zionismus – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org Für die soziale, antipolitische und antinationale Selbstorganisation des Proletariats! Fri, 22 Dec 2023 10:19:53 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://swiderstand.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1128/2022/05/cropped-28385945-32x32.png zionismus – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org 32 32 Neue Broschüre: Schriften zum Klassenkampf IV https://swiderstand.blackblogs.org/2015/06/11/neue-broschuere-schriften-zum-klassenkampf-iv/ https://swiderstand.blackblogs.org/2015/06/11/neue-broschuere-schriften-zum-klassenkampf-iv/#respond Thu, 11 Jun 2015 19:42:14 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=105 Unsere neue Broschüre: „Schriften zum Klassenkampf IV“ (ca. 121 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Inhalt

Einleitung

Gewerkschaftsbürokratie und proletarische Selbstorganisation im reproduktiven Klassenkampf
1. Allgemeine Betrachtung
2. Klassenkämpfe bei der Royal Mail
3. Gate Gourmet
4. Der wilde Streik bei Gate Gourmet in London-Heathrow
5. McKinsey bei Gate Gourmet Düsseldorf
6. Informeller Klassenkampf vor dem Streik
7. Betriebsrat und U-Boot
8. Der Streik
9. Nach dem Streik
10. Der Solidaritätskreis

Die proletarische Diktatur
1. Die Diktatur des Kapitals
2. Notwendigkeit und Charakter der proletarischen Diktatur
3. Die proletarische Diktatur im reproduktiven Klassenkampf
4. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats

Proletarische RevolutionärInnen als selbstbewusste Subjekte des Klassenkampfes
1. Sozialrevolutionäre Gruppen als Alternative zu Parteien und Gewerkschaften
2. Die praktische Schule des reproduktiven Klassenkampfes
3. Die mögliche Herausbildung revolutionärer Klassenkampforganisationen
4. Proletarische RevolutionärInnen als bewusste Subjekte der materialistischen Dialektik

Cajo Brendel (1915-2007), ein sozialrevolutionärer Intellektueller
1. Cajo Brendels Lehrjahre
2. Stärken und Schwächen
3. Deine Theorien leben weiter, Cajo!

Notwendigkeit und Charakter der proletarischen Diktatur

Das Proletariat ist also der kapitalistischen Diktatur unterworfen, welche bürgerliche IdeologInnen Freiheit nennen. Führt das Proletariat einen Klassenkampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, dann bekommt es schnell Zwang und Gewalt des Kapitals in unverhüllter Form zu spüren. Auch das stark repressive demokratische Streikrecht ist Teil der kapitalistischen Diktatur gegen das klassenkämpferische Proletariat, wie wir weiter oben ausführlicher darlegten. Das demokratische Streikrecht ist nichts anderes als das Eingeständnis der Bourgeoisie, dass der Klassenkampf in einer Klassengesellschaft nicht erfolgreich absolut zu verbieten ist. Ja, der Klassenkampf wächst mit Notwendigkeit aus der kapitalistischen Klassengesellschaft heraus. Und Kampf heißt immer Zwang und Gewalt, also Diktatur. Klassenkampf heißt also notwendig Diktatur, Klassendiktatur. Die Bourgeoisie übt ihre Diktatur legal und permanent im gesellschaftlichen Produktionsprozess von Dingen, Dienstleistungen und Ideologien sowie in der Politik aus. Das Proletariat ist in der Regel der kapitalistischen Diktatur unterworfen, wie wir im vorigen Kapitel analysierten. Doch das Proletariat ist nicht nur eine leidende Klasse, sondern auch eine kämpfende. Es spürt im Kampf nicht nur die Knüppel und Kugeln der Bullen, auch die letzteren bekommen nicht selten im Klassenkampf die körperlichen Verweise des Proletariats zu spüren. Zugegeben, in Deutschland passiert das noch sehr selten. Doch auch in Deutschland gab es besonders während der wilden Streiks zwischen 1969 und 1973 Bullenterror gegen streikende ArbeiterInnen – aber auch den Widerstand gegen diesen. So gilt selbst für Deutschland: Die proletarische Diktatur wächst notwendig aus dem Klassenkampf heraus. Die kapitalistische Diktatur geht notwendigerweise mit ihrem Gegenteil, der proletarischen Diktatur, schwanger.
Unter der Diktatur des Proletariats verstehen wir alle Formen von Zwang und Gewalt, die das Proletariat im Klassenkampf gegen Kapital und Staat anwendet, ja anzuwenden gezwungen ist. Die proletarische Diktatur ist also nichts, was RevolutionärInnen erfunden hätten, sie ist keine Ideologie, sondern objektive Notwendigkeit des Klassenkampfes. Der Klassenkampf bringt die proletarische Diktatur mit sich, wie die Wolke den Regen. Nur großbürgerliche Liberale und anarchistische KleinbürgerInnen können im Prinzip „jede Diktatur“ ablehnen, dem klassenkämpferischen Proletariat blieb und bleibt in einer Situation des verschärften Klassenkampfes nur die Alternative sich entweder von den Werkzeugen der kapitalistischen Diktatur (Bullen oder angeheuerte Schlägertrupps) misshandeln oder gar töten zu lassen, oder zurückzuschlagen, also praktisch die proletarische Diktatur auszuüben. Diktatur des Kapitals oder Diktatur des Proletariats – etwas dazwischen gibt es dann nicht. So war es zum Beispiel im August 2012, als das ANC-Regime blutig gegen das klassenkämpferische Proletariat vorging, aber das letztere auch ein paar Büttel der südafrikanischen kapitalistischen Klassendiktatur in die ewigen Jagdgründe schickte (siehe zu den blutigen Klassenschlachten in Südafrika: Nelke, Gelungene Demokratisierung in Südafrika – Das ANC-Regime gegen das Proletariat, in: Derselbe, Schriften zum Klassenkampf I, Soziale Befreiung, Bad Salzungen 2012, S. 85-100 und Nelke, Globale Klassenkämpfe (2008-2013), Bad Salzungen 2014, S. 69-73.)
An diesem Terrorfeldzug gegen das klassenkämpferische Proletariat nahm übrigens auch die Bergarbeitergewerkschaft NUM des Gewerkschaftsbundes COSATU teil, der während des Apartheid-Regimes vielen linken KleinbürgerInnen als besonders klassenkämpferisch galt. Ja, der weiße Apartheid-Bulle ging repressiv gegen den COSATU vor, während heute der COSATU Teil des schwarzen ANC-Bullenregimes ist. Der COSATU entwickelte sich vom Opfer der kapitalistischen Diktatur zu deren Täter. In Deutschland sind die DGB-Gewerkschaften auch schon lange Teil der kapitalistischen Diktatur gegen das Proletariat. Das demokratische Streikrecht gibt ihnen und den Spartengewerkschaften das Streikmonopol, die Arbeitsniederlegung hört also tendenziell Dank des demokratischen Streikrechtes auf, eine Waffe der proletarischen Diktatur zu sein, welche die Bourgeoisie dort trifft, wo es ihr am meisten weh tut: am Geldbeutel. Doch schon in noch offiziell von den Gewerkschaften geführten bzw. gebremsten Klassenkämpfen entwickelt sich die proletarische Selbstorganisation und mit ihr die proletarische Diktatur. Die wilden Streiks, die von den Gewerkschaftsbonzen unabhängigen Klassenkämpfe, bilden auch ein günstiges Biotop für das Heranwachsen der proletarischen Diktatur. Alle Büttel der Diktatur des Kapitals einschließlich der Gewerkschaftsapparate fürchten sich vor nichts so sehr wie vor der proletarischen Selbstorganisation und Diktatur. Die Gewerkschaftsapparate, die sich von einstigen Opfern zu den verkommensten Subjekten der kapitalistischen Diktatur entwickelten, fürchten zu Recht die Diktatur des Proletariats.
Eine ähnliche Entwicklung machten die Sozialdemokratie und der Partei-„Kommunismus“ durch. Der Partei-„Kommunismus“ nannte die verschieden staatskapitalistischen Diktaturen gegen das Proletariat demagogisch „Diktaturen des Proletariats“. Dabei konnten sich die staatskapitalistischen IdeologInnen auch geistig auf Marx und Engels stützen, von dem der Begriff „Diktatur des Proletariats“ stammte, aber bei den beiden bürgerlichen Intellektuellen noch recht verschwommen war. So schrieb Marx über die proletarische Diktatur: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen Gesellschaft in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann, als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ (MEW, Bd. 19, S. 28.)
Nach Marx war also die Diktatur des Proletariats eine Staatsform der Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Diese Definition wimmelt nur so von theoretischen Fehlern. Erstens ist ein Staat ein hierarchisch gegliederter Gewaltapparat, der das Proletariat beherrscht, aber nicht vom Proletariat beherrscht werden kann. Der Staat kann nur möglicherweise vom Proletariat zerschlagen werden. Zweitens kann es kein modernes Proletariat ohne Kapital geben, so wie es kein Ehemann ohne Ehefrau geben kann. Das Proletariat ist im Produktionsprozess selbst menschliches produktives Kapital, dass den Mehrwert für die herrschende kapitalistische Klasse produziert. Solange das Proletariat existiert, existiert auch das Kapital noch. Also kann die proletarische Diktatur als Staatsform nicht die Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus bilden, da es erstens praktisch kein Proletariat ohne Kapitalismus geben kann, und zweitens der Staat in der Praxis nicht vom Proletariat beherrscht werden kann, sondern der Staat das Proletariat beherrscht. In der Tat war dann ja auch die ideologische „Diktatur des Proletariats“ eine staatskapitalistische Parteidiktatur. Es ist also ideologischer Unsinn, wenn heute noch immer Partei-„KommunistInnen“ erzählen, dass die Sowjetunion, die DDR und andere Regimes nachkapitalistische Staaten, Diktaturen des Proletariats waren. Bei Marx und Engels war die Definition der Diktatur des Proletariats als eine Staatsform noch ein theoretischer Irrtum, aber bei den parteimarxistischen NachfolgerInnen ideologischer Selbstbetrug und Betrug des Proletariats im Interesse der staatskapitalistischen Diktatur.
Proletarische RevolutionärInnen treten deshalb für die revolutionäre Diktatur des Proletariats als dessen Selbstaufhebung ein. Denn die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats kann nur die zwangsweise und gewaltsame Zerstörung der kapitalistischen Diktatur sein. Die proletarische Diktatur entwickelt sich schon im und mit dem reproduktiven Klassenkampf als notwendigen Selbstschutz der Klasse gegen die Handlanger des Kapitals und kann in der sozialen Revolution möglicherweise ihren Höhepunkt erreichen. Aufgabe der revolutionären Diktatur des Proletariats ist die kapitalistische Diktatur zu zerschlagen. Indem das Proletariat die Produktionsmittel in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt, alle Eigentumsformen der Warenproduktion sowie die Ware-Geld-Beziehung aufhebt und den Staat zerschlägt, hebt es sich selbst und damit den Kapitalismus revolutionär auf. Die mögliche revolutionäre Diktatur des Proletariats geht also notwendigerweise prozesshaft in die klassen- und staatenlose Gesellschaft über. Indem die proletarische Diktatur die kapitalistische Diktatur zerschlägt, hebt sie sich selbst revolutionär auf.

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Neue Broschüre: Zionismus und arabischer Nationalismus https://swiderstand.blackblogs.org/2015/05/04/neue-broschuere-zionismus-und-arabischer-nationalismus/ https://swiderstand.blackblogs.org/2015/05/04/neue-broschuere-zionismus-und-arabischer-nationalismus/#respond Mon, 04 May 2015 07:48:21 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=104 Unsere neue Broschüre: „Zionismus und arabischer Nationalismus“ (ca. 121 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

 

Inhalt

Einleitung

I. Europäischer Antijudaismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus vor 1948
1. Von der relativen Assimilation der Juden in Westeuropa zum massenmörderischen Antijudaismus
2. Die Symbiose aus Antijudaismus und Zionismus
3. Osmanisches Reich, britischer Imperialismus, Zionismus, palästinensischer Nationalismus und Faschismus
4. Palästina nach dem Zweiten Weltkrieg

II Israel, der palästinensische Nationalismus und arabische Staaten
1. Der Krieg von 1948/49
2. Der Sechstage-Krieg von 1967
3. Der Krieg von 1973
4. Die Formierung des modernen palästinensischen Nationalismus
5. Der globale Krieg zwischen Israel und dem palästinensischen Exil-Nationalismus
6. Israel und die Besetzten Palästinensischen Gebiete (BPG)
7. Israel, die PLO und Jordanien
8. Israel, der palästinensische Nationalismus und Ägypten
9. Israel, die PLO und der Libanon
10. Israel, der palästinensische Nationalismus und Syrien

III Der sozialreaktionäre Charakter Israels
1. Auschwitz und Israel
2. Israel, das Judentum, der nichtjüdische Prozionismus und der Antijudaismus
3. Israel als eigenwilliger Wachhund des US-Imperialismus
4. Die Vermehrung des israelischen Nationalkapitals
5. Die israelische Apartheid-Demokratie

IV Die sozialrevolutionäre Nullstaatenlösung
1. Die mögliche Formierung des Weltproletariats zum revolutionären Subjekt
2. Die revolutionäre Zerschlagung aller Nationalismen

Von der relativen Assimilation der Juden in Westeuropa zum massenmörderischen Antijudaismus

