Loic – UNITED WE STAND https://unitedwestand.blackblogs.org summer of resistance - summit of repression - solidarity is our weapon Sun, 26 Jun 2022 10:47:03 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://unitedwestand.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/406/2017/10/cropped-kundgebung-32x32.png Loic – UNITED WE STAND https://unitedwestand.blackblogs.org 32 32 Ankündigung einer Veranstaltung: Loïc kommt nach Hamburg https://unitedwestand.blackblogs.org/ankuendigung-einer-veranstaltung-loic-kommt-nach-hamburg/ Sun, 26 Jun 2022 10:47:03 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3207 Continue reading ]]> Loïc hat angekündigt, dass er uns, seine Freundinnen und Genossinnen in Hamburg, kurz vor seinem erneuten Haftantritt noch einmal besuchen will.
Dann wird es mit Loïc eine kämpferische und solidarische Veranstaltung geben.
Es soll auch der Anfang für unsere solidarische Unterstützung Loïcs während seiner erneuten Zeit im Knast werden.
Die Rote Hilfe Zeitung veröffentlichte in ihrer Ausgabe 1.2022 einen Brief von Loïc
Auszug :
Nochmal Knast? – Ein Brief von Loic
Zwei Jahre nach seiner Entlassung muss Loïc, der unter anderem wegen der Elbchaussee-Randale zu G20 verurteilt wurde, erneut für 20 Monate in den Knast. Während die Hamburger Justiz ihn in Billwerder inhaftieren möchte, schreibt er von seiner Arbeitsstelle in Frankreich und dankt für die solidarische Begleitung.
„Am 13. Dezember 2021 fand das Revisionsverfahren zur Elbchaussee seinen Abschluss. Die Revision der Staatsanwaltschaft, welche in meinem Verfahren vier Jahre und neun Monaten forderte, wurde abgelehnt. Das Gleiche passierte mit den Revisionsbestrebungen meiner AnwältInnen. (…)


Ich soll noch immer 20 Monate verbleibende Haft aus der Gesamtstrafe von drei Jahren verbüßen. Mittlerweile wohne ich nicht mehr in Deutschland und habe nicht vor nach Hamburg zurückzufahren – außer wenn die Riesen dieser Welt entscheiden sollten dort erneut einen G20Gipfel auszurichten (…) Bisher erwarte ich nun Post im Lothringer Hinterland. Meine AnwältInnen haben beantragt, dass ich meine Strafe in Frankreich verbüßen kann.
Nach einem Jahr und vier Monaten Haft in Hamburg, in deren Zuge ich über meine Handlungen nachdenken sollte, weiß ich nicht, ob ich erneut viel Zeit zum Meditieren finden werde. Die Auflehnung bleibt legitim und dies ändert sich unter dem Druck der Repression nicht. Seit dem Sommer bin ich in einem faszinierenden GärtnerInnen-Kollektiv in der Nähe von Bure angestellt.
In diesem Frühjahr 2022 weiß ich noch nicht, ob ich Gemüse werde anbauen können oder ob ich neue offensive Texte gegen die G20 und ihre Welt werde produzieren müssen. Zudem könnt meine erneute Inhaftierung Früchte grenzüberschreitender Solidarisierungen reifen lassen. (…)
Ich möchte allen danken, die mich politisch, sozial und ökonomisch unterstützt haben. Besonderer Dank gilt der Roten Hilfe e.V. und dem Ermittlungsausschuss Hamburg und all denen, die Risiken eingehen, um sich solidarisch der Repression entgegenzustellen.“
Loïc, Januar 2022, Bure
Noch haben Loïc und seine Anwältinnen immer noch nicht erfahren, ab wann Loïc wieder ins Gefängnis muss und ob es in Hamburg-Billwerder oder in Frankreich sein wird. Wir werden euch dann sofort Ort und Tag unserer Solidaritätsveranstaltung mitteilen.

 

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Loic will Reststrafe in Frankreich absitzen https://unitedwestand.blackblogs.org/loic-will-reststrafe-in-frankreich-absitzen/ Sun, 26 Jun 2022 10:36:54 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3204 Continue reading ]]> Loic muss wegen seiner Verurteilung wegen der G20-Proteste in Hamburg 2017 wieder in den Knast

Radio Dreyeckland (RDL) aus Freiburg hat im Dezember ein Gespräch mit Loic geführt,

Vor einiger Zeit wurde er im sogenannten Elbchaussee-Verfahren zu 36 Monaten Knast verurteilt. Nach 16 Monaten im Hamburger Untersuchungsgefängnis läuft nun ein Antrag seiner Anwält:innen, die Haft in Frankreich verbüßen zu können. Er muss also demnächst für einige Zeit ins Loch zurück. RDL hat uns freundlicherweise die Abschrift des Radiointerviews https://rdl.de/beitrag/loic-will-g20-reststrafe-frankreich-absitzen zu Verfügung gestellt. (Red.)

Interview von Luc Śkaille, geführt Ende Dezember 2021

RDL: Du hast ja schon damit begonnen die Situation zusammenzufassen. Was dich damals ins Gefängnis gebracht hat, waren die Proteste gegen G20. Willst du nochmal erklären was dir in dieser Prozedur vorgeworfen wird?

LOIC: Es geht in der Strafe vor allem um die Elbchaussee, eine der wohlhabensten Straßen in Hamburg. Es ist ein besonderer sehr spezieller Vorwurf, da es sehr stark eine kollektive Dimension bekommt, bei der alles was bei der Versammlung passiert ist mir und vier weiteren Angeklagten umfassend zur Last gelegt wird. So sind wir jetzt für allen Sachschaden der Demonstration verantwortlich zu machen, eine Million € in 20 Minuten und 19 verbrannte Autos. Und selbst wenn wir nicht diesen konkreten Straftaten zugeordnet werden, werden wir der Komplizität beschuldigt. Dafür habe ich, ich glaube zwei Jahre gekriegt. Die anderen werden tatsächlich nur beschuldigt dort mitgelaufen zu sein, was wirklich außerordentlich ist. Ich bin beschuldigt da noch etwas aktiver gewesen zu sein, mit einem Böller, der in eine Bank flog.

Ich habe zu den Vorwürfen keine Aussagen gemacht, da ich die kollektiv Beschuldigung ablehnte. Ich wäre im Zweifel darauf eingegangen, wenn sie von der Kollektivstrafe abgerückt wären. Etwa in dem ich bewiesen hätte, dass ich nicht vor Ort war.

Ich denke diese juristischen Auffassungen sind sehr gefährlich und können auch später dazu dienen die Rechtsprechung auszuweiten und immer mehr in Richtung Kollektivstrafen bei Demos und vor Gerichten gehen. Diesen Auffassungen müssen wir uns entgegenstellen.

RDL: Das Hamburger Gericht hat dich damals zu drei Jahren Haft verurteilt. Was war die Forderung der Staatsanwaltschaft? Wie ist das ganze von statten gegangen? Du warst ja letztlich schon 16 Monate im Knast. Aber wie war der Weg dorthin, was war die strafrechtliche Auseinandersetzung. Du wurdest zuerst in Nancy verhaftet und wurdest dann lange weggesperrt, weit weg von deinen Leuten…

LOIC: Also der Staatsanwalt wollte vor allem die Idee einer Demonstration zerschlagen. Für ihn hat es sich um eine organisierte kriminelle Bande gehandelt, mit paramilitärischem Vorgehen. Er hat argumentiert, eine Person in dieser Demonstration habe Stiefel getragen, Stiefel der Marke Ranger. Also war es eine paramilitärische Organisation. Das wurde letztlich abgeschmettert. Aber er hat vier Jahre und neun Monate gefordert. Dies hat er auch in der Revision gefordert, auch diese Revision wurde abgelehnt – so wie meine Revision auch.

Nun, es gab eine erste Durchsuchung bei meinen Eltern im Mai 2018. Es handelte sich um eine koordinierte Razzia in der Schweiz, in Spanien, in Frankreich und in Deutschland. In Spanien und in Frankreich haben sie damals niemand gekriegt.

Ich war damals auf der ZAD in Notre-Dame-des-Landes. Ich war dort ein paar Tage zuvor kontrolliert worden, also wusste die Polizei wo ich bin. Aber die Hausdurchsuchung musste dennoch stattfinden, auch wenn sie wussten, dass sie mich dort nicht finden würden. Sie war ja europaweit koordiniert.

Da habe ich dann entschieden mit einem Text – Ich wähle die Flucht – zu erklären, dass ich mich nicht der Justiz stellen werde. Ich fand diese Verfahren völlig maßlos. Und ich habe auch gesehen, dass ich viel riskieren würde. Es gab eine mediale Propaganda rund um den G20-Gipfel. Am Tag der Durchsuchungen kam ein Polizei-Dokumentarfilm mit dem Titel „die schwarze Gewalt“ raus. Mit angsteinflößender Musik, Bildschnitten… es war eine kriminalisierende und die Demonstranten und Demonstrantinnen Entmenschlichende Produktion.

