dass proletarisches Elend den Reichtum des Nationalkapitals produziert. Diese demokratischen Illusionen des Proletariats, in denen die sozialen Bedürfnisse politideologisch entfremdet zum Ausdruck kamen, mussten mit den Zielen und Formen der wirklichen Demokratie als kapitalistischer Diktatur in Form von Klassenkämpfen aufeinanderprallen. Diese Klassenkämpfe gehen mit der Möglichkeit schwanger, dass die ProletarierInnen irgendwann nicht mehr für ihre Illusionen in die demokratische Staatsform, sondern prinzipiell gegen alle Staatsformen kämpfen. Eine internationale Föderation sozialrevolutionärer Gruppen muss sowohl in Ägypten als auch weltweit für diese Perspektive kämpfen. In diesem Kampf sind nicht nur die bewaffneten Schlächter der Weltbourgeoisie unsere KlassenfeindInnen, sondern auch nationalpazifistische DemokratInnen wie Todenhöfer, die mit dem Ideal der Demokratie der wirklichen Demokratie als mit Schmutz und Blut besudelter Herrschaftstechnik der Bourgeoisie dienen, und die mit ihrer Nebelproduktion weiterhin der proletarischen Klarheit im Wege stehen. Die einen bürgerlichen Frieden predigen, der in der kapitalistischen Wirklichkeit nichts anderes sein kann als die nichtmilitärische Form des Krieges um Profit, in der die Bourgeoisie massenhaft das Glück, die Gesundheit und das Leben von ProletarierInnen auf das Spiel setzt. Militärischer Frieden zwischen Nationalstaaten ist nichts anderes als eine besondere Form des kapitalistischen Krieges gegen das Proletariat.
Und auch das ägyptische Nationalkapital führte seinen Klassenkrieg gegen das Proletariat fort. Zunächst nicht in Form einer demokratischen und frei gewählten Regierung, sondern in Form einer Militärdiktatur, die den Übergang zum demokratisch gewählten Mursi-Regime organisierte, bevor auch dieses vom Militär wieder weggeputscht wurde. Beschreiben wir diese Entwicklung etwas ausführlicher. Das Militärregime nach dem Sturz Mubaraks geriet sowohl mit der klassenübergreifenden Straßenbewegung als auch mit dem klassenkämpferischen Proletariat aneinander. So verschärfte der regierende Militärrat die Notstandsgesetzte aus der Zeit Mubaraks. Am 31. Mai 2012 hob das Militärregime die Notstandsgesetze offiziell auf, doch deren wichtigsten repressiven Bestimmungen wurden nur in neue juristische Formen überführt. So gingen die klassenübergreifenden Straßenbewegungen gegen den regierenden Militärrat weiter, auf den es immer wieder zu militanten Kämpfen zwischen Demonstrierenden und den staatlichen Repressionsorganen kam. Und auch das Proletariat führte unter der unmittelbaren politischen Herrschaft des Militärs seinen sozialen Klassenkampf fort.
Doch das Militärregime blieb nicht unmittelbar an der Macht. Es organisierte demokratische Wahlen, von denen die IslamistInnen am meisten profitierten. Schon bei den Parlamentswahlen vom 28 November 2011 bis zum Januar 2012 zeichnete sich ab, dass die IslamistInnen für eine gewisse Zeit zu den politischen Hauptgewinnern des „arabischen Frühlings“ in Ägypten zählen würden. So gewannen die islamistischen Parteien zusammen mehr als 70 Prozent der Stimmen. Wahlgewinner waren die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, der politische Arm der Muslimbruderschaft, und deren Bündnispartner in der Demokratischen Allianz. Bei den Präsidentschaftswahlen im Mai und Juni 2012 setzte sich der Kandidat der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, Mohammed Mursi, mit 51,7 Prozent der Stimmen durch. Nun gab es auf der politischen Bühne Ägyptens sowohl die Kooperation als auch die Konkurrenz zwischen politischer Regierung und Militärführung zu sehen. Dies war die politische Widerspiegelung des sozialökonomischen Konkurrenzkampfes zwischen dem Militärkapital und einer islamistischen Bourgeoisie.
Das Mursi-Regime betrieb die Islamisierung Ägyptens voran – gegen eine politische Opposition aus Liberalen, NationalistInnen und Linken. „Doch die Stimmung kippte. Erst im Dezember 2012 hatte Mursi eine neue Verfassung durch die Institutionen gepeitscht und das Dokument per Referendum von Ägyptens Bevölkerung absegnen lassen. Die ,Partei für Freiheit und Gerechtigkeit‘ (FJP), der politische Arm der Bruderschaft, und die salafistische Partei ,Das Licht‘ hatten in der damaligen verfassungsgebenden Versammlung über eine absolute Mehrheit verfügt und trotz breiter Proteste der Opposition eine religiöse Prägung ihres Entwurfs durchgesetzt. Von den darauffolgenden Unruhen im Land im Dezember 2012 sollte sich der damals schon angezählte Präsident nicht mehr erholen. Mursi hatte mit seiner Kompromisslosigkeit endgültig sämtliche politische Kräfte gegen sich aufgebracht. Im April 2013 lancierten aus der Mittelschicht stammende Gegner von Bruderschaft und Präsident die Kampagne ,Tamarud‘, was im Arabischen für Rebellion steht – eine Unterschriftensammlung für Mursis Absetzung und vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Dem schlossen sich Parteien und Menschenrechtsgruppen an und formierten eine breite politische Front gegen die Regierung“ (Sofian Philip Naceur, Aufstieg und Sturz der Muslimbrüder, in: junge Welt vom 2. Januar 2014, S. 7.) Aber eine „breite politische Front“ kann nur den Staat auf erneuerter Grundlage – mit neuen Gesichtern als deren politischen ManagerInnen – reproduzieren und damit die Ausbeutung des Proletariats durch das Kapital.
Doch die Muslimbruderschaft betrieb nicht nur die Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft voran, sondern führte auch vor allem den Klassenkampf von oben gegen das Proletariat. Dass musste sie auch, denn jetzt managte sie politisch den ideellen Gesamtkapitalisten. Das Proletariat wehrte sich dagegen in Form des Klassenkampfes. So verwob sich auch während der politischen Herrschaft der Muslimbrüder die politische Instrumentalisierung von Teilen des Proletariats durch die politische Opposition mit dem eigenständigen Klassenkampf der Lohnabhängigen im Produktionsprozess.
Raoul Rigault schrieb über die Verschärfung des proletarischen Klassenkampfes Ende 2012 in Ägypten:
„Neuesten Erhebungen des Egyptian Center for Economic and Social Rights (CESR) zufolge gab es allein in der ersten Septemberhälfte (2012) 300 betriebliche Proteste. Das ist der höchste Wert seit Jahresbeginn. Hintergrund sind vor allem Forderungen nach höheren Löhnen, besseren Bedingungen, langfristigen Verträgen sowie die Rehabilitierung und Wiedereinstellung von Kollegen, die im Laufe vergangener Aktionen entlassen oder vor Gericht gestellt wurden. Die meisten Arbeitsniederlegungen gab es mit 131 im öffentlichen Dienst, gefolgt von der Industrie (61), Schulen (41), Universitäten (21), Transportwesen (11) und den Krankenhäusern (10). Doch selbst Teile der Polizei und Imame von Moscheen waren nicht immun.
Nach Einschätzung des Vorstandsvorsitzenden der Textilholding Arafa, Alaa Arafa, handelt es sich um eine Form von ,sozialer Rache‘. Die vielen wilden Streiks seien ,sehr störend fürs Geschäft‘ und schadeten Ägyptens Reputation als sicherer Ort für Investitionen. ,Wir brauchen irgendeine Art von Kommunikation mit den Arbeitern. Wir müssen die Ausstände regulieren‘, meint der Konzernchef. Diese Ansicht teilt inzwischen die regierende Moslembruderschaft. Dass auch die Nasr Company, ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftsimperiums der Armee, bestreikt wird, dürfte diese Erkenntnis befördert haben. Die Belegschaften des sieben Fabriken umfassenden Konglomerats fordern zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die Absetzung des Firmendirektors Generalmajor Mounir Labib sowie aller anderen Offiziere und Managerposten.
Während die Regierung an einem Gesetzentwurf zur Regulierung des Streikrechts arbeitet, legen die ausführenden Organe bereits heute kräftig Hand an. Nach einem Anfang Oktober veröffentlichten Bericht der beiden unabhängigen Gewerkschaftsbünde EFITU und EDLC über die Repression ,greift die Regierung auf dieselben Taktiken zurück wie das alte Regime‘. 32 ihrer Kader wurden wegen der Organisierung von Streiks angeklagt und fünf weitere bereits zu drei bis fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Zahl derjenigen, gegen die ermittelt wurde, geht in die Hunderte.
Doch auch von den Unternehmen bezahlte Schlägertrupps und die berüchtigte Bereitschaftspolizei kommen zum Einsatz, wie unter anderem die Kairoer Busfahrer Mitte September erfahren mussten. ,Streik stellt bislang kein Verbrechen dar‘, erklärt ihr Anführer Tarek Al-Beheiry, der drei Tage lang inhaftiert wurde. ,Aber das Wort ist im offiziellen Sprachgebrauch zu einem Synonym für selbstsüchtiges und fehlgeleitetes Verhalten geworden, das zur Zerstörung des Staates führt.‘
Einschüchtern lassen sich die Betroffenen davon immer weniger. Das bewiesen Ende Oktober Hunderte Hafenarbeiter, die in einen zweiwöchigen Ausstand in dem nahe Suez gelegenen Touristengebiet Ain Sukhna traten. Indem sie einen der wichtigsten Häfen des Landes lahmlegten, zwangen sie den in Dubai beheimateten Hafenbetreiber DP World dazu, acht entlassene Kollegen wieder einzustellen. Der Kairoer Professor für Arbeiterrecht und ehemalige Arbeitsminister Ahmed Hassan Al Boraj warnte angesichts der sich zuspitzenden Entwicklung auf einer Konferenz des Nationalen Wettbewerbsrates ENCC vor einer drohenden sozialen Revolution: ,Ich habe schon vor einiger Zeit gesagt, dass die durch die Gewaltanwendung gegen streikende Arbeiter verursachte soziale Unruhe eines Tages eskalieren und zu einem Feuer werden könnte, das nicht mehr zu löschen ist.‘“ (Raoul Riggault, Streikwelle am Nil, in: junge Welt vom 6. November 2012, S. 15.)
Als sich die soziale Wut der ArbeiterInnen und KleinbürgerInnen auf das Regime der Muslimbrüder enorm steigerte und sich Ende Juni 2013 in einer gewaltigen Straßenbewegung Ausdruck verschaffte, sah das Militär wieder einmal seine Zeit gekommen, um in die sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen. Die Muslimbruderschaft war außerstande weiterhin erfolgreich den Klassenkampf von oben zu führen. Ihr instabiles Regime gefährdete das gesamte ägyptische Nationalkapital. Um diesem wieder die nötige Stabilität zu verleihen, und auch um einen politischen Konkurrenten loszuwerden, stürzte das Militär am 3. Juli das Mursi-Regime. Seit diesem Sturz tobt der blutige Machtkampf zwischen Militär und Muslimbruderschaft. Beiden Kräften gelingt es in dieser innerkapitalistischen Auseinandersetzung massenhaft sich auf KleinbürgerInnen und ProletarierInnen zu stützen, die in einem Kampf für kapitalistische Interessen verheizt werden. Große Teile der ehemaligen politischen Opposition gegen das Regime der Muslimbruderschaft – also der NationalistInnen, Liberalen und Linken –unterstützten im innerkapitalistischen Machtkampf das Militär gegen die IslamistInnen. Doch die internationale politische Linke ist ja dafür bekannt, dass sie das Proletariat für innerkapitalistische Konflikte mobilisiert und damit ein struktureller Klassenfeind des Proletariats ist.
Aber auch der proletarische Klassenkampf für eigene Ziele geht weiter. Denn auch in Ägypten gilt die allgemeine Notwendigkeit des Kapitalismus: Die Regierungen kommen und gehen, doch die ArbeiterInnen werden ausgebeutet. Sie müssen sich wehren, um ihre elementarsten Bedürfnisse befriedigen zu können. Deshalb sieht sich auch jede Regierung mit dem proletarischen Klassenkampf konfrontiert, der mal stärker, mal schwächer, mal offen, mal versteckt geführt wird, aber niemals ganz erlischt. Das Proletariat Ägyptens ist sehr klassenkämpferisch. Weder die Militärs noch die Muslimbruderschaft konnten die sozialen Bedürfnisse des Proletariats erfüllen – und es gelang ihnen auch nicht den Klassenkampf in Repression zu ersticken.
Gerrit Hoekman beschrieb den Klassenkampf der TextilarbeiterInnen nach dem Sturz der Muslimbruderschaft:
„Die Textilarbeiter der ägyptischen Stadt Al-Mahalla sind für ihren Kampfgeist bekannt. Hier begann im April 2008 der größte Generalstreik in der 30jährigen Ära Hosni Mubarak. Viele Ägypter zeigten sich damals solidarisch mit den streitbaren Malochern aus dem Nildelta. Auf den Straßen lieferten sich Demonstranten heftige Straßenschlachten mit der Polizei. Der Ausstand gilt in Ägypten als Anfang vom Ende der Herrschaft Mubaraks, die am 25. Januar 2011 endete.
Seit Montag (26. August 2013) streiken die Arbeiter von Al-Mahalla wieder. 10 000 Beschäftigte der ,Ghazl Al Mahalla‘, der mit insgesamt 24 000 Arbeitern größten Textilfabrik des Landes, erscheinen nicht mehr am Arbeitsplatz. Der Grund: Die Firma, die sich im Staatsbesitz befindet, hat ihnen erst die Hälfte der ihnen zustehenden Gewinnbeteiligung ausgezahlt. Es geht dabei um einen Bonus, der dem Lohn von anderthalb Monaten Arbeit entspricht. Eigentlich sollten sie den Betrag Anfang des Monats in der Lohntüte haben, doch der Staat hat angeblich kein Geld. ,Das Finanzministerium hat die Zahlung aufgrund der momentanen ökonomischen Situation verschoben‘, erklärte ein Vertreter der Firmenleitung in der großen Tageszeitung Al Ahram aus Kairo. ,Ich kann nicht genau sagen, wann das Geld verfügbar ist, aber es wird nicht länger als ein paar Tage dauern.‘
Doch die Arbeiter wollen sich nicht mehr vertrösten lassen. Bereits vor vier Wochen haben sie gestreikt, und kehrten erst an die Maschinen zurück, als die Fabrik die Zahlung zusicherte. Doch bis jetzt haben sie nur 50 Prozent ihrer Forderungen erhalten. Deshalb wird auch der Ruf nach einer Absetzung von Firmenchef Fuad Abd Al-Alim lauter. Auch den Betriebsrat, der aus Mitgliedern einer staatlichen Gewerkschaft besteht, wollen die Streikenden auflösen. Die Arbeitervertreter hätten sich mehr für die Interessen des Managements eingesetzt, als für die Belegschaft.
Fabrikchef Abd Al Alim war bereits kurz nach dem Sturz Mubaraks im Januar 2011 seines Postens enthoben worden, wurde jedoch später durch die Regierung wieder eingesetzt. Angeblich soll er sich einen großen Teil der Gewinne in die eigene Tasche gesteckt haben. ,Die Entlassung von Fuad Abd Al-Alim ist eine wesentliche Forderung. Wir kennen ihn nur zu gut. Der Betrieb wird nicht florieren, solange er auf seinem Posten bleibt‘, zitiert Al Ahram den in Arbeitskämpfen erfahrenen Streikführer Kamal Al-Fayumi. Die Firmenspitze will von einer Absetzung allerdings nichts wissen: ,Es ist nicht die Aufgabe der Arbeiter darüber zu entscheiden, wer zurücktreten soll, das ist die Verantwortung des Staats.‘
Al Ahram berichtet, dass die Beschäftigten und der Militärgouverneur von Al Mahalla als Vertreter der Regierung inzwischen Verhandlungen aufgenommen haben. Gleichzeitig berichten Arbeiter am Dienstag (27. August 2013) auf der Internetseite ,MENA Solidarity‘, dass die Armee in der Umgebung der Fabrik Panzer aufgefahren habe.
Der Staatskonzern schreibt seit geraumer Zeit rote Zahlen, jeden Monat fast vier Millionen Euro, heißt es bei Al Ahram. Die Produktion steht oft still, weil die Fabrik nur noch knapp die Hälfte ihres Bedarfs an Baumwolle auf dem ägyptischen Markt decken kann. Nachdem die Übergangsregierung im Oktober 2011 die Einfuhr ausländischer Baumwolle unterbunden hat, um die Bauern im eigenen Land zu schützen, sind die Preise enorm gestiegen. Die Produktionskosten für die Textilindustrie sind inzwischen so hoch, dass ägyptische Kleidung auf dem Weltmarkt nicht mehr gegen die in Asien hergestellten Billigprodukte mithalten kann, berichtet der ,Gesamtverband der deutschen Maschenindustrie‘. Das ist erheblicher gesellschaftlicher Sprengstoff, denn immerhin arbeitet rund ein Drittel der Ägypter in der Textilindustrie. Doch der Industriezweig – Ägyptens ganzer Stolz – ist seit langem auf dem absteigenden Ast. Es gab Zeiten, da hatte ,Ghazl Al –Mahalla‘ 100 000 Beschäftigte.“ (Gerit Hoeckmann, Nicht mehr vertrösten lassen, in: junge Welt vom 29. August 2013, S. 6.)
Einen Eindruck von der Militanz des Klassenkampfes in Ägypten vermittelt auch folgender Zeitungsartikel: „Am Freitag (1. November 2013) haben in Giza, einem Stadtteil der ägyptischen Hauptstadt Kairo, mehrere entlassene Hotelmitarbeiter mit Gewalt versucht, an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Website des staatlichen Fernsehens meldete, die Arbeiter hätten dabei auch mehrere Schüsse auf das Hotel an der Pyramidenstraße abgegeben. Verletzt worden sei niemand. Wegen der gesunkenen Urlauberzahlen haben zahlreiche Tourismusbetriebe Angestellte entlassen.“ (Ägypten: Arbeiter schießen auf Hotel, in: junge Welt vom 2./3. November 2013, S. 7.) TouristInnen blieben vor allem wegen dem blutigen innerkapitalistischen Konflikt zwischen Militär und Muslimbruderschaft aus, der unter anderem vom Tourismusproletariat mit Arbeitslosigkeit bezahlt wird. So haben zwischen dem Sturz Mubaraks und Ende 2013 40 Prozent der Beschäftigten in der Tourismusbranche ihren Arbeitsplatz verloren.