Das alte Judentum war ein vorindustriekapitalistisches Handelsvolk, deren sozialökonomische Basis sich in der jüdischen Religion ideologisch spiegelte. So wie auch der evangelische Protestantismus – besonders der Calvinismus – die sozialpsychologischen Bedürfnisse der christlichen Bourgeoisie befriedigte. Was war die Funktion von vorindustriekapitalistischen Handelsvölkern wie den Juden? Sie verkörperten bis zum 11. Jahrhundert den verselbständigten Tauschwert, das Geld, in einer Agrargesellschaft, die noch weitgehend von der Naturalproduktion beherrscht war. Im europäischen Feudalismus spielte in der Landwirtschaft das Geld keine Rolle. Die BäuerInnen produzierten fast alles selbst was sie brauchten und die Abgaben an die Feudalherren wurden auch in Form von Naturalabgaben geleistet. Die Feudalherren brauchten allerdings Geld zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nach orientalischen Luxusgütern. Hier kam das Judentum als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk ins Spiel. Es handelte mit Luxusgütern und stellte den Feudalherren durch Wucher Geld zur Verfügung.
Den Christen war es von der Kirche verboten Zins zu nehmen. So betrieben oft Juden im Auftrag und im Interesse der Feudalherren Finanzgeschäfte. Dafür wurden die Juden oft zum Sündenbock für die Misswirtschaft. Das feudale System wusch sich rein, indem es auf den schmutzigen Juden verwies. Die Judenverfolgung hatte auch damals schon – trotz der irrationalen Ideologie, die sie produzierte – einen rationalen, die Herrschaft sichernden Kern. In der ständischen Gesellschaft des Feudalismus wurde der Charakter des Judentums als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk verrechtlicht und zementiert.
Im Gegensatz zu einer Verschwörungslegende des Antijudaismus waren die Juden eben nicht die „ErfinderInnen“ des modernen europäischen Kapitalismus, sondern sie wurden im Gegenteil mit der Herausbildung einer christlichen Handels- , Finanz- und schließlich Industriebourgeoisie ziemlich an den Rand gedrängt und Verfolgungen sowie Vertreibungen ausgesetzt. Zuerst wurden die Juden von einer ab dem 11. Jahrhundert entstehenden christlichen Handelsbourgeoisie aus dem Handel verdrängt. Es blieb ihnen oft nur noch das Wuchergeschäft. Der Antijudaismus ist eine extrem ideologisch verzerrte Widerspiegelung der Tatsachen, dass die Juden durch ihr Handelsmonopol bis zum 11. Jahrhundert den Tauschwert in einer noch vorwiegend von der Naturalwirtschaft geprägten Gesellschaft verkörperten und dann, als das Geld immer stärker den Feudalismus aushöhlte und zerstörte, von einer christlichen Handelsbourgeoisie immer mehr in den Wucher verdrängt wurden. Aber im modernen Kapitalismus verkörpern die Juden nicht mehr und nicht weniger das Geld als alle anderen Sprach-, Religions- und Kulturgemeinschaften auch.
In dem Maße, wie sich in den feudal-bürgerlichen Gesellschaften eine christliche Handelsbourgeoisie, welche auch den Geldhandel betrieb, entwickelte, konnten die Juden ab dem 12. Jahrhundert aus dem Handel verdrängt und vorübergehend vertrieben werden. Vorher nicht, weil das schwerwiegende sozialökonomische Folgen gehabt hätte. Die jüdische Religionsgemeinschaft wurde immer stärker von der anderen Bevölkerung isoliert. Zwischen 1099 und 1291 wurde die jüdische Bevölkerung in Palästina durch Kreuzfahrer und Seldschuken dezimiert. Seit dem 13. Jahrhundert erfolgte die zwangsweise Ansiedlung in geschlossene Stadtviertel (Judengasse, Judenviertel, Judenquartier, Ghetto). So wurden die Juden in den Jahren 1182, 1268 und 1306 aus Frankreich vertrieben. Die Juden wurden also als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk mit der Entwicklung einer christlichen Handelsbourgeoisie zunehmend verdrängt und nach Osteuropa vertrieben. Die Pest von 1348-51 wurde in ganz Europa zu einer barbarischen Judenverfolgung zum Anlass genommen. Sie forderte Zehntausende von Opfern und führte zu einer starken jüdischen Auswanderung, besonders von Deutschland nach Polen. Joachim Kahl bemerkt zu Recht: „So umfassend wurden die Juden ausgerottet, dass die Katastrophe dieser Jahre auf faschistische Pogrome unter Hitler vorausweist.“ (Joachim Kahl, Das Elend des Christentums, Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg, 1968/1993 S. 48.)
Mit der Entwicklung des Industriekapitalismus und der Entstehung moderner demokratischer Rechtsstaaten als den effektivsten politischen Formen der sozialen Diktatur des Kapitals in Westeuropa, bestand für die Juden Westeuropas immer stärker sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit sich als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk aufzuheben und sich in die entstehenden Nationalstaaten zu assimilieren. Bei einer geglückten Assimilation würden die Juden sich sozial in die drei Hauptklassen Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat spalten und als Religions- und Kulturgemeinschaft die Religionsfreiheit genießen. Die Juden würden sich durch den Nationalismus in erster Linie als FranzösInnen, EngländerInnen, Deutsche usw. fühlen, und ihr Judentum wäre wie jede Religion Privatsache. Diese Assimilation war auch im 19. Jahrhundert in Westeuropa relativ erfolgreich. Doch diese relative Assimilation war auch in Westeuropa immer wieder durch mal stärkere und mal schwächere Schübe des Antijudaismus geprägt. Besonders das KleinbürgerInnentum – aber auch Teile des Proletariats und der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung – waren durchaus anfällig gegenüber dieser chauvinistischen Ideologie.
In Osteuropa –besonders im zaristischen Russland – war der Kapitalismus zu schwach entwickelt, um das Judentum zu assimilieren. Der Kapitalismus war zwar auch dort Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts schon so stark, dass es massenhaft das jüdische Kleinhandwerk ruinierte, aber eben zu schwach, um das ruinierte jüdische KleinbürgerInnentum vollständig in ein Proletariat transformieren zu können. Das erzeugte in der jüdischen Bevölkerung –besonders im russisch annektierten Teil Polens – eine große Arbeitslosigkeit und ein für das Kapital unproduktives Elend. Zwar entwickelte sich auch ein jüdisches Proletariat, doch das wurde vorwiegend im zugrunde gehenden jüdischen Kleinhandwerk ausgebeutet. Im russisch annektierten Teil Polens verboten die polnischen Berufsgewerkschaften bis zum Sturz des Zarismus den jüdischen ProletarierInnen die Arbeit in der Industrie. Der überlebte Zarismus versuchte sich zu erhalten, indem er die soziale Wut – besonders der BäuerInnen –auf die Juden lenkte. Die Organisation bzw. Duldung antijüdischer Pogrome hatte für den russischen Zarismus eine herrschaftsstabilisierende Funktion. Er schürte auch die antijüdische Verschwörungsideologie nach Leibeskräften und produzierte das antijüdische Machwerk Protokolle der Weisen von Zion. Diese Hetzschrift gehörte international zur Lieblingslektüre aller Judenhasser, unter ihnen auch Adolf Hitler.
Die Nichtintegration der Juden im ökonomisch unterentwickelten Osteuropa hatte drei Folgen: Die Emigration nach Westeuropa, in die USA und nach Palästina, die Entstehung einer besonderen jüdischen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung und die Entwicklung des jüdischen Nationalismus, des Zionismus. Mit den beiden letztgenannten Folgen werden wir uns in den folgenden Kapiteln dieses Teiles auseinandersetzen. Hier wollen wir uns mit der Emigration osteuropäischer Juden und Jüdinnen nach Westeuropa und dem Anwachsen des Antijudaismus als chauvinistischer Reaktion auf die osteuropäisch-jüdische Migration beschäftigen. Die Ankunft jüdischer MigrantInnen aus Osteuropa stärkte auch in Westeuropa den Antijudaismus als reaktionäre chauvinistische Konkurrenzideologie. Mehrere europäische Nationalstaaten versuchten die jüdische Emigration gesetzlich einzuschränken. So erließ Großbritannien 1905 das berüchtigte Fremdengesetz, mit dem den osteuropäischen Juden und Jüdinnen die Migration auf die Insel verunmöglicht wurde.
Die so genannte „jüdische Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand aus der Nichtassimilation der Juden und Jüdinnen durch den noch schwachen osteuropäischen Kapitalismus und die Rückgängigmachung der relativen Assimilation durch den deutschen Krisenkapitalismus in seiner NS-faschistischen Form und schließlich im antijüdischen Massenmord. Die relative Assimilation der Juden in Westeuropa im 19. Jahrhundert beruhte auf der beschleunigten Kapitalvermehrung. Doch diese beschleunigte Kapitalvermehrung geriet ab 1914 in die strukturelle Profitproduktionskrise. Diese war in erster Linie ein Ausdruck des tendenziellen Falles der Profitrate, dem Verhältnis zwischen den Kosten der kapitalistischen Produktion (Produktionsmittel- und Lohnkosten) und ihren Gewinnen. Diese Profitrate fällt tendenziell durch zwei gesellschaftliche Prozesse. Der eine Prozess ist die zunehmende Mechanisierung und Automatisierung der kapitalistischen Produktionsweise, bei der immer mehr Funktionen der menschlichen Arbeitskräfte (ProletarierInnen, menschliches produktives Kapital) zur Funktion der Maschinerie (sachliches produktives Kapital) werden. Dadurch steigen tendenziell die Produktionsmittelkosten schneller und stärker an als die Gewinne. Die Folge ist ein tendenzieller Fall des Verhältnisses zwischen den Kosten der kapitalistischen Produktion und ihren Gewinnen (Profitrate). Diesem Fall der Profitrate können die KapitalistInnen entgegenwirken, indem sie die Ausbeutungsrate (Mehrwertrate) als Verhältnis zwischen den Lohnkosten und dem vom Proletariat erzeugten Mehrwert, den sich die Bourgeoisie aneignet, erhöhen. In der selbstreproduktiven Arbeitszeit erzeugt das Proletariat einen Wert, der den Lohnkosten entspricht, während es in der Mehrarbeitszeit den Gewinn für das Kapital produziert. Der Kampf um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten, also der reproduktive Klassenkampf des Proletariats im Rahmen des Kapitalismus, lässt die Mehrwertrate und damit auch die Profitrate sinken. Die KapitalistInnen müssen durch das Senken des Reallohnes sowie durch Arbeitsverdichtung oder unbezahlte Arbeitsverlängerung danach streben, die Mehrwertrate zu erhöhen, die wichtigste Gegentendenz zum Fall der Profitrate. Die strukturelle Profitproduktionskrise führt also zur Verschärfung des Klassenkampfes.
Während die Erhöhung der Ausbeutung des Proletariats die wichtigste Gegentendenz zum tendenziellen Fall der Profitrate darstellt, ist die Erhöhung der Profitmasse bei einer fallenden Profitrate eine wichtige Kompensation. Größere Kapitale erzielen eine größere Profitmasse. Neben dem einfachen Wachstum der Kapitale, führt das Schlucken von kleinerem und kriselndem Kapital durch größeres und ökonomisch potenteres Kapital zur weiteren Konzentration und Zentralisation des Kapitals. Gerät der Kapitalismus in eine strukturelle Profitproduktionskrise, verschärft sich also der Konkurrenzkampf enorm. Sowohl zwischen KapitalistInnen und KleinbürgerInnen innerhalb der einzelnen Nationalkapitale/Nationalstaaten als auch die imperialistische Konkurrenz zwischen den letztgenannten. Und damit laden sich auch alle chauvinistischen Konkurrenzideologien wie Nationalismus, Rassismus und Antijudaismus auf. Konkurrenz gibt es nicht nur zwischen KapitalistInnen und KleinbürgerInnen, sondern auch zwischen ProletarierInnen auf dem Arbeitsmarkt. Der permanente Konkurrenzkampf innerhalb des Kapitalismus, wozu auch der imperialistische Krieg zwischen Staaten gehört, ist potenziell und tendenziell massenmörderisch und entfesselte während der strukturellen Profitproduktionskrise zwischen 1914 und 1945 seine bisher gewaltigste zivilisationsbarbarische Zerstörungskraft. Dazu gehören die beiden von Deutschland begonnenen Weltkriege, die aber auch von Seiten aller seiner Feinde – einschließlich der staatskapitalistischen Sowjetunion – imperialistisch-reaktionäre Kriege waren, der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden durch den deutschen NS-Faschismus und das atomare Massaker des US-Imperialismus in Japan. Beide Weltkriege waren vor allem ein ultrabrutaler Klassenkampf von oben, bei denen sich die ProletarierInnen zum Wohle des Weltkapitalismus gegeneinander massakrierten. Diese Tatsache zu verschleiern, ist bis auf den heutigen Tag das dreckige Geschäft von Neofaschismus und einem großen Teil des Antifaschismus, der sich auf die Seite der imperialistischen Kriegsgegner des NS-Faschismus stellt. Wer Hiroshima und Auschwitz gegeneinander in Stellung bringt und so relativiert, dem gehört das Maul gestopft!
Sowohl die beschleunigte Kapitalvermehrung als auch die strukturelle Profitproduktionskrise sind durch die Konjunkturzyklen geprägt (Aufschwung und Krise). Allerdings sind in der strukturellen Profitproduktionskrise die Aufschwünge weniger expansiv, dafür aber die Krisen häufiger und tiefer. Der westeuropäische und der nordamerikanische Kapitalismus gerieten ab 1914 in die strukturelle Profitproduktionskrise, die in einer Konjunkturkrise zum Ausdruck kam. Der Erste Weltkrieg war für das globale Rüstungskapital ein gefundenes Fressen und bescherte dem US-Nationalkapital ein Extraaufschwung, während Europa in Blut und organisiertem Chaos versank. Der Krieg führte zur Verschärfung des Klassenkampfes, der in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) mündete, die jedoch der globale Kapitalismus konterrevolutionär löste – dazu gehörte auch der bolschewistische Staatskapitalismus in „Sowjet“-Russland, welcher 1921 die Kronstädter Matrosen als Avantgarde der Revolution massakrierte. Zwischen 1923 und 1929 stabilisierten sich der westeuropäische und der nordamerikanische Kapitalismus etwas – um dann 1929 in der Weltwirtschaftskrise zu landen.
Diese Krise machte in Deutschland den NS-Faschismus als kleinbürgerlich-reaktionäre Massenbewegung im Interesse der Bourgeoisie groß. Der NS-Faschismus war Fleisch vom Fleische des deutschen KleinbürgerInnentums, das durch die Weltwirtschaftskrise massenhaft ruiniert wurde. Die ruinierten KleinbürgerInnen konnten nicht in der ArbeiterInnenklasse aufgehen, da diese selbst unter der Massenarbeitslosigkeit litt. Der Antijudaismus der Nazis entsprach den sozialökonomischen und sozialpsychologischen Bedürfnissen der von der Krise bedrohten KleinbürgerInnen. Wenn jemand vernichtet werden sollte, dann nicht sie, sondern die jüdische Konkurrenz! Kauft nicht bei Juden, sondern bei braven „arischen“ Deutschen! Die KleinbürgerInnen projizierten massenhaft ihren ganzen Hass auf die Juden, ihre eigene Geldgier auf die „Geldjuden“, ihre Angst und Abscheu vor dem klassenkämpferischen Proletariat in den „jüdischen Bolschewismus“, ihre Enttäuschung in die Weimarer „Judenrepublik“ – die sie nicht retten wollte oder konnte – und das angeblich „jüdische“ Bankkapital, bei dem sie massenhaft verschuldet waren.
Keine Klasse beherrscht die Kapitalvermehrung, auch die KapitalistInnen werden von ihr beherrscht. Sie werden vom Aufschwung emporgehoben – und dann in die Krise geschleudert. Für die KleinbürgerInnen fällt die Höhe des Aufschwunges wesentlich niedriger, dafür aber der Fall umso tiefer aus. Von der sozialökonomischen und psychologischen Vernichtung bedroht, wollen sie überleben, indem sie andere vernichten. Eine Zwischenstellung zwischen dem Großkapital, dass es besonders in der Krise massenhaft ruiniert, und dem Proletariat, das es embryonal ausbeutet, einnehmend, lief das KleinbürgerInnentum während der Weltwirtschaftskrise in Deutschland im Interesse der Bourgeoisie antijüdisch und antikommunistisch Amok und machte den NS-Faschismus zu einer Massenbewegung. Als die deutsche Bourgeoisie 1933 den Nazis die politische Macht übergab wurde ihr Antijudaismus zur massenmörderischen Gewalt. Der Antijudaismus wurde wie die Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg und die Zerschlagung der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Partei-„Kommunismus“) zur völkischen Krisenlösungsstrategie der Nazis. Indem die Bourgeoisie ihre Herrschaftsform von der Demokratie zum NS-Faschismus transformierte, entwickelte sich der NS-Faschismus aus einer kleinbürgerlichen Massenbewegung in eine großbürgerliche politische Strömung.
Beim staatlichen Antijudaismus der Nazis verschmolz die kalte technokratische Rationalität der Kapitalvermehrung mit einer überfanatischen irrationalen Vernichtungsideologie und gipfelte schließlich im kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Die Verdrängung der Juden und Jüdinnen durch den NS-Staat aus Wirtschaft, Politik und Kultur, eröffnete neue Karrieren für „arische“ Deutsche, besonders für überzeugte Nazis. Die jüdische Bourgeoisie wurde im Interesse ihrer „arischen“ Konkurrenz enteignet, wodurch die Konzentration und Zentralisation des Kapitals zunahm. So schufen die Nazis massenhaft für das Kapital unproduktive jüdische Armut. Der Kapitalismus vernichtete und vernichtet massenhaft unproduktive Armut, indem er die Armen mehr oder weniger sich selbst überlässt. Ein monströser Massenmord! Die modernen Sozialstaaten in den kapitalistischen Metropolen mildern den Terror gegen das nichtlohnarbeitende Proletariat etwas ab – aber nur SozialdemokratInnen kommen auf die Idee, die Tatsache, dass die entwickelten kapitalistischen Staaten ihre Armen nicht mehr massenhaft verhungern und erfrieren, sondern sie auf niedrigem Niveau dahinvegetieren lassen, als „zivilisatorische Errungenschaft“ zu feiern. Doch die Nazis waren keine SozialdemokratInnen, sie waren konsequente SozialdarwinistInnen. Nachdem sie den Jüdinnen und Juden die sozialökonomische Grundlage ihrer Existenz genommen hatten, vernichteten sie sie physisch. Die Nazis waren die ultrafanatischen Übertreiber jenes kapitalistischen Sozialdarwinismus, der sonst die Menschen durch die unsichtbare Hand des Marktes tötete und noch immer tötet.
Die physische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden begann mit dem Zweiten Weltkrieg. Das hatte sehr viel mit der ultrafanatisch-antijüdischen ideologischen Verklärung dieses imperialistischen Gemetzels durch die Nazis zu tun. Für diese stellte der Zweite Weltkrieg ein Endkampf zwischen „arischen Herrenmenschen“ und „jüdischen Untermenschen“ dar, wodurch die sozialökonomische Basis des Blutbades als militärischer Konkurrenzkampf zwischen imperialistischen Staaten extrem ideologisch verschleiert wurde. Als diese extrem irrationale Ideologie zur massenmörderischen Gewalt wurde, überlagerte sie auch den rationalen Zweck des Krieges, nämlich die konkurrierenden Staaten militärisch zu besiegen. Deportationszüge mit europäischen Juden in die Vernichtungsstätten erhielten Vorrang gegenüber militärischen Transporten.
Beim kapitalistisch-industriellen Massenmord verschmolz die Rationalität der Kapitalvermehrung untrennbar mit der massenmörderischen Irrationalität des fanatischen Judenhasses. Einige Juden wurden von der SS an das deutsche Kapital (z.B. Krupp) als SklavInnen verkauft, wo das „Judenmaterial“ zu Tode gearbeitet wurde. Aus Geld muss mehr Geld gemacht werden! Dass ist der massenmörderische kategorische Imperativ des Kapitals. Und wenn noch so viele Menschen sterben müssen! Wer zählt die Millionen SklavInnen und LohnarbeiterInnen, die das Kapital in seiner Geschichte weltweit zu tote gearbeitet hat?! Nein, der Massenmord des deutschen NS-Faschismus war kein Zivilisationsbruch, er war der bisher extremste Ausdruck der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei.
Auschwitz als Zivilisationsbruch zu bezeichnen, heißt davon zu abstrahieren, dass sich das Kapital nur durch die Auftürmung von Leichenbergen vermehrte und vermehrt. In der Fabrik und auf den Schlachtfeldern unzähliger Kriege wurden in der Geschichte Millionen Menschen zum Wohle der Kapitalvermehrung umgebracht. In einer Geschichte voller Gemetzel ist das größte Gemetzel kein Zivilisationsbruch! Außerdem ist das Gerede vom „Zivilisationsbruch“ extrem eurozentristisch. Im Trikont (Asien, Afrika und Lateinamerika) wurden zum Wohle der europäisch-weißen kapitalistischen Zivilisation Menschen nichtweißer Hautfarbe massenhaft massakriert. Die IndianerInnen Nordamerikas wurden fast ausgerottet. Die Nazis haben ihren Massenmord mitten in Europa organisiert, das war das Neue. Außerdem nutzten sie für ihre Mordorgie die modernen kapitalistischen Produktivkräfte, die immer auch Zerstörungskräfte gegen das arbeitende Proletariat und die Natur waren und sind. Diesen Zusammenhang soll das moralisierende Gerede über den angeblichen „Zivilisationsbruch“ verschleiern. Der klebrige Moralismus dient auch hier der Verteidigung der alltäglichen kapitalistischen Zivilisationsbarbarei und seiner technokratischen Todesfabrikation.
Doch die materialistische Geschichtsbetrachtung zieht den moralisierenden Schleier, den die demokratisch gewendete Bourgeoisie von Auschwitz über den kapitalistisch-industriellen Massenmord als untrennbaren Teil ihrer Vergangenheit legt, erbarmungslos beiseite. Im Gegensatz zu vielen linken KleinbürgerInnen, die sich formal zum Marxismus bekennen, aber zu moralisieren anfangen wenn es richtig wehtut, halten wir gegen das unerträgliche bürgerliche Geschwätz, dass Auschwitz nicht erklärbar sei, daran fest, dass die materialistische Geschichtsbetrachtung auch den kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden erklären kann und muss. Die bürgerlich-idealistische Verklärung und Mythologisierung von Auschwitz dient nur der Bourgeoisie. Das Proletariat braucht Klarheit über die kapitalistische Welt, in der es schuftet, leidet und stirbt – aber eben auch lebt, liebt, lacht und kämpft!
Auschwitz verkörpert auf ideologisch extrem verzerrte Weise den Konkurrenz- und Klassenkampf von oben in einer der krisenhaftesten Zeiten des Kapitalismus, der seine Zivilisationsbarbarei extrem verschärfte, und in Deutschland in NS-faschistischer Form zugleich rational-technokratisch-kalt und irrational-ideologisch durchdrehend die Krise zu lösen versuchte. Durch den Judenhass wurde der Konkurrenzkampf auf völkisch-rassistische Art und Weise gelöst, eine für das Kapital unproduktive jüdische Armut geschaffen und diese technokratisch vernichtet, woran auch das Kapital verdiente. Und nicht nur das Kapital. Nach der Deportation der deutschen Jüdinnen und Juden wurden ihre Haushalte versteigert. An den Versteigerungen nahmen Menschen aller Klassen und Schichten teil. So stärkte sich die „Volksgemeinschaft“ als Scheinrealität und realer Schein durch den rassistischen Ausschluss der Juden als Beutegemeinschaft der Aasgeier. Es darf aber nicht vergessen werden, dass es auch im NS-Faschismus vor dem Zweiten Weltkrieg den Klassenkampf deutscher ArbeiterInnen gab (siehe dazu Imperialistischer Krieg und proletarischer Klassenkampf, in: Schriften zum Klassenkampf III, Soziale Befreiung, Nürnberg 2014, S. 71-78.) Der NS-Antijudaismus stärkte schon während der Weimarer Republik den Kapitalismus ideologisch, indem er den „arischen schaffenden“ Industriekapitalismus gegen das „raffende jüdische Finanzkapital“ ausspielte.
Im Zweiten Weltkrieg triumphierte global der Klassenkampf von oben gegen das Proletariat. Das Proletariat tötete und wurde getötet im Interesse der einzelnen Nationalstaaten, die ihren blutigen Konkurrenzkampf ausfochten. Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden war Teil des imperialistischen Gemetzels. Der antifaschistische Imperialismus der staatskapitalistischen Sowjetunion und der privatkapitalistischen Demokratien machte vor dem Gemetzel seine Geschäfte mit dem NS-Faschismus auf Kosten des Proletariats, so wie er nach dessen Beginn seinen militärischen Konkurrenzkampf gegen die Nazis zum Leidwesen der proletarisierten und kleinbürgerlichen Menschen ausgefochten hatte. Die imperialistischen Demokratien bombardierten deutsche ZivilistInnen, aber nicht die antijüdischen faschistischen Massenmordzentren.
Auch der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden verkörperte nicht nur auf die Art und Weise den ideologisch extrem verzerrten Klassenkampf von oben, indem er das von den Nazis völkisch-technokratisch geschaffene unproduktive jüdische Elend sehr zum Vorteil einiger Privatkapitale auslöschte. Die Nazis projizierten auch ihren nationalistischen Hass auf den „proletarischen Internationalismus“ der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auf das gesamte Judentum. Der „proletarische Internationalismus“ war und ist stark beschränkt, weil er nicht konsequent den kapitalistischen Nationalismus hinter sich lässt. Deshalb ist er aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht scharf zu kritisieren (siehe dazu die Kapitel I.2 und IV.2). Aber es muss auch bedacht werden, dass der „proletarische Internationalismus“ für viele jüdische ArbeiterInnen und Intellektuelle (Rosa Luxemburg, Karl Radek, Leo Trotzki…) in Osteuropa eine relativ progressive Form war, mit der sie ihre Nichtassimilation und den blutigen Antijudaismus verarbeiten konnten, ohne jüdische NationalistInnen (ZionistInnen) zu werden. Die Nazis projizierten ihren leidenschaftlich-krankhaften Hass gegen den proletarischen Internationalismus auf alle Juden, von denen viele in Westeuropa sich leidenschaftlich-reaktionär zu den Nationen bekannten, in denen sie lebten, oder jüdische NationalistInnen/ ZionistInnen waren. In seiner ersten „großen“ Rede vom 13. August 1920 teilte Hitler seinen ZuhörerInnen mit, dass er ein Judenfeind sei, weil „die Juden international sind, die Gleichheit aller Völker und die internationale Solidarität predigen, (und) es ihr Ziel ist, die Rassen zu entnationalisieren“ (siehe: E. Jäckel, Hitler als Ideologe, Calmann Levy 1973). Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden richtete sich auch ideologisch extrem verzerrt gegen den proletarischen Internationalismus.