Da habe ich mir gedacht, dass ist keine gute Idee dem Haftbefehl nachzukommen.

Ich denke, ich hatte am Ende schon etwas Glück, auch wenn es echt hart ist, was mir widerfahren ist. Ich bin letztlich auf eine, im Vergleich zu den anderen Juristen des Gerichts von Hamburg, relativ fortschrittliche Richterin gestoßen. Ich wäre sonst vermutlich noch im Gefängnis, mit einem anderen Richter, der der Forderung der Staatsanwaltschaft gefolgt wäre.

Insgesamt habe ich ja Niemanden verletzt. Die anderen Beschuldigungen waren zwei Flaschen Bier in Richtung der Polizei geworfen zu haben, ohne sie zu treffen, wie auf den Videos zu sehen ist. Und dann waren da noch zwei Pflastersteine in Richtung der Wasserwerfer, die ich, wie auf den Videos zu sehen ist, auch nicht traf. Es ist also völlig vermessen, es gab nicht einmal Verletzte.

In diesem Zusammenhang will ich etwas in Erinnerung rufen. Vor kurzem wurde in den USA einer freigesprochen, der zwei Menschen während den Demos für George Floydd getötet hatte. Die Person war zu dem Zeitpunkt Minderjährig, aber er hat zwei Menschen getötet.

In meinem Prozess gab es auch zwei Minderjährige denen nur vorgeworfen wird, auf einer Demonstration mitgelaufen zu sein. Sie wurden zu Arbeitsstunden verurteilt. Nun wird ihr Prozess nochmal für mehrere Wochen aufgerollt, wir wissen noch nicht wann. Sie werden möglicherweise zu Bewährungsstrafen verurteilt, vielleicht zu mehr. Knast wegen des mitlaufens in einer Demo. Und dann befindet einer von der White-Power Bewegung sich nach dem töten zweier Menschen vor Gericht und wird freigesprochen.

Klar das ist in den USA, aber es ist immer noch die gleiche westliche Welt. Wir merken, dass es oft übertriebene Strafen gegenüber etwa Antifas gibt. Gegenüber Linksradikalen wird hart durchgegriffen, während man milde gegenüber Rechtsradikalen walten lässt. Es ist wichtig dieses Verhältnis zu betrachten.

RDL: Also nochmal um es für die Hörerinnen und Hörer in Erinnerung zu rufen. Du wurdest im August 2018 im Hause deiner Eltern verhaftet. Du hast danach 16 Monate gesessen und du konntest dann vor, beziehungsweise während dem Prozess aus dem Knast. Das war dann im Winter. Im Dezember 2019. Und der Prozess hat sich dann bis Mitte des Jahres gestreckt… Nun bist du knapp zwei Jahre wieder draußen. Nach dieser Zeit im Knast und dann in „Teilfreiheit“ will die Justiz dich erneut einsperren. Es gab einen gerichtlichen Beschluss am 13.12., vielleicht willst du uns hierzu mehr erzählen. Du musst die Haftepisode nicht weiter vertiefen wenn du es nicht möchtest.

LOIC: Was außerordentlich ist, ist dass dieser Prozess im Dezember 2018 angefangen hat und er bis Juli 2020 dauerte. Ich habe über 70 Tage Prozess gehabt, mit teilweise Pausen von bis zu zwei Wochen. Während dem Verfahren gab es eine Menge bourgeoiser Zeugen, die berichtet haben, was sie auf der Elbchaussee sahen. Es gab viele Polizeizeugen, deren Berichte teilweise vollständig erfunden waren. Das wurde von der Richterin bei immerhin fünf Zeugen festgestellt.

Was wirklich hart war, war immer wieder vor die gleichen Leute zu treten, um verurteilt zu werden für Handlungen, die ich nicht mal unbedingt selbst verwirklicht habe. Aktionen, die die Frucht einer Demonstration waren. Ich denke auch dass die Repression so heftig ist, weil es sich um eine Straße der Reichen handelt. Es gab viele andere Demos wo die Idee der gemeinschaftlichen Straffälligkeit und der gemeinschaftlichen Schuld nicht so relevant waren.

In der französischen Geschichte ist das ein Mechanismus, der während der Anarchistengesetze, den Lois-Scélérates angewendet wurde. Da wurden Schriftsteller, Leute die sich auf bestimmte Aktionen positiv bezogen in der gleichen Art behandelt, als wenn sie die Aktion durchgeführt hätten. Dass sind Dinge bei denen wirklich aufgepasst werden muss und gegen die wir kämpfen müssen.

Daher bin ich sehr wütend.

Ich habe zwei ziemlich offensive Prozesserklärungen gemacht.

Nun, um noch auf den Knast einzugehen, ich war im Haus A. Das Haus A ist ein schreckliches Gebäude, über 200 Jahre alt. Zu den Bedingungen: Du bist 23 Stunden von 24 in einer Zelle. Es darf zweimal die Woche geduscht werden, um 6:45 Morgens muss die ganze Etage ran. Das sind 25 Leute für vier Duschen in insgesamt 30 Minuten. Es gibt keine Wechselsachen, also keine Klamotten. Bis meine Sachen ankamen hat es über einen Monat gedauert. Ich schrieb meinen Eltern, dass ich Sachen brauche und habe dann 50 Unterhosen auf einmal gekriegt.

Dann konnte ich die beim Hofgang an andere Mitgefangene verteilen, die hatten ja das gleiche Problem.

Normalerweise bleibst du maximal für einen Monat im Haus A. Danach wirst du in andere Gebäude verlegt, denn es ist eigentlich eher ein Gebäude für die Ankömmlinge. Ich war aber länger in diesem Gebäude gefangenen, weil meine Verfahrens-Komplizen, mit denen wir uns nicht begegnen sollten, in den anderen Gebäuden eingesperrt waren. Das war die Begründung.

Gut, ich konnte diese Unterhosen verteilen. Die hatte ich in den Taschen und das sprach sich rum. Also kamen immer wieder Leute und sagten, hey, hast du noch eine Unterhose übrig.

Ich hatte auf einer Knastmauer diese Inschrift gelesen: „If you help someone, you help yourself“. Dieser Satz hat mir im Gefängnis viel Kraft gegeben.

Ich war schon in einer privilegierten Situation. Ich habe viele Briefe bekommen, viel Unterstützung. Ich hatte auch kein Schamgefühl im Bezug auf die G20-Proteste an denen ich teilnahm. Ich wusste dass es so viel Solidarität gab.

Und dem Gegenüber, die G20, die Waffenhändler… Gut das braucht nicht vertieft zu werden, Schufte eben.

Ich fühlte mich jedenfalls tugendhafter als ein Erdogan, ein Trump oder Saudi-Arabien, die ja auch da waren. Ich hatte also keine Schuldgefühle.

Das Knastsystem schafft es manche Leute sehr negativ zu beeinflussen. Da sind dann Schuldgefühle, dass sie etwa von der Familie zurückgewiesen werden. Es sind viele Leute aus sozial-benachteiligten Verhältnissen. Leute die vielleicht etwas gedealt haben, um ein bisschen Geld zu verdienen. Das hat mich wirklich erschüttert. Ich hatte schon dazu gelesen, oder in linken Zusammenhängen solche Geschichten gehört. Aber das dann zu sehen… Kaum Leute aus dem Mittelstand, überhaupt keine Menschen aus reichen Verhältnissen. Nicht etwa Leute wie ein Scholz oder andere, die nie in den Knast gehen, obwohl sie es eigentlich müssten.

Nun dadurch, dass wir uns mit diesen Leuten im gleichen Kontext wiederfanden, bin ich vielen dieser Menschen ein Stück weit auf Augenhöhe begegnet. Du findest dich in der gleichen Unterdrückung wieder, an einem Ort an dem du vom Staat als Scheiße definiert wirst. Das hat zu Begegnungen geführt.

Wenn ich jetzt etwa in einem ärmeren Viertel unterwegs bin, außerhalb der Haft, komme ich mit den Leuten nicht so schnell in Kontakt, da ich aus einem Mittelschichtenhaushalt komme.

Da ich nicht Deutsch sprach, war ich auch in der Situation eines ausländischen Gefangenen. Das hat die Begegnung mit einigen Personen dort eher erleichtert.

Da waren wundervolle Menschen dabei, denen jedoch viel Leid widerfährt.

Ja dieses Haus A ist wirklich scheiße. Viele BiPoC Menschen die ich traf sagten, die Schließer seien Nazis. Da ist ein Fakt den ich mehrfach hörte. Auch wenn ich das selber nicht so erlebt habe, habe ich die verachtenden Blicke der Wärter erlebt. Sie warfen widerliche Blicke in Richtung der inhaftierten BiPoC-Personen. Ich habe gesehen wie manche von ihnen herumgeschubst wurden, nur weil sie während dem Einschluss noch ein Buch in der Zelle des Nachbarn suchten. Ich habe echt sehr harte Dinge gesehen, für nichts. Es gibt wirklich eine Verachtung des Menschen im Knast.