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https://swiderstand.blackblogs.org/2014/02/20/neue-broschuere-globale-klassenkaempfe-2008-2013/feed/ 2
Gelungene Demokratisierung in Südafrika – Das ANC-Regime gegen das Proletariat https://swiderstand.blackblogs.org/2013/01/10/gelungene-demokratisierung-in-suedafrika-das-anc-regime-gegen-das-proletariat/ https://swiderstand.blackblogs.org/2013/01/10/gelungene-demokratisierung-in-suedafrika-das-anc-regime-gegen-das-proletariat/#respond Wed, 09 Jan 2013 23:48:30 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=50 Wir veröffentlichen hier einen Auszug aus der Broschüre „Schriften zum Klassenkampf I“ über die Entwicklung und Entstehung des ANC-Regimes in Südafrika. Die Broschüre könnt Ihr für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

reteStreikende Minenarbeiter in Südafrika. Oktober 2012
2012 ging das ANC-Regime gegen das klassenkämpferische Proletariat Südafrikas mit nackter Gewalt vor. Der schwarze Nationalismus hat bei der Kontinuität des sozialen Elends beim Proletariat an sozialdemagogischer Macht verloren. Diese sozialdemagogische Macht hat auch die globale politische Linke mit ihren Phrasen von der „nationalen Befreiung“ mit produziert. Sie hat also auch den brutalen Terror des ANC-Regimes mit vorbereitet, indem sie das Weltproletariat ideologisch gegenüber dem ANC-Regime entwaffnet hatte. Ein weiteres schmutziges Kapitel in der Geschichte der total sozialreaktionären politischen Linken.

Von der Apartheid zum ANC-Regime

Die Apartheid war ein extrem unflexibles und brutales Herrschaftssystem. Es basierte auf der sozialen Überausbeutung des schwarzen Proletariats. Seit 1948 war der Rassismus in Südafrika ideologisch und praktisch Staatsdoktrin in Südafrika, der in der regierenden Nationalen Partei der weißen Bourgeoisie seinen politischen Ausdruck fand. „Rassentrennung“ war das A und das O des Apartheidregimes.
SozialrevolutionärInnen kritisierten und kritisieren sowohl den Rassismus der unterdrückenden Nationen als auch den Nationalismus der unterdrückten Nationen. Denn beide spalten das Weltproletariat an Hand nationaler und rassistischer Linien. Die Apartheid bezweckte weiße ArbeiterInnen in den südafrikanischen Kapitalismus einzubinden und das schwarze Proletariat einem extremen Ausbeutungsregime zu unterwerfen. Die schwarzen NationalistInnen bestanden auch in Südafrika aus der intellektuellen Elite. Diese Elite hatte schon damals nicht die gleichen Interessen wie die schwarzen ProletarierInnen. Deshalb war auch am Anfang der 1912 gegründete ANC vom Proletariat sozial getrennt. Nur durch die Bürokratie der südafrikanischen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung gelang es dem ANC ideologischen Einfluss auf das schwarze Proletariat zu gewinnen, wie wir weiter unten noch ausführlicher analysieren werden. Die schwarzen NationalistInnen des ANC gingen im Jahre 1960, nach dem Massaker weißer rassistischer Bullen an friedlich protestierenden Schwarzen, in den bewaffneten Kampf gegen die Apartheid.
Doch neben dem ANC entwickelten sich auch in Südafrika die soziale Straßenbewegung der schwarzen SchülerInnen und StudentInnen und der Klassenkampf des Proletariats. Mit letzterem werden wir uns weiter unten ausführlicher beschäftigen. Die soziale Straßenbewegung der schwarzen SchülerInnen und StudentInnen erreichte im SchülerInnenaufstand von Soweto 1976 ihren Höhepunkt, der vom Apartheidregime ultrarepressiv niedergeschlagen wurde. Seit dieser Zeit gab es aber für das rassistische Regime keine Ruhe mehr.
Die massiven „Rassenunruhen“ und Klassenkämpfe in Südafrika waren so gar nicht nach dem Geschmack der Weltbourgeoisie. Schließlich war Südafrika eine wichtige Rohstoffquelle. Also übte sie über ihre politisch-ideologischen Kanäle Druck auf das Apartheid-Regime aus, damit es mit den schwarzen NationalistInnen zu Beginn der 1990er Jahre zu verhandeln begann. Das Ergebnis der globalen Diplomatie und der Gespräche zwischen weißen RaissistInnen und schwarzen NationalistInnen: Die „nationale Befreiungsbewegung“ ANC ist seit 1994 Regierungspartei. Während das neue Regime die soziale Ausbeutung reproduzierte, bildete sich um den ANC herum eine schwarze Bourgeoisie heraus. Das war und ist auch der Sinn von „nationaler Befreiung“, nämlich dass die Elite einer unterdrückten Nation, sei es nun eine Bourgeoisie oder eine marxistisch-leninistische Parteibürokratie, sich von der Elite einer unterdrückenden Nation befreit um die nationale Lohnarbeit ausbeuten zu können. Gleichzeitig war und ist das ANC-Regime eine Stütze des Weltkapitals bei der Befriedigung von dessen Hunger nach Rohstoffen. Der ANC-Bulle sollte jetzt für Ruhe sorgen, nachdem der weiße Apartheid-Büttel so schmählich versagt hatte. Das neue Regime war kein Erfolg des proletarischen Klassenkampfes, sondern eine sozialreaktionäre Antwort des Kapitals auf diesen.
Kein Wunder, dass nicht wenige bürgerliche Intellektuelle, die in ihrer übergroßen Mehrheit Parteigänger der Kapitalvermehrung in der einen oder anderen Form sind, vor dem ANC-Regime schweifwedelten. So schrieb Christoph Marx in seiner Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2004, über die Transformation von der Apartheid zum ANC-Regime als einer „geglückten Demokratisierung“. (S. 323-326.) Recht hat er. Während in der Apartheid die schwarzen ArbeiterInnen nicht wählen durften, dürfen sie jetzt ANC-Bonzen in freien Wahlen ermächtigen, ihre Ausbeutung zu organisieren. Geglückter kann eine Demokratisierung nicht sein! Durch die kleinbürgerlichen Illusionen vieler proletarisierter Menschen in Südafrika in den ANC, konnte dieser auch eine Weile wesentlich erfolgreicher als die Apartheid das soziale Elend verwalten. Doch im Jahre 2012 musste auch das ANC-Regime durch brutalen Terror gegen das klassenkämpferische Proletariat offen sein sozialreaktionäres Gesicht zeigen.
Aber auch etwas linkere Intellektuelle waren nicht allzu kritisch gegenüber dem ANC-Regime. So gaben die linken Intellektuellen Jens Erik Ambacher und Romin Khan noch im Jahre 2010 im Verlag Assoziation A ein Buch unter dem Titel Südafrika. Die Grenzen der Befreiung heraus. Welche Befreiung?! Die „nationale Befreiung“ in Südafrika reproduzierte mal wieder die soziale Unfreiheit des Proletariats.

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und das Proletariat in Südafrika