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Der IS, der Imperialismus und der kurdische Nationalismus III https://swiderstand.blackblogs.org/2015/02/12/der-is-der-imperialismus-und-der-kurdische-nationalismus-iii/ https://swiderstand.blackblogs.org/2015/02/12/der-is-der-imperialismus-und-der-kurdische-nationalismus-iii/#comments Wed, 11 Feb 2015 23:15:43 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=101 Wir veröffentlichen hier die Fortsetzung des Artikels „Der IS, der Imperialismus und der kurdische Nationalismus“. Der letzte Teil unseres Textes „Der kurdische Nationalismus als ein Feind des Weltproletariats“ „Hoch die antinationale Solidarität!“ könnt ihr hier bei der „Sozialen Befreiung“ zu Ende lesen.

                                                                                       

    „Unverschleierte“ Frauen der YPJ-Einheiten. Kobanê 2014

Die linksbürgerlichen Lautsprecher des syrisch-kurdischen Nationalismus sind besonders über die bewaffneten Frauen der YPJ völlig aus dem Häuschen. Sie wollen wieder einfach nicht den dialektischen Zusammenhang von nationalem Militarismus und bürgerlicher Frauenemanzipation, welche die YPJ symbolisiert, verstehen. Es war lange Zeit eine patriarchalische Rollenteilung in den Nationalismen Praxis, nämlich dass die Männer an die Front gingen und die Frauen sich vorwiegend der biosozialen Reproduktion in den Familien widmeten. Doch die kapitalistische und bürgerlich-frauenemanzipative Modernisierung brachte auch in einigen Nationalismen die Frauen auf die Schlachtfelder, auf denen sie im Interesse des Nationalstaates/Nationalkapitals töten und sterben konnten und sollten. So gilt im zionistischen Israel für beide Geschlechter die Wehrpflicht. Es liegt auf der Hand, dass proletarische RevolutionärInnen sowohl den sexistischen Ausschluss von Frauen als auch deren Integration in den bürgerlich-nationalen Militarismus bekämpfen müssen. Proletarische RevolutionärInnen setzen sich dafür ein, dass Proletarierinnen von den Männern der Klasse als gleichberechtige – auch militante – Klassenkämpferinnen anerkannt werden. Die YPJ ist sowohl eine bürgerlich-frauenemanzipative als auch eine nationale Militärformation. Deshalb bekämpfen wir sie von einem proletarisch-revolutionärem Klassenstandpunkt aus als eine bürgerlich-reaktionäre Organisation. Doch wir haben ja schon oben gesehen, dass die linken KleinbürgerInnen den reaktionären Charakter des syrisch-kurdischen Nationalismus völlig verklären, um diesen zu unterstützen.
Aber selbst wenn mensch den Fakt anerkennt, dass im nordsyrischen Kurdengebiet Rojava sich eine kurdisch-nationale Durchsetzungsform des Kapitalismus entwickelt und alle „antikapitalistischen Perspektiven“ nichts als Projektionen linker KleinbürgerInnen darstellen, sollten RevolutionärInnen nicht trotzdem die modern-demokratischen Staatsvorstellungen des kurdischen Linksnationalismus gegen den ultrabrutalen und fanatisch mordenden IS als „kleineres Übel“ verteidigen? Ein entschiedenes Nein! Wer immer nur vermeintlich kleinere Übel verteidigt, hilft mit das Grundübel zu reproduzieren. Im Konkurrenzkampf der Nationalismen kann es für SozialrevolutionärInnen kein kleineres Übel geben. Über die Nationalismen herrscht die Weltbourgeoisie (KapitalistInnen, ManagerInnen, hohe BerufspolitikerInnen sowie hohe StaatsbeamtInnen und Militärs) über das Weltproletariat (die globale ArbeiterInnenklasse und die weltweiten nichtlohnarbeitenden Unterschichten, die über keine eigenen Produktionsmittel verfügen). Auch die kurdischen ProletarierInnen und KleinbürgerInnen in Rojava sind für die Politbonzen der PYD nur Manövriermasse ihres demokratisch-autonomen Unterstaates im Rahmen des syrischen Nationalstaates. Der syrisch-kurdische Nationalismus ist Teil des Grundübels, nämlich dass sich das Weltproletariat im Konkurrenzkampf der Nationalismen zur Reproduktion des Weltkapitalismus verheizen lässt. Nein, wir müssen gegen den Kapitalismus mit all seinen Nationalismen und all seinen politischen Fraktionen kämpfen, wenn das permanente Massaker des Weltkapitals am Weltproletariat aufhören soll!
Ein klarer Kampf gegen die imperialistische Kriegsallianz in Syrien und im Irak und eine gleichzeitige Unterstützung des kurdischen Linksnationalismus, der Teil dieser Allianz ist, ist objektiv unmöglich. Doch Teile der linken KleinbürgerInnen versuchen das objektiv Unmögliche. Heraus kommen dabei subjektive Eiertänze. Auch die „antiimperialistische“ und gleichzeitig prokurdische junge Welt, die zu Beginn der US-Luftangriffe auf den IS in Syrien diese noch als „völkerrechtswidrig“ kritisiert hatte, geriet nach der Kooperation zwischen dem syrisch-kurdischen Nationalismus und dem US-Imperialismus in ein argumentatives Dilemma. Vor der direkten Kooperation zwischen syrisch-kurdischen Linksnationalismus und US-Imperialismus lautete die Kritik der jungen Welt noch: Der US-Imperialismus bombardiert Öl-Raffinerien, die sich unter IS-Kontrolle befinden, lässt aber Kobani im Stich (siehe dazu: André Scheer, Kampf um Kobani, in: junge Welt vom 26./27. September 2014, S. 1.) Das ist schon keine klare Kritik am US-Krieg als solchen, sondern nur noch daran wie dieser geführt wurde. In diesem Fall fraß die prokurdische Linie den stramm antiamerikanischen Kurs der jungen Welt auf. So lautete dann auch die Unterschlagzeile des Artikels Kurden verteidigen Kobani vom 29. September 2014 auf Seite 1 Kritik an mangelnder Unterstützung durch US-geführte Koalition. Zwischendurch wurde mit dem Artikel Krieg gegen die Bevölkerung. Syrien: US-Luftangriffe auf IS-Terroristen treffen vor allem Zivilisten von Rainer Rupp in der jungen Welt vom 30. September 2014 noch einmal einigermaßen klar gegen den Krieg als solchen Stellung bezogen. Das lag daran, dass der Autor Rainer Rupp mehr antiamerikanisch – dieser Antiamerikanismus ist natürlich von einem antinationalen Standpunkt auch zu kritisieren – als prokurdisch ist.
Nach Beginn der Kooperation zwischen den beiden Fraktionen des Weltkapitals war die junge Welt natürlich unfähig klar und eindeutig die reaktionäre kurdisch-imperialistische Allianz zu kritisieren. Wenn jetzt der US-Imperialismus den IS vor Kobani bombardierte, wurde nicht mehr der Krieg als solcher kritisiert, sondern dass er zu „ineffektiv“ war. Als sich der große Fan des kurdischen Linksnationalismus, Nick Brauns, in der jungen Welt vom 2./3. Oktober 2014 mit einem Artikel unter der vielsagenden Überschrift Luftangriffe nutzlos zu Wort meldete, fraß die prokurdische wiedermal die grundsätzliche Antikriegs-Haltung der Zeitung auf. SozialrevolutionärInnen kritisieren immer an einem Krieg, dass er kapitalistischen und politisch-nationalen Interessen nutzt. Dass er „nutzlos“ sei, ist dagegen ein pazifistisches Vorurteil. Doch Herr Brauns wollte mit diesem Artikel nur deutlich machen, dass nach seiner Meinung der US-Krieg zu diesem Zeitpunkt noch kaum dem syrisch-kurdischen Nationalismus nutzte. So schrieb er: „Zwar bombardierten US-Kampfflugzeuge nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums auch IS-Ziele bei Kobani. Doch soll laut Augenzeugenberichten der IS bis auf zwei oder drei Kilometer an die Stadt herangerückt sein, so dass zwischen den Kämpfern beider Seiten Sichtkontakt bestehe.“ (Nick Brauns, Luftangriffe nutzlos, in: junge Welt vom 2./3. Oktober 2014, S. 6.) Brauns kritisierte in dem Artikel Unter einem Dach in der jungen Welt vom 17. Oktober 2014 auch nicht die Einbindung des syrisch-kurdischen Linksnationalismus in die von den USA geführte imperialistische Allianz gegen den IS, sondern stellt diese nur fest. Außerdem zitiert er kommentarlos den Vizeaußenminister des Kantons Kobani, Idris Nassen, der von der Imperialistischen Allianz forderte: „Wir brauchen mehr Luftangriffe, aber auch mehr Waffen und Munition, um sie am Boden bekämpfen zu können.“
Durch solche Artikel wurde die angeblich „antiimperialistische“ junge Welt indirekt zu einem Teil der imperialistischen Allianz in Syrien. Wer hätte das gedacht, dass in der so oft plump antiamerikanisch agierenden jungen Welt mal der US-Imperialismus als „kleineres Übel“ dargestellt wird! Eine klare Haltung gegen alle imperialistischen Kriege sieht anders aus! Diese ist allerdings nur bei einem antinational-sozialrevolutionären Standpunkt möglich.

…..