Einige von ihnen drehen durch. Sie fragen „Warum werden immer wir kontrolliert?“.

Es sind mega viele Leute auf der Straße, die Bullen fahren vorbei, ich hab gerade jemand Weed verkauft und ich werde kontrolliert. Nicht etwa der Weiße der gerade Gras gekauft hat.

Es gibt solche Straßen in Hamburg, eine Straße nahe der Elbe, ich weiß nicht mehr wie sie heißt. Da wo auch die Welcome-To-Hell Demo war. Das ist verrückt in dieser Straße. Wenn die Bullen vorbei fahren, verstecken sich alle BiPoC-Leute, in Eingängen oder Läden.

Ich hab das erlebt als ich wieder draußen war – derweil gehen alle Weißen ganz gemütlich umher. Es gibt ein systematisches racial-profiling. Und weil viele der Betroffenen schon eh schwerer einen Job finden, ticken halt manche. Und dann gehen sie in den Bau. Sechs Monate wegen zwei Gramm Gras, weil es das zweite mal war. Diese Verachtung zu sehen, dass ist einfach unfassbar.

RDL: Wow

LOIC: Ja ich könnte noch viel erzählen

RDL: Ja. Wir können noch mehr darüber reden. Es ist wirklich super uns deine Erfahrungen anzuvertrauen. Ich denke es ist auch für andere Menschen, die Repression erleben wichtig. Erfahrungen durch jemandem der es lebt, der daran arbeitet und der sich mit dieser politischen Klarheit mitteilt. Knast als solches ist ja auch in der Gesellschaft oft ein Tabuthema. Also, über diese Gefühle, auch über die Schuld und die Scham zu reden… Auch über die Funktionsweise des Gefängnissystems, über die Repression die funktioniert und die Menschen beschädigt. Ich wünsche mir, dass du viel Kraft hast, um das abzuwehren.

Also, du konntest nach diesen 16 Monaten wieder raus. Du warst jetzt ja quasi zwei Jahre in einer Art Halbfreiheit, da ja immer noch die Drohung im Raum steht, in den Knast zurückkehren zu müssen. Jetzt gab es neue Entwicklungen in den letzten Wochen. Möchtest du das nochmal erklären…?

LOIC: Also am 13.12. gab einen Beschluss zu den Revisionsverfahren. Meine Revision, die meine AnwältInnen eingeleitet haben, und die den bisherigen Haftaufschub ermöglicht hat, wurde letzten Endes von der deutschen Justiz abgelehnt. Und auch der Revisionsantrag des Staatsanwaltes der 4 Jahre und 9 Monate haben wollte.

Jetzt stehe ich der Ausführungsverordnung des damaligen Urteils vom Juli 2020 am Ende des Prozesses gegenüber. Jetzt ist offenbar schon ein Brief für mich an den Ort in Hamburg geschickt worden, an dem ich seit dem Sommer nicht mehr lebe. In diesem Brief dürfte stehen, dass ich nun wieder in den Knast muss, um die Reststrafe zu verbüßen. Jetzt warten wir was passiert, wann ich diesen Brief in Frankreich zugestellt bekomme. Das geht jetzt noch um Fristen, aber es könnte Ende Februar, März, höchstens April werden. Dann wäre es wohl nötig wieder ins Gefängnis zu gehen, es geht um 20 Monate ohne Bewährung. Und auch was Hafterleichterung betrifft ist alles unklar. Es könnte theoretisch nach 8-9 Monaten rum sein. Aber das ist sehr dynamisch, eine Grauzone mit wenig Klarheit.

Persönlich geht es mir gerade eher gut.

Diese Situation treibt mich gerade an, weil es mich empört.

Ich würde gerne etwas teilen.

Ich habe vor kurzem Blutuntersuchungen machen lassen. Da wurden mir einige Fragen gestellt. Unter anderem wurde ich gefragt ob ich schon mal im Gefängnis war. Ich habe „ja“ gesagt, und die Person von der Blutabnahme war völlig schockiert:

Sie fragte, „warten Sie mal kurz, so sehen sie ja gar nicht aus“ – Gut dass ist natürlich etwas öde so ein oberflächliches Urteil, aber gut egal – Dann fragte die Person: „Was haben Sie getan?“ Ich habe gesagt es ging um Demos bei G20. Die Person fragt „Was, für Demos bei G20? waren Sie im Knast? Wie lange denn?“ Ich so: 16 Monate. Und die Person „Wie lange?“; Ich: ein Jahr und vier Monate. „Waas?“. Und ich muss vielleicht nochmal 20 Monate rein „Wie 20 Monate?! Und zwischenzeitlich waren Sie draußen? Dass ist ja völlig verrückt! Sowas habe ich noch nie gehört! Leute die ich so kenne, die machen viel schlimmeres als Sie. Leute mit Aggressionen, sexuelle Übergriffe. Die kommen viel besser weg, die gehen nicht mal in den Knast. Das ist ja total empörend“.

Und: Es war keine besonders politisierte Person, keine Person die da viel drüber nachgedacht hatte, dass war klar. Und das spricht mich an.

Die Tatsache dass sie sich gerächt haben, mit hoher Repression.

Aber drei Jahre ohne Bewährung für diese Tatvorwürfe, dass gehört angeprangert, dem muss sich widersetzt werden.

Die Justiz wollte auch Exempel statuieren um Angst zu erzeugen. Diesen Diskurs hört man viel aus der Rechten und Konservativen Ecke. „Es würde zu lax vorgegangen, es bräuchte ein härteres Vorgehen gegen die Linksextremen.“ Äh, die Linksradikalen, Pardon.

Es ist für mich wichtig unsere Überzeugungen weiterhin stark zu vertreten. Als eine Art Pädagogik die wir der Repression entgegensetzen. Um zu zeigen, dass es so nicht möglich ist, uns als Bewegung oder als rebellische Personen zu brechen … Das Gegenteil muss erfolgen.

Ich hatte das Glück vor kurzem andere Beschuldigte wieder zu treffen. Ich traf auch Fabio, einem italienischen ehemaligen Gefangenen, der auch eine offensive Prozesserklärung bei seinem Prozess verlas.

Wir würden gerne ein größeres Treffen anstoßen, eine Konferenz, um über die Repression zu reden und darüber was wir auch mit den AnwältInnen zusammen erlebt haben.

Es ist für mich wichtig, weiter zusammen zu kommen, der Repression zum Trotz. Es ist wichtig das weiter zu thematisieren, darüber zu reden, es sichtbar zu machen und es zu humanisieren. Und das ist was ich weiter machen werde. Diese offensive Haltung zu bewahren.

Ich finde es vollkommen absurd, dass eine so verabscheuungswürdige Person wie Olaf Scholz, der sich immerhin getraut hat zu sagen, es habe in Hamburg „keine Polizeigewalt“ bei G20 gegeben, sich nun als Kanzler Deutschlands wiederfindet.

Das ist echt schräg. Zudem hängt er in so vielen Affären drin, dass sich gefragt werden muss, warum er noch immer nicht hinter Gittern ist.

Das revoltiert mich alles schon sehr. Das werde ich weiterhin anprangern.

Es ist wichtig ihnen zu zeigen, dass selbst wenn einer drei Jahre bekommt, dass er dann lästig bleibt. Dass er ätzend bleibt.

Ich freue mich weiterhin, wenn Leute solidarische Aktionen machen, wenn ich nun wieder in den Knast gehe. Ich glaube es ist sehr wichtig, dass sie verstehen, dass dahinter eine Bewegung steht und dass wir diejenigen, die von der Repression eingeholt werden, nicht alleine lassen.

Was ich auch noch sagen wollte, ist, dass das was mir Kraft gibt, vor allem auch das Ausdrücken und Mitteilen meiner Gedanken ist, und dass diese verstanden werden können. Ich hasse es mit Vorurteilen behandelt zu werden. Besonders in den Prozessen, wo vor allem der Staatsanwalt redet. Ein Mensch der noch nie auf einer Demo war, aber er redet viel. Der wird dann eine Realität beschreiben, ein Narrativ schaffen, Fakten konstruieren – obwohl er nicht präsent war.

Und dann, wenn du vor der Justiz stehst, bevorzugen es viele oftmals nichts zu sagen. Oder sogar noch mehr auf das Spielchen eingehen und sich entschuldigen. In der Hoffnung milde behandelt zu werden.

Was dann medial und in der populären Vorstellung dabei rüber kommt, ist: entweder „die Person hatte Angst“, oder „sie hatte keine Ideen“. „Das sind dann wohl Leute, die kommen nur her um „Bullen zu batschen“ und so.“

Mich interessiert es, eine Idee, Gedanken zu entwickeln und das habe ich mit meiner ersten Prozesserklärung gemacht. Ich werde weitere Texte machen, um zu unterstreichen, welche Ideen ich weiterhin habe und dass diese sich auch weiter entwickeln.