In diesem Kapitel wollen wir das Verhältnis zwischen den bedeutendsten Kräften der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (besonders COSATU und der Südafrikanischen „K“P [SA„C“P]) und dem klassenkämpferischen Proletariat sowohl während der Apartheid als auch zurzeit des ANC-Regimes vor dem brutalem Massaker im August 2012 untersuchen. Bei dieser Untersuchung werden wir zahlreiche kleinbürgerliche Intellektuelle als Lautsprecher der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung Südafrikas zitieren, um zu belegen, dass große Teile der kleinbürgerlichen politischen Linken das Massaker am Proletariat ideologisch mit vorbereiteten, indem sie das Weltproletariat gegenüber dem ANC-Regime mit zu entwaffnen halfen.
…..
Im ANC-Regime ist die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (der größten Gewerkschaftsverband COSATU und die Südafrikanische „K“P [SA„C“P]) in Form einer Dreierallianz in das ANC-Regime eingebunden. Schauen wir uns zuerst das schmutzige Treiben des südafrikanischen Partei-„Kommunismus“ als verlängerter Arm des ANC-Regimes etwas genauer an. Als Anschauungsmaterial soll uns Roswitha Reichs Artikel über „Südafrikas Kommunisten“ in der jungen Welt vom 30. Juli 2001 dienen. Die Dame war natürlich eine absolute Kopflangerin des ANC-Regimes und der SA„C“P. Reich schrieb: „Südafrikas Kommunisten sind heute über die Allianz mit dem Afrikanischen Nationalkongress (den ANC, Anmerkung von Nelke) in der Regierungsverantwortung. Immer in vorderster Kampffront gegen Rassismus und Apartheid leisteten sie einen großen Beitrag zur Umwandlung Südafrikas in einen demokratischen Staat. Vor allem in den Jahren des Befreiungskampfes von 1960 bis zur demokratischen Wende 1990 gewann die Partei die Anerkennung des ANC und großer Teile der südafrikanischen Bevölkerung.“
Dieser kleine Abschnitt genügt für SozialrevolutionärInnen, um zu sehen, dass die Südafrikanische „Kommunistische“ Partei (SA„C“P) eine typisch bürgerlich-demokratische Partei ist. Dazu ist noch nicht mal die konsequente Ablehnung der Parteiorganisation notwendig. Diese materialistische Feststellung ist auch keine moralische Abwertung des persönlichen Mutes vieler KommunistInnen während der rassistischen Apartheid-Ära. Nur, der Sinn einer kommunistischen Organisation besteht darin, für die klassenlose Gesellschaft zu kämpfen. Der ANC, mit dem die KP verbündet ist, ersetzte aber nur eine schwarz-weiße Elite an Stelle der früheren rassenreinen weißen Elite. Die kapitalistische Ausbeutung von Lohnarbeit geht weiter. Südafrika ist jetzt ein demokratischer Staat, so demokratisch wie die Bonzenrepublik Deutschland. Und die südafrikanische „K“P gestaltet diese Demokratie mit, wie die Linkspartei in Deutschland.
Wo ist da der Kommunismus? Nach dem Fahrplan der marxistisch-leninistischen LokomotivführerInnen ist dieser erst mal nicht vorgesehen. Was aber dann? Roswitha Reich klärt uns auf: „Auf der Tagesordnung stand die Transformation in einen nichtrassistischen Kapitalismus, nicht etwa die Umwandlung zum Sozialismus. Die Kommunisten nahmen (und nehmen) an diesem Versuch teil, um die soziale Lage der unterdrückten schwarzen Arbeiter, der arbeitslosen und landlosen Massen zu verbessern und gleichzeitig abzusichern, dass das System von Wirtschaft und Gesellschaft nicht zusammenbrach. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Allianz, geführt vom ANC mit der SACP (…) harte Zeiten auch von Konfrontation zu bestehen hatte und immer noch durchmacht.“ Dass „System von Wirtschaft und Gesellschaft“, was die SA„C“P so rührend vor dem Verfall rettet, ist übrigens eine Klassengesellschaft. Diese „KommunistInnen“ regieren sie mit, aber kümmern sich auch ein wenig um die soziale Lage der Ausgebeuteten.
Auch der verbale Einsatz für einen „nichtrassistischen Kapitalismus“ ist utopisch. In der sozialen Wirklichkeit der Klassengesellschaft lässt sich so etwas „schönes“ leider nicht verwirklichen. Rassistische Pogrome auch im ANC-Regime gegen ausländische ArbeiterInnen und MigrantInnen belegten dies inzwischen eindeutig. Dass sich der Partei-„Kommunismus“ opportunistisch an das bürgerliche Bewusstsein der Klasse in nichtrevolutionären Zeiten anpasst und die ParteibürokratInnen oft selbst bürgerliche SpießerInnen mit den unglaublichsten Vorurteilen sind, ist nichts Neues. Zu dieser permanenten Reproduktion bürgerlicher Ideologie durch den Partei-„Kommunismus“ gehört auch das Ausspielen der nationalistischen Karte. Die SA„C“P vertrat am Anfang einen weisen Rassismus, tauschte diesen aber später gegen einen schwarzen Nationalismus um.
Der Rassismus hatte übrigens in der südafrikanischen weißen ArbeiterInnenbewegung eine lange Tradition, wie Roswitha Reich berichtet: „Sozialistische und kommunistische Ideen wurden nach Südafrika hauptsächlich durch weiße, aus Großbritannien für die Goldbergwerke angeheuerte, hoch qualifizierte Bergbaufacharbeiter gebracht. Das war von Anfang an eine elitäre Arbeiterschaft, die sich weit über der Masse der schwarzen Arbeiter stehend wähnte. Sie kämpfte um soziale Rechte und Schutz vor Arbeitslosigkeit – für sich. Und sie setzte Regularien durch, die sicherstellten, dass fachlich anspruchsvolle Arbeiten und entsprechend höhere Löhne den Weißen vorbehalten blieben.
Aber auch die weißen Arbeiter mussten um ihre Löhne hart gegen die Bergwerkseigentümer kämpfen. Ihre Gewerkschaften vertraten radikale sozialistische Ideen, die aus der linken Labourbewegung kamen. (…)
Der Glaube an die weiße britische, den Schwarzen vermeintlich weit überlegene „Rasse“ war tief in dieser Elitearbeiterschaft verwurzelt, die im übrigen aus der Enttäuschung über den Opportunismus der Labour-Partei die Kommunistische Partei formte. Was für ein Widerspruch tat sich da auf: Die weißen Arbeiter kämpften für die sozialistische Eigentümerschaft an Produktionsmitteln auf Kosten der Unterdrückung der schwarzen Kollegen!
Das zeigte sich besonders drastisch während des großen Bergarbeiterstreiks von 1922. ,Arbeiter, vereint euch für ein weißes Südafrika‘, hieß es damals auch auf Spruchbändern der Kommunisten. Sympathiebekundungen für die Streikenden aus den Reihen der schwarzen Arbeiterschaft stießen bei der weißen Streikführung auf völliges Unverständnis. Als die schwarzen Arbeiter in Solidarität mit ihren weißen Kollegen ebenfalls die Arbeit niederzulegen begannen, holte die Streikleitung die Polizei und zwang die Klassengenossen weiter zu arbeiten. Der Streik wurde dann mit Militärgewalt vom Regime unterdrückt. David Ivon Jones und drei andere weiße Arbeiter wurden für diesen Streik zum Tode verurteilt und gehängt. Sie sangen das Lied von der Roten Fahne, als sie zum Galgen geführt wurden.“
Rassismus und Nationalismus sind die gefährlichsten bürgerlichen Ideologien innerhalb des Proletariats. Gegen diese müssen KommunistInnen permanent kämpfen – bis sie durch den gemeinsamen Klassenkampf des Weltproletariats überwunden werden. Übrigens ist das Eintreten für einen Staatskapitalismus und rassistische Vorurteile bei den ParteibürokratInnen kein Widerspruch: beides beruht auf der sozialen Deklassierung von Menschengruppen. Der weiße Rassismus wurde bekanntlich auch in der SA„C“P überwunden, doch leider nicht durch den sozialrevolutionären Antinationalismus, sondern vom leninistischen (schwarzen) Befreiungsnationalismus. Dieser war aber nur ein Übergangsstadium zur bürgerlichen Volksfrontpolitik heutiger Tage.
Roswitha Reich schrieb über diesen Prozess: „Nur langsam wuchs in der Kommunistischen Partei die Einsicht, das mit den entrechteten schwarzen Arbeitern eine Basis des Zusammengehens gefunden werden muss. Bill Andrews, ein weißer Bergmann, spielte dabei eine herausragende Rolle. Er wurde später Vorsitzende der Kommunistischen Partei und behielt diesen Posten bis zu seinem Tode nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Partei begann, schwarzen Arbeitern Lesen und Schreiben und dann in Abendschulungen politische Bildung zu vermitteln. Viele Veteranen des afrikanischen Nationalismus, die später bekannte ANC-Führer wurden, wie Moses Kotane oder J. B. Marks, haben über diese Kurse ihre erste Schulbildung erworben. Diese kostete sie im Gegensatz zu den Missionsschulen nichts, und sie war für erwachsene Arbeiter ausgelegt. Schon bald hatte die Partei mehr schwarze als weiße Mitglieder. Nun stießen Mitglieder der indischen Minorität zur Partei und nahmen dank ihrer meist guten Schulbildung rasch führende Positionen ein. Über die Zusammenarbeit weißer und schwarzer kommunistischer Arbeiter entstanden auch die ersten schwarzen, über viele Jahre illegalen Gewerkschaften.
Moses Kotane fühlte sich schon in den zwanziger Jahren von der Partei angezogen. Er sah aber klar, dass die Partei, wenn sie die Avantgarde der arbeitenden Klasse werden wollte, die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der schwarzen Arbeiter angehen müsse. Sie müsste den Massen der Arbeiterschaft, die ja schwarz waren, und nicht nur den wenigen weißen Arbeitern etwas Grundlegendes zu sagen haben. Kotane unterstrich die Notwendigkeit der nationalen Befreiung. Er schrieb 1934 dazu einen Brief an die Parteiführung, der als Brief aus Cradock (einer kleinen Stadt in der Ostkapprovinz) in die Parteigeschichte einging. Die Komintern empfahl der Kommunistischen Partei Südafrikas dringend, sich den Kampf für eine „schwarze Republik“ zum Ziel zu setzen und der Leninschen Analyse über den nationalen Befreiungskampf zu folgen.
Das führte zu harten Auseinandersetzungen mit denjenigen, die den Klassenkampf für wichtiger ansahen. Es gab eine Welle von Parteiausschlüssen und Austritten. Erst 1960, als die Partei bereits verboten war, definierte das Programm die Beendigung der nationalen Unterdrückung eindeutig als erste Etappe beim Aufbau des Sozialismus. Die Partei hatte sich dazu durchgerungen, dass die Wirklichkeit der nationalen Unterdrückung das Hauptelement bei der Ausbeutung der schwarzen Arbeiter und damit auch der hauptsächliche politische Widerspruch in Südafrika war.“
Was für ein Unsinn! Die „nationale Unterdrückung“ war „nur“ eine Verschleierung der sozialen Überausbeutung der schwarzen LohnsklavInnen. Die „schwarze Republik“, die ja jetzt dank der aktiven Mithilfe der „K“P-Bürokratie, ins Leben getreten ist, nutzt vor allen Dingen den schwarzen nationalistischen Eliten, die gemeinsam mit der vorwiegend weißen Bourgeoisie die weißen und schwarzen ArbeiterInnen ausbeutet. Die „K“P-Bürokratie ist Teil dieser Elite.
Roswitha Reichs Artikel entbehrt nicht der unfreiwilligen Komik. Während die „K“P zum linken Flügel der südafrikanischen Bourgeoisie wurde, hielt sie tapfer an ihrem Namen fest. Für Roswitha Reich ein Beispiel für Klassenbewusstsein. Sie schrieb: „Nach der ersten Parteikonferenz drehte sich die Debatte auch um den Namen der Partei. Noch immer auf der Linie europäischen Denkens beriet auch die südafrikanische Parteiführung darüber, ob man sich nicht demokratische Sozialisten nennen sollte. Die vielen neuen, jungen Mitglieder der Partei lehnten den Zusatz demokratisch kategorisch ab. Für die Generation des Soweto-Aufstandes von 1976 waren Kommunismus und Demokratie immer eine Einheit gewesen! Sie argumentierten, dass Kommunismus schon von seiner Natur her in einer Weise demokratisch sei, wie es der Kapitalismus als System niemals sein könne. Kommunismus, der nicht demokratisch sei, sei kein Kommunismus. Sie wollten den kapitalistischen Medien in Südafrika, die jetzt das Wort demokratisch gegen kommunistisch strapazieren, nicht erlauben, der Partei ihren Namen zu diktieren. Sie sahen in dem Vorschlag des ZK ein Zurückweichen vor der Bourgeoisie, ein Kleinbeigeben zugunsten des Klassenfeindes. So blieb der Name SACP unverändert bestehen.“
Die bürgerliche Politik der SA„C“P übrigens auch. Die Demokratie, welche die „K“P Südafrikas fleißig mitgestaltet, ist als kapitalistische Herrschaftsform das totale Gegenteil vom Kommunismus als klassen- und staatenloser Gesellschaft, für welche jedoch partei-„kommunistische“ Bonzen objektiv gar nicht kämpfen können.
…..
Der COSATU ist der größte Gewerkschaftsverband Südafrikas. Seine Bürokratie ist eine anerkannte Co-Managerin der südafrikanischen Bourgeoisie, so wie die DGB-Bonzen anerkannte Co-ManagerInnen der deutschen Bourgeoisie sind. Er kämpfte damals relativ radikal gegen das Apartheidregime, weil die rassistische Ausgrenzung kein Co-Management einer schwarzen Gewerkschaftsbürokratie zuließ. Diese relative Radikalität des COSATU, die einerseits Folge des Apartheidregimes und andererseits Ausdruck des klassenkämpferischen Druckes des Proletariats auf ihn war, erzeugte natürlich bei einigen linken Intellektuellen Illusionen in diesen Gewerkschaftsverband. Unter anderem auch bei Beverly J. Silver. Sie schrieb über den militanten Klassenkampf in der südafrikanischen Autoindustrie:
„Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre hatte das ausländische Kapital Südafrika noch gemieden. Damals hatten die nationalen Befreiungsbewegungen auf dem ganzen Kontinent ihre stärkste Phase. In Südafrika breiteten sich Massenproteste gegen die Apartheidgesetze aus, wobei es auch landesweite stayaways (,Fernbleibe-Aktionen‘), die in den Jahren 1957, 1958, 1960 und 1961 vom Südafrikanischen Gewerkschaftskongress (Sauth African Congress of Trade Unions, SACTU) organisiert wurden. Ende der sechziger Jahre flossen dann die ausländischen Investitionen, nachdem die Regierung der Nationalistischen Partei gezeigt hatte, dass sie die Opposition erfolgreich zerschlagen konnte, und repressive und rassistische Gesetze erlassen hatte, die einen stetigen Zufluss billiger Arbeitskräfte sicherten. (…)
Von 1965 bis 1969 flossen jährlich durchschnittlich 308 Millionen US-Dollar netto an ausländischem Kapital in das Land. Zwischen 1970 und 1976 stieg der Zufluss deutlich auf durchschnittlich eine Milliarde US-Dollar pro Jahr (…). Ein großer Teil des zugeflossenen Kapitals ging in die Automobilindustrie. Von 1967 bis 1975 wuchs sie um 10,3 Prozent jährlich (…).