Gerade der BürgerInnenkrieg in Syrien und die Einmischung der imperialistischen Regional- und Weltmächte zeigt, dass die verschiedenen nationalen und politischen Fraktion des Weltkapitals mal kooperieren und mal konkurrieren – und zwar immer auf Kosten der kleinbürgerlichen und proletarischen Zivilbevölkerung. Und in Syrien verfeindete Mächte, wie Russland und die Türkei, können außerhalb dieses BürgerInnenkrieges fette Handelsbeziehungen noch fetter gestalten. Russland stützt im syrischen BürgerInnenkrieg das Assad-Regime und die Türkei gehört inzwischen zu dessen ärgsten Feinden. Doch Syrien ist nur ein Schlachtfeld im mal blutigen und mal friedlichen Spiel der Imperialismen. Neben Syrien gibt es da noch die Ukraine, wo die EU/NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite ihre imperialistischen Konflikte austragen (siehe dazu den Text Der westliche Menschenrechtsimperialismus in Aktion, a.a.O., S. 97-121). Die gegenseitigen schweren Wirtschaftssanktionen zwischen dem Westen und Russland im Verlauf des Jahres 2014 haben alle beteiligten Nationalkapitale stark geschwächt. Russland muss sich nach anderen Handelspartnern umsehen und ist beim NATO-Mitglied Türkei fündig geworden. So einigten sich die Türkei und Russland Anfang Dezember 2014 auf eine Verdreifachung des Handels bis 2023. Während der Handel zwischen den beiden Nationen im Jahre 2013 bei einem Volumen von umgerechnet 33 Milliarden Dollar lag, soll dieser im Jahre 2023 100 Milliarden Dollar betragen.
Auch die Schwesterparteien PKK und PYD ziehen nicht immer an einem Strang. In der gleichen Zeit, also Ende November 2014, wo die Türkei über die IS die Position der PYD weiter destabilisierte, flirtete Herr Öcalan nach einer kurzen Beziehungskrise wieder heftig mit der türkischen Regierung. Wir wollen dies an Hand von zwei junge Welt-Artikeln deutlich machen.
Nick Brauns schrieb über IS-Angriffe vom türkischen Territorium aus auf Kobani Ende November 2014: „Erstmals seit Ausbruch der Kämpfe um Kobani (Ain Al-Arab) vor zweieinhalb Monaten hat die Terrororganisation ,Islamischer Staat‘ (IS) die belagerte Stadt im Norden Syriens von türkischem Territorium aus unter Beschuss genommen. Die Stadt werde nun von vier Seiten angegriffen, berichtete eine Sprecherin der Partei der Demokratischen Union (PYD) in Kobani am Samstag (29. November 2014) gegenüber dem kurdischen Fernsehsender Ronahi TV.
Der Angriff hatte demnach am Samstag (29. November 2014) um fünf Uhr früh mit der Detonation eines aus der Türkei kommenden, mit Sprengstoff beladenen Lastwagens am Grenzübergang Mürsitpinar begonnen. Der auf syrischer Seite von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG kontrollierte Übergang ist die einzige Versorgungsroute für die belagerte Stadt. Auch zwei Selbstmordattentäter sprengten sich dort nach Angaben des Pressezentrums der YPG in die Luft. Anschließend hätten IS-Kämpfer von türkischer Seite aus die Innenstadt von Kobani mit Granatwerfern beschossen. Rund 50 Dschihadisten sollen sich auf türkischem Boden in staatlichen Getreidesilos sowie in zwei von der Armee evakuierten Dörfern verschanzt haben.
Eine Stunde vor Beginn der IS-Offensive wurde die Stromversorgung für die nahe Kreisstadt Suruc und mehrere Dörfer entlang der Grenze zu Syrien abgeschaltet, in denen Aktivisten seit Monaten Wache halten, um Grenzübertritte von Dschihadisten zu verhindern. Mitarbeiter des staatlichen Stromversorgungsunternehmens gaben gegenüber Firat News an, dass sie den Befehl dazu ,von oben‘ erhalten hätten. Der Gouverneur der Provinz Sanliurfa, Izzettin Kücük, habe ihn bestätigt, dass der IS von Suruc aus Kobani angegriffen habe, erklärte der Parlamentsabgeordnete der linken kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Ibrahim Ayhan. Sprecher des Generalstabs und der türkischen Regierung wiesen die Berichte als ,Lüge‘ zurück. Von Firat News veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen allerdings, wie aus Richtung der Getreidesilos auf die YPG-Kämpfer gefeuert wird.
Nach YPG-Angaben konnte der Angriff am Grenzübergang ebenso zurückgeschlagen werden wie eine zeitgleiche IS-Offensive an der Süd- und Ostseite der Stadt. Trotz großer Verluste würde der IS jedoch weiter Verstärkung bekommen, berichtete die Kommandantin der den YPG angeschlossenen Frauenverteidigungseinheiten YPJ in Kobani, Meysa Abdo, gegenüber Firat News. Dabei handele es sich vor allem um ausländische Dschihadisten.“ (Nick Brauns, Angriff aus der Türkei, in: junge Welt vom 1. Dezember 2014, S. 2.)
Wir sehen hier deutlich, wie der türkische Imperialismus über den IS den syrisch-kurdischen Nationalismus schwächt. Doch das hält den türkisch-kurdischen Nationalismus nicht davon ab, auf die starken Flirtsignale Ankaras in dessen Richtung grundsätzlich positiv zu reagieren. Nur einen Tag später konnten wir folgenden Artikel von Nick Brauns darüber in der jungen Welt lesen: „Die Arbeiterpartei Kurdistans und die islamisch-konservativen AKP-Regierung wollen trotz jüngster Spannungen einen neuen Anlauf zur Lösung der kurdischen Frage nehmen. ,Der Zug ist wieder im Gleis‘, kommentierte Vizeministerpräsident Yallcin Acdogan während einer AKP-Versammlung in Kocaeli am Sonntag (30. November 2014) die Wiederaufnahme der Friedensbemühungen.
Eine Delegation von Parlamentariern der links-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) hatte am Samstag (29. November 2014) erstmals nach mehreren Wochen wieder den inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali besuchen können. Öcalan habe sich mit Regierungsvertretern auf einen ,Plan für einen Friedens- und demokratischen Verhandlungsprozess‘ geeinigt, der bald der Öffentlichkeit zur Diskussion vorgelegt werde, erklärte die HDP-Delegation am Sonntag (30. November).
Wenn beide Seiten den Prozess ernsthaft betrieben, könnte es eine Regelung innerhalb von fünf Monaten geben, habe sich Öcalan überzeugt gezeigt. Dabei bestünde der PKK-Vorsitzende auf ,rechtliche Garantien‘ für einen solchen Prozess. So sei es sein Fehler gewesen, ohne rechtliche Absicherungen 2009 eine Gruppe von unbewaffneten Guerillakämpfern als vertrauensbildendes Zeichen in die Türkei zurückgeschickt zu haben, übte Öcalan Selbstkritik. Die Gruppe war nach ihrem Grenzübertritt aus dem Irak zwar begeistert empfangen doch später von der Polizei inhaftiert worden.
Notwendig sei zudem ein Komitee zur Überwachung eines ,konsolidierten Waffenstillstandes‘. PKK-Führungskader Cemil Bayik hatte im November (2014) bereits angedeutet, die USA könnten eine solche ,dritte Partei‘ sein – ein Vorschlag, der von Seiten der türkischen Regierung zurückgewiesen wurde. Auch Oppositionsführer Kemal Kihcdaroglu von der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) erklärte, seine Partei stände dafür nicht zur Verfügung. Anstatt hinter verschlossenen Türen mit Öcalan zu verhandeln, müssten die Diskussionen öffentlich im Parlament geführt werden.
Die Friedensgespräche von Geheimdienstvertretern mit Öcalan hatten nach einer Guerillaoffensive im Herbst 2012 begonnen. Zum kurdischen Neujahrsfest Newroz im März 2013 hatte Öcalan die Guerilla zum Verlassen der Türkei aufgerufen, um Raum für eine politische Lösung zu schaffen. Die PKK stoppte ihren Rückzug allerdings nach einem halben Jahr, weil die Regierung laut der Partei die Friedensphase zum Bau zahlreicher neuer Militärstützpunkte auf den von der PKK geräumten Positionen nutzte.
Nach Beginn des von der Türkei logistisch unterstützten Großangriffs des Islamischen Staates (IS) auf die syrisch-kurdische Stadt Kobani hatte die PKK Ende September ihren Waffenstillstand für obsolet erklärt. Die türkische Armee flog ihrerseits einen Luftangriff auf PKK-Stellungen.
Dass es der AKP mit der Fortsetzung des Friedensprozesses um mehr als einen Zeitgewinn vor der Parlamentswahl im Juni geht, darf angesichts ihrer fortdauernden Unterstützung für die IS-Kämpfer, die am Wochenende Kobani von türkischem Territorium aus angreifen konnten, bezweifelt werden. Vielmehr scheint Ankara darauf zu setzen, mit einer Schwächung der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien Öcalan zu mehr Kompromissbereitschaft bei den Verhandlungen zu zwingen.
Allerdings räumte selbst ein Kommentator der regierungsnahen Tageszeitung Sabah ein, dass die von der AKP als zentral verstandene Entwaffnung zu einem Zeitpunkt unrealistisch erscheint, an dem Kurden im Nahen Osten anhaltenden Angriffen von Dschihadisten ausgesetzt sind. Gleichzeitig ist eine Rückkehr zum Krieg für die PKK – deren Guerilla heute an mehreren Fronten im Irak und in Syrien gegen den IS kämpft – keine ernsthafte Option. Vielmehr nutzt die PKK die Friedensphase zum Aufbau ziviler Strukturen einschließlich kommunaler Räte und eigener Sicherheitskräfte, die die für ,autonom‘ erklärten Viertel kurdischer Städte schützen.“ (Nick Brauns, „Der Zug ist wieder im Gleis“, in: junge Welt vom 2. Dezember 2014, S. 7.)
Die kommunalen Räte, die Nick Brauns am Ende seines Artikels erwähnt, sind ganz normale kapitalistisch-demokratische Staatsorgane einer kurdisch-nationalen Autonomie innerhalb der Türkei, ihr linken TraumtänzerInnen! Weiter oben im Artikel von Brauns ging auch ganz klar hervor, dass die PKK darauf setzt den US-Imperialismus als Vermittler in das Boot der national-kurdischen Autonomie zu holen, so wie ja auch die PYD in Syrien Teil der von den USA geführten imperialistischen Allianz gegen den IS ist. Und die kleinbürgerliche politische Linke ist in ihrer Funktion als Lautsprecher des kurdischen Nationalismus zumindest indirekt Teil dieser imperialistischen Allianz. Es ist natürlich auch klar, dass der türkische Nationalstaat die Einmischung der USA in innere Angelegenheiten möglichst gering halten will. Es ist aber interessant, das am gleichen Tag, nämlich am 29. November 2014, wo der IS vom türkischen Boden aus gegen den syrisch-kurdischen Nationalismus eine Offensive startete, die türkisch-kurdischen Nationalisten ihr Oberhaupt Öcalan nach mehreren Wochen wieder besuchen durften. Der türkische Staat versuchte hier eindeutig PKK und PYD ein wenig zu spalten. Auch geht aus dem Artikel hervor, dass der türkische Staat immer dann Friedensgespräche mit Öcalan aufnimmt, wenn die PKK gerade in die militärische Offensive geht und das Geplauder mit Öcalan dazu nutzt zur bewaffneten Gegenoffensive überzugehen
Fazit: Die internationalen Beziehungen der Nationalismen sind also sowohl durch Kooperation als auch durch Konkurrenz geprägt, bei denen das Weltproletariat im Frieden und Krieg verheizt wird. Und das funktioniert solange wie sich die ProletarierInnen als „Türken“, „Kurden“, „US-Amerikaner“ „Deutsche“ usw. fühlen und auch so aufspielen und sich nicht als Teile des Weltproletariats begreifen und auch so handeln! Sich als Teil des Weltproletariats zu verstehen und auch so zu handeln ist der höchste Ausdruck des revolutionären Klassenbewusstseins, nur eine kleine Minderheit besitzt es zurzeit. Nur durch eine Verschärfung des Klassenkampfes durch außergewöhnliche Umstände zur sozialen Revolution kann dieses Bewusstsein massenhaft und damit zur materiellen Gewalt werden. Nein, wir proletarische RevolutionärInnen warten nicht passiv auf die Revolution. Wir bereiten sie durch bewusste Teilnahme am reproduktiven Klassenkampf aktiv vor. Genau wie unser sozialrevolutionärer Universalismus, dessen Subjekt das Weltproletariat ist, die globale Zerschlagung aller Nationalismen geistig vorbereitet.
Die kleinbürgerliche politische Linke hilft dagegen den Weltkapitalismus zu reproduzieren, indem sie angeblich „fortschrittliche“ Nationen gegen „reaktionäre“ Nationen verteidigt – ohne begreifen zu wollen, dass alle Nationalismen sozialreaktionär sind. Ihr „Antiimperialismus“ schreckt noch nicht einmal davor zurück, die BRD aufzufordern zugunsten des kurdischen Nationalismus imperialistischen Druck auf die Türkei auszuüben! So stellte die „antiimperialistische“ junge Welt dem uns bereits bekannten kurdischen Linksnationalisten aus München, Mehmet Derik, folgende Frage: „Sollten westliche Regierungen mehr Einfluss auf die Türkei nehmen – und wenn ja, wie?“ Eine sehr verräterische Frage für eine angeblich „antiimperialistische“ Zeitung. Derik gab darauf eine eindeutig proimperialistische Antwort: „USA und Deutschland setzen leider deutlich mehr auf eine strategische Zusammenarbeit der NATO-Partner, zwar spricht man mit der Türkei, schöpft aber seine Einflussmöglichkeiten bei weitem nicht aus. Militärische, politische und ökonomische Zusammenarbeit will der Westen offenbar nicht aufs Spiel setzen. Unsere Hauptforderung ist: Waffenlieferungen in die Türkei, nach Saudi-Arabien, Katar und in den gesamten mittleren Osten sind sofort einzustellen. Das beste Druckmittel aber wäre, in Deutschland das PKK-Verbot aufzuheben, um den Kampf der Kurden zu legitimieren.“ („Den Kampf der Kurden legitimieren“, a.a.O.) Diese „antiimperialistischen“ KleinbürgerInnen kritisieren also nicht die imperialistischen Beziehungen zwischen USA und BRD auf der einen Seite und der Türkei auf der anderen. Nein, sie wünschen sich imperialistischen Druck der USA und der BRD auf die Türkei zugunsten des kurdischen Nationalismus, während wir proletarischen RevolutionärInnen sowohl Kooperation als auch die Konkurrenz der Nationalismen grundsätzlich bekämpfen.