Ich will auch meine Entschlossenheit zeigen.

Ich glaube es ist wichtig das zu machen, weil wir noch in einem Rahmen sind, in dem der revolutionäre Geist oftmals stigmatisiert und noch nicht besonders gut verstanden wird.

Diese Arbeit von Pädagogik gegenüber der Justiz muss natürlich nicht jeder machen. Aber ich finde das Erklären wichtig. Und ich lade auch alle dazu ein, die die Justiz nicht anerkennen, dies mit ein paar Sätzen in den Prozessen zu verdeutlichen. Schweigen kann nämlich durch die Gesellschaft fehlerhaft interpretiert und verachtet werden.

Ich will lieber eingesperrt sein und verstanden werden, oder mich zumindest erklärt haben.

Das ist mir lieber als unter Vorurteilen zu leiden, eingesperrt zu sein und verachtet und missverstanden zugleich.

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Radiointerview: Loic will G20-Reststrafe in Frankreich absitzen https://unitedwestand.blackblogs.org/radiointerview-loic-will-g20-reststrafe-in-frankreich-absitzen/ Mon, 07 Feb 2022 22:05:40 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3198 Continue reading ]]> Elbchaussee-Revisionen in Leipzig verschärft/gescheitert

RDL hat ein Interview mit Loic geführt, hier könnt ihr es anhören: https://rdl.de/beitrag/loic-will-g20-reststrafe-frankreich-absitzen

Die juristischen Nachspiele bezüglich des Hamburger G20 von 2017 dauern an. Während der „es hat keine Polizeigewalt gegeben“ Brechmittel-Kanzler Scholz trotz Cum-Ex und WireCard ins Kanzleramt zog, schlagen sich europaweit Linke mit andauernden Strafen wegen eines Scherbenwochenendes eines längst vergangenen Sommers herum.

Weiterhin wird auf verschiedene Revisionen gewartet – viele G20-Prozesse werden verschoben oder ausgesetzt. Im Elbchaussee-Verfahren, einem Prozess gegen fünf Jugendliche, denen unter anderem Randale in einem Villenviertel vorgeworfen wird, gab es im Dezember Neuigkeiten.

Mit Beschlüssen der Ablehnung mehrerer Revisionsbestrebungen auf beiden Seiten, wurden unter anderem die 36 Monate Haft gegen Loic bestätigt. Die einzige vom BGH zum 13.12. angenommene Revision betraf zwei der Offenbacher. Hier befand die Staatsanwaltschaft, wie bei allen anderen auch, dass die verbüßte Strafe zu gering sei.

Für Loic bedeutet das, nach etwa zwei Jahren in Teilfreiheit, und einem endlosen Gerichtsprozess, dass er in den nächsten Wochen oder Monaten für einige Zeit in den Knast zurück muss. Nach 16 Monaten im Hamburger Knast läuft nun ein Antrag seiner Anwält*innen Theune, Kempf und Weyers, die Haft in seinem Herkunftsland verbüßen zu können.

Derzeit arbeitet Loic in einem Gärtnereibetrieb in Lothringen und ist nach der vielen Zeit noch immer empört über die Repression. Im Interview am Gemüsestand schildert er seine Perspektive auf die kommende Haft, berichtet von den Erfahrungen in Hamburg und ruft weiterhin zur Solidarisierung mit allen Unterdrückten auf.

https://rdl.de/beitrag/loic-will-g20-reststrafe-frankreich-absitzen

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Revisionsprozess gegen Loic im G20-Elbchausseeverfahren am 1. September ’21 in Leipzig https://unitedwestand.blackblogs.org/revisionsprozess-gegen-loic-im-g-20-elbchausseeverfahren-am-1-september-21-in-leipzig/ Mon, 09 Aug 2021 09:12:57 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3193 Continue reading ]]> Am 1.9.21 entscheidet der Bundesgerichtshof in Leipzig über die
Revisionen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen das
Urteil des Landgerichts Hamburg, mit dem Loic zu einer Freiheitsstrafe
von 3 Jahren ohne Bewährung verurteilt wurde. Die Verteidigung fordert
eine wesentlich niedrigere Strafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden
soll. Die Staatsanwaltschaft will eine Verurteilung zu einer Strafe von 4 Jahren 9 Monaten.
Nun findet am 1.9.21 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem BGH
statt, in der es nur um Rechtsfragen geht. Loic kann an dieser
Verhandlung teilnehmen, muss es aber nicht und wird es auch nicht tun.

Wir werden einen Beobachter nach Leipzig schicken.
Revisionen werden zu 99 % abgelehnt, das ist auch bei Loic für beide
Revisionen zu erwarten. Dann würde das Urteil sofort rechtskräftig, etwa
einen Monat später erfolgt die Ladung zum Strafantritt und einen
weiteren Monat später, also im November, muss die Knaststrafe dann
angetreten werden.
Loic wurde zu 36 Monaten verurteilt, abzüglich 16 Monaten
Untersuchungshaft bleibt eine Reststrafe von 20 Monaten. Bei Menschen,
die zum ersten Mal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, gibt es die
Möglichkeit, bereits nach 2/3 der Gesamtstrafe, das wären 24 Monate
abzüglich der U-Haft von 16 Monaten, also noch 8 Monate, entlassen zu
werden. Die 2/3-Strafe ist in politischen Verfahren eher selten, oftmals
werden Reue und Distanzierung verlangt.
Die Reststrafe wird vermutlich in der JVA Billwerder in Hamburg
vollstreckt werden. Eventuell besteht aber auch die Möglichkeit der
Strafvollstreckung in Frankreich, was für Loic, Familie und Freunde
sicherlich angenehmer wäre.
So oder so bleiben wir solidarisch mit unserem Freund und Gefährten
Loic, ob in Frankreich oder Deutschland und gemeinsam werden wir
Kundgebungen und Soli-Aktionen machen.
Solidarität ist eine Waffe!
Free Loic!

Solidarisch Kämpfen – United We Stand!

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Der G20-Elbchaussee-Prozess – Rechtsstaatstheater ohne Happy End https://unitedwestand.blackblogs.org/der-g20-elbchaussee-prozess-rechtsstaatstheater-ohne-happy-end/ Thu, 15 Jul 2021 08:44:50 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3187 Continue reading ]]>

Vor einem Jahr wurden im sogenannten Elbchaussee-Prozess die Urteile gefällt. Wir nutzen den Jahrestag, um nochmal einen detaillierten Blick auf einen der bisher größten G20-Prozesse zu werfen. Denn obwohl das Ganze nun ewig her ist, kann der endgültige Ausgang des Verfahrens (schriftliche Urteilsbegründung und Revision stehen noch aus) drastische Auswirkungen auf den rechtlichen Rahmen von Demonstrationen haben.

Es ging dabei um eine Demo im Sommer 2017. Während des G20-Gipfels in Hamburg kam es in den frühen Morgenstunden des 7. Juli zu einer Express-Verwüstung der schicken Elbchaussee. In wenigen Minuten soll dieser zügige Spaziergang eine Millionen Euro teure Zerstörung mit sich gebracht haben.

Drei Jahre nach dem Gipfel wurden am 10. Juli 2020 vom Landgericht Hamburg die Urteile im Elbchaussee-Prozess gefällt. Begonnen hatte der Prozess im Dezember 2018. Über eineinhalb Jahre wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen Loïc aus Frankreich und vier weitere Genossen aus Frankfurt/Offenbach verhandelt.

Völlig unabhängig davon, ob ihnen individuell etwas vorgeworfen wird, sollen die fünf Angeklagten für diese Demo zur Verantwortung gezogen werden. Die Staatsanwaltschaft konstruierte dafür Anklagepunkte, die die Beschuldigten für zehn Jahre in den Knast bringen sollten. Auch ohne den Forderungen der Staatsanwaltschaft im Detail zu folgen, fand das Gericht einen Weg, die Angeklagten wegen Landfriedensbruchs und Beihilfe zur Brandstiftung – und damit für ihre Anwesenheit – zu bestrafen.

Am 10. Juli 2020 wurde Loïc zu drei Jahren Knast ohne Bewährung verurteilt. Die Frankfurter/Offenbacher Genossen erhielten 15 bzw. 18 Monate auf Bewährung und die jugendlichen Angeklagten müssen, wenn die Urteile rechtskräftig werden, jeweils 120 Arbeitsstunden ableisten.

Worum es hier geht, ist offensichtlich: Die Ordnung wurde gestört und dafür muss irgendwer büßen, es braucht Schuldige. Ganz der Forderung des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz nach „sehr harten Strafen“ entsprechend.