Es entstand ein großes städtisches und schwarzes Proletariat, das sich vor allem aus angelernten Massenarbeitern und -arbeiterinnen zusammensetzte. Zwischen 1950 und 1975 verdoppelte sich die Zahl der in der verarbeitenden Industrie angestellten Schwarzen. Während aufgrund der Apartheidgesetze Fach- und Angestelltenarbeit den Weißen vorbehalten war, wurden die strategisch wichtigen, angelernten Arbeiten in der Produktion fast ausschließlich von Schwarzen ausgeführt.
(…) Dieses neue Proletariat (bildete) in den siebziger und achtziger Jahren das Rückgrat der Arbeitermilitanz. Die Streikwelle von 1973, die sich auf die Fabriken in Durban konzentrierte, zeigte an, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen veränderte. Ein Jahrzehnt relativer Ruhe im Klassenkampf war damit abrupt beendet. Die meisten dieser Streiks verliefen erfolgreich, und die Arbeiterinnen und Arbeiter erreichten erhebliche Lohnerhöhungen. Die Mitgliederzahlen in den neu gegründeten (illegalen) schwarzen Gewerkschaften stiegen erheblich. Aber weder der Staat noch die Arbeitgeber nahmen diese Erfolge der Arbeiter einfach hin.
Die Arbeitgeber wehrten sich die ganzen siebziger Jahre über vehement gegen eine Anerkennung der Gewerkschaften und wurden darin vom Staat unterstützt. Der Arbeitgeberverband der Metallindustrie riet seinen Mitgliedern, die Polizei zu rufen, ,wann immer Recht und Ordnung in Gefahr scheinen‘. (Gay W. Seidman, Manufacturing Militance: Workers Movements in Brazil and South Africa, 1970-1985, University of California, Berkeley 1994, S. 179.) Und tatsächlich wurde bei fast allen Auseinandersetzungen die Polizei gerufen, Streikende wurden verhaftet, Gewerkschaftsvertreter vom Firmengelände verwiesen, Arbeiter und Arbeiterinnen gefeuert und gezwungen, die städtischen Gebiete zu verlassen. Aber die Repression, die sich ,in der Vergangenheit als außerordentlich wirksames Mittel zur Verhinderung der Gründung schwarzer Gewerkschaften erwiesen hatte‘, konnte in den siebziger Jahren die unabhängigen Gewerkschaften nicht schwächen. (Mark Beittel, Labour Unrest in South Africa (unpublished manuscript), SUNY, Binghamton, NY 1989, S. 3.) (…)
Die Arbeiterbewegung überlebte nicht nur, sie zwang zudem die Regierung, ihre repressive Politik gegenüber der Arbeiterklasse zu überdenken. Gay Seidman (S. 185) hat darauf hingewiesen, dass ,die Streiks von 1979 in der Automobilindustrie am Ostkap den Staat endgültig dazu brachten, Gewerkschaften ohne Rassentrennung zuzulassen‘. Diese Streiks ,schienen eine neue und unkontrollierbare Streikwelle anzukündigen, die nur aufgehalten werden könne, indem den Gewerkschaften legale Artikulationsmöglichkeiten für die Forderungen der Arbeiter eingeräumt würden.‘
Auf die Legalisierung schwarzer Gewerkschaften im Jahr 1979 folgte die größte und längste Streikwelle in der Geschichte Südafrikas. Die Zahl der Abkommen über die Anerkennung von Gewerkschaften stieg von fünf im Jahr 1979 auf nicht weniger als 403 im Jahr 1983 (…). 1985 schlossen sich die unabhängigen Gewerkschaften zum Kongress der Gewerkschaften Südafrikas (Congress of South African Trade Unions, COSATU) zusammen, der Ende der achtziger Jahre als ,am schnellsten wachsende Gewerkschaftsbewegung der Welt‘ bezeichnet wurde. (Ingrid Obrery, COSATU Congress: „Unity in Diversity.“ Work in Progress (South Africa), 60, August/September 1989, S. 34.)
(…) (Es) demonstrierte die Streikwelle in Südafrika die enorme Produktionsmacht dieser neuen Arbeiterklasse, die sich in wirksamer Weise ihre Position innerhalb einer komplexen technischen Arbeitsteilung zunutze machte. Am deutlichsten zeigte sich diese Macht in der Automobilindustrie – im industriellen Klassenkrieg zu Beginn der achtziger Jahre kämpften die Automobilarbeiter an vorderster Front. (Anmerkung von Beverly J. Silver: Über eine große Produktionsmacht verfügten auch die Bergarbeiter, die in einer zunehmend mechanisierten Industrie beschäftigt waren und Mitte der achtziger Jahre die Führung der anhaltenden Welle von Arbeiterunruhen übernahmen.) Die Streiks in der südafrikanischen Metall- und Automobilindustrie waren zwischen 1979 und Anfang 1986 für dreißig Prozent der durch Streiks verlorenen Arbeitstage verantwortlich (…). Während einige der Streiks große Auseinandersetzungen mit tausenden Beteiligten waren (zum Beispiel 1980 bei Ford, VW, Datsun und BMW, 1981 bei Leyland und 1982 bei Ford und General Motors), nutzen andere unspektakuläre Taktiken zur Unterbrechung der Produktion, wie Langsamarbeiten und kleine, auf Schlüsselabteilungen beschränkte Streiks. Zum Beispiel legten im August 1984 bei Volkswagen nur die Arbeiter in der Lackiererei die Arbeit nieder, aber wegen der strategischen Bedeutung der Lackiererei innerhalb der Arbeitsteilung musste die gesamte Fabrik für fünf Tage schließen. Die Produktion wurde erst wieder aufgenommen, nachdem das Management den Forderungen der Gewerkschaft nachgegeben hatte (…). (Anmerkung von Beverly J. Silver: Die Macht der südafrikanischen Automobilarbeiter hing nicht nur mit ihrer strategischen Stellung innerhalb der technischen Arbeitsteilung der inländischen Automobilindustrie zusammen, sondern auch mit ihrer Position innerhalb der weltweiten Arbeitsorganisation der Konzerne, für die sie arbeiteten. Den Arbeitern und Arbeiterinnen in Südafrika gelang es oft, Druck auf das Management auszuüben, indem sie die Unterstützung von Metallgewerkschaften in den Ländern erhielten, in denen der Hauptsitz des Konzerns lag. Ford war zum Beispiel während des Streiks von 1979 und 1980 in der Fabrik in Port Elizabeth gezwungen Massenentlassungen zurückzunehmen und die Arbeiter und Arbeiterinnen wieder einzustellen, ,nachdem Ford (Detroit) nach dem Ansturm der US-Automobilgewerkschaften und schwarzer Politiker unter Druck geraten war‘. (Roger Southall, „Monopoly Capitalism and Industrial Unionism in the South African Motor Industry.“ Labour, Capital and Society 18 (2), November 1985, S. 317.) In diesem Fall entstand Organisationsmacht aus der weltweiten Konzentration/Zentralisation der Produktion (…).)
Die Streikbewegung war umso beeindruckender, als sie in Zeiten einer tiefen Rezession der Automobilindustrie und der gesamten Wirtschaft stattfand. (…) die Massenentlassungen (dämpften) die Arbeitermilitanz nicht. Sie führten lediglich dazu, dass Fragen der Arbeitsplatzsicherheit ein größeres Gewicht in den Streikforderungen bekamen und Streiks gegen Sparmaßnahmen alltäglich wurden. Zudem gelang es den neuen südafrikanischen Gewerkschaften (…) Vereinbarungen zu erzielen, nach denen die betrieblichen Vertrauensleute bei wichtigen Managemententscheidungen, einschließlich Einstellungen und Entlassungen, angehört werden müssen (…).
Die Erfahrungen der achtziger Jahre in Südafrika (…) stehen in scharfem Kontrast zu denen in den fünfziger und sechziger Jahren. Damals musste (…) eine militante Arbeiterbewegung (ohne starke Basis in den Betrieben) der staatlichen Repression nachgeben. In den achtziger Jahren dagegen fachten Verhaftungen und andere Repressionsformen die aufflammende Militanz noch an, statt sie zu ersticken. In einem Überblick über das Jahr 1988 listeten Obrery und Singh (Ingrid Obrery and Sharren Singh, „A Review of 1988: Labour.“ Work in Progress (South Africa), 56/57, November/Dezember 1988, S.37) die massiven staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter auf und schlussfolgerten: ,Wut und Kampfbereitschaft der Arbeiterbasis scheinen von den Jahren der Unterdrückung von Gewerkschaften und des Ausnahmezustands weitgehend unbeeindruckt zu sein.‘ Die Arbeiterbewegung konnte der Verfolgung von Anti-Apartheid-Aktivitäten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre besser standhalten als die politischen Gruppen und Nachbarschaftsinitiativen, mit denen sie verbunden war. COSATU sah sich plötzlich in die führende Rolle der Anti-Apartheid-Bewegung gedrängt und verband die Frage der nationalen Befreiung mit einer ,eindeutigen Klassenperspektive‘(…). (Anmerkung von Nelke: Hier reproduziert Silver die COSATU-Ideologieproduktion. Es ist unmöglich „nationale Befreiung“ mit einer eindeutigen proletarischen Klassenperspektive zu verbinden. Nationale Befreiung heißt Gründung eines neuen Staates, während die soziale Befreiung des Proletariats auf die Zerschlagung aller Staaten beruht. Klar, für die COSATU-Bürokratie lohnte sich die nationale Befreiung, weil sie zur Co-Managerin einer weiß-schwarzen Bourgeoisie werden konnte. Doch die schwarzen ArbeiterInnen dienten ANC, SA„C“P und COSATU nur als Manövriermasse auf dem Weg zur Macht.)
Da die Kontrolle über die Arbeiter mit der Repression nicht sichergestellt werden konnte, begann das Kapital, sich aus der südafrikanischen Automobilindustrie zurückzuziehen. Der Verkauf in Südafrika produzierter Automobile erreichte 1981 seinen Höhepunkt (…). Ende der achtziger Jahre hatten die multinationalen Automobilunternehmen ihr Kapital weitgehend abgezogen. (…) In den neunziger Jahren überschwemmten immer mehr im Ausland gebaute Automobile den südafrikanischen Markt und verdrängten Fahrzeuge aus inländischer Produktion.“ (Beverly J. Silver, Forces of Labour. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2005, S. 81-85.)
Wenn auch Frau Silver etwas unkritisch gegenüber den Gewerkschaften ist, gab sie uns doch einen interessanten Einblick in die militanten Klassenkämpfe in der späten Apartheid-Ära. Es wurde durch ihre Schilderung auch deutlich, warum große Teile der Weltbourgeoisie ein Interesse daran hatten, die Apartheid durch das ANC-Regime zu ersetzen. Ersteres war nicht mehr in der Lage das schwarze Proletariat niederzuhalten.
Untersuchen wir jetzt noch kurz den wichtigen Klassenkampf im Bergbau im Jahre 1948. Im Jahre 1941 entstand aus dem reproduktiven Klassenkampf der schwarzen BergarbeiterInnen die African Mine Worker‘s Union (AMWU). Damals betrug der Lohnunterschied zwischen schwarzen und weißen BergbauarbeiterInnen 1:12. Die AMWU organisierte am 4. August 1946 eine Versammlung der schwarzen Bergleute auf dem Market Square in Johannesburg. Diese Versammlung forderte für schwarze Bergleute einen Mindestlohn von zehn Schilling, was einem Rand entsprach, welcher heute zehn Eurocent entspricht. Außerdem wurde der Transvaal Chamber of Mines mit einem Generalstreik gedroht, wenn sie dieser Forderung nicht nachkäme. Doch das Kapital ignorierte diese Forderung des reproduktiven Klassenkampfes. Deshalb traten am 12. August 1948 zehntausende schwarze MinenarbeiterInnen in den Streik. Die weißen Bosse hetzten die schwarzen ArbeiterInnen mit scharfer Munition in die Minenschächte zurück. Gegen potenzielle Sympathiestreiks griff die Repression hart zu. Das Apartheid-Regime prügelte bis zum 16. August 1948 100 000 schwarze MinenarbeiterInnen zurück an ihre Ausbeutungsplätze. Neun Menschen wurden vom Regime getötet und hunderte GewerkschaftsführerInnen in den Knast geworfen. Der Streik endete in einer Niederlage, leistete aber einen wichtigen Beitrag bei der Radikalisierung des schwarzen Proletariats von Südafrika.
…..
Demokratie ist eine politische Herrschaftsform der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Die Apartheid-Demokratie war eine besonders rassistische Herrschaftsform der weißen Bourgeoisie gegen das weiße und schwarze Proletariat. Das weiße Proletariat wurde rassistisch-demokratisch eingebunden und das schwarze Proletariat rassistisch-undemokratisch besonders hart ausgebeutet und unterdrückt. Die Apartheid-Demokratie fiel dem Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und schwarzen Proletariat zum Opfer. ANC, COSATU und SA„C“P eroberten auf dem Rücken des schwarzen Proletariats die politische Macht. Die ANC-Demokratie war und ist eine Diktatur der weißen und der sich heraus entwickelnden schwarzen Bourgeoisie gegen das weiße und schwarze Proletariat. Im August 2012 zeigte die ANC-Demokratie offen ihre bluttriefende Fratze, nachdem sie tiefe Wunden in das klassenkämpferische Proletariat gebissen hatte (siehe dazu weiter unten mehr). Die Ereignisse zeigten auch, dass es zur Demokratie als kapitalistischer Diktatur nur eine Alternative gibt: Die Diktatur des Proletariats, welche den bürgerlichen Staat zerschlägt und Platz für eine klassenlose Gesellschaft schafft.
Doch die meisten linken Intellektuellen um die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung herum schwanken als kleinbürgerliche DemokratInnen hilflos zwischen der großbürgerlichen Demokratie und der Diktatur des Proletariats. Ihr Lieblingsspielzeug ist dabei die so genannte „Basisdemokratie“, die es allerdings nur in den Hirngespinsten linker KleinbürgerInnen gibt und geben kann. Doch lassen wir das basisdemokratisch bewegte KleinbürgerInnentum selbst zu Wort kommen:
„Tatsächlich hat der ANC seit 1994 pflichtschuldig dem liberal-demokratischen Dogma aus individuellen Freiheitsrechten und kapitalistischer Marktwirtschaft gehuldigt und sich von seiner, historisch durchaus weit zurückreichenden, Affinität zu radikaleren, basisdemokratischen und nicht bloß formalistischen Demokratiekonzepten abgewendet, wie sie z.B. von der COSATU und der SACP vertreten werden.“ (Dale T. McKinley, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück: Südafrikas African National Congress und die Dreierallianz seit 1994, in: Jens Erik Ambacher & Romin Khan (Hg.), Südafrika, a.a.O., S. 32.)
Die linksdemokratischen KleinbürgerInnen kämpfen also nicht hart und unversöhnlich gegen die ANC-Demokratie als Diktatur des Kapitals und helfen dem Proletariat durch ihre Analysen bei deren Zerschlagung, sondern stellen brav den herrschenden „Demokratie-Konzepten“ ihre linksalternativen Hirngespinste von der Demokratie als einem schönen Ideal gegenüber. Auch auf diese Weise werden das südafrikanische und das globale Proletariat gegenüber der wirklichen Demokratie als gefährlichster Waffe der Weltbourgeoisie entwaffnet. Unser kleinbürgerlicher Demokrat Dale T. Mckinley gab sich 2010 eindeutig als „kritischer“ Schwanz von ANC, COSATU und SACP zu erkennen, mit dem die Bluthunde des Kapitals hin und wieder wedeln müssen, um später das Proletariat erfolgreich beißen zu können. Die großbürgerlichen DemokratInnen schlagen auf das klassenkämpferische Proletariat ein, und die kleinbürgerlichen DemokratInnen vernebeln die Hirne des Proletariats, damit dieses nicht erfolgreich zurückschlägt.