Die kleinbürgerliche politische Linke trifft seit der Eingemeindung des kurdischen Nationalismus durch die imperialistische Allianz gegen den IS, die auch die BRD zur Verstärkung ihres Einflusses im Irak nutzt, auch auf offene Ohren bei einem Teil des politischen und ideologieproduzierenden Personals der Bourgeoisie mit ihrer Forderung das PKK-Verbot aufzuheben, wie folgender Artikel des PKK-nahen Kleinbürgers Nick Brauns deutlich macht: „Mit einer Demonstration wollen linke und kurdische Organisationen am Samstag (den 28. November 2014) in Frankfurt am Main gegen das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans protestieren. Zudem soll Solidarität mit ,Revolution in Rojava‘ bekundet werden, die im Norden Syriens unter der politischen Führung einer Schwesterorganisation der PKK eine auf multiethnischen Volksräten basierenden Selbstveraltungsregion gebildet hat. (Anmerkung von Nelke: Über die prokurdische Nebelproduktion der linken KleinbürgerInnen haben wir weiter oben bereits alles Notwendige geschrieben.) Die Region wird mittlerweile von den dschihadistischen Kämpfern des Islamischen Staates (IS) schwer bedrängt.
Am 26. November 1993 erließ der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ein Betätigungsverbot gegen die PKK. ,Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisationen hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht‘, wurde das Verbot vom Innenministerium als außenpolitische Rücksichtnahme auf den NATO-Partner Türkei begründet. Nach Angaben der Bundesregierung wurden seit 1996 mehr als 100 Funktionäre der Arbeiterpartei verurteilt, vielfach zu Haftstrafen. Allein in den letzten zehn Jahren sind mehr als 4.500 Strafverfahren mit PKK-Bezug geführt worden, etwa weil Demonstranten den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan hochleben ließen.
Doch seit diesem Sommer (2014) ist die Debatte um die Aufhebung des PKK-Verbots in der Bundesrepublik neu entfacht. Hintergrund ist der erfolgreiche Widerstand der Guerilla gegen das Vordringen der IS im Nordirak und in Syrien sowie die Rettung zehntausender Jesiden und Angehöriger weiterer religiöser und ethnischer Minderheiten. ,Die PKK gehört zu Deutschland‘ titelte die taz. Vor 20 Jahren hatte es von dem Blatt noch ,linke‘ Flankendeckung für die staatliche Verfolgung der kurdischen Bewegung gegeben. (Anmerkung von Nelke: Die liberalen ÖkoimperialistInnen von der taz haben halt guten Instinkt dafür, welche ausländischen Nationalismen jeweils mit dem inländischen Nationalismus kompatibel sind, also zu Deutschland gehören. Dass kann sich mit der Außenpolitik Deutschlands auch mal schlagartig ändern. Herr Brauns, der linke internationalistische Lautsprecher des kurdischen Nationalismus und natürlich „Antiimperialist“, sitzt im Kampf gegen die IS indirekt auf einmal im selben Boot wie der deutsche Imperialismus. Deshalb kann er auch nur die Anti-PKK-Haltung der liberalen ÖkoimperialistInnen der Vergangenheit kritisieren, aber nicht die Pro-PKK-Haltung der Gegenwart, die diese Leute heute einnehmen. Aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht ist sowohl die Anti- als auch die Pro-PKK-Haltung von deutschen NationalistInnen als jeweilige Ausgestaltung des deutschen Imperialismus zu kritisieren. Doch Herr Braus ist ja nur ein armseliger Lautsprecher des kurdischen Nationalismus, der zurzeit mit dem deutschen Imperialismus indirekt in einem Boot sitzt. Und so passt er sich an jene Teile des politischen und ideologieproduzierenden Personals der Bourgeoisie an, um die PKK – diesen sozialreaktionären Verein kurdischer NationalistInnen – in Deutschland wieder zu legalisieren.) SPD-Vize Rolf Mützenich plädierte ebenso wie führende Grünen-Politiker angesichts der laufenden Friedensgespräche zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung für eine Neubewertung der PKK. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder dachte sogar über Waffenlieferungen an die PKK im Kampf gegen den IS nach.
Die Linksfraktion im Bundestag berät derzeit über einen Antrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden soll, das PKK-Verbot aufzuheben und sich für eine Streichung der kurdischen Organisation von der EU-Terrorliste einzusetzen. Am Mittwoch beteiligten sich Abgeordnete der Linkspartei zudem am ,öffentlichen Solidaritätsplakatieren‘ von stilisierten PKK-Sternen. Organisiert wurde die Aktion durch ein –vom Studentenverband SDS initiierten –Bündnis. (Anmerkung von Nelke: Diese naive Solidarität linker KleinbürgerInnen mit der PKK ist selbstverständlich sozialreaktionär.)
Vertreter der Friedensbewegung, darunter der Völkerrechtler Norman Paech, Peter Strutinsky vom Bundesausschuss Friedensratschlag und Laura von Wimmersberg von der Berliner Friedenskoordination, haben eine Online-Petition gegen das PKK-Verbot gestartet. Bislang unterzeichneten 5.200 Menschen das Begehren. Auch wird die Aufhebung des PKK-Verbots ein zentrales Thema eines Bündnisses gegen die Herbstkonferenz der Innenminister am 6. Dezember (2014) in Köln sein.
(Anmerkung von Nelke: Die bundesdeutsche Friedensbewegung gibt uns mit ihrer Unterstützung des kurdischen Nationalismus wieder einmal einen sehr guten Einblick in den Charakter des National-Pazifismus und die Wechselwirkung von Krieg und Frieden als besondere Momente der kapitalistischen Entwicklung. Der deutsche Pazifismus unterstützt also den militanten kurdischen Nationalismus, der zurzeit allerdings für einen Frieden mit dem türkischen Staat eintritt – sowohl der Krieg als auch der angestrebte Frieden mit dem türkischen Staat dienen dem Aufbau kurdischer Staatsstrukturen. Zurzeit soll das durch kurdische Autonomie im Rahmen des türkischen Staates verwirklicht werden. Klar, sich aussöhnende Nationalismen sind ein Ideal des Pazifismus. Doch Krieg oder Frieden zwischen den Nationalismen – stets ist der triumphierende Nationalismus Durchsetzungsform des Klassenkrieges von oben, den die Weltbourgeoisie gegen das Weltproletariat führt. Die nationalen Eliten führen die ProletarierInnen im Krieg auf das Schlachtfeld, wo sie sich gegenseitig zum Wohl der jeweiligen Profite und Machtgewinne der herrschenden Klassen gegenseitig massakrieren – und führen sie bei Friedenschluss wieder in die Etappe zurück. Bis zum nächsten Krieg. Der Pazifismus kämpft für Frieden zwischen den Nationalismen – und bereitet dadurch die Kriege zwischen ihnen mit vor. Wer wirklich gegen imperialistische Kriege kämpfen will, muss auch den bürgerlichen Frieden der Nationalismen bekämpfen.)
Das Bundesinnenministerium wehrt sich indes gegen eine Aufhebung des PKK-Verbots. Über 150 Veranstaltungen von Kurden in Deutschland innerhalb weniger Tage nach dem Einmarsch des IS in die syrisch-kurdische Stadt Kobani verliefen nach Angaben des Ministeriums ,überwiegend störungsfrei‘. Für die Behörde ist das ein Beweis, dass die PKK ihre deutsche Anhängerschaft ,in der Hand habe‘. Entsprechend könne die PKK auch nicht störungsfreie Proteste organisieren. Die Beibehaltung des PKK-Verbots sei deshalb ein ,unverzichtbares Regulativ der Gefahrenabwehr‘, so das Innenministerium. Es schätzt das Organisationspotenzial der PKK in Deutschland auf mindestens 50.000 Menschen.
Für das Bundesinnenministerium sind kurdische Kämpfer von IS-Terroristen ohnehin kaum zu unterscheiden. Das Gefährdungspotenzial von gegen den IS kämpfenden Kurden sei ,quantitativ zwar geringer, qualitativ aber nicht anders zu bewerten als das der dschihadistischen Syrien-Kämpfer‘.“ (Nick Brauns, PKK-Verbot auf dem Prüfstand, in: junge Welt vom 27. November 2014, S. 4.)
Es ist völlig logisch, dass die Charaktermasken des deutschen Nationalismus bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols nicht allzu sehr zwischen den militanten ausländischen Nationalismen unterscheiden. Gewalttätig darf in Deutschland nur der staatliche deutsche Nationalismus sein – einschließlich der V-Leute der Polizei- und Geheimdienste in Naziorganisationen. Ob ausländische Nationalismen in Deutschland friedlich Geld und Waffen für die jeweiligen „Befreiungskriege“ beschaffen dürfen, hängt ganz von den jeweiligen außenpolitischen Interessen des BRD-Imperialismus ab. Wir SozialrevolutionärInnen bekämpfen sowohl den deutschen Staat als auch die PKK als eine nationalistische Organisation grundsätzlich. Wir unterstützen selbstverständlich nicht die staatliche Repression gegen die PKK, aber wir fordern den deutschen Imperialismus auch nicht dazu auf mit dem kurdischen Nationalismus zu kuscheln und den IS zu bekämpfen, wie das die kleinbürgerliche politische Linke zu tun pflegt. Wir bekämpfen den deutschen Staat, die PKK, den IS und die kleinbürgerliche politische Linke als Fraktionen des Weltkapitals kompromisslos und gehen keine Bündnisse mit einer Fraktion gegen die anderen ein.
In folgendem Artikel der jungen Welt wird deutlich wie die linken KleinbürgerInnen grundsätzlich die staatliche Repression gegen den IS unterstützen, allerdings ein wenig an den Details herummäkeln – so wie es sich für gestaltungswillige und konstruktive politische Kräfte eben gehört: „Islamisten, die von Behörden als gewaltbereit eingeschätzt werden, soll in Zukunft bis zu 18 Monate der Personalausweis entzogen werden, um ihre Ausreise in Kampfgebiete wie Syrien und Irak zu verhindern. Dies berichtete die Nachrichtenagentur dpa am Mittwoch (den 26. November 2014) unter Berufung auf einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium, der ihr vorliege. Verdächtige sollen demnach einen Ersatzausweis bekommen, mit dem sie Deutschland nicht verlassen dürfen. Möglich ist schon jetzt, mutmaßlichen Terroranhängern den Reisepass zu entziehen und eine Ausreise aus Deutschland zu untersagen. Da ein solches Verbot aber nicht im Personalausweis vermerkt ist, können Islamisten auch in diesen Fällen relativ unbehelligt das Land verlassen. Viele reisen so in die Türkei und von dort aus weiter nach Syrien und in den Irak. Das will Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unterbinden. Er hatte sich bereits im Oktober (2014) mit seinen Amtskollegen aus den Ländern geeinigt, auch das Personalausweisgesetz zu ändern.
Die Länderbehörden sind in der Praxis für den Ausweisentzug zuständig. Im Entwurf des Innenresorts ist nun vorgesehen, dass die Behörden Verdächtigen – also jenen, bei denen die Sicherheitsbehörden Hinweise auf eine anstehende Ausreise haben – zunächst bis zu sechs Monate den Personalausweis entziehen können. Der stattdessen ausgegebene Ersatzausweis kann zweimal verlängert werden, jeweils um maximal sechs Monate. Betroffene sollen für den Ersatzausweis eine Verwaltungsgebühr von zehn Euro zahlen.
Der Gesetzentwurf soll voraussichtlich am 11. Dezember dem Kabinett vorgelegt werden. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, begrüßte zwar das Anliegen, der Terrororganisation ,Islamischer Staat‘ das Personal zu entziehen. Sie betonte aber, es gehe um Menschen, gegen die noch nichts strafrechtlich Verwertbares vorliege. ,Auf bloßen Verdacht hin den Personalausweis zu entziehen, ist ein schwerer Grundrechtseingriff‘, so Jelpke. ,Unabhängig von der tatsächlichen Gewaltbereitschaft der Betroffenen wirkt ein Ersatzausweis stigmatisierend.‘ Daher müssten effiziente Rechtsmittel gegen den Ausweisentzug möglich sein.“ (Ausweis weg auf Verdacht, in: junge Welt vom 27. November 2014, S. 2.)
Frau Jelpke, die dem linken Flügel der Linkspartei angehört, begrüßt also grundsätzlich – trotz dem Genörgel im Detail – das Anliegen des deutschen Nationalstaates sein Gewaltmonopol gegen ausländische militante IslamistInnen durchzusetzen. Selbstverständlich müssen IslamistInnen überall auf der Welt genau wie christliche FundamentalistInnen bekämpft werden, aber nicht im Schlepptau von Nationalstaaten, die mit ihrer Repression Teil des nationalistischen und religiösen Amoklaufes sind. Die sozialdarwinistisch-nationalistische Repression gegen islamische MigrantInnen stärkt nur den islamistischen Terrorismus. Die religiös-nationalen Chauvinismen reiben sich aneinander und laden sich gegenseitig auf. Unzählige KleinbürgerInnen und ProletarierInnen werden bei dieser reaktionären Symbiose gegeneinander aufgehetzt – zum Wohle des Weiterbestandes des Kapitalismus. Auch aufgeklärte deutsche BildungsbürgerInnen rümpfen über den sexistischen Islam die Nase und denken insgeheim, dass für ihn im aufgeklärten Deutschland kein Platz ist. Im aufgeklärten Deutschland, wo christliche PatriotInnen in Baden-Württemberg Sturm laufen, weil dort in den Schulen über sexuelle Vielfalt gesprochen werden soll. Nein, im aufgeklärten Deutschland, in dem Ende November 2014 das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das katholische St.-Vinzenz-Krankenhaus in Düsseldorf einen Chefarzt zu Recht gekündigt hat, da dieser es gewagt hatte nach der Scheidung noch einmal zu heiraten, ist für den rückschrittlichen islamischen Fundamentalismus kein Platz!
Wir sind keine linken KleinbürgerInnen, die die staatliche Repression gegen den Islamismus grundsätzlich richtig finden, aber dann an den notwendigen Details herummäkeln. So möchte Frau Jelpke die staatliche Repression schön mit bürgerlichen Narrenfreiheiten und rechtsstaatlichen Feinheiten garnieren, während wir geistig die Zerschlagung des Staates und damit auch der von ihm gewährten bürgerlichen Freiheit vorbereiten. Ja, wir sind proletarische KlassenfeindInnen der bürgerlichen Freiheit. Diese ist für den proletarischen Menschen eine Doppelte: Er ist frei von Produktionsmitteln und verfügt über eine freie Persönlichkeit. Diese doppelte Freiheit zwingt ihn dazu, seine Arbeitskraft an KleinbürgerInnen, KapitalistInnen, Staaten oder Kirchen zu vermieten. Die MieterInnen der proletarischen und kleinbürgerlichen Arbeitskräfte haben dann die Freiheit im Rahmen der Gesetze über diese zu verfügen. Die katholische Kirche darf zum Beispiel die freien Persönlichkeiten, die ihr ihre Arbeitskraft vermietet haben aber sich nicht an die christliche Moral halten, mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichtes wieder dem freien Markt zur Verfügung stellen. Das ist die Freiheit des christlichen Fundamentalismus in Deutschland. Hier wird kein Kalifat zugelassen und auch nicht, dass aus Deutschland Leute ausreisen, die dann im Ausland gegen die jeweiligen Interessen des BRD-Imperialismus verstoßen. Für Feinde der aufgeklärten und modernen deutsch-nationalen Freiheit gibt es keine Freiheit!