Wir möchten nun einen Blick auf den Prozessverlauf werfen und eine Einordnung des Prozesses und des Urteils vornehmen. Um eine juristische Betrachtung kommen wir dabei nicht ganz herum. Aber hier geht es uns vor allem darum, den Prozess politisch und gesellschaftlich einzuordnen und darzulegen, warum es sich dabei um einen politischen Prozess und damit auch um ein politisches Urteil handelt.

Mit politischem Prozess meinen wir, dass die Taten in einem politischen Kontext stehen, bei dem auch die politischen Überzeugungen der Aktivist*innen eine Rolle spielen. Im Kern ging es den Repressionsorganen nie um die Sachbeschädigungen, sondern um die Frage nach Macht und Ordnung. Der Prozess sollte eine abschreckende Wirkung haben und zugleich den Einsatz der polizeilichen Mittel im Zusammenhang mit dem Gipfel legitimieren. Wie zu erwarten, werden die gesellschaftlichen Umstände, die zu Protesten führen, im Gericht nicht erwähnt bzw. in der Beweisführung nicht anerkannt. Gerichtsprozesse finden nicht im gesellschaftlich luftleeren Raum statt und Urteile sind und können deswegen nie ‚neutral‘ sein. Sie sind immer auch Ausdruck des aktuellen politischen Klimas. Wir wollen deshalb, bevor wir zum eigentlichen Prozess kommen, die gesellschaftliche Stimmung in der Zeit um den Gipfel etwas genauer betrachten.

Politische Stimmungsmache, autoritäre Formierung und Kriminalisierung

In den politischen Maßnahmen vor dem Gipfel zeigte sich eine deutliche Haltung, die darauf abzielte, Protest zu delegitimieren und zu verhindern. So wurde im Mai 2017, also pünktlich zum Gipfel, die Strafe für den Tatbestand des „Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“ (§ 114 StGB) massiv verschärft und mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis belegt. Wie der sogenannte „Widerstand“ war dieser Vorwurf schon vor der Verschärfung unter Polizist*innen sehr beliebt. Ein bisschen Phantasie und die Absprache mit ein oder zwei Kolleg*innen reichen aus, um Menschen willkürlich zu beschuldigen.

Mit Hamburg als Veranstaltungsort und dem autoritären Hardliner Hartmut Dudde als Einsatzleiter der Polizei war von der Politik schon eine klare Richtung vorgegeben: Dudde hat sich im Laufe seiner Karriere mit der Unterbindung linken Protests hervorgetan, wobei er rechtliche Vorgaben regelmäßig und gezielt überging. Kurz vor Gipfelbeginn bekräftigte er intern: Ein Wasserwerfer habe keinen Rückwärtsgang. Nicht Blockaden, sondern erfolgreiche Straßenräumungen seien zu melden.

In den Tagen des Gipfels wurde die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt. In einer 38 Quadratkilometer umfassenden „Sicherheitszone“ war sie komplett außer Kraft gesetzt. Demonstrationen und Kundgebungen waren in diesem Gebiet, das einen Großteil der Stadt zwischen Elbe im Süden und Flughafen im Norden umfasste, verboten. Ein Camp von Protestierenden wurde ebenfalls komplett verboten. Dem folgte eine gerichtliche Auseinandersetzung und eine rechtswidrige, brutale Räumung des inzwischen wieder genehmigten Camps durch die Polizei.

Dies sind nur einige wenige Beispiele für die Linie von Politik und Polizei, die sich auch im medialen Bild des Gipfels widerspiegelte.

Über weite Strecken gelang es der Polizei mit einer umfassenden Medienkampagne ihre Sichtweisen und Interpretationen zu platzieren. Weit mehr als eh schon üblich wurde mit extrem tendenziösen Pressemitteilungen, falsch kommentierten Videoaufnahmen und Lügen auf Socialmedia-Kanälen in den öffentlichen Diskurs eingegriffen. Immer das auch von der Politik gesteckte Ziel vor Augen, den Protesten jegliche Legitimation abzusprechen. Gab es zunächst auch kritische, die Polizeistrategie und -einsätze hinterfragende Stimmen, verstummten diese im Laufe des Gipfels fast vollständig.

In den Wochen und Tagen vor dem Gipfel war das Bild in den Medien und damit auch die öffentliche Stimmung dagegen noch etwas differenzierter. Einerseits wurden bewusste Dramatisierungen bis hin zu unverhohlenen Drohungen unhinterfragt übernommen. Wie bspw. Äußerungen von Hamburgs Innensenator Andy Grote, in denen er die Menschen ermahnte, Konvois mit ausländischen Politiker*innen in Ruhe zu lassen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die dort eingesetzten Sicherheitskräfte gegen die Blockaden vorgehen und es Tote geben könnte.

Auf der anderen Seite gab es neben den von der Polizei zum Schutz der Bevölkerung als alternativlos dargestellten Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit aber auch Bilder der von diesen Maßnahmen genervten Bevölkerung. Genauso passten die Bilder der meist jungen Menschen, die beim Versuch Zelte aufzubauen von der Polizei mit Schlagstöcken, Tritten und Pfefferspray angegriffen wurden, so gar nicht zu dem Bild der vorher angekündigten Krawalltourist*innen.

Eine kurze Phase einer polizeikritischen Berichterstattung, die auch die Anliegen der Proteste berücksichtigte, war die Folge. Sie erreichte Donnerstagabend vor dem Gipfel, nach der brutalen Niederschlagung der Welcome-to-Hell-Demo ihren Höhepunkt.

Aber schon wenige Stunden später, spätestens mit den Bildern aus der Elbchaussee Freitagvormittag, kippte die Stimmung. In den Medien wurden fast ausschließlich die Pressemitteilungen der Polizei übernommen und die Frage nach Verhältnismäßigkeit und Demonstrationsrecht verschwanden gänzlich aus der Berichterstattung. Die Polizei hingegen legitimierte in ihren Pressekonferenzen und -mitteilungen unter anderem den bewaffneten Einsatz des SEKs in der Schanze durch Falschmeldungen. Eine später durch ihre eigenen Videoaufnahmen widerlegte Geschichte, dass Polizist*innen mit Gehwegplatten von Hausdächern aus beworfen wurden, diente als Rechtfertigung für den Einsatz der schwerbewaffneten Kräfte. Ähnliche Behauptungen legitimierten im weiteren Verlauf auch die Gewaltorgien der eingesetzten Polizeikräfte gegen alle Menschen, die sich zu der Zeit auf und um die Schanze versammelt hatten.

Mit Hilfe der Medien konnte die Polizei hier den Grundstein für ein rein auf Gewalt ausgerichtetes Bild der Proteste legen, das deren öffentliche Wahrnehmung, aber auch die Atmosphäre, in der die G20-Prozesse später vor Gericht stattfinden, maßgeblich bestimmt. Die Pressevertreter*innen machten sich zum Sprachrohr der Polizei, die endlich zeigen konnte, dass alle bereits im Vorfeld getroffenen Maßnahmen richtig gewesen seien, da es ansonsten noch viel schlimmer gekommen wäre.

Dieses Bild blieb auch nach dem Gipfel weitgehend bestehen. Kritische Berichte zum polizeilichen Angriff auf die Demo am Rondenbarg, mit mehreren schwer verletzten Demonstrant*innen, erreichten nie die Reichweite der von der Polizei vorgegebenen Dramatisierungen. So war die Berichterstattung national und international nach wie vor weitgehend mit den Pressemitteilungen der Polizei identisch und von Vorwürfen gegen die Aktivist*innen geprägt. Diese seien antidemokratisch und hätten den Protest nur zur Randale missbraucht. Zugleich wurde in Deutschland der Ruf nach einer möglichst harten Bestrafung der vermeintlichen Täter*innen laut.

Das Ganze gipfelte in einer Welle von Öffentlichkeitsfahndungen, die von privaten und staatlichen Medien unterstützt wurden. Entsprechend der vorher aufgebauten Stimmung wurden die abgebildeten Personen bereits für schuldig erklärt und teilweise mit sexistischen und rassistischen Zuschreibungen der Öffentlichkeit vorgeführt.

Die meisten Medien übernahmen die Darstellungen unhinterfragt und ungefiltert und boten somit riesige Bühnen, die ausschließlich die Sicht der Herrschenden auf den Gipfel zeigten. Damit wird auch die gesellschaftliche Atmosphäre bestimmt, in der die Prozesse nach dem Gipfel stattfanden und noch stattfinden.

Die ersten Prozesse

Nach dem Gipfel waren es vor allem Aktivist*innen ohne deutschen Pass, die mit der Begründung einer möglichen Fluchtgefahr länger in Untersuchungshaft saßen. So waren sie es auch, die die ersten Prozesse über sich ergehen lassen mussten. Entsprechend der beschriebenen Stimmung nach dem Gipfel waren die Strafmaße exorbitant hoch. Zum Beispiel wurde der junge Niederländer Peike Ende August 2017 für zwei Flaschenwürfe, deren einziger Beleg in der zweifelhaften Aussage der ihn festnehmenden Beamt*innen bestand, zu 2 Jahren und 7 Monaten Knast verurteilt. In den folgenden Berufungen wurden einige Urteile etwas abgemildert. Einen Effekt hatte das aber vor allem für die Wahrnehmung, dass die immer noch krassen Strafen als nicht mehr ‚ganz so schlimm‘ erschienen.