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https://swiderstand.blackblogs.org/2013/01/10/gelungene-demokratisierung-in-suedafrika-das-anc-regime-gegen-das-proletariat/feed/ 0
Neue Broschürenreihe: Schriften zum Klassenkampf https://swiderstand.blackblogs.org/2012/12/01/neue-broschuerenreihe-schriften-zum-klassenkampf/ https://swiderstand.blackblogs.org/2012/12/01/neue-broschuerenreihe-schriften-zum-klassenkampf/#comments Sat, 01 Dec 2012 21:33:46 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=49 Schriften zum Klassenkampf ist eine unregelmäßig erscheinende Serie der Sozialen Befreiung und Gruppe Sozialer Widerstand mit Texten über die globalen Auseinandersetzungen des Proletariats mit Kapital, Staat und Patriarchat im 20. und 21. Jahrhundert. Die Broschüre „Schriften zum Klassenkampf I“ (ca. 104 Seiten) könnt Ihr für 5-€ (inkl. Porto) hier über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Proletarische Selbstorganisation als dialektischer Widerspruch

1. Das Proletariat
2. Die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats
3. Proletarische Selbstorganisation als dialektischer Widerspruch
4. Die spontane Besetzung des Betriebes bei Bike Systems.
5. Die „selbst verwaltete“ kleinbürgerlich-kollektive Produktion des Strike Bike
6. Proletarische Selbstorganisation im Ausbeutungsprozess
7. Vorbild Argentinien
8. Die punktuelle Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung im Klassenkampf
9. Die Diktatur des Proletariats
10. Von der proletarischen zur klassenlosen Selbstorganisation!

Hungerrevolten (Food Riots) und die revolutionäre Aufhebung der
Warenproduktion

1. Die strukturelle Nahrungsmittelkrise für das Proletariat
2. Die weltweiten Hungerrevolten
3. Die strukturelle Lebensmittelkrise bleibt bestehen
4. Die strukturelle Lebensmittelkrise in den Zentren des Kapitalismus
5. Die tendenzielle Aufhebung des Warencharakters von Lebensmitteln durch
Klassenkampf

Klassenkämpfe gegen Betriebsschließungen.

1. Der widersprüchliche Charakter des Kampfes um Arbeitsplätze
2. Rheinhausen
3. AEG in Nürnberg
4. BSH Berlin

Gelungene Demokratisierung in Südafrika – Das ANC-Regime gegen das Proletariat

1. Von der Apartheid zum ANC-Regime
2. Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und das Proletariat in Südafrika.
3. Demagogie und Terror des ANC-Regimes.
4. Revolutionärer Kampf gegen das ANC-Regim

Proletarische Selbstorganisation als dialektischer Widerspruch Erläutert an Beispielen des Klassenkampfes (Bike Systems in Nordhausen (2007) und Betriebsbesetzungen und U-Bahn-Streik in Argentinien)

1. Das Proletariat

Zum modernen Proletariat, den Besitzlosen im Kapitalismus, gehören alle die Menschen, die nicht zu den kleinen (KleinbürgerInnen) oder großen ProduktionsmittelbesitzerInnen (KapitalistInnen) bzw. FreiberuflerInnen gehören, privilegierte VerwalterInnen des kapitalistischen Produktionsprozesses (ManagerInnen, hohe Verwaltungsangestellte und Chefs in der materiellen Produktion), über Geld- (Banken, Versicherungen) und Handelskapital verfügen und nicht die Gesellschaft politisch verwalten (PolitikerInnen, BeamtInnen, privilegierte Staatsangestellte und jene, die vorwiegend Repressionsfunktionen ausüben). Außerdem ist das Proletariat auch vom lohnabhängigen KleinbürgerInnentum (StaatsbeamtInnen, Lohnabhängige von privaten SöldnerInnenfirmen, privilegierte Berufe wie ÄrztInnen, IngenieurInnen und ZeitungsredakteurInnen) zu unterscheiden, wobei natürlich zu beachten ist, dass die Grenzen fließend sind und es gerade in den letzten Jahren einen enormen Proletarisierungsschub bei einigen lohnabhängigen KleinbürgerInnen gab.
Dieses moderne Proletariat bestand und besteht im Wesentlichen aus doppelt freien LohnarbeiterInnen, nichtfreien ArbeiterInnen (u. a. in faschistischen KZs, im sowjetischen Gulag aber auch in demokratischen Gefängnissen), vorwiegend weiblichen innerfamiliären HausarbeiterInnen und aus nicht lohnarbeitenden Unterschichten (Erwerbslose und Obdachlose). Diese nicht lohnarbeitenden Schichten gehören nicht zur ArbeiterInnenklasse, aber zum Proletariat. Das Proletariat ist ein soziales Feld, was sich im Kern zur Klasse, zur ArbeiterInnenklasse, verdichtet und an der Peripherie zu nicht lohnarbeitenden Schichten ausläuft. Das Weltproletariat ist somit zahlenmäßig größer als die die globale ArbeiterInnenklasse.
Die doppelt freien LohnarbeiterInnen sind negativ frei von Produktionsmitteln, welche kleinbürgerliches, privatkapitalistisches und staatskapitalistisches Eigentum bilden, verfügen allerdings auch über die positive Freiheit über ihren eigenen Körper. Diese doppelte Freiheit ist also der ökonomische Zwang der proletarisierten Menschen, ihre eigene Arbeitskraft an das KleinbürgerInnentum, das Kapital oder den Staat – eben an die BesitzerInnen der Produktionsmittel – zu vermieten.
Die eigene Arbeitskraft vermieten zu müssen – dass ist das Elend der proletarischen Existenz und gleichzeitig die Quelle des kapitalistischen Reichtums. Erst wo die Arbeitskraft massenhaft eine Ware von doppelt freien LohnarbeiterInnen ist, und nicht mehr überwiegend individuell auf eigene Rechnung von kleinen WarenproduzentInnen (HandwerkerInnen, kleine freie BäuerInnen) und/oder von unfreien ArbeiterInnen (Leibeigene, SklavInnen) verrichtet wird, ist die vorherige kleinbürgerliche Warenproduktion kapitalistisch geworden. Die Arbeitskraft als Ware der ArbeitskraftbesitzerInnen bedeutet, dass fast alles zur Ware geworden ist.
Die ProletarierInnen, die auf dem Arbeitsmarkt ihre Arbeitskraft vermieten müssen, um sich auf dem Konsumgütermarkt, die Dinge zu kaufen, die sie zum Leben brauchen, sind kleinbürgerliche Marktsubjekte. Nicht in der engen Klassendefinition von kleinbürgerlich, also nicht im Sinne von kleinen ProduktionsmittelbesitzerInnen, sondern im Sinne von kleinen BürgerInnen der bürgerlichen Gesellschaft. Der/die Proletarier/in vermietet seine/ihre Arbeitskraft und kauft Konsumgüter – ganz gewohnheitsmäßig, die Ware-Geld-Beziehung ist ihm/ihr nichts Äußerliches. Die meisten ProletarierInnen halten die asoziale Ware-Geld-Beziehung für etwas ganz normales. Das Proletariat führt seinen reproduktiven Klassenkampf für mehr Geld, erst das revolutionär gewordene Proletariat wird möglicherweise die kapitalistische Warenproduktion von innen heraus sprengen.
Die ProletarierInnen als kleinbürgerliche Marktsubjekte sind nicht zu idealisieren, so wenig wie KleinbürgerInnen überhaupt zu idealisieren sind. Sie sind zuweilen ekelhafte Konkurrenzindividuen, die auf dem Arbeitsmarkt gegen andere Individuen ihrer Klasse konkurrieren. Auf dem Arbeitsmarkt sind die ProletarierInnen gar keine kollektiv handelnde Klasse, sondern eben nur Marktindividuen. Der kleinbürgerliche Individualismus lebt sich im Marktsubjektivismus der ProletarierInnen genau so aus wie im Rassismus und Sexismus als Ideologien des Verdrängungskonkurrenzkampfes um Jobs. AusländerInnen raus und Frauen an den Herd, es lebe die ordentliche nationale und männliche Arbeit! Dieser Schlachtruf des proletarischen Chauvinismus ist nicht nur Folge von Beeinflussung durch bürgerlich-reaktionäre Ideologie, sondern findet in der Marktsubjektivität des Proletariats seine Wurzel.
Auch die sozialdarwinistische Hetzte gegen jene proletarischen Unterschichten, welche ihre Arbeitskraft nicht (mehr) vermieten können oder wollen, und nur Dank staatlicher Almosen überleben, findet leider bei nicht wenigen lohnarbeitenden ProletarierInnen aus dem selben Grunde Zustimmung. Hier wird den „Asozialen“ von Seiten lohnabhängiger SpießerInnen nicht die geringe Marktsubjektivität auf den Konsumgütermärkten gegönnt. Gegenseitiger Neid und Missgunst unter dem Mantel bürgerlicher Moral verborgen, dass ist das typische Verhalten von bürgerlichen Konkurrenzindividuen.
Auch die eigene Unterwerfung auf dem Arbeitsmarkt, wo sich der/die moderne Proletarier/in seine/ihre eigene Arbeitskraft, also sich selbst, an das KleinbürgerInnentum, an das Kapital und den Staat vermieten muss, praktisch als sein/ihre eigene/r Sklavenhändler/in auftritt, werden durch Rassismus, Sexismus und Sozialdawinismus kompensiert. Eine andere Form der Kompensation der Unterwürfigkeit auf dem Arbeitsmarkt ist das rauschhafte Austoben auf den verschiedenen Konsumgütermärkten, auf denen nicht selten der Preis der vermieteten Arbeitskraft entweder für unnütze und/oder sogar schädliche Produkte ausgegeben wird. Die Unterwerfung unter die Zumutungen des Arbeitsmarktes, um sich das neuste Handy leisten zu können, dass zwei Funktionen mehr hat als das alte. Die moderne Konsumgüterproduktion als Glasperlen für das Proletariat, damit dieses weiterhin ihre Arbeitskraft vermietet.
Die kleinbürgerliche Jagt nach Glasperlen, an der auch nicht wenige ProletatrierInnen mit etwas mehr Geld teilnehmen, als Kompensation für Dinge, die mensch nicht kaufen kann, aber durch die Ware-Geld-Beziehung permanent zersetzt werden: Freundschaft, Liebe, gegenseitigen Respekt und Solidarität.
In der Kaufsucht, einer medizinisch anerkannten Krankheit, wie sie nur in einer kapitalistischen Warenproduktion auftreten kann, und an der auch besser verdienende ProletarierInnen erkranken können, erreicht die Herrschaft der Ware-Geld-Beziehung über das Verhalten, Denken und Fühlen der Menschen ihren traurigen Höhepunkt: Nur das Besitzen von Geld und Dingen, die mensch dafür kaufen kann, ist wahres Sein! Die Dinge – Geld und Waren – welche ursprünglich die Produkte menschlichen Verhaltens sind, beherrschen nun die Menschen, bis zur Kaufsucht als krankhafter Übertreibung der kleinbürgerlichen Marktsubjektivität. Nicht die Menschen beherrschen die Dinge (Waren und Geld), sondern die Dinge beherrschen die Menschen. Dieser Verdinglichung sind alle bürgerlichen Marktsubjekte, also auch die ProletarierInnen, ausgesetzt.
Allerdings ist das Proletariat ein unterprivilegiertes Marktsubjekt. Unterkonsum an den wichtigsten Dingen des Überlebens ist auch in den Metropolen des Kapitalismus eine Massenerscheinung. Dieser Unterkonsum von großen Teilen des Weltproletariats hat etwas damit zu tun, das das Proletariat in seiner Funktion für die Kapitalvermehrung nicht in erster Linie Marktsubjekt, sondern Ausbeutungsobjekt ist. Die Arbeitskraft der doppelt freien LohnarbeiterInnen besitzt für ihre MieterInnen den Gebrauchswert, dass sie für diese andere Waren produzieren, welche mit Profit auf dem Markt verkauft werden können. Wer Produktionsmittel besitzt und die Arbeitskraft des Proletariats zur Warenproduktion mietet, ist ein privilegiertes Marktsubjekt, dass teilweise (KleinbürgerInnen, die auch noch selbst arbeiten müssen) oder ganz (KapitalistInnen) von der Ausbeutung des Proletariats lebt.
Die kleinbürgerlichen/kapitalistischen MieterInnen der Ware Arbeitskraft verkaufen die von der Arbeitskraft produzierten Waren auf den Markt. Das Proletariat produziert Waren für die MieterInnen seiner Arbeitskraft, nicht für sich selbst. Die kleinbürgerlichen/kapitalistischen MieterInnen der Ware Arbeitskraft bezahlen aus dem Erlös der vom Proletariat produzierten Waren auch den Lohn für das Proletariat, was sich dann von diesem die Konsumgüter kauft, die es zur seiner eigenen Reproduktion braucht.
Durch die massenhafte Ausbeutung der Ware Arbeitskraft wird die kleinbürgerliche Warenproduktion zur kapitalistischen. Fast alles wird zur Ware. Die Arbeitskraft besitzt wie jede andere Ware einen Gebrauchswert und einen Tauschwert. Der Gebrauchswert besteht aus deren nützlichen Eigenschaften, welche von den KäuferInnen der Waren genutzt wird, während der Tauschwert einer Ware in Form von Geld von den VerkäuferInnen einer Ware realisiert wird. Der Tauschwert ist nichts anderes als die durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit einer Ware. Der Preis ist der verselbständigte Geldausdruck des Tauschwertes einer Ware. Preise werden in letzter Instanz von ihrem Wert bestimmt, sind aber nicht mit diesem identisch, weil die Warenpreise auch durch Angebot und Nachfrage auf dem Markt bestimmt werden.
Die Werttheorie ist für proletarische RevolutionärInnen alles andere als wertloser Müll aus der Geschichte der Wirtschaftstheorie. Nur die Werttheorie ist in der Lage, den Charakter des Geldes zu erklären. Denn was kostet ein bestimmtes Produkt menschlicher Tätigkeit in allen gesellschaftlichen Verhältnissen, also auch in solchen, wo es keine Waren und kein Geld gibt? Kraft und Zeit! Auch in der kapitalistischen Warenproduktion ist das so. Im Geld als verselbständigten Tauschwertes einer Ware verkörpert sich die Verausgabung menschlicher Tätigkeit. Geld stinkt nicht, sonst würde es vor allem nach proletarischem Schweiß riechen! In der Regel gilt: Produkte, die mehr Kraft und Zeit kosten, sind teurer als solche, in der weniger Arbeit vergegenständlicht ist. Die menschliche Arbeit des Proletariats bestimmt im Wesentlichen den Preis einer Ware und nicht die anonymen „Gesetze des Marktes“!
Die Verselbständigung des Geldes als Ausdruck des Warenwertes vollzog sich lange vor der Herausbildung des modernen Proletariats, schon in der kleinbürgerlichen Warenproduktion. Die Einseitigkeit der produktiven Tätigkeiten der kleinbürgerlichen WarenproduzentInnen und die Vielseitigkeit der menschlichen Bedürfnisse dieser KleinbürgerInnen machte das Geld erforderlich. Ein Bäcker hätte sonst alle Produkte seiner Bedürfnisse gegen Brot, Brötchen und Kuchen eintauschen müssen. Der Fleischer hätte so irgendwann mit großer Sicherheit gesagt: „Für dein Brot bekommst du von mir kein Fleisch. Hättest du Bier gehabt, hätte ich dir mein Fleisch gegeben.“ So tauscht der Bäcker seine Brote gegen Geld bei den Leuten, die Bedürfnisse danach verspüren und mit dem Geld, welches der verselbständigte Ausdruck des Tauschwertes des Brotes ist, kann er sich jederzeit Fleisch kaufen, da der Fleischer mit dem Geld alle Produkte seiner Bedürfnisse eintauschen kann.
Doch kommen wir zurück zur kapitalistischen Warenproduktion und den Gebrauchswert und den Tauschwert der Ware Arbeitskraft, welche das Proletariat an das KleinbürgerInnentum, KapitalistInnen und an den Staat vermietet. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft besteht für deren kapitalistischen AusbeuterInnen darin, dass sie mehr Wert produziert als ihr eigener Tauschwert/ihr Lohn beträgt.
Wodurch wird nun der Tauschwert/der Preis/der Lohn für die Ware Arbeitskraft bestimmt? Der Lohn kann aus kapitalistischer Sicht nicht niedrig genug sein, während er aus proletarischer Sicht nicht hoch genug sein kann. Aus kapitalistischer Sicht muss er wenigstens so niedrig sein, dass die ArbeiterInnen profitabel arbeiten, für den Arbeiter/die Arbeiterin muss der Lohn wenigstens so hoch sein, dass er/sie von ihm leben kann und dass neue ArbeiterInnen durch Fortpflanzung erzeugt werden können. Wie hoch der Lohn tatsächlich ist, entscheidet also im nicht geringen Maße der reale Klassenkampf. Wir sehen also, dass mit der kleinbürgerlichen Marktsubjektivität die proletarische Klassenkampfsubjektivität bei den LohnarbeiterInnen auf das Engste miteinander verbunden ist.