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https://swiderstand.blackblogs.org/2015/02/12/der-is-der-imperialismus-und-der-kurdische-nationalismus-iii/feed/ 2
Vortrag bei der Literatrurmesse https://swiderstand.blackblogs.org/2013/11/08/vortrag-bei-der-literatrurmesse-2/ https://swiderstand.blackblogs.org/2013/11/08/vortrag-bei-der-literatrurmesse-2/#respond Fri, 08 Nov 2013 00:39:33 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=76 Wir veröffentlichen hier den Vortrag, den unser Genosse Nelke auf der Literaturmesse im Rahmen der Vorstellung der Broschüre „Der Kampf des jüdischen Proletariats (1900-1945)“ in Nürnberg, den 2. November 2013 gehalten hat.

Streik Israel
Mitarbeiter israelischer Fluggesellschaften protestieren gegen das Billigflugabkommen zwischen Israel und der EU AFP

Der Titel dieser Broschüre „Der Kampf des jüdischen Proletariats“ ist bewusst gewählt. Er macht deutlich, dass Juden im 20. Jahrhundert nicht nur Opfer waren, sondern auch selbstbewusste Subjekte des proletarischen Klassenkampfes. Die Broschüre zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus. Erstens wird in ihr nicht der Begriff „Antisemitismus“ benutzt, sondern der ältere Begriff „Antijudaismus“. Wir unterscheiden weiterhin zwischen religiösen und rassistischen Antijudaismus. Der „Antisemitismus“-Begriff wird von uns aus zwei Gründen verworfen. Erstens ist er ungenau. So sind die Juden und Jüdinnen nicht die einzigen Semiten, aber der Begriff „Antisemitismus“ umfasst nur die chauvinistische Feindseligkeit gegen Juden. Zweitens ist der Antisemitismusbegriff zu einer politischen Waffe zionistischer und prozionistischer Kräfte geworden. So gilt im bundesdeutschen Politmainstream bereits eine „unangemessene“ Kritik an Israel als „antisemitisch“. Wie viel Kritik an Israel angemessen ist, entscheiden dann die zionistischen und prozionistischen Kräfte. Die deutsche Bourgeoisie, also die demokratisch gewendete Bourgeoisie von Auschwitz, ist heutzutage fast hundertprozentig prozionistisch, so wie sie zwischen 1933 und 1945 fast hundertprozentig antijüdisch war. „Solidarität mit Israel!“ ist für die deutsche Bourgeoisie taktisch klug und eine gute Waschanlage, um sich vom Dreck und Blut ihrer faschistischen Vergangenheit reinzuwaschen. Doch inzwischen sind die Hände der demokratischen deutschen Bourgeoisie reichlich beschmiert mit neuem Dreck und neuem Blut, wozu auch die mordbübische Solidarität mit Israel gehört. Die so genannten „Antideutschen“ sind in dieser Frage der Lautsprecher der deutschen Bourgeoisie.
Wir SozialrevolutionärInnen üben an Israel und am Zionismus die einzig angemessene Kritik, die für uns möglich ist: Wir sind für die Zerschlagung des Staates Israel durch die soziale Revolution, so wie alle Nationalstaaten als Machtapparate des Kapitals vom Weltproletariat zerschlagen werden müssen, wenn es sich von Ausbeutung und Unterdrückung befreien will. Die soziale Revolution ist die Zerschlagung von Nationalstaaten, aber nicht deren Neugründung. Deshalb bekämpfen wir auch den palästinensischen Nationalismus konsequent antinational. Denn jede bürgerliche Nation ist die Zwangsgemeinschaft aus Kapital und Arbeit. Für Lohnabhängige ist der Staat somit die politische Verlängerung der kapitalistischen Fabrik. Nationale Befreiung reproduziert die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats. So werden jetzt die schwarzen ArbeiterInnen in Südafrika nicht mehr von den Bullen des Apartheit-Regimes massakriert, sondern von den Bullen des ANC-Regimes. Diese grundsätzliche antinationale Haltung ist eine weitere Besonderheit dieser Broschüre. Sie unterscheidet sich eindeutig vom nationalistischen Krampf, der auch von einem Großteil der kleinbürgerlichen politischen Linken produziert wird.
Bevor in der Broschüre der Kampf des jüdischen Proletariats im zaristischen Russland und im unabhängigen Zwischenkriegspolen beschrieben wird, stellen wir die so genannte „jüdische Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Das alte Judentum stellte historisch ein vorindustriekapitalistisches Handelsvolk dar, dessen sozialökonomische Basis sich auch in der jüdischen Religion widerspiegelte, so ähnlich wie die materielle Lebensweise der christlichen Handelsbourgeoisie sich im Calvinismus ideologisch widerspiegelte. In der ständischen Gesellschaft des europäischen Feudalismus wurde der Charakter des Judentums als vorindustriekapitalistischem Handelsvolk verrechtlicht und zementiert. Die jüdische Religionsgemeinschaft hob sich durch ihre wachsende Isolation immer stärker von den von ihnen umgebenden Gesellschaften ab. Zwischen 1099 und 1291 wurde die jüdische Bevölkerung in Palästina durch Kreuzfahrer und Seldschuken dezimiert. Seit dem 13. Jahrhundert erfolgte die zwangsweise Ansiedlung in geschlossene Stadtviertel (Judengasse, Judenviertel, Judenquartier, Ghetto) Im feudalen Westeuropa waren die Juden im Mittelalter aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen. Sie durften kein Land kaufen und wurden den Handwerkszünften ferngehalten. Da es den ChristInnen von der Kirche verboten war Zins für geliehenes Geld einzutreiben, betrieben die Juden auch im Auftrag und Interesse der Feudalherren und der Kirche Geldspekulationen. Zum „Dank“ wurden die Juden dann von der damaligen herrschenden Klasse zum Sündenbock für die Misswirtschaft gemacht. Das Herrschaftssystem wurde reingewaschen, indem auf den gierigen, „schmutzigen“ Juden hingewiesen wurde. Die Judenverfolgung hatte also auch schon damals einen rationalen, herrschaftssichernden Charakter.
Schon im jungen BürgerInnentum entwickelte sich ein zunehmender Konkurrenzkampf zwischen einheimischen StädterInnen und den Juden. In dem Maße, wie sich in den feudal-bürgerlichen Gesellschaften eine christliche Handelsbourgeoisie, welche auch den Geldhandel betrieb, entwickelte, konnten die Juden aus dem Handel verdrängt und vorübergehend vertrieben werden. Vorher nicht, weil das schwerwiegende sozialökonomische Folgen gehabt hätte. So wurden die Juden in den Jahren 1182, 1268 und 1306 aus Frankreich vertrieben. Die Juden wurden also als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk mit der Entwicklung einer christlichen Handelsbourgeoisie zunehmend verdrängt und nach Osteuropa vertrieben. Die Pest von 1348-51 wurde in ganz Europa zu einer barbarischen Judenverfolgung zum Anlass genommen. Sie forderte Zehntausende von Opfern und führte zu einer starken Auswanderung, besonders von Deutschland nach Polen.
Selbstverständlich gab es große Unterschiede zwischen dem feudalen und dem kapitalistischen Antijudaismus. Doch die ideologische Verknüpfung zwischen beiden schuf der Kirchenreformator und Judenhasser Luther. Luther war bekannt für seine Polemiken gegen den (jüdischen) Wucher. Der Herausgeber der Nazizeitung Der Stürmer, Julius Streicher, berief sich also nicht zu Unrecht vor dem internationalen Militärgerichtshof 1946 auch auf Luther.
Die Französische Revolution enthielt mit der verwirklichten rechtlichen Gleichheit bei sozialer Ungleichheit, bei der also ein Milliardär und ein Obdachloser beide das gleiche Recht haben, unter einer Brücke zu schlafen, auch die Möglichkeit der Integration des Judentums in den modernen Kapitalismus. Bei dieser Integration musste sich das alte Judentum als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk in die drei Hauptklassen der bürgerlichen Gesellschaft –Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat – auflösen. Diese Integration fand auch mehr oder weniger stark ausgeprägt im Westeuropa des 19. Jahrhunderts statt. Der Antijudaismus behinderte diese Integration.
Diese weitgehende Assimilation war in Osteuropa auf Grund der sozialökonomischen Schwäche des dortigen Kapitalismus nicht möglich. Die in Osteuropa nichtmögliche Assimilation der Jüdinnen und Juden machte diese zum Hassobjekt einer feudal-kapitalistischen Sozialreaktion, besonders im zaristischen Russland und später im „unabhängigen“ Zwischenkriegspolen. Pogrom ist ein russisches Wort, das in die Weltkultur einging. In diesen Pogromen wurden jüdische Geschäfte geplündert, jüdische Frauen vergewaltigt und jüdische Menschen ermordet. Für den Zarismus war die Organisation von Pogromen auch ein Blitzableiter, um die soziale Wut der Bauern, die durch feudale Ausbeutung und durch Unterdrückung des zaristischen Staates geschürt wurde, auf die Juden zu lenken. Auch Dank antijüdischer Pogrome konnte sich der überlebte Zarismus noch bis 1917 halten.
Die Juden in Osteuropa waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wegen ihrer Nichtassimilation durch den ökonomisch noch zu schwachen Kapitalismus weitgehend auf die jüdische Kleinindustrie bzw. dem jüdischen Kleinhandel angewiesen – die immer weniger in der Lage waren, die Menschen zu ernähren und zunehmend von der großkapitalistischen Konkurrenz vernichtet wurde, was zu einer wachsenden Emigration osteuropäischer Jüdinnen und Juden führte. Das führte in Westeuropa bereits vor 1914, aber besonders zwischen den beiden Weltkriegen überwiegend im KleinbürgerInnentum zu einem massiven Anwachsen des Antijudaismus. Der Antijudaismus des 20. Jahrhunderts war nicht mehr vorwiegend religiös geprägt, sondern er wurde rassistisch. Aber nach wie vor war er an den negativen Geldfetischismus geknüpft. Dadurch wurde der Antijudaismus im 20. Jahrhundert zu einer bewusst-unbewussten Form der Sozialdemagogie, da im modernen Kapitalismus das zinstragende Kapital schon lange nicht mehr vorwiegend jüdisch war und ist. Unbewusst nennen wir diese antijüdische Sozialdemagogie insofern, weil den antijüdischen KleinbürgerInnen der sozialpsychologische Mechanismus des Antijudaismus nicht bewusst war –auch den hauptberuflichen DemagogInnen nicht. Alle Menschen sind im Kapitalismus gezwungenermaßen mehr oder weniger „geldgierig“, da in der alles andere dominierenden Ware-Geld-Beziehung das Geld das unmittelbare Tauschmittel ist, mit dem der stoffliche Reichtum der Gesellschaft eingetauscht werden kann und muss. Durch den Antijudaismus können nichtjüdische KleinbürgerInnen ihre eigene notwendigerweise existierende Geldgier auf „die Geldjuden“ projizieren.
Auch der fanatische und massenmörderische Judenhass der Nazis wurde unter anderem vom negativen Geldfetischismus genährt. Obwohl im damaligen Kapitalismus das Finanzkapital schon lange nicht mehr ausschließlich jüdisch war, wurde es von den Nazis in ihrer sozialen Demagogie so dargestellt und rassistisch begründet. Für die Nazis waren die Juden eine geldgierige Rasse.
Aber auch DemokratInnen betrieben im Westeuropa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine massive antijüdische Politik, die sich gegen die osteuropäisch-jüdische Emigration richtete. So beschloss zum Beispiel das britische Parlament im Jahre 1902 das Aliens Exclusion Bill.
Der jüdische Nationalismus, der Zionismus, mit dem Ziel in Palästina einen jüdischen Staat aufzubauen, war eine Reaktion des bürgerlichen Teils des Judentums auf dessen Nichtassimilation in Osteuropa und den wachsenden Antijudaismus in Westeuropa. Wie jeder bürgerliche Nationalismus, der sich noch keinen Staat schaffen konnte, strebte der Zionismus als Ideologie und Politik der jüdischen Bourgeoisie danach, das „eigene“ Kapital und die „eigene“ Arbeit erst noch ursprünglich zu einer nationalen Schicksalsgemeinschaft zu verschmelzen. Er war das Ziel der zionistischen Bourgeoisie das jüdische Proletariat selbstverantwortlich in einem „eigenen“ Staat auszubeuten. Damit war der Zionismus wie jeder Nationalismus objektiv der Hauptfeind des „eigenen“, in diesem Fall des jüdischen Proletariats, und für das Weltproletariat ein Feind unter vielen.
Wie jeder Nationalismus erzeugte der Zionismus den realen Schein und die Scheinrealität einer nationalen Schicksalsgemeinschaft, in diesem Fall zwischen jüdischer Bourgeoisie und jüdischem Proletariat. Der Zionismus hatte für den Weltkapitalismus die wichtige Funktion jüdische ArbeiterInnen überall auf der Welt von der Perspektive des gemeinsamen Klassenkampfes mit ihren nichtjüdischen KollegInnen abzulenken und das jüdische Proletariat für die Neugründung eines zionistischen Nationalstaates zu mobilisieren. Auch so genannte linke Strömungen im Zionismus, wie zum Beispiel die Hashomer Hatzair predigten vor dem nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden den jüdischen ArbeiterInnen in der kapitalistischen Welt, dass sie sich vom Klassenkampf fernhalten sollten – und auch vom aktiven Kampf gegen den Antijudaismus.
Durch die ideologische Offensive geistig total verwirrt, ist es bei einem nicht geringen Teil der kleinbürgerlichen politischen Linken in Deutschland Mode, den Zionismus gegen revolutionäre Kritik in Schutz zu nehmen. Er sei eine natürliche Reaktion auf den Antijudaismus. Das ist aufgrund der Tatsache, dass der Zionismus mit den schlimmsten Judenschlächtern systematisch paktierte, um seinen Judenstaat zu verwirklichen, eine sehr grobe Geschichtsfälschung. Der Zionismus trat manchmal in Worten gegen die rassistische Judenfeindschaft auf, aber in der Praxis wurde der erste durch den letzteren gestärkt. Der Judenhass diente den ZionistInnen als Beweis dafür, dass die Assimilation der jüdischen Bevölkerung in die bestehenden Staaten unmöglich wäre und deshalb ein besonderer jüdischer Staat gebraucht würde. So waren der „proletarische Internationalismus“ der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung und die bürgerliche Assimilation der jüdischen Bevölkerung in den westeuropäischen Nationalstaaten die beiden Hauptfeinde des Zionismus. Das sprachen die führenden ZionistInnen auch offen aus. So formulierte der ehemalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses und der Zionistischen Weltorganisation, Nahum Goldmann: „Die Gefahr der Assimilation der jüdischen Gemeinschaft unter den Völkern, in deren Mitte sie leben, ist sehr viel ernster als die äußere Bedrohung durch den Antisemitismus.“ (Le Monde, 13.1.1966, zitiert nach Nathan Weinstock, Le sionisme contre israel, Paris 1966, S. 38.) Auch der Gründungsvater des Zionismus, Herzl, kämpfte nicht gegen den Antijudaismus, sondern predigte bereits 1895 die passive Anpassung an ihn, was dann später zum praktischen Programm des Zionismus wurde.
Die ZionistInnen stimmten vor der Staatsgründung Israels mit den Judenhassern darin überein, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland keine Deutschen, in Frankreich keine Franzosen usw. seien. Nun, als proletarische RevolutionärInnen fühlen wir uns auch nicht als Deutsche, Franzosen usw., sondern als Teil des globalen Proletariats, und wir bekämpfen sowohl die Integration von ProletarierInnen in den jeweiligen Nationalstaat, als auch die rassistische Ausgrenzung „ausländischer“ Klassengeschwister. Doch als der Zionismus als jüdischer Nationalismus in der Vergangenheit gegen die Assimilation der jüdischen Bevölkerung in die jeweiligen Nationalstaaten zu Felde zog, begünstigte er eindeutig den Antijudaismus. Ja, einige ZionistInnen paktierten offen mit den Judenhassern. Die Broschüre belegt eindeutig den grundsätzlich sozialreaktionären Charakter des Zionismus und dass dieser bereit war mit dem reaktionärsten Pack zusammenzuarbeiten, angefangen über den Zarismus, dem britischen Imperialismus und den italienischen Faschismus bis hin zu den deutschen Nazis.
Der faschistische Antijudaismus nahm, nachdem er von der deutschen Bourgeoisie 1933 an die politische Macht gebracht wurde, die relativ weitgehende Assimilation der deutschen Juden und Jüdinnen zurück und organisierte während des Zweiten Weltkrieges einen kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Juden. Im Gegensatz zur groß- und kleinbürgerlichen Ideologieproduktion, für die Auschwitz die Symbolisierung des unerklärlichen Bösen darstellt, erläutern wir in dieser Broschüre wie die faschistische Irrationalität, die am brutalsten am industriellen Massenmord an den europäischen Juden und Jüdinnen zum Ausdruck kommt, sich durchaus mit der Rationalität der Kapitalvermehrung verband und sowohl mit dem innerkapitalistischen Konkurrenzkampf als auch mit dem Klassenkampf von oben in enger Verbindung stand. So konnten sich deutsche „arische“ KapitalistInnen und KleinbürgerInnen bei der so genannten Arisierung der deutschen Wirtschaft jüdisches Kapital aneignen. Der faschistische Massenmord an den osteuropäischen Juden beendete auch deren Klassenkampf gegen den Antijudaismus.
Denn eine andere Folge der Nichtassimilation der Jüdinnen und Juden Osteuropas war neben der Entstehung des Zionismus die Herausbildung eines besonderen jüdischen Proletariats in Osteuropa, welches vor und während der russischen Revolution von 1905 oft militante Kämpfe gegen kapitalistische Ausbeutung, staatliche Unterdrückung und mörderischen Antijudaismus in Form der Pogrome führte. Besonders in jenen Gebieten Osteuropas, welche sich der russische Zarismus einverleibt hatte, lebte ein besonders großes und klassenkämpferisches jüdisches Proletariat. Dieses jüdische Proletariat lebte, arbeitete und kämpfte in einem Gebiet, das sich von Litauen im Norden bis zum Schwarzen Meer im Süden und von Polen im Westen bis nach Weißrussland und der Ukraine im Osten erstreckte. Den Kampf dieses Proletariats beschreiben wir in der Broschüre genauer.
Ein bürokratisch und ideologisch entfremdeter Ausdruck dieses jüdischen klassenkämpferischen Proletariats im zaristischen Russland und später im „unabhängigen“ Zwischenkriegspolen war die Existenz einer besonderen jüdischen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung, des Bundes. Wir kritisieren den Bund als eine sozialdemokratische Partei, die auf der einen Seite einen bürgerlich-bürokratischen Apparat und auf der anderen Seite eine proletarische Basis hervorbrachte, also die Klassenspaltung in den eigenen Reihen reproduzierte. Wir erkennen aber an, dass der Bund einen militanten Kampf gegen alle reaktionären Judenhasser führte: gegen den russischen Zarismus, gegen polnische Chauvinisten und gegen den deutschen Faschismus. Der Bund wurde jedoch auch immer jüdisch-nationaler im Verlauf seiner Entwicklung, was wir aus einer antinationalen Haltung heraus klar kritisieren. Auch muss beachtet werden dass auch jüdische Intellektuelle und ProletarierInnen Russlands und Polens außerhalb des Bundes in der russischen und polnischen ArbeiterInnenbewegung wirkten. Es ist bemerkenswert, dass die bekanntesten osteuropäisch-jüdischen Intellektuellen der internationalen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki, nicht Teil des Bundes waren. Das lehnten beide auf Grund ihres „proletarischen Internationalismus“ ab. Beide versuchten sich in die jeweiligen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegungen zu assimilieren. Aber beide blieben wegen ihrer Radikalität Außenseiter dieser institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung – und beide waren auch unfähig diese wirklich zu verlassen wie die rätekommunistischen ArbeiterInnen und Intellektuellen. So blieben Luxemburg und Trotzki der kleinbürgerlich-radikale Rand der institutionalisierten Arbeiterinnenbewegung, eines Apparates, der schließlich auch sie ausspuckte und blutig zermalmte.
Der „proletarische Internationalismus“ der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung, welcher natürlich von heutigen SozialrevolutionärInnen scharf dafür kritisiert werden muss, dass er nicht konsequent antinational war, wurde wegen ihrer Nichtintegration in die osteuropäischen Nationen besonders von osteuropäischen jüdischen ArbeiterInnen und Intellektuellen getragen. Bei diesen war der „proletarische Internationalismus“ eine relativ progressive sozialpsychologische Verarbeitung ihrer Nichtassimilation. Bürgerliche NationalistInnen projizierten ihren Hass auf die „vaterlandslosen Gesellen“ zunehmend auf das ganze Judentum. Auch Hitler gehörte zu ihnen. In seiner ersten „großen“ Rede vom 13. August 1920 teilte Hitler seinen ZuhörerInnen mit, dass er ein Judenfeind sei, weil „die Juden international sind, die Gleichheit aller Völker und die internationale Solidarität predigen, (und) es ihr Ziel ist, die Rassen zu entnationalisieren“ (siehe: E. Jäckel, Hitler als Ideologe, Calmann Levy 1973). Damit projizierte Hitler seinen Hass auf die jüdischen InternationalistInnen auf das gesamte Judentum, also auch auf Menschen, die sich in die jeweiligen bürgerlichen Nationalstaaten assimiliert hatten und sich auch in den jeweils herrschenden Nationalismus integriert hatten oder einem jüdischen Nationalismus (Zionismus) frönten. Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden richtete sich auch gegen den proletarischen Internationalismus. Durch die Staatswerdung des Zionismus und dessen Dominanz im Judentum geriet auch die progressive Tradition jüdischer InternationalistInnen in Vergessenheit. Wir verteidigen kritisch das progressive Erbe der jüdischen InternationalistInnen gegen Antijudaismus und Zionismus.
Nein, die Nazis haben die Ideologie vom „jüdischen Bolschewismus nicht erfunden. Die Führung der deutschen Sozialdemokratie ließ am 15. Januar 1919 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch die Freikorps ermorden. Als ideologische Vorbereitung dieses Mordes veröffentlichte die sozialdemokratische Zeitung Vorwärts am 12. Januar 1919 ein antikommunistisches, rassistisches und antijüdisches Gedicht, in dem die Ideologie vom „jüdischen Bolschewismus“ hochgekocht wurde, indem die beiden bolschewistischen Funktionäre Trotzki und Radek bei ihren kaum bekannten jüdischen Namen benannt wurden: „Ich sah der Massen mörderischer Streife,/ sie folgten Karl, dem blinden Hödur nach,/ sie tanzten nach des Rattenfängers Pfeife,/ die ihnen heuchlerisch die Welt versprach./ Sie knieten hin vor blutigen Idolen,/ bauchrutschend vor der Menschheit Spott und Hohn,/ vor Russlands Asiaten und Mongolen,/ vor Braunstein (Trotzki), Luxemburg und Sobelsohn (Radek)./ O, kehret um ihr aufgehetzten Horden!/ Ihr ruft nach Freiheit, nur um sie zu morden.“ (Vorwärts Nr. 34, 12.1.1919.) Die deutsche Sozialdemokratie als Wegbereiterin des faschistischen Antijudaismus!
Viele jüdische RevolutionärInnen fielen der kapitalistischen Konterrevolution und dem deutschen Faschismus als deren ultrafanatischen Höhepunkt zum Opfer. Ihnen haben wir unsere Broschüre gewidmet. Ihr Kampf gegen Kapitalismus, Antijudaismus und Zionismus ist auch unser Kampf. Nieder mit dem Bündnis aus deutscher Bourgeoisie und dem zionistischen Regime Israels! Hoch, die antinationale Solidarität!