Zu den ersten Prozessen nach dem Gipfel gehörte auch das Verfahren gegen Fabio. Er wurde wegen der von der Polizei in der Straße „Am Rondenbarg“ zerschlagenen Demo angeklagt. Anders als bei den anderen Prozessen wurden ihm aber selbst keine Straftaten vorgeworfen, verurteilt werden sollte seine reine Anwesenheit. Erstmals in den G20-Prozessen kam dazu das sogenannte Hooligan-Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) aus 2017 auf den Tisch. Demnach habe es sich am Rondenbarg nicht um eine politische Demonstration gehandelt, sondern um eine Gruppe, die sich „zu Gewalt verabredet“ habe. Nach dem BGH-Urteil reicht damit die bloße Anwesenheit für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs aus, selbst wenn der Person selbst keine konkreten Straftaten vorgeworfen werden. Dass es darin um eine Schlägerei von Hooligans ging und der BGH die automatische Übertragung auf Demonstrationen ausgeschlossen hat, wurde dabei bewusst ignoriert.

Fabios Prozess platzte im Februar 2018, weil die zuständige Richterin ausfiel. Auch wenn der Prozess bis heute nicht neu aufgerollt wurde, besteht die Anklage weiterhin und Fabio muss damit rechnen, jederzeit wieder vor ein Gericht gezerrt zu werden. Das Konstrukt der entpolitisierten verabredeten Gewalttat wurde von der Staatsanwaltschaft aber nicht nur in Fabios Prozess, sondern auch im Elbchaussee-Prozess benutzt, um die Strafforderungen ohne individuell nachweisbare Taten in die Höhe zu treiben.

Timeline

7./8.7.17 G20-Gipfel in Hamburg und entschiedener, vielfältiger Protest dagegen
Hambuger Gitter, Film über die Proteste gegen den Gipfel (YouTube)
7.7.17 Demonstration in der Elbchaussee
27./28.7.18 bundesweit Hausdurchsuchungen, in Frankfurt am Main und Offenbach werden vier Menschen festgenommen, zwei gelten als Heranwachsende und müssen am nächsten Tag freigelassen werden
Solidarität mit den Frankfurter G20-Gefangenen! (UWS)
Bundesweite Hausdurchsuchungen wegen G 20 (radio dreyecksland)
18.8. 18 Festnahme von Loïc in Frankreich (Beschreibung in der Prozesserklärung von  Loïc (UWS) )
Oktober 18 Auslieferung von Loïc nach Deutschland, U-Haft Holstenglacis
9.11.18 Aussetzung der U-Haft für die beiden Genossen aus FFM/Offenbach durch Landgericht, wird vom OLG sofort kassiert; in der Folge Befangenheitsantrag der Staatanwaltschaft gegen die Richter*innen, der aber nicht durchkommt
Landgericht nicht hart genug (taz)
8.12.18 Text von Loïc zu Haftbedingungen (UWS)
18.12.18 Prozessbeginn
Göttinger NoG20-Soli-Newsletter #8
10.1.19 Ausschluss der Öffentlichkeit auf Antrag der Staatanwaltschaft
G20-Prozess ohne Presse (taz)
Anfang Februar 2019 Einlassung der vier Angeklagten aus FFM/Offenbach
14.2.19 die beiden Genossen aus FFM/Offenbach aus U-Haft entlassen, Haftbefehl aufgehoben
1.3.19 Gericht beschließt die Ladung von deutlich mehr Zeug*innen, weil auf Bullenberichte kein Verlass und Videos „suggestiv bearbeitet“ seien
Suggestiver Quatsch (jungle wolrd)
18.6.19 zweiter Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft wird abgelehnt
Richterin doch unbefangen (taz)
26.6.19 Gericht lehnt Antrag auf Haftverschonung (bzw. Aufhebung des Haftbefehls) ab, Loïc muss weiter im Knast bleiben
6.11.19 Rechtsgespräch zwischen Richter*innen, Anwält*innen und Staatanwaltschaft
Elbchaussee-Prozess: zum Rechtsgespräch am 06.11.19 (UWS)
18.12.19 Loïc kommt gegen Auflagen frei
Freiheit für Loic (nun etwas ausführlicher) (UWS)
12.1.20 Text von Loïc zum Knast und zur Freilassung
Die Mauern niederreißen, die den Knast von der Außenwelt trennen (UWS)
Frühjahr 2020 Prozess zieht sich, weil viele Termine wegen Corona ausfallen
17.6.20 Öffentlichkeit wieder zugelassen, Prozesserklärung von Loïc (UWS)
9.7.20 Zweite Prozesserklärung von Loïc (UWS)
10.7.20 Urteil
Elbchaussee-Ausschreitungen: Fünf junge Männer verurteilt (NDR)
»This is not justice, this is shit« (analyse & kritik)

Der Elbchaussee-Prozess startet

Im Dezember 2018 startete der Elbchaussee-Prozess, mit dem wir uns in diesem Text näher auseinandersetzen. Doch auch dieser Prozess begann eigentlich längst vor der offiziellen Eröffnung. So wurde Loïc am 18. August 2018 festgenommen und nach Hamburg verschleppt, die vier Genossen aus Frankfurt und Offenbach schon am 27. Juni 2018 nachdem bei ihnen Hausdurchsuchungen stattfanden. Da zwei der vier Genossen zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Straftaten noch minderjährig waren, wurden sie bald wieder aus der U-Haft entlassen. Loïc und die zwei anderen Genossen aus Frankfurt/Offenbach blieben aber in U-Haft, deren Bedingungen von Anfang an katastrophal waren.

So berichteten die Soligruppen von der anfänglichen Isolation der Angeklagten und dass der Kontakt untereinander verhindert wurde. Außerdem kam es zu Zelldurchsuchungen und nächtlichen „Lebendkontrollen“, bei denen die Angeklagten ständig geweckt wurden. Damit wird deutlich, wie die Gefangenen gesehen wurden – als Schuldige für alles, was rund um den G20 Gipfel geschah.

Besonders eindrücklich ist die Geschichte von Loïc, der in einer temporären Zelle im Keller des Gerichtsgebäudes einen toten Vogel fand und diesen unterm Pullover in den Verhandlungssaal schmuggelte, um dort auf die unmenschlichen Haftbedingungen hinzuweisen.

Auch im Gericht war die U-Haft schon vor Prozessbeginn nicht unumstritten. So fand bereits am 9.11.2018 eine Haftprüfung bezüglich zwei der Genossen statt, bei der die Richterin die Freilassung anordnete. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde ein und nach wenigen Stunden in Freiheit kam das Urteil des Oberlandesgerichts – die Angeklagten mussten zurück in die U-Haft. Spätestens als sie sich daraufhin selbständig wieder zurück in Haft begaben, hätte eigentlich die von der Staatsanwaltschaft angeführte Fluchtgefahr widerlegt sein müssen. Stattdessen blieben sie – nicht zuletzt wegen der ebenfalls von der Staatsanwaltschaft hochgetrieben Straferwartung – weiter in Haft.

Um genau diese Straferwartung ging es auch bei einem Befangenheitsantrag, den die Staatsanwaltschaft rund um die Auseinandersetzung zur U-Haft gegen die Richterin stellte. Zur Einordnung: Das ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Es passiert zwar gelegentlich, dass im Rahmen eines Gerichtsverfahrens Befangenheitsanträge gestellt werden. Normalerweise kommen diese jedoch von der Verteidigung. Dass sich die Staatsanwaltschaft mit einem solchen Antrag gegen ‚die eigene‘ Vorsitzende richtet, ist dagegen sehr selten und wurde dementsprechend auch medial skandalisiert.

Inhaltlich ging es dabei um die oben bereits erwähnte Auseinandersetzung um die U-Haft. Konkret darum, dass die vorsitzende Richterin die Fluchtgefahr bei den Angeklagten für gering hielt, da sie von einem „geringen“ Strafmaß von bis zu drei Jahren Haft ausging. Diese Einschätzung der Richterin sah der Staatsanwalt als Parteinahme an und stellte den Befangenheitsantrag.

Der eigentliche Prozess beginnt also in einem durch Polizei, Medien und Staatsanwaltschaft extrem aufgeheiztem Klima. Die Angeklagten müssen sich nicht nur mit den vorgeworfenen Straftaten, sondern auch einer weitgehenden Vorverurteilung auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang steht auch eine Entscheidung des Gerichts am zweiten Prozesstag, die weitreichende Folgen für die Unterstützung der Angeklagten und die öffentliche und solidarische Prozessbegleitung hatte.