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Innerhalb des Produktionsprozesses ist das Proletariat selbst menschliches produktives Kapital, welches für die MieterInnen ihrer Arbeitskraft den Profit produziert. Durch die Mietung der Ware Arbeitskraft wird von Seiten des Kapitals Geldkapital in menschliches produktives Kapital umgewandelt. Für das Kapital sind die Lohngelder für das Proletariat die Geldform des menschlichen produktiven Kapitals, für das Proletariat selbst ist es die Geldform seines Konsumtionsfonds.
Im Produktionsprozess ist das Proletariat ein Ausbeutungsobjekt. Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft, mehr Tauschwert zu produzieren, als es selbst besitzt, wird vom Kapital ausgebeutet.
Die Produktionsmittel, welches kapitalistisches Privat- oder Staateigentum bilden, sind die Waffen des Kapitals, mit deren Hilfe der Mehrwert aus dem Proletariat herausgepresst wird. Die Produktionsmittel bilden das sachliche produktive Kapital. Die fungierende Arbeitskraft bearbeitet einen Arbeitsgegenstand (Rohstoff, Halbfabrikat) mit Hilfe von Arbeitsmitteln (Werkzeuge, Maschinen) weiter zum fertigen Produkt, welches als Ware auf den verschiedenen Märkten verkauft werden kann. Sie überträgt den Wert der Produktionsmittel auf das Produkt. Der Wert des Arbeitsgegenstandes geht voll in den Wert des Produktes auf, während der Wert der Arbeitsmittel stückweise auf den Wert der mit ihrer Hilfe während ihrer Lebensdauer geschaffenen Produkte übertragen wird.
Neben der Werterhaltung der Produktionsmittel durch Wertübertragung auf die neuen Produkte, schafft das Proletariat neuen Wert, welcher der durchschnittlichen Herstellungszeit der neu geschaffenen Produkte entspricht. Dieser Neuwert entspricht zu einem Teil dem Tauschwert der Ware Arbeitskraft und zu einem Teil ist es Mehrwert, welches das Proletariat für das KleinbürgerInnentum, das Privat- und das Staatskapital produziert. Nehmen wir an der Stundenlohn für eine Proletarierin beträgt 10 Euro, produziert in dieser Zeit aber einen Wert von 20 Euro, so hat sie 10 Euro Mehrwert produziert. Ihre Ausbeutungsrate, die Mehrwertrate als Verhältnis zwischen ihrem Lohn und den von ihr produzierten Profit beträgt 100 Prozent.
Die Mehrwertrate ist interessant für proletarische RevolutionärInnen, weil sie mit deren Hilfe ein Modell der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats erstellen können, für die KleinbürgerInnen, KapitalistInnen, ManagerInnen und ChefInnen der Staatsbetriebe ist die Mehrwertrate uninteressant, weil die Ausgaben für Löhne nur eine Teilausgabe für sie sind und sie deshalb das Verhältnis zwischen Gesamtkapital (Kosten der Produktionsmittel/Wert des sachlichen produktiven Kapitals und den Lohnkosten/Wert des menschlichen produktiven Kapitals) und Profit wesentlich mehr interessiert. Dieses Verhältnis zwischen Gesamtkapital und Profit ist die Profitrate.
Das mehrwertproduzierende Proletariat stellt die größte Schicht dieser Klasse dar. Sie besteht aus dem Land-, dem Industrie- und einem großen Teil des Dienstleistungsproletariats. Zum Beispiel produziert der Koch eines Restaurants Wert und Mehrwert. Damit gehört der Koch zum mehrwertproduzierenden Dienstleistungsproletariat.
AusbeuterInnen des mehrwertproduzierenden Kapitals sind das KleinbürgerInnentum, das Privat- und das Staatskapital. Übrigens gehören nicht alle vom Staat beschäftigten Lohnabhängigen zum mehrwertproduzierenden Proletariat. Zu dieser Gruppe zählen zum Beispiel EisenbahnerInnen, PilotInnen und die Beschäftigten staatlicher Industriebetriebe. Im so genannten „realen Sozialismus“ war das Staatskapital das alles andere dominierende Produktionsverhältnis, weshalb wir diese Länder als staatskapitalistisch bezeichnen. Die Klasse der PrivatkapitalistInnen war zwar aufgehoben, dafür war aber der Staat an ihre Stelle bei der Ausbeutung des Proletariats getreten. Das produktive Staatskapital ist durch die „neoliberale“ Offensive des Privatkapitals weltweit seit den 1970er Jahren stark zurückgegangen.
Neben der direkten Ausbeutung des Proletariats durch den Staat, zweigt er in seiner Funktion als ideeller Gesamtkapitalist durch die Besteuerung von KapitalistInnen, KleinbürgerInnen und LohnarbeiterInnen einen Teil des privatkapitalistisch und kleinbürgerlich produzierten Mehrwertes ab. Mit diesem Mehrwert werden sowohl die BerufspolitikerInnen und hohen Beamten als Teil der herrschenden kapitalistischen Klasse, als auch jene Schicht der staatlich dienenden Lohnabhängigen bezahlt, die Teil des Proletariats bzw. des lohnabhängigen KleinbürgerInnentums sind. Die Schicht der staatlich dienenden Lohnabhängigen gehören zu jenem Teil des Dienstleistungsproletariats, was keinen Mehrwert produziert. Zu dieser Schicht gehören die unterschiedlichsten Berufe, z.B. PolizistInnen als Teil des Repressionsapparates, welche wir grundsätzlich nicht zum Proletariat sondern zum lohnabhängigen KleinbürgerInnentum zählen, aber auch proletarische Krankenschwestern in staatlichen Krankenhäusern.
Die staatlich dienenden Lohnabhängigen werden auch ausgebeutet, aber nicht wie die mehrwertproduzierenden ArbeiterInnen, um den Mehrwert zu erhöhen, sondern um die gesellschaftlich notwendigen unproduktiven Kosten der Mehrwertproduktion zu reduzieren. Wie bereits geschrieben, nährt sich der Staat vom kapitalistisch produzierten Mehrwert, von dem er z. B. Verwaltungsangestellte bezahlt. Werden jetzt Rationalisierungen im Staatsapparat durchgezogen, so dass eine kleine Büroangestellte jetzt das macht, was früher zwei taten, so werden durch die verstärkte Ausbeutung der staatlich dienenden Lohnabhängigen die unproduktiven Kosten der Staatsverwaltung als einer Bedingung der Kapitalvermehrung reduziert.
Durch die „neoliberale“ Offensive des Privatkapitals wurden viele ehemaligen staatsmonopolistischen Dienstleistungen privatisiert, was ein zahlenmäßig nicht geringes Proletariat des privatkapitalistisch organisierten Dienstleistungssektors erzeugte, welches oft extrem überausgebeutet wird.
Produzieren die ProletarierInnen des privaten Dienstleistungssektors, zum Beispiel die Krankenschwester in einem Privatkrankenhaus, Mehrwert?! Einzelkapitalistisch gesehen ja, gesamtkapitalistisch betrachtet nein. Die Krankenschwester eines privatkapitalistisch betriebenen Krankenhauses produziert Profit für ihr Unternehmen, indem sie die Kranken behandelt. Aber woraus wird die Krankenschwester vorwiegend bezahlt? Aus Geldern aus privaten und gesetzlichen Krankenkassen, und damit vorwiegend aus dem Bruttolohn proletarischer und kleinbürgerlicher Lohnabhängiger sowie aus den „Arbeitgeberanteilen“ der Krankenversicherung. Sowohl die proletarischen bzw. lohnabhängig- kleinbürgerlichen als auch die „Arbeitgeberanteile“ zur Krankenversicherung gehören zum Preis der Ware Arbeitskraft, also zu den Lohnkosten. Krankenschwestern, egal ob in staatlichen oder privaten Krankenhäusern arbeitend, werden also vorwiegend aus dem Lohn des Proletariats bezahlt. Der Profit eines privaten Krankenhauskonzerns stellt zum wesentlichen Teil – von den Dienstleistungen, welche die Krankenkassen nicht bezahlen, mal abgesehen – also einen indirekten Abzug vom Lohn des Proletariats dar, während die Behandlung und der Lohn der Krankenschwestern einen „legitimen“ Teil der Sozialversicherung des Proletariats bilden. Die kapitalistische Ausbeutung der Krankenschwestern im Privatkrankenhäusern dient dazu, den Profit des Krankenhausbesitzers zu vergrößern, der gesamtgesellschaftlich gesehen keinen Teil des Mehrwertes darstellt, sondern einen Lohnbestandteil des Proletariats und der lohnarbeitenden KleinbürgerInnen. Die Dienstleistung der Krankenschwester ist notwendig für die Mehrwertproduktion, damit krank gearbeitete LohnarbeiterInnen wieder „gesund“ für die krankmachende Mehrwertproduktion werden, eine unproduktive Kost der Mehrwertproduktion.
Eine weitere Schicht des Proletariats bilden die mehrwertrealisierenden Lohnabhängigen, also jene ProletarierInnen die für das Kapital Waren in Geld verwandeln und damit ihren Mehrwert realisieren (z.B. VerkäuferInnen in einem Supermarkt), Lohnabhängige im Finanzwesen, welche den Profit des Finanzkapitals realisieren helfen und die Mehrwertproduktion und –realisation verwaltende Lohnabhängige (z. B. Büroangestellte).
Alle Lohnabhängige des letzten Absatzes produzieren keinen Mehrwert, haben aber für die Mehrwertproduktion eine sehr wichtige Funktion. Ihre Ausbeutung dient dazu, um die notwendigen unproduktiven Kosten der kapitalistischen Produktion zu senken.
In gar keinem Verhältnis zur Mehrwertproduktion stehen die privat dienenden Lohnabhängigen, z. B. die Putzfrau in der Privatvilla eines Kapitalisten. Sie produziert keinen Profit, sondern nur einen Gebrauchswert, nämlich eine saubere Privatbehausung für den Kapitalisten, welche er mit einem Teil des Mehrwertes konsumiert. Dieser Teil des Mehrwertes ist für die kapitalistische Produktion verloren, er wurde für die biosoziale Reproduktion des Kapitalisten ausgegeben, im Gegensatz zu dem Teil des Mehrwertes, der dazu verwendet wird, um neue Maschinen zu kaufen und noch mehr Lohnarbeit anzumieten, der also zur weiteren Kapitalvermehrung dient.
Ebenfalls zum Proletariat gehören die persönlich unfreien ArbeiterInnen, die keine doppelt freien LohnarbeiterInnen sind. Zu ihnen gehören ArbeiterInnen in den verschiedenen Gefängnissen, wehrpflichtige SoldatInnen und Zivildienstleistende aus dem proletarischen Milieu und vom Sozialstaat zwangsrekrutierte ArbeiterInnen (Ein-Euro-Jobber)
Alle arbeitenden Schichten des Proletariats werden von KleinbürgerInnentum, Privat- und Staatskapital ausgebeutet. Ausbeutung ist nicht nur eine sozialökonomische Tatsache, sondern auch eine sozialpsychologische Zumutung. Die eigene Arbeitskraft vermieten zu müssen, heißt von der eigenen produktiven Tätigkeit entfremdet zu sein.
Die bewusste produktive Tätigkeit unterscheidet die Menschheit vom Tierreich. Wer seine Fähigkeit zur produktiven Tätigkeit an das KleinbürgerInnentum, das Kapital und den Staat vermietet, kann nicht wirklich über sich selbst bestimmen, über den wird bestimmt. Was und wie er/sie produziert, bestimmt in der Regel nicht der/die Proletarier/in, sondern die MieterInnen der proletarischen Arbeitskraft.
Was produziert wird, interessiert die LohnarbeiterInnen in der Regel nicht wirklich. Es hat oft nichts mit ihrer besonderen Bedürfnissen zu tun. Auch die MieterInnen ihrer Arbeitskraft interessiert in den meisten Fällen nicht das Produkt der proletarischen Arbeit. Sie verkaufen bzw. lassen es von Lohnabhängigen auf dem Markt verkaufen. Mit dem damit realisierten Geld bezahlen sie auch die gemietete Arbeitskraft. In den Händen der proletarisierten Menschen ist dieser Tauschwert ihrer vermieteten Arbeitskraft das eigentliche Ziel ihrer produktiven Tätigkeit.
Wenn der proletarisierte und in der Stadt sozialisierte Mensch sein Bedürfnis nach Nahrung befriedigt, geht er nicht einer produktiven Tätigkeit nach, der diese Bedürfnisse direkt befriedigt, er geht abstrakt „arbeiten“ für Geld, um mit diesem Geld sich Lebensmittel zu kaufen. Ob er nun hämmert, Akten sortiert, an der Kasse sitzt oder Bus fährt, der proletarische Mensch arbeitet letztendlich für Geld. In dem bedruckten Papier, das er im Tausch für seine vermietete Arbeitskraft erhält, sind alle Spuren der konkreten produktiven Tätigkeit ausgelöscht. Wenn sich ProletarierInnen unterhalten, fragen sie sich nicht gegenseitig in erster Linie, welcher produktiven Tätigkeit sie nachgehen, sondern ob sie überhaupt „Arbeit“ haben und wie hoch der Lohn ist. In der „Arbeit“ für Geld ist von der konkreten produktiven Tätigkeit abstrahiert, die abstrakte „Arbeit“ für Geld ist die spezifische proletarische Entfremdung von der eigenen produktiven Tätigkeit.
Der proletarisierte Mensch wendet nicht die Produktionsmittel an, um mit ihnen ein Produkt seiner Bedürfnisse zu produzieren, er wird vom Kapital gemietet und an das Produktionsmittel gestellt, um eine Ware für einen anonymen Markt herzustellen. Der proletarisierte Mensch ist nicht Subjekt seiner Bedürfnisproduktion, er ist Objekt der Kapitalvermehrung.
Die proletarische Entfremdung von der eigenen produktiven Tätigkeit und deren Realabstraktion zur „Arbeit“ für Geld prägt den ganzen Alltag der LohnarbeiterInnen. ProletarierIn sein heißt unter anderem: früh am Morgen aus den schönsten Träumen gerissen zu werden, den Wecker verfluchen und dennoch aufstehen, im Bus zur Arbeit fahren, die gleichen müden Gesichter sehend, ankommen an der Arbeit, dabei immer stärker von sich selbst entfernend, Dinge produzieren, die mensch sich nie selbst leisten kann, tausend mal auf die Uhr schauend, warten auf das Frühstück, das Mittagessen, auf den Feierabend, endlich raus aus der Bude, doch oft zur kreativen Freizeitgestaltung zu ausgepowert, zu fertig… also vor die Glotze, Stumpfsinnig konsumierend bis zum Schlafen gehen…
Das alles und noch viel mehr (Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Mobbing am Arbeitsplatz, Lärm, Gestank, Überwachung…), heißt es Proletarier/in zu sein und von KleinbürgerInnentum, Privat- und Staatskapital ausgebeutet zu werden.
Dieses ausgebeutete Proletariat ist die Hauptproduktivkraft der kapitalistischen Gesellschaft, die zugleich selbst zerstörerisch gegen sich wirkt und für die natürliche Umwelt ein latentes Vernichtungs- und Vergiftungsrisiko birgt. Das Proletariat produziert unter dem Kommando des Kapitals Atombomben, Milliarden Tonnen Treibhausgase pro Jahr…
Es produziert Luxusgegenstände, die es sich selbst kaum leisten kann, für das KleinbürgerInnentum und Staat, für sich selbst produziert es eine Menge Gammelfleisch und Glasperlen, die es nicht wirklich braucht, wie das neue Handy mit wieder mehr überflüssigen Funktionen, aber die menschliche Arbeitskraft und natürliche Ressourcen kosten, während andererseits wichtige Dinge von ihm viel zu wenig produziert werden. Das Proletariat produziert die Automobile für den gefährlichen, verschwenderischen und nicht selten tödlich verlaufenden Individualverkehr. Die proletarisierten Menschen produzieren die Gummiknüppel, welche andere ProletarierInnen, wenn sie sich wehren, von Bullen abbekommen. Das Weltproletariat produziert das Weltkapital, deren Macht und Reichtum und damit seine eigene Ohnmacht. Je mehr Kapital es produziert, um so weniger bleibt von ihm selbst übrig.
Nein, es gibt keinen Grund das Proletariat in seiner Eigenschaft als Hauptproduktivkraft unserer Zeit zu idealisieren. Denn es ist zugleich die Hauptdestruktivkraft unsere Zeit, die sich unter dem Kommando des Kapitals selbst zu zerstören droht. In seiner sozialen Eigenschaft als Ausbeutungsobjekt lässt sich das Proletariat viel zu oft viel zu viel gefallen. Aber das Kapital kennt bei seinem kategorischen Imperativ „Vermehre mich!“ keine Gnade und kein Erbarmen. Es will vom Proletariat viel mehr, als es geben kann. Der proletarische Klassenkampf wird zu einer reproduktiven Notwendigkeit. Ohne seinen Widerstand, hätte das Kapital das Proletariat als Kollektiv schon sprichwörtlich zu Tode gehetzt, so wie es schon unzählige ProletarierInnen als Individuen auf dem Altar der Profitvermehrung geopfert hat. Nur durch ihren Klassenkampf kann die proletarisierte Menschheit ihre Ausbeutungsobjektivität etwas abmildern – aber auch perspektivisch ganz aufheben.