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Auschwitz und die Staatsgründung Israels https://swiderstand.blackblogs.org/2013/04/09/auschwitz-und-die-staatsgruendung-israels/ https://swiderstand.blackblogs.org/2013/04/09/auschwitz-und-die-staatsgruendung-israels/#respond Tue, 09 Apr 2013 07:53:43 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=56 Wir veröffentlichen hier einen Auszug aus der Broschüre „Der Kampf des jüdischen Proletariats (1900-1945)“ über Auschwitz und die Staatsgründung Israels. Die Broschüre könnt Ihr für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.


Die Exodus bei ihrer Ankunft im Hafen von Haifa, 20. Juli 1947
Der faschistische Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden stärkte ausgerechnet jene politische Strömung innerhalb der jüdischen Weltbewegung, die am reaktionärsten war und auch kaum gegen den faschistischen Judenhass wirklich ankämpfte: den Zionismus. Keine politische Kraft instrumentalisiert Auschwitz für reaktionäre Ziele so pervers wie der jüdische Nationalismus und der Staat Israel. Doch zur historischen Wahrheit gehört auch, dass der Zionismus mit den deutschen Nazis paktierte. Untersuchen wir also das Wechselverhältnis zwischen Auschwitz und dem Zionismus als Vorgeschichte des Staates Israel.
Die deutsche Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD) führte in der Weimarer Republik noch nicht mal einen antifaschistischen Kampf – einen revolutionären Kampf konnte sie als bürgerliche Organisation natürlich nicht führen – gegen die Nazis. Der Historiker Stephen Poppel führte in seinem Buch Zionism in Germany aus, dass die Jüdische Rundschau, die Zeitung des ZVfD „bis 1931 nicht damit begann, sich systematisch und detailliert mit der antijüdischen Agitation und Gewalt auseinander zu setzen“. (Stephen Poppel, Zionism in Germany 1897-1933. The Shaping of a Jewish Identity, The Jewish Publication Society, Philadelphia 1977, S. 119.) Das ist noch sehr gelinde ausgedrückt. So drückte der führende ZVfD-Funktionär Siegfried Moses das Desinteresse des deutschen Zionismus an der Bekämpfung des Antijudaismus aus: „Für uns ist eben die Bekämpfung des Antisemitismus nicht eine zentrale Aufgabe von gleich bleibender Tragweite und gleich bleibenden Gewicht, wie es für uns die Palästina-Arbeit und in etwas anderem Sinne auch die Gemeindearbeit ist.“ (Jüdische Rundschau vom 25.7.1930.) Hier wird deutlich ausgesprochen, dass für die ZionistInnen der Kampf um einen jüdischen Staat in Palästina stets Vorrang gegenüber den (bürgerlichen) Kampf gegen den Antijudaismus hatte.
Deshalb konnten die deutschen ZionistInnen auch keinen gemeinsamen Kampf mit jüdischen AssimilationistInnen, die sich als „Deutsche“ sahen, gegen den Antijudaismus führen. Der bürgerliche Kampf gegen den Antijudaismus ist der Kampf für die Integration der Juden in die bestehenden Nationalstaaten und dessen Verteidigung. Doch der Zionismus strebte die Gründung eines jüdischen Nationalstaates an und bekämpfte die Assimilation stärker als den Antijudaismus (siehe dazu Kapitel I.4). Er stimmte mit dem Nazi-Antijudaismus darin überein, dass Juden in Deutschland keine „Deutschen“ seien. Nun, aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht waren sowohl die die jüdischen AssimilationistInnen als auch die ZionistInnen bürgerliche NationalistInnen. Doch einen antinational-sozialrevolutionären Standpunkt, der im erklärten Ziel der Zerschlagung aller Nationalstaaten zum Ausdruck kommt, vertrat damals nur eine verschwindend kleine Minderheit in Deutschland. Aber nur ein solcher hätte dem praktischen Kampf gegen den Nazi-Antijudaismus die nötige geistige Klarheit geben können. Doch einen solchen Kampf hätte nur ein sozialrevolutionäres Proletariat führen können. Doch den ersten revolutionären Anlauf des modernen Proletariats in Deutschland wurde von Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“ in Blut und Sozialreformismus erstickt. Diese Niederlage noch in den Knochen wurde das Proletariat in Deutschland von SPD und „K“PD in die kampflose Kapitulation gegenüber den Nazis geführt.
Doch wenn nicht das Proletariat – und jüdische ArbeiterInnen als Teil von ihm – die Nazis stoppen konnte, so konnten es bürgerliche Juden erst recht nicht. Den jüdischen AssimilationistInnen in Deutschland wurde der materielle Boden entzogen, als der Nationalsozialismus die Assimilation der Juden in Deutschland rückgängig machte. Die ZionistInnen des ZVfD erhofften sich davon anfangs noch eine Stärkung des jüdischen Nationalismus und boten den Nazis die Zusammenarbeit an. Dabei gaben sie den Nazis noch Recht in ihrem Antijudaismus und bezogen klar Stellung gegen die bisherige Assimilation der Juden in der Weimarer Republik. So heißt es in der offiziellen Äußerung der Zionistischen Vereinigung für Deutschland zur Stellung der Juden im neuen deutschen Staat vom 21. Juni 1933: „Der Zionismus täuscht sich nicht über die Problematik der jüdischen Situation, die vor allem in der anormalen Berufsschichtung und in dem Mangel einer nicht in der eigenen Tradition verwurzelten geistigen und sittlichen Haltung besteht. Der Zionismus erkannte schon vor Jahrzehnten, dass als Folge der assimilatorischen Entwicklung Verfallserscheinungen eintreten mussten, die er durch die Verwirklichung seiner, das jüdische Leben von Grund aus ändernden Forderung zu überwinden sucht. Wir sind der Ansicht, dass eine den nationalen Staat wirklich befriedigende Antwort auf die Judenfrage nur herbeigeführt werden kann, wenn die auf gesellschaftliche, kulturelle und sittliche Erneuerung der Juden hinzielende jüdische Bewegung dabei mitwirkt, ja, dass eine solche nationale Erneuerung erst die entscheidenden sozialen und seelischen Voraussetzungen für alle Regelungen schaffen muss. Der Zionismus glaubt, dass eine Wiedergeburt des Volkslebens, wie sie im deutschen Leben durch Bindung an die christlichen und nationalen Werte erfolgt, auch in der jüdischen Volksgruppe vor sich gehen müsse. Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewusstsein von entscheidender Bedeutung für seine Lebensgestaltung sein. Dies erfordert Überwindung des im liberalen Zeitalter entstandenen egoistischen Individualismus durch Gemeinsinn und Verantwortungsfreudigkeit.“ (Zitiert nach: Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 351.) Diese „Äußerung“ des deutschen Zionismus gipfelte im Bekenntnis: „Der Zionismus will die Auswanderung der Juden nach Palästina so gestalten, dass dadurch eine Entlastung der jüdischen Position in Deutschland erfolgt.“ (Ebenda, S. 352.)
Der 1937 Deutschland verlassende Rabbi und Zionist Joachim Prinz schrieb über die allgemeine Stimmung des Zionismus während der ersten Monate 1933 in Deutschland: „Jeder in Deutschland wusste, dass nur die Zionisten die Juden gegenüber der Nazi-Regierung verantwortlich vertreten konnten. Wir alle waren sicher, dass die Regierung eines Tages eine Konferenz mit den Juden am runden Tisch einberufen würde, auf der – nachdem die Unruhen und Grausamkeiten der Revolution vorbei wären – der neue Status der deutschen Juden diskutiert werden könnte. Die Regierung erklärte höchst feierlich, dass es kein anderes Land in der Welt gäbe, das so ernsthaft versuchte, das Judenproblem zu lösen wie Deutschland. Lösung der Judenfrage? Das war unser zionistischer Traum! Wir hatten das Bestehen der Judenfrage nie bestritten! Dissimilation? Das war unser eigener Aufruf! (…) In einer Erklärung, bemerkenswert für ihren Stolz und Würde, forderten wir eine Konferenz.“ (Joachim Prinz, Zionism under the Nazi Goverment, in: Young Zionist vom November 1937.)
Und die Nazis begünstigten auch die ZionistInnen gegenüber anderen jüdischen Strömungen, so ähnlich wie die weißen Sklavenhalter in den USA die Haussklaven gegenüber den Feldsklaven begünstigten. Die deutschen Nazis traten auch mit der Zionistischen Weltorganisation in Geschäftsbeziehungen, welche jüdische Menschen und jüdisches Geld nach Palästina brachten (siehe dazu Kapitel I.7). Nein, es ist nicht übertrieben, wenn wir den Zionismus als Hauptfeind des jüdischen Proletariats bezeichnen. Stets war er bereit dazu, mit den größten europäischen Judenmördern zu paktieren, dadurch das jüdische Proletariat gegenüber dem mörderischen Antijudaismus zu entwaffnen und es in Palästina auf dessen palästinensischen Klassengeschwister zu hetzen. Dadurch kreuzten sich in den 1930er Jahren der nationalsozialistische Antijudaismus und der Zionismus bei der bürgerlichen Lösung der so genannten „Judenfrage“.
Am weitesten in der Kollaboration mit dem deutschen Faschismus gingen die deutschen zionistischen RevisionistInnen, die eine Fraktion innerhalb des ZVfD darstellten. Die deutschen RevisionistInnen interpretierten die Machtübergabe an Hitler durch die deutsche Bourgeoisie als Niederlage ihrer ideologischen jüdischen Gegner und als Bestätigung ihrer eigenen zionistisch-faschistischen Ideologie. Sie gingen in ihrer Anpassung an die Nazis noch wesentlich weiter als der Rest des ZVfD und deren Sprachrohr, die Jüdische Rundschau. Sie begannen auch den Stil der Nazis zu imitieren.
Als der jüdische Bankier Georg Kareski sah, wie seine nichtjüdischen Klassengeschwister und ehemaligen Anhänger der einstigen katholischen Zentrumspartei mit den Nazis paktierten oder sich diesen sogar anschlossen, wurde er von dem Wunsch beseelt zum zionistischen Schwanz des deutschen Faschismus zu werden. Kareski wurde Revisionist und bald ihr Führer. Im Mai 1933 organisierte er sogar einen Putschversuch gegen die Berliner Jüdische Gemeinde, den Richard Lichtheim so beschrieb: „Der von Natur aus rücksichtslose und zur Demagogie neigende Georg Kareski war der Ansicht, die Zionisten hätten die Gelegenheit verpasst, sich durch einen revolutionären Akt an die Spitze des deutschen Judentums zu stellen. Mit Hilfe einer Anzahl junger Leute vom ,Betar‘ (paramilitärische Organisation des zionistischen Revisionismus, Anmerkung von Nelke) (…), ,besetzte‘ Kareski im Jahre 1933 das Gebäude der Jüdischen Gemeinde in Berlin, musste sich aber bald wieder entschließen, es zu räumen, da Gemeindemitglieder nicht mitspielen wollten. Die Folge dieses törichten Streichs war sein Ausschluss aus der Z.V.f.D. Anfangs hatte Kareski wohl geglaubt, dass der Zeitgeist solches Vorgehen verlange und dass die überlebten Vorstellungen des bürgerlich-liberalen Judentums auf so gewaltsame Weise zugunsten der zionistisch-nationalen Auffassung korrigiert werden müssten. In den folgenden Jahren geriet er in ein bedenkliches Abhängigkeitsverhältnis zur Gestapo, der er sich mitsamt seiner Betar-Gruppe als den wahren Repräsentanten der dem Nationalsozialismus entsprechenden radikal-zionistischen Auffassung zu empfehlen suchte…“ (Richard Lichtheim, Die Geschichte des deutschen Zionismus, Verlag Rubin Mass, Jerusalem 1954, zitiert nach: Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 184.)
Die RevisionistInnen wurden nach dem missglückten Putsch in der Berliner Jüdischen Gemeinde aus dem ZVfD ausgeschlossen. Kareski formierte den deutschen Revisionismus zur Staatszionistischen Organisation. Die organisatorische Abspaltung in Deutschland beschleunigte auch die internationale Loslösung des Revisionismus von der Zionistischen Weltorganisation WZO. 1934 gründeten die RevisionistInnen die Neue Zionistische Organisation (NZO) (siehe dazu das Kapitel I.4). In Deutschland führten die RevisionistInnen unter Kareski mit Unterstützung der Nazis einen regelrechten Krieg gegen ihre zionistische Konkurrenz. Durch die internationale Abspaltung des Revisionismus von der WZO standen die revisionistischen Juden auch außerhalb des sozialökonomischen Paktes zwischen WZO und dem deutschen Faschismus, das in den 1930er Jahren jüdisches Geld und jüdische Menschen aus Deutschland nach Palästina transformierte. Das Palästina-Amt, das Auswanderungsbüro der Jewish Agency mit Sitz in Berlin-Charlottenburg, bekam von der WZO die Anweisung, Betar-Mitglieder von der Erteilung eines Ausreisezertifikats nach Palästina auszuschließen. Daraufhin gingen die revisionistischen StaatszionistInnen mit körperlicher Gewalt gegen die Mitglieder des ZVfD vor. Die StaatszionistInnen beschimpften ihre Konkurrenz von der ZVfD als „marxistische Schweine“. Die Nazis schlossen im Juni 1934 zeitweise das ZVfD-Hauptgebäude. Die StaatszionistInnen wendeten sich an die Nazis mit der Bitte ihnen das Palästina-Amt zu übergeben. Die deutschen FaschistInnen bevorzugten in der Regel den Staatszionismus gegenüber dem ZVfD, aber der letztere machte den Nazis klar, dass der WZO die Übergabe des Palästina-Amtes an den Revisionismus nicht akzeptieren würde und es im Folge davon keine Palästina-Zertifikate mehr für deutsche Juden geben würde und damals wollte die NSDAP-Führung die Juden noch vertreiben und noch nicht vergasen. So gaben sie in dieser Frage nach.
Aber ansonsten begünstigte der Nationalsozialismus den Staatszionismus. So informierte am 13. April 1935 die Gestapo die normale Polizei, Kareskis Anhänger bekämen von nun an „ausnahmsweise und stets widerrufbar, die Erlaubnis, ihre Mitglieder, (…), innerhalb ihrer Räumlichkeiten Uniformen tragen zu lassen, (…), da die Staatszionisten sich als diejenige Organisation erwiesen haben, die versuchte, ihre Mitglieder auf jede mögliche Art und Weise, selbst illegal, nach Palästina zu bringen und die durch ihre ehrliche Arbeit für die Emigration den Interessen der Reichsregierung an einer Entfernung der Juden aus Deutschland auf halbem Weg entgegenkommt. Das Erlaubnis zum Tragen von Uniformen soll die Mitglieder der deutsch-jüdischen Organisationen anspornen, sich den staatszionistischen Jugendgruppen anzuschließen, in denen sie stärker dazu gedrängt würden, nach Palästina zu emigrieren.“ (Kurt Grossmann, Zionists and non-Zionists under Nazi Rule in the 1930s, in: Herzl Yearbook, Vol. 4 (1961/62), S. 341/342.)
Die Kollaboration der deutschen RevisionistInnen mit den Nazis war für den internationalen Führer des Revisionismus, Jabotinky, zu viel. Während er die Zusammenarbeit der italienischen RevisionistInnen mit dem Duce tolerierte, war er nicht dazu bereit, die Kollaboration seiner deutschen Anhänger mit den Nazis politisch zu decken. Er wurde zu einem Kritiker des Hitlerfaschismus und griff die Kollaboration der WZO mit dem deutschen Faschismus hart an (siehe dazu Kapitel I.7). Jabotinsky konnte auch den wichtigen revisionistischen Führer und zeitweiligen glühenden Hitlervehrer Abba Achimeir davon überzeugen, dass es nicht klug war, Hitler weiter öffentlich zu loben. Doch Kareski wurde zum zionistischen Schwanz der Nazis. Trotzdem war er auf dem Kongress der revisionistischen Weltorganisation, NZO, 1935 in Wien ein gern gesehener Gast. Lenni Brenner schrieb über die Beziehung Kareskis zum internationalen Revisionismus: „Als die Revisionisten sich entschieden hatten, den Boykott gegen die Nazis zu unterstützen, hatten sie ihren deutschen Ableger formal aus der Bewegung ausgeschlossen, um ihn zu schützen und so war es offensichtlich, dass Kareski dort (dem NZO-Kongress in Wien 1935, Anmerkung von Nelke), war, um im Auftrag der Gestapo gegen den Boykott zu intervenieren. Die besorgte Mitgliedschaft wollte sich von den Staatszionisten distanzieren und erzwang eine Resolution, dass es unter den gegebenen Umständen keine revisionistische Bewegung in Deutschland gab und geben konnte. Kareski beging den Fehler, zu dem darauf folgenden Betar-Kongress in Krakau in Begleitung eines bekannten jüdischen Gestapo-Agenten anzureisen und einige deutsche Betarim unterrichteten Jabotinsky davon. Man forderte Kareski auf, den Kongress zu verlassen und Jabotinsky war gezwungen, ihn aufzufordern, sich öffentlich zu rechtfertigen und jede Verbindung zu den Nazis zu dementieren. Später jedoch, im Jahre 1936, benutzte Jabotinsky Kareski als Vermittler gegenüber einem deutschen Verlagshaus, das die Rechte an einem seiner Bücher hielt. Jabotinsky übernahm nach den Ereignissen in Krakau keine weitere Verantwortung für Kareski, doch solange er in Deutschland war, hielt Kareski Kontakt zu der Minderheit in der weltweiten revisionistischen Bewegung, die sich weiterhin mit seiner pro-nazistischen Linie einverstanden erklärte…“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 195/196.)