Öffentlichkeitsausschluss und trotzdem solidarische Begleitung

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft schloss das Gericht die Öffentlichkeit bis zu den Plädoyers von der Verhandlung aus – Gegen den Willen der Angeklagten.

Begründet wurde das mit einem sogenannten Erziehungsinteresse gegenüber zwei der fünf Angeklagten, die während des G20-Gipfels unter 18 Jahre alt waren sowie dem Schutz vor einer Vorverurteilung der Angeklagten durch eventuell reißerische Berichterstattung in der Presse. Dieses Kind war in den eineinhalb Jahren seit dem Gipfel aber wohl schon gründlich in den Brunnen gefallen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Staatsanwaltschaft weiterhin am Prozess teilnimmt und ihre Sicht ungeniert in der Presse verbreiten kann.

Die Staatsanwaltschaft machte keinen Hehl daraus, dass es ihr darum ging, eine solidarische Prozessbegleitung zu verhindern. In der vom Gericht übernommen Begründung wurden unter anderem die Standing Ovations von Freund*innen und Verwandten der Angeklagten an den ersten beiden Verhandlungstagen sowie die Empfehlung zur Aussageverweigerung durch die Rote Hilfe herangezogen, um zu begründen, dass die gezeigte Solidarität mit den Angeklagten für diese ‚erziehungsschädlich‘ sei.

Es sollte also explizit eine solidarische Prozessbegleitung verhindert werden. Besonders perfide ist das, wenn man bedenkt, dass einige der Angeklagten inhaftiert waren. Mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit wurde ihnen also auch die Möglichkeit genommen, wenigstens im Gerichtssaal Freund*innen zu sehen und emotionale Unterstützung zu bekommen.

Entgegen der Behauptung des Gerichts, im Schutzinteresse der Angeklagten gehandelt zu haben, forderten diese allesamt einen öffentlichen Prozess. Demnach nahmen die Angeklagten die Öffentlichkeit als Schutz wahr und es dürfe auch das große öffentliche Interesse nicht ignoriert werden, da es um die grundrechtlich sehr relevante Frage geht, was eine Demonstration ist.

Trotz allem gab es eine sehr präsente Unterstützung und Soli-Arbeit außerhalb des Gerichtssaales: Kundgebungen während der Gerichtstermine vor der Tür, Knast-Spaziergänge, Info-Veranstaltungen, Unterstützung bei Fahrtkosten und Schlafplätzen, Postkartenaktionen in den Knast, Demos zu Prozessbeginn und -abschluss, Geburtstagskundgebungen vor’m Knast und vieles mehr.

Auch die Angeklagten selbst schafften es, ihre Sicht nach außen zu tragen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Loïc brachte Eindrücke über seine Situation im Knast noch vor Prozessbeginn über Unterstützer*innen nach draußen und schrieb danach selbst zwei öffentliche Erklärungen, die nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft sowie zum Prozessende veröffentlicht wurden.1) Es war dem Gericht somit nicht vollständig gelungen die Öffentlichkeit vom Prozess und insbesondere von der Perspektive der Angeklagten fernzuhalten.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit schlägt sich aber auch in dem nieder, was wir hier über den Prozessverlauf berichten können. Wir müssen uns im Folgenden also auf einige Kernpunkte beschränken.

Bullen lügen

Dass Cops lügen ist für uns ja nichts Neues, dass es selbst dem Gericht auffällt, ist schon etwas bemerkenswerter. Im März 2019 erklärte das Gericht, dass auf das „geschriebene Wort wenig Verlass“ sei und meint damit die Polizeiakten. Nach Recherchen des NDR sollen zivile Zeug*innen bei ihrer Vernehmung während der Hauptverhandlung Aussagen, die die Polizei in deren Namen in der Ermittlungsakte vermerkt hatte, entschieden bestritten haben. Zeug*innen sollen Polizeivermerke als „Quatsch“ bezeichnet und beteuert haben, sie hätten solche Aussagen nie gemacht.

Offensichtlich war folgendes passiert: Nach der Demo in der Elbchaussee zogen Ermittler*innen los, Zeug*innen zu finden, die über Videos und Fotos verfügen, die für Identifizierungen von Teilnehmenden geeignet sind. Es ging also in allererster Linie darum, gut verwertbares Fahndungs-Material zu finden, um ‚Verantwortliche‘ ausfindig zu machen. Sämtliche Zeug*innenangaben zum Ablauf etc. waren für die Ermittelnden in diesem Moment nicht maßgeblich und wurden so, wie es die Polizist*innen brauchten, und eben zum Teil falsch wiedergegeben.

Spätestens zu dem Zeitpunkt als Polizei und Staatsanwaltschaft klar wurde, dass ‚die Verantwortlichen‘ nicht zu ermitteln sind oder vielleicht auch gar nicht existieren, rückten diese Neben-Bemerkungen in den Mittelpunkt. Das erklärte Ziel war, irgendwen verurteilen zu können, egal für was. Den wenigen Personen, die überhaupt ermittelt werden konnten, sind allerdings keine individuellen Straftaten nachzuweisen. Mit einem Böllerwurf und einer verschobenen Mülltonne hatte die Polizei nur Bagatellen für zwei der fünf Angeklagten zu bieten.

Die Staatsanwaltschaft versuchte es deswegen mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs und kam, wie oben erwähnt, mit besagtem Hooligan-Urteil um die Ecke. Um die These der verabredeten Gewalttat jenseits einer Demo zu stützen, wurde im Folgenden das gesammelte Material massiv frisiert und die Staatsanwaltschaft versuchte mit einer gemeinsamen Planung und Organisation zu argumentieren.

Demnach haben sich die Teilnehmenden vorab im Donners Park getroffen, sich dort schwarze Kleidung angezogen und seien dann losmarschiert. In der Anklage stützt sich die Staatsanwaltschaft dabei auf vermeintliche Zeug*innenaussagen wie diese: „Etwa eine halbe Stunde später ging das Drama los. Plötzlich waren sie alle schwarz gekleidet und formierten sich zu einem schwarzen Block“. Allerdings bestritten mehrere Zeug*innen in der Hauptverhandlung, dies gegenüber der Polizei so gesagt zu haben. Das hätten sie gar nicht gekonnt, da sie es nur im Vorbeilaufen wahrgenommen haben, gar keine Sicht darauf hatten oder ähnliches.

Dass die sogenannten Ermittlungen sehr fragwürdig waren, dürfte auch den beteiligten Polizist*innen klar gewesen sein. Vor Gericht wollte jedenfalls niemand Verantwortung übernehmen. So gab ein an Videozusammenschnitten beteiligter Polizist an, er sei kein „Ermittler“ gewesen, er will ausschließlich Anweisungen von „Ermittlern“, deren Namen er nicht erinnern konnte oder wollte, zu Zeitpunkten, an die er sich nicht mehr erinnert, entgegengenommen und diese dann in einer Art und Weise, an die er sich auch nicht erinnert, umgesetzt haben. Wenig verwunderlich stellte sich bei der Vernehmung des Ermittlungsführers der „Soko Schwarzer Block“ heraus, dass angebliche Ermittlungsergebnisse im Abschlussbericht wohl doch eher „Arbeitshypothesen“ waren und nicht dazu taugen eine Anklage darauf zu stützen. Fazit: die Cops haben das in ihrem Bericht geschrieben, was ihnen ins Bild passt. Na sowas.

Ähnliches bei den Videos. Hier sprechen die Richter*innen von „suggestiven Bearbeitungen“ durch die Polizei, durch die die Videos aussagekräftiger wirkten als sie tatsächlich sind. All das führte dazu, dass die Richter*innen den Berichten nicht mehr trauen wollten und die Vernehmung von deutlich mehr Zeug*innen als geplant anordneten. Alles, um sich selbst ein Bild zu machen. Das war’s dann aber auch schon wieder.

Obwohl die gesamte Anklage offensichtlich auf Lügen und Phantastereien der Polizei aufgebaut war, beendeten die Richter*innen den Prozess nicht. Das Ziel, wenigstens einige wenige irgendwie zu verurteilen, wurde weiter verfolgt. Zumal zu diesem Zeitpunkt ja auch schon die über U-Haft abgepressten Eingeständnisse von vier Angeklagten vorlagen, vor Ort gewesen zu sein.2) Die Staatsanwaltschaft hätte also zufrieden sein können, war sie aber nicht. Sie wittert Parteilichkeit, weil die Richter*innen den Lügen der Polizei nicht einfach glauben wollten und versuchte sie über einen erneuten Befangenheitsantrag loszuwerden.

Die zusätzlichen Befragungen brachten dann wenig neue Erkenntnisse, außer dass unter den Anwohner*innen der Elbchaussee eine große Verbitterung über ignorierte Notrufe, eine abwesende Polizei und eine Feuerwehr, der von der Polizei das Löschen verboten wurde, besteht. Ein aufgrund der manipulierten Videos in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten zur Identifizierung von Loïc wurde, nachdem es nicht das gewünschte, einer Verurteilung dienende, Ergebnis brachte, von den Richter*innen schlicht ignoriert und durch die eigene Wahrnehmung ersetzt. Immer das Ziel vor Augen, irgendwen für irgendwas verurteilen zu können. Und genau dieses von Anfang an feststehende Ziel entlarvt den gesamten Prozess als politisch motiviertes Rechtsstaats-Theater.