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Die Reproduktion des Proletariats erfolgt nach der Arbeit und vorwiegend nicht kollektiv als Klasse sondern individuell oder familiär. Auch als Familienmenschen sind ProletarierInnen ganz bestimmt nicht zu idealisieren, so wenig wie die bürgerliche Kleinfamilie generell zu idealisieren, sondern revolutionär aufzuheben ist.
Auch in proletarischen Familien gibt es patriarchale Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung. Die moderne Hausfrau ist auch in nicht wenigen proletarischen Familien die Synthese aus jahrtausendealter Frauenunterdrückung und Kapitalismus. Auch in der heutigen bürgerlichen Klassengesellschaft ist biosoziale Reproduktion der Menschheit noch vorwiegend Frauensache. Auch der lohnarbeitende Mann reproduziert sich noch allzu oft auf Kosten „seiner“ Frau. Letztendlich profitieren davon die kleinbürgerlichen, privat- und staatskapitalistischen MieterInnen der männlichen Arbeitskraft. Erstens ist eine Arbeitskraft, die daheim ausruhen kann, wesentlich einsatzfähiger auf Arbeit, zweitens verbilligt die unterbezahlte Arbeitskraft der Hausfrau die männliche Arbeitskraft. Denn würde der proletarische Mann alle Tätigkeiten „seiner“ Frau durch bezahlte Dienstleistungen ersetzen, würde sein Lohn kaum reichen. Die Hausfrau erledigt die biosoziale Reproduktion des Proletariats letztendlich im Interesse des Kapitals wesentlich billiger.
Sie reproduziert die Arbeitskraft ihres Mannes und ihre eigene Hausarbeitskraft für einen Teil des männlichen Lohnes – sowohl in Geld- als auch in Naturalform. Sie reproduziert wesentlich die Arbeitskraft „ihres“ Mannes, den nicht sie, sondern er an das Kapital vermietet. Während die meisten LohnarbeiterInnen ihre Arbeitskraft an eine anonyme Kraft vermieten, „ihre“ KapitalistInnen oft also nicht persönlich kennen, ist den meist weiblichen innerfamiliären HausarbeiterInnen ihr familiärer Ernährer/in nur zu gut bekannt. Die Hausarbeit ist eine zutiefst individualisierende und stumpfsinnige Tätigkeit. Sie wird auch nicht emanzipatorischer, wenn in Mittelstandsfamilien, die Frau Karriere macht und der Mann zu Hause bleibt.
Sozial gesehen ist dass Spannungsverhältnis zwischen den meist männlichen LohnarbeiterInnen und den meist weiblichen innerfamiliären HausarbeiterInnen ein innerproletarischer Widerspruch, wo meistens er sie zu Hause ausbeutet und er im Betrieb ausgebeutet wird. Die Ausbeutung der weiblichen innerfamiliären Hausfrau durch nicht wenige männliche Lohnarbeiter, zählt zu den reaktionärsten Tendenzen des Proletariats.
Neben der klassischen Form, dass er im Betrieb arbeitet und sie zu Hause bzw. die angeblich „emanzipatorische“ Form, welche die Herzen der Mittelstandsfeministinnen höher schlagen lässt, in der das ganze Dilemma anders rum organisiert wird, gibt es noch verschiedene Mischformen. Zum Beispiel die, dass sie neben der Lohnarbeit auch noch zu Hause den Löwenanteil der biosozialen Reproduktion erledigen muss. Sie ist dann Lohnarbeiterin und innerfamiliäre Hausarbeiterin in einem, wird also doppelt ausgebeutet. Dass auch im modernen, aufgeklärten Deutschland die Löhne von Frauen im Durchschnitt 23 Prozent niedriger sind als die von Männern, zementiert die „klassische“ Arbeitsteilung innerhalb des Proletariats.
Die bürgerliche Kleinfamilie gehört revolutionär aufgehoben. Für revolutionäre ProletarierInnen sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass bis zum Sieg der Weltrevolution in allen Formen des Zusammenlebens die Hausarbeit zwischen den Geschlechtern geteilt werden muss. Später, nach der möglichen siegreichen Revolution, muss die biosoziale Reproduktion der Menschheit weitgehend entindividualisiert und durch kollektivere Formen des Zusammenlebens sozialisiert werden.