Durch das Paktieren des Zionismus mit dem deutschen Faschismus wurde dessen massenmörderischer Antijudaismus nicht im Geringsten abgeschwächt. Im Gegenteil, er half den Nazis dabei den kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Juden und Jüdinnen vorzubereiten und zu organisieren. Indem der Zionismus in den 1930er Jahren die Vertreibung der deutschen Juden und Jüdinnen zusammen mit den Nazis organisierte, stumpfte er selbst den bürgerlich-jüdischen Widerstand in Deutschland ab – abgesehen davon, dass er sich mal wieder als Hauptfeind des jüdischen Proletariats erwies. Dadurch hat der Zionismus indirekt Auschwitz mit vorbereitet.
Nicht wenige zionistische PolitikerInnen übten sich während des Judenpogroms in Deutschland vom 9/10. November 1938 darin, den Nazi-Terror kleinzureden, und sich gegen den Aufnahme von deutschen Juden und Jüdinnen in anderen westlichen Nationalstaaten zu wenden – weil sie nicht wollten, dass sich die internationale jüdische Spendenbereitschaft von Palästina weg- und Europa zuwende. So schrieb der Zionist Ben Gurion im Dezember 1938 an andere ZionistInnen: „Wenn die Juden zwischen den Flüchtlingen, der Rettung von Juden vor den Konzentrationslagern und der Unterstützung des Aufbaus eines Nationalmuseums in Palästina wählen müssen, wird das Mitleid die Oberhand gewinnen, und die ganze Energie der Menschen wird in die Rettung von Juden aus den verschiedenen Ländern fließen. Der Zionismus wird von der Tagesordnung gestrichen werden (…). Wenn wir eine Trennung zwischen dem Flüchtlings- und dem Palästinaproblem zulassen, dann setzen wir die Existenz des Zionismus aufs Spiel.“ (Zitiert nach Arie Bober, The Other Israel, New York 1972, S. 171.)
Aus diesem Grunde stellte sich auch Ben Gurion am 7. Dezember 1938 gegen einen britischen Plan, der nach den Judenpogromen vom 9./10. November vorsah, die Einwanderung mehrerer tausend deutsch-jüdischer Kinder zu genehmigen: „Wenn ich wüsste, dass es durch Transporte nach England möglich wäre, alle (jüdischen) Kinder zu retten, durch Transporte nach Palästina aber nur die Hälfte, würde ich mich für Letzteres entscheiden. Denn wir müssen nicht nur das Leben dieser Kinder abwägen, sondern auch die Geschichte des Volkes Israel.“ (Zitiert nach John Rose, Mythen des Zionismus, a.a.O., S. 220/221.) Die Rettung von Juden vor der industriellen Vernichtung war für den Zionismus zweitrangig, das wichtigste war für ihn jüdische Menschen und jüdisches Geld nach Palästina zu bringen.
Aus demselben Grunde taten zionistische FunktionärInnen alles, als die ersten Informationen über den industriellen Massenmord an den europäischen Juden in das Ausland drangen, um das Ausmaß des faschistischen Terrors zu verharmlosen und kleinzureden. Die ersten Berichte über Judenmorde des deutschen Imperialismus in der Ukraine erschienen in der westlichen Presse im Oktober 1941. Im Januar 1942 veröffentlichte der jetzt wieder mit Deutschland verfeindete sowjetische Imperialismus einen ausführlichen Bericht über den faschistischen Judenmord in der Ukraine, die so genannte „Molotow-Verlautbarung“. Die WZO in Palästina bezeichnete die „Molotow-Verlautbarung“ als „bolschewistische Propaganda“. (Yoav Gelber, Zionist Policy and the Fate of European Jewry (1939-1942), Yad Vashem Studies, Vol. XIII, S. 190.)
Vom Zionismus wird heute die Organisation der illegalen Auswanderung einer Minderheit von europäischen Juden und Jüdinnen während ihrer industriellen Massenvernichtung als ihr Beitrag bezeichnet, um diesen Massenmord abzumildern. In Wirklichkeit verstärkten die ZionistInnen mit der Auslese – wer nach Palästina durfte und wer sterben musste –den Klassencharakter des faschistischen Judenmordes. Die ZionistInnen –und das gilt sowohl für die „ArbeiterInnenzionistInnen“ als auch für die RevisionistInnen – retteten nicht die kranken, schwachen, alten, assimilierten und armen Jüdinnen und Juden, sondern nur gesunde, junge Juden und möglichst hebräisch sprechende ZionistInnen. In Ungarn kam es zu einer direkten Kollaboration des Zionismus mit den Nazis bei der Organisierung des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den ungarischen Jüdinnen und Juden. Als die Nazis am 19. März 1944 Ungarn besetzten, bedeutete das für 450 000 ungarische Juden den Tod. Für die Deportation der ungarischen Juden in die NS-Vernichtungslager war Adolf Eichmann verantwortlich. Er war sehr besorgt, dass die Todeszüge mit ungarischen Juden zu Aufständen in Ungarn führen könnten. Doch zum Glück der Nazis gab es den kooperationsbereiten ungarischen Zionisten Rezso Kasztner. Der Deal bestand darin, dass ein Zug von Kasztner ausgewählter Juden in die „neutrale Schweiz“ fahren konnte, während er den Nazis half, die für die Deportation notwendige Ordnung herzustellen.
Eichmann beschrieb den Deal mit Kasztner folgendermaßen: „Dieser Dr. Kasztner war ein junger Mann etwa in meinem Alter, ein eiskalter Anwalt und fanatischer Zionist. Er erklärte sich bereit, dabei behilflich zu sein, die Juden davon abzuhalten, sich gegen die Deportation zu wehren – und sogar für Ordnung in den Sammellagern zu sorgen – wenn ich beide Augen zudrücken und ein paar Hundert oder Tausende jungen Juden erlauben würde, illegal nach Palästina auszuwandern. Das war ein gutes Angebot. 15.000 oder 20.000 Juden – letztlich könnten es auch ein paar mehr gewesen sein – für Ordnung in den Lagern, der Preis erschien mir nicht zu hoch. (…) Ich glaube, dass Kasztner Tausende oder Hunderttausende von seinem Blut geopfert hätte, um sein politisches Ziel zu erreichen. Er interessierte sich nicht für die alten Juden oder für die, die sich in der ungarischen Gesellschaft assimiliert hatten. Aber er versuchte unglaublich hartnäckig, biologisch wertvolles jüdisches Blut zu retten – das heißt menschliches Material, das zu harter Arbeit und zur Fortpflanzung geeignet war. So sagte er: ,Sie können die anderen haben, aber geben sie mir diese Gruppe.‘ Und da Kasztner uns einen großen Dienst erwiesen hatte, indem er uns half, die Deportationslager ruhig zu halten, ließ ich diese Gruppe entkommen. Schließlich gab ich mich nicht mit kleinen Gruppen von eintausend Juden oder so ab.“ (Adolf Eichmann, I Transported Them tot he Butcher, in: Life vom 5. Dezember 1960, S. 146.)
Nirgendwo kreuzten sich die zwei reaktionären Lösungswege der so genannten „Judenfrage“, der des faschistischen Massenmordes und der zionistische eines jüdischen Staates so offensichtlich wie in Ungarn. Im Jahre 1944 fuhren viele Züge mit Juden aus Ungarn heraus. Die meisten Juden wurden in den Tod transportiert. Doch ein Zug mit zionistischer Prominenz sicherte für diese das Überleben. Kasztner sicherte das Überleben der zionistischen Prominenz Ungarns und half dafür den Nazis, andere ungarische Juden und Jüdinnen zu vergasen. Und Kasztner war der SS dafür so dankbar, dass er auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gunsten des SS-Obersturmführers Hermann Krumey, der in Nürnberg auf seinen Prozess wartete, eidesstattlich versicherte: „In einer Zeit, da Leben und Tod vieler von ihm abhingen, hat Krumey seine Pflichten in einem lobenswerten Geist guten Willens verrichtet.“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 341.) Kasztner verhinderte auch, dass SS-Oberst Becher gehenkt wurde, indem er eidesstattlich behauptete, dass dieser Nazi alles Menschenmögliche getan habe, um die Juden zu retten.
Am 14. Mai 1948 wurde der zionistische Staat Israel proklamiert. In ihm lebten Überlebende der faschistischen Judenverfolgung und die zionistischen Kollaborateure zusammen. Das führte notwendigerweise zu sozialen Konflikten. Diese wurden, so wie es sich für die einzige Demokratie im Nahen Osten gehört, auf rechtstaatliche Weise gelöst. Im Jahre 1953 führte die Regierung von Ben-Gurion einen Prozess gegen den Flugblattautor Malchiel Gruenwald wegen Beleidigung. Gruenwald hatte in einem Flugblatt richterweise Kasztner als Kollaborateur bezeichnet. Doch Kasztners Kollaboration mit dem deutschen Faschismus befand sich im Einklang mit der Hauptlinie des Zionismus. Deshalb stellte sich der „ArbeiterInnenzionismus“ mit der ganzen Autorität des israelischen Staates hinter ihn. Doch die Fakten sprachen zu sehr gegen Kasztner –und damit gegen den Zionismus und den Staat Israel. Am 21. Juni 1953 entschied der Richter Halevi, dass Kasztner nicht verleumdet worden war, dass dieser jedoch bei seinen Taten nicht von der Absicht auf finanziellen Gewinn geleitet worden sei. Doch die „ArbeiterInnenzionistInnen“ konnten das Urteil nicht akzeptieren und gingen in Revision, denn mit Kasztner könnten sie jetzt alle potenziell ungestraft als Kollaborateure bezeichnet werden. Der Revision wurde stattgegeben, und der Streit vor Gericht ging in eine neue Runde.
Es ging also dem israelischen Rechtstaat in den 1950er Jahren darum, dass mensch zionistische Kollaborateure mit dem deutschen Faschismus nicht so nennen durfte. Selbstverständlich konnte Kasztner in der einzigen Demokratie im Nahen Osten für die Mitorganisation des Mordes an 450 000 ungarischen Juden nicht rechtstaatlich zur Verantwortung gezogen werden. Doch er wurde zu Verantwortung gezogen. Am 3. März 1957 wurde Kasztner von Zeev Eckstein erschossen. Eckstein wurde, wie es sich für einen demokratischen Rechtstaat gehört, wegen Mordes verurteilt. Doch mit Kasztners Tod war die rechtstaatliche Klärung der Frage, ob mensch zionistische Kollaborateure mit dem Nationalsozialismus in Israel auch ungestraft so nennen durfte, noch nicht beendet. Das Gericht entschied am 17. Januar 1958 mit drei gegen zwei Stimmen, dass Kasztners Verhalten während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn nicht als Kollaboration bezeichnet werden könne. Es entschied aber mit allen fünf Stimmen, dass Kasztner Meineid begannen habe, als er zu Gunsten von SS-Oberst Becher intervenierte.
Der israelische Generalstaatsanwalt Chaim Cohen musste während des Prozesses offen zugeben: „Eichmann, der Vernichtungschef, wusste, dass die Juden sich friedlich verhalten und keinen Widerstand leisten würden, wenn er ihnen erlaubte, die prominenten Persönlichkeiten unter ihnen zu retten, dass der ,Zug der Prominenten‘ auf Eichmanns Anweisung hin organisiert wurde, um die Ausrottung des ganzen Volkes zu erleichtern.“ Die zionistische Elite Ungarns blieb am Leben und half dafür den Nazis die ungarischen Juden und Jüdinnen zu ermorden. Doch Cohen betrachtete das Verhalten von Kasztner zu Recht im Einklang stehend mit dem Gesamtverhalten des Zionismus während des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den europäischen Juden und Jüdinnen: „Kasztner hat nicht mehr und nicht weniger getan, indem er diese Juden gerettet und nach Palästina gebracht hat … Man darf es riskieren –eigentlich ist man dazu verpflichtet, dieses Risiko einzugehen –viele zu verlieren, um einige zu retten… Es war immer unsere zionistische Tradition, bei der Organisation der Emigration die wenigen aus den vielen herauszufiltern. Aber sind wir deshalb Verräter?“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 340.)
Lenni Brenner schrieb über die Verteidigung von Kasztner durch den Arbeiterzionismus: „Der Verrat eines einzelnen Zionisten an den Juden hätte keinerlei besondere Bedeutung gehabt: Keine Bewegung ist verantwortlich für die Taten Abtrünniger. Doch die Arbeiterzionisten betrachteten Kasztner nie als Verräter. Im Gegenteil, sie bestanden darauf, dass, wenn er schuldig wäre, sie es auch wären.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 342.) Ja, die so genannten „ArbeiterInnenzionistInnen“ gehörten zu den Todfeinden des Weltproletariats! Wir stimmen Lenni Brenner auch im Folgenden zu: „Doch der bei weitem wichtigste Aspekt der Kasztner-Gruenwald-Affäre lag darin, dass durch sie die Arbeitsphilosophie der WZO während der gesamten Nazizeit offengelegt wurde: die Inkaufname des Verrats an vielen im Interesse einer selektiven Immigration nach Palästina.“ (Ebenda.) Der Verrats-Begriff passt hier nicht. Zionistische PolitikerInnen waren und sind wie alle anderen auch nur ihren eigenen Interessen und denen der Kapitalvermehrung verpflichtet. Sie schufen einen jüdischen Staat und gingen dabei über unzählige jüdische und palästinensische Leichen. ZionistInnen den Verrat an Juden vorzuwerfen, heißt einen jüdisch-nationalen Standpunkt einzunehmen.
Doch dieses Kapitel wäre unvollständig wenn wir nicht noch kurz auf den Aufstand im Warschauer Ghetto im April 1943 eingehen würden, über den wir noch ausführlicher im Kapitel III.2 schreiben werden. Dieser Aufstand stand unter jungzionistischer Führung. Wir sind keine AntifaschistInnen, welche SozialreaktionärInnen abfeiern, sobald diese sich gegen den Faschismus wenden. Den Zionismus kritisieren wir grundsätzlich als sozialreaktionäre jüdisch-nationalistische Ideologie und Praxis, weshalb wir auch die zionistische Führung des Aufstandes im Warschauer Ghetto als dessen reaktionäre Tendenz ansehen. Wir reden durch diese Analyse keineswegs die progressive Tendenz des Aufstandes klein. Es ist klar, dass die prozionistische Geschichtsschreibung besonders den Aufstand im Warschauer Ghetto in den leuchtensten Farben ausschmückt, um die Geschichte der Kollaboration des Zionismus mit dem deutschen Faschismus vor und während des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden zu überpinseln. Auf die Rolle der überwiegend zionistischen Judenräte im faschistisch besetzten Polen gehen wir noch ausführlicher im Kapitel III.2 ein.
Fazit: Der Zionismus half dabei Auschwitz zu organisieren und heute instrumentalisiert er den kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden für seinen massenmörderischen Imperialismus, der ohne Gaskammern als Mordinstrumente auskommt und deshalb im Rahmen des demokratischen Antifaschismus fleißig relativiert und verharmlost werden kann. Die deutsche Bourgeoisie, also die demokratisch gewendete und ehemals faschistische Bourgeoisie, ihre „antideutschen“ Lakaien und weitere moralisierende antifaschistische KleinbürgerInnen stehen fest an der Seite Israels. Sie stehen hinter jenem Israel, was nichts anderes als ein durch antipalästinensischen Rassismus zusammengehaltenes Zwangskollektiv aus Kapital und Arbeit ist. Linke „AntiimperialistInnen“ unterstützen mehr oder weniger „kritisch“ den palästinensischen Nationalismus. Jenen palästinensischen Nationalismus, der wie jeder andere sozialreaktionär ist, der der Hauptfeind des palästinensischen und ein Feind des Weltproletariats darstellt und starke antijüdisch-chauvinistische Tendenzen hat. Wir SozialrevolutionärInnen Deutschlands und Israels bereiten die Sprengung dieser zwei Nationalstaaten durch das Proletariat vor, während unsere palästinensischen GesinnungsgenossInnen gegen die Neugründung eines palästinensischen Staates kämpfen. Alle Staaten müssen sterben, damit wir leben können. Hoch die antinationale Solidarität!

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