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Außerhalb des Klassenkampfes sind die ProletarierInnen KleinbürgerInnen, nur innerhalb des Klassenkampfes sind sie potenziell revolutionär. Allerdings ist die Klassenkampfsubjektivität ein fester Bestandteil der proletarischen Identität. Wie groß ihre Marktsubjektivität und die Extensivität/Intensität ihrer Ausbeutungsobjektivität sind, hängt im großen Maße von der Klassenkampfsubjektivität der proletarisierten Menschen ab. Das Kapital hat die Tendenz die Marktsubjektivität des Proletariats auf unerträgliche Weise herabzumindern, so wie es grenzenlos in seinem Streben nach dessen maximaler Ausbeutung ist. Der proletarische Klassenkampf wird zu einer reproduktiven Notwendigkeit für das Proletariat selbst.
Nicht nur für das Proletariat selbst, sondern auch für seine MieterInnen, die KleinbürgerInnen, die KapitalistInnen, ManagerInnen und PolitikerInnen. Würde sich das Proletariat unter dem Regime der kapitalistischen Ausbeutung zu Tode arbeiten, gäbe es auch kein Kapital und keinen bürgerlichen Staat mehr. Denn beide leben vom Proletariat. Indem das Proletariat um seine Existenz kämpft, kämpft es somit auch für die Existenz von Kapital und Staat. Das ist das Paradoxe des reproduktiven Klassenkampfes.
Allerdings wenn das Proletariat „zu anspruchsvoll“ ist, und für mehr kämpft als für die Reproduktion seiner Existenz, kann es die Profitabilität der kapitalistischen Produktion gefährden. Dass ist die zweite Wahrheit des reproduktiven Klassenkampfes.
Allerdings kann durch den reproduktiven Klassenkampf, der lediglich darauf zielt die Marktsubjektivität zu erhöhen bzw. die Ausbeutungsobjektivität des Proletariats zu senken, nicht der Kapitalismus zum Zusammenbruch gebracht werden. Nur die bewusste revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats vermag Kapital, Staat und Patriarchat zu zerschlagen. Die Charaktermasken des Kapitals (KapitalistInnen, ManagerInnen und großbürgerliche BerufspolitikerInnen) antworten mit ihren Strategien auf den proletarischen Klassenkampf. Durch diesen Klassenkampf erneuert sich der Kapitalismus im Weltmaßstab permanent.
Gelingt es zum Beispiel dem Proletariat in bestimmten Situationen durch Klassenkampf eine Verkürzung der Arbeitszeit zu erreichen, setzen die StrategInnen des Kapitals auf eine Arbeitsverdichtung, so dass die ArbeiterInnen in kürzerer Zeit mehr Profit produzieren. Erreichen bestimmte proletarisierte Menschen durch ihren aktiven Kampf eine Erhöhung der Löhne, kann es sein, dass durch diesen Anstieg der Lohnkosten Maschinen lukrativ erscheinen, die früher als zu teuer galten. Außerdem wird ein großer Teil des nominellen Lohnanstieges durch den Preisanstieg/die Geldentwertung wieder gefressen.
Gefährdet in sehr guten Situationen, zum Beispiel bei Arbeitskräfteknappheit, der proletarische Klassenkampf wirklich einmal die kapitalistische Profitabilität, setzen die Charaktermasken des Kapitals in diesem entsprechenden Land bzw. Kontinent auf den Kapitalexport in so genannte „Billiglohnländer“. Durch den Kapitalexport steigt in dem „Fluchtgebiet“ die Arbeitslosigkeit an, deren Druck wiederum die Löhne sinken lässt. Außerdem führt das Sinken der Mehrwertrate durch vorübergehenden erfolgreichen reproduktiven proletarischen Klassenkampf dazu, dass das Kapital zunehmend aus der Produktion in die Finanzspekulation verlagert wird.
Der reproduktive Klassenkampf kann also für das Proletariat nur in Aufschwungszeiten und nur bis zu dem Augenblick offensiv geführt werden bis er ernstlich die Profitabilität des Kapitals gefährdet. Entweder geht das Proletariat zum revolutionären Klassenkampf über, oder das Kapital holt sich in einer erfolgreichen Gegenoffensive dreifach das zurück, was es während der proletarischen Offensive verloren hat.
Der reproduktive Klassenkampf kann also auf Dauer vom Proletariat nicht erfolgreich geführt werden. Eine langfristige offensive „Lohnpolitik“ ist eine Unmöglichkeit. Notwendig ist eine proletarische Offensive gegen die Lohnarbeit.
Diese proletarische Offensive gegen die Lohnarbeit setzt sich potenziell und tendenziell schon im reproduktiven Klassenkampf durch. Der Kampf gegen die Arbeit ist in den versteckten Formen des Klassenkampfes alltäglich und allgegenwärtig: Langsamarbeiten, Krankfeiern trotz bester Gesundheit, Sabotageaktionen…
Auch die sichtbare Form des Klassenkampfes, der Streik, ist eine Flucht aus der Arbeit. Zwar wird die Arbeit vom streikenden Proletariat unterbrochen, um sie für eine erhöhte Marktsubjektivität bzw. gesenkte Ausbeutungsobjektivität wieder aufzunehmen, aber die Arbeitsniederlegung als solche ist eindeutig eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes, während deren Wideraufnahme für ein Linsengericht die konservative Tendenz darstellt. Proletarische RevolutionärInnen nehmen bewusst am reproduktiven Klassenkampf teil, um deren progressiven Tendenzen zu stärken und die konservativ-reaktionären zurück zu drängen.
Demgegenüber verkörpert die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und sozialdemokratische/„kommunistische“ „ArbeiterInnenparteien“ die konservativ-reaktionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes.
Sozialdemokratische und „kommunistische“ Parteien integrieren die ArbeiterInnen in die Demokratie, welche nur – neben Faschismus, Militärdiktaturen und islamistische Theokratien –eine politische Herrschaftsform der sozialen Diktatur des Kapitals ist. Politik kann nur kleinbürgerlich-reaktionär, aber niemals proletarisch-revolutionär sein. Die kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen sozialdemokratischer und „kommunistischer“ „ArbeiterInnenparteien streben in stabilen Demokratien danach von der Bourgeoisie voll anerkannt zu werden. Erreichen sie dieses Ziel, verwandeln sie sich in großbürgerliche PolitikerInnen. Den MarxistInnen-LeninistInnen gelang in Osteuropa und in einigen Ländern des Trikont den Sturz der Bourgeoisie und die Errichtung eines staatskapitalistischen Regimes. Die „kommunistischen“ Parteibürokratien verwandelten sich in solchen Regimes in sozialökonomisch herrschende Klassen. Diese Entwicklung ist keine Folge des „Stalinismus“, wie uns die TrotzkistInnen einreden wollen. Die staatskapitalistische Konterrevolution setzte sich schon ab der Oktoberrevolution im Jahre 1917 unter Lenin und Trotzki gegen die proletarische Selbstorganisation (verkörpert in den ArbeiterInnenräten und Fabrikkomitees) durch. Ideologisch wurde diese staatskapitalistische Konterrevolution schon durch die reaktionären Tendenzen bei Marx und Engels vorbereitet.
In einigen Ländern vollzog sich die ursprüngliche Industrialisierung in staatskapitalistischen Formen unter der politisch-ideologischen Herrschaft des Marxismus-Leninismus. Doch der Staatskapitalismus stellte sich spätestens mit der mikroelektronischen dritten industriellen Revolution als Hemmnis für die weitere kapitalistische Entwicklung heraus. Diese Hemmnisse wurden vom Privatkapital gesprengt – nicht selten unter aktiver Mithilfe der sozialdemokratisch gewendeten ehemaligen MarxistInnen-LeninistInnen.
Gewerkschaften führen den Kampf um eine höhere Marktsubjektivität und eine Ausbeutungsobjektivität des Proletariats, die ausreicht um dessen Reproduktion und damit auch die Reproduktion des Kapitalismus zu sichern. Sie verwalten die Inwertsetzung der Arbeitskraft mit, sie können folglich kein Mittel zur Zerschlagung von Kapital, Staat und Patriarchat sein. Gegenteilige Behauptungen von marxistischen und anarchosyndikalistischen GewerkschaftsideologInnen werden permanent in der Praxis widerlegt.
Der Beginn der Gewerkschaftsbewegung war mit starker innerbetrieblicher und staatlicher Repression verbunden. Auch heute noch stoßen in bestimmten Staaten und Betrieben, oder auch „radikalere“ Gewerkschaften in ansonsten gewerkschaftsfreundlichen Staaten und/oder Betrieben auf Repression. Aber inzwischen ist in der Regel von Kapital und Staat der übertriebenen Repression, die nur zu einer unnötigen Radikalisierung von Teilen des Proletariats führen kann, der Integration von Gewerkschaften in die Betriebs/Wirtschaftsdemokratie, also in die Diktatur des Kapitals, gewichen. In Deutschland sind zum Beispiel die Mitgliedsgewerkschaften des DGB tief in Kapital, Staat und Patriarchat integriert. Die obersten Spitzen der Gewerkschaftsbürokratien bilden die unterste Schicht der herrschenden kapitalistischen Klasse.
Durch Tarifverträge, in denen die wichtigsten Arbeitsbedingungen, wie Lohn, Arbeitszeit und Urlaub, zwischen Kapitalverbänden und den Gewerkschaften geregelt werden, entwickelten sich die GewerkschaftsbürokratInnen zu Co-ManagerInnen der Ware Arbeitskraft/ des menschlichen produktiven Kapitals. Das Tarifrecht ist Teil des praktizierten bürgerlichen Rechtes, welches vom Staat gewahrt, bewacht und durchgesetzt wird. Durch die Anerkennung des Tarifrechtes und das grundsätzliche Streben nach Tariffähigkeit ist eine Gewerkschaft bereits staatsbejahend, auch wenn sie noch keinen einzigen Tarifvertrag unterzeichnet hat und noch auf starken kapitalistischen/staatlichen Widerstand stößt, so wie die anarchosyndikalistische FAU. Während der Laufzeit eines Tarifvertrages herrscht Friedenspflicht, die den Tarifvertrag unterzeichnende Gewerkschaft nimmt also an der Befriedung des Proletariats und die Verwandlung des unberechenbaren Klassenkampfes in vorhersehbare Tarifrituale teil. Das Tarifsystem beinhaltet also keine „Gefahren der Korrumpierung“ wie unsere anrchosyndikalistischen IdeologInnen so treuherzig behaupten, es ist die institutionalisierte Korrumpierung, die Erziehung von ProletarierInnen in gute demokratische Staatsbürgerinnen, die nicht mehr in erster Linie für sich selbst kämpfen, sondern dies ihren dazu vorgesehenen VertreterInnen überlassen. Die in praktischer Hinsicht (noch?) recht erfolglose FAU agiert bereits jetzt so realpolitisch und legalistisch, dass sie sich kaum noch vom DGB unterscheidet. Nur das Gelaber über „Basisdemokratie“ unterscheidet die anarchosyndikalistischen KleinbürgerInnen noch etwas von den DGB-GroßbürokratInnen. Die AnarchosyndikalistInnen wollen demokratischer als die herrschenden DemokratInnen sein, und sind doch nur armselige HofnärrInnen der Diktatur des Kapitals.
Ein weiteres Organ der Betriebs/Wirtschaftsdemokratie als Diktatur des Kapitals ist der Betriebsrat/Personalrat. Er wird von den „ArbeitnehmerInnen“ demokratisch, gewählt, stellt also so etwas wie praktizierte „ArbeiterInnendemokratie“ dar, ist dem Betriebsfrieden und dem Streikverbot unterworfen, dient also letztendlich zur Befriedung und Integration der ArbeiterInnen, so wie der Parlamentarismus in der politischen Sphäre.
In den Betriebsräten spielen die Gewerkschaften dieselbe Rolle, wie die Parteien im Deutschen Bundestag. Sie konkurrieren auf verschiedenen Listen um die Gunst der proletarischen WählerInnen, und nehmen so in konkurrenzförmiger Art und Weise mehr oder weniger bewusst an der Zähmung der Klassenkampfsubjektivität des Proletariats teil, auch die linken Betriebsräte innerhalb der DGB-Gewerkschaften oder der syndikalistischen Konkurrenz von der I.W.W. Germany. Betriebsräte verkörpern die institutionalisierte Sozialpartnerschaft, eine Form der „ArbeiterInnendemokratie“, die am Tropf des Kapitals hängt. Proletarische RevolutionärInnen haben in ihnen nichts zu suchen, wenn sie auch solche Institutionen auch manchmal begrenzt für ihren eigenen reproduktiven Klassenkampf nutzen können. Aber sie lassen sich nie und nimmer in Betriebs/Personalräte wählen oder rufen zu deren Wahl auf.
Nein, wir konkurrieren nicht mit den DGB-Gewerkschaftsbonzen, welche die Betriebsräte in der Praxis dominieren, innerhalb ihres Biotop, der Betriebs- und Wirtschaftsdemokratie, sondern setzen auf die proletarische Selbstorganisation im Klassenkampf und auf deren militante Form, die Diktatur des Proletariats. Diese entwickeln sich bereits embryonal im reproduktiven Klassenkampf. Ihr sichtbarster Ausdruck ist der wilde Streik, welcher die Friedenspflicht des Tarifschachers missachtet und nicht von der Gewerkschaftsbürokratie im Interesse des Kapitals desorganisiert, sondern vom kämpfenden Proletariat selbst organisiert wird. Das sozialreaktionäre Streikmonopol der Gewerkschaftsbürokratie, welches real ein Streikverbot für das selbstorganisierte Proletariat darstellt, wird gebrochen. Auch schon in offiziell noch von DGB-Gewerkschaften „geführten“ bzw. gebremsten Klassenkämpfen kann sich eine Doppelherrschaft von Gewerkschaften und proletarischer Selbstorganisation herausbilden.
Die DGB-Gewerkschaften sind bürokratisch entfremdete Ausdrücke des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats. Doch die Gewerkschaftsbürokratie vertritt objektiv ihre eigenen Interessen als Teil der herrschenden kapitalistischen Klasse, als Co-Managerin des menschlichen produktiven Kapitals. Die konkrete Gewerkschaftspolitik ist abhängig von den Verwertungsbedingungen des Kapitals (Aufschwung oder Krise), der staatlichen Politik (Repression oder Integration) und dem Druck der proletarischen Basis (mehr oder weniger kämpferisch) abhängig. Der Widerspruch zwischen Gewerkschaftsbürokratien und dem Proletariat kann sich im reproduktiven Klassenkampf nur bewegen und entwickeln, gelöst werden kann er nur durch die revolutionäre Zerschlagung der Gewerkschaftsbürokratien.

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Trotz Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“ ist auch in den demokratischen Metropolen der reproduktive Klassenkampf des Proletariats nicht frei von revolutionären Tendenzen. Revolutionäre Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes sind solche, welche die Grundlagen des proletarischen Elends und des kapitalistischen Reichtums angreifen: den kapitalistische Charakter der Produktionsmittel (sachliches produktives Kapital), den Kapitalcharakter der eigenen Arbeitskraft (menschliches produktives Kapital) und den Warencharakter der Produkte. Um diesem Elend für ein paar Minuten zu entkommen, muss der kapitalisierte/proletarisierte Mensch sich selbst tendenziell entproletarisieren, indem er im kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozess nicht brav den Profit vermehrt, sondern subversiv krankfeiert, die kapitalistischen Produktionsmittel für den eigenen Nutzen verwendet und sich Produkte unentgeltlich aneignet. Auch wenn es sich dieser revolutionären Tendenzen meistens nicht bewusst ist, so handelt doch dass Proletariat instinktiv radikal, indem sie die Wurzeln des Kapitalismus angreift.
Die Proletarierin in einer Holzwerkstatt, die immer dann, wenn der Chef nicht hinguckt, eigene Gebrauchsgegenstände für sich herstellt, hebt für diese Augenblicke den Kapitalcharakter der Produktionsmittel auf. Der Produktionshelfer, dem die Maschine den letzten Lebensnerv raubt und sie phantasiereich außer Gefecht setzt – so dass seine Sabotage nicht bemerkt wird – zerstört für eine Atempause kapitalistische Zerstörungsmittel. Die ArbeiterInnen in einem Lebensmittelbetrieb, welche sich die Produkte ihrer Arbeit illegal und unentgeltlich aneignen, heben den Warencharakter einiger Produkte ihrer Arbeit auf…
Allerdings wird das proletarische Elend durch diese revolutionären Tendenzen, die sich oft instinktiv und vorbewusst durchsetzen, nur ein wenig abgemildert. Das proletarische Elend für immer aufzuheben, ist nur durch die bewusste soziale Weltrevolution – die globale revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats – möglich.

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