Demo oder keine?

Wie bereits erwähnt, sollten die Angeklagten mangels individuell zuordenbarer Straftaten für Landfriedensbruch in der Elbchaussee am Morgen des 7.7.2017 verurteilt werden.

„Landfriedensbruch“

Der Straftatbestand des Landfriedensbruchs ist in den §§ 125 und 125a StGB geregelt und soll per Definition folgende Handlungen bestrafen: „Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden; wer als Täter oder Teilnehmer sich beteiligt oder auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern.“ Dabei werden verschiedene Formen unterschieden: der gewalttätige, der bedrohende und der aufwieglerische Landfriedensbruch. Landfriedensbruch wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, der besonders schwere Fall des Landfriedensbruchs wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

Dabei ist wichtig zu beachten, dass § 125 StGB sowohl die Täterschaft als auch die Teilnahme an den Tathandlungen unter Strafe stellt. Es ist also unerheblich, ob man die Tat eigenhändig, als mittelbare*r Täter*in durch eine*n andere*n, als Mittäter*in, als Anstifter*in oder als Gehilfe *in begeht – man ist immer Täter*in im Sinne des § 125 StGB.

Dass der Landfriedensbruch-Paragraf in der Praxis schon regelmäßig auf politische Aktionen angewendet und damit zur Kriminalisierung von Aktivist*innen genutzt wird, ist klar. Juristisch ist die Definition aber umkämpft, insbesondere wenn es um Menschenmengen geht, die unter den Schutz des Versammlungsrechts fallen können.

Aber auch für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs braucht es „individuelle Tatbeiträge“. Es muss also aus der bloßen Anwesenheit ein individueller Tatbeitrag herkonsturiert werden. Die Staatsanwaltschaft zog in ihrer Anklage dafür – wie auch im oben erwähnten Prozess gegen Fabio – das sogenannte Hooligan-Urteil des BGH aus 2017 heran. In Anlehnung daran sei der individuelle Tatbeitrag der Angeklagten das „ostentative Mitmarschieren“ in der Elbchaussee gewesen, womit sie die „gewaltbereiten Gruppenmitglieder“ unterstützt hätten.

In dem Urteil des BGH ging es allerdings um eine verabredete Schlägerei zwischen Fans zweier Fußballmannschaften. Das Gericht wertete in diesem Fall das „ostentative Mitmarschieren“, also ein bewusst herausforderndes Mitlaufen in einer Gruppe, als „psychische Beihilfe“ für die gewalttätigen Hooligans und bejahte eine Strafbarkeit. Und zwar auch dann noch, wenn die betreffende Person den Ort des Geschehens längst verlassen hat. Allerdings wird in der Urteilsbegründung explizit betont, dass die verhandelte Situation nicht mit der politischen Motivation bei einer Demonstration zu vergleichen und das Urteil dementsprechend nicht ohne Weiteres übertragbar sei. Aus diesem Grund ging es im Prozess in großen Teilen darum, ob es sich in der Elbchaussee um eine Demonstration gehandelt habe oder nicht.

Die Staatsanwaltschaft findet natürlich, dass es keine Demo war, sonst würde ihr Konstrukt ja nicht mehr so gut funktionieren. Demnach habe es bei den gut 200 Anwesenden einen „gemeinsamen Tatentschluss“ gegeben, es sei ausschließlich um Zerstörungswut gegangen und die Straftaten seien durch „gewollt arbeitsteiliges Zusammenwirken“ verübt worden. Wiederholt wird von der angeblich perfekt durchgeplanten Aktion berichtet. Als Indiz für die minutiöse Planung des Zuges muss unter anderem das Wechseln von Kleidung herhalten. Die Aufgabe der Angeklagten habe darin bestanden „sich in die geschlossene Formation einzugliedern, ostentativ mitzumarschieren und hierdurch Solidarität mit den gewaltbereiten Gruppenmitgliedern zu zeigen und ihnen psychischen und tatsächlichen Rückhalt zu gewähren.“ Belege gibt es für diese Behauptungen der Staatsanwaltschaft allerdings keine, auch in der Anklage werden keine belastbaren Belege angeführt. Wie im vorigen Abschnitt erklärt, basiert die ganze Anklage ja hauptsächlich auf den „Arbeitshypothesen“ aus Kreisen der Soko Schwarzer Block.

Die Verteidiger*innen argumentierten dagegen, dass der Aufzug in der Elbchaussee keine der Anwendung von Gewalt dienende Aktion gewesen sei und eindeutig als Demonstration zu erkennen war. Dafür sprechen unter anderem der Zeitpunkt am Aktionstag „Block G20“, der überwiegend nicht gewalttätige Anteil der Teilnehmenden sowie ein voran getragenes Transparent. Im Laufe des Prozesses wurde von mehreren Augenzeug*innen und einem Sachverständigen insbesondere das beschriebene Mitlaufen und das angebliche Wechseln der Kleidung als durchaus typisches Demo-Verhalten eingeordnet. Auch das lässt die Staatsanwaltschaft in ihrem erfolgreichen Versuch der Entpolitisierung des Geschehens unter den Tisch fallen.

An dieser Stelle möchten wir noch einmal deutlich machen: Wir gehen der Frage, ob es sich um eine Demonstration gehandelt hat, hier nach, um den Prozessverlauf und dahinter stehende Positionen deutlich zu machen. Für uns stellt sich die Frage in diesem Sinne überhaupt nicht. Das war eine politische Aktion. Punkt. Die können wir sinnvoll finden oder auch nicht. Aber die hier besprochene Frage ist eine juristische. Danach, welche Paragrafen und Präzedenzfälle anwendbar sind etc. Das ist nicht die Grundlage für unsere politischen Bewertungen und Einordnungen.
Gleichzeitig ist uns bewusst, dass juristische Auslegungen ganz praktische Auswirkungen auf unseren politischen Alltag haben.

Was würde ein Urteil im Sinne der Anklage also politisch bedeuten?

Die Frage, ob es sich um eine Demo gehandelt hat oder nicht, ist wichtig dafür, wie leicht sich das Hooligan-Urteil übertragen und anwenden lässt. Also wie leicht es künftig sein wird, Menschen wegen der Teilnahme an Demonstrationen für Landfriedensbruch zu verurteilen. Wenn eine Versammlung nicht als eine Demo bewertet wird, kann die Argumentation des Hooligan-Urteils automatisch angewendet werden, um einen Menschen wegen Landfriedensbruchs zu verurteilen. Wenn es als Demo anerkannt wird, schützt das nicht automatisch vor einer Anwendung des Hooligan-Urteils, erschwert sie aber. In dem Fall ist eine genauere Überprüfung der Umstände notwendig.

Geben wir uns keinen Illusionen hin, im Strafrecht geht beim Landfriedensbruch auch so schon ne ganze Menge. So reicht zum Beispiel unterstützendes Rufen bereits jetzt für eine Verurteilung aus. Wenn hier aber ein Präzedenzfall für die Anwendung des Hooligan-Urteils auf Demonstrationen geschaffen wird, braucht es zukünftig überhaupt keinen Nachweis einer individuellen Handlung mehr. Dann reicht es, irgendwo gewesen zu sein, um für alles während und nach Verlassen des Geschehens verantwortlich gemacht werden zu können.

Ohne die schriftliche Urteilsbegründung lässt sich noch nicht beurteilen, inwieweit das Gericht der Argumentation der Staatsanwaltschaft inhaltlich folgt. Das wird auch relevant sein für die Rolle dieses Prozesses als Präzedenzfall und damit die Bedeutung für die Versammlungsfreiheit.

Aber zurück zum eigentlichen Elbchaussee-Prozess. Eine auf tendenziösen Ermittlungen sowie bewussten Lügen aufbauende Anklage und ein Prozess, der all das zwar feststellt, aber zugunsten einem über allem stehenden Verurteilungswillen ignoriert, entlarvt das ganze Schauspiel als Farce – als Theater zu Lasten der Angeklagten.

Das Rechtsstaats-Theater

In diesem Theaterstück wird ein Gerichtsprozess aufgeführt, der, obwohl eine Verurteilung von vorneherein feststeht, so etwas wie ‚Rechtsstaatlichkeit‘ suggerieren soll. Die Staatsanwaltschaft gefällt sich dabei in der Rolle des ‚Hardliners‘. Mit krassen Sprüchen, schwerwiegenden Anklagepunkten und völlig überzogenen Forderungen liefert sie den Richter*innen die Vorlagen für ihre Rolle. Diese können sich als Hüter*innen des Rechtsstaates inszenieren. Jede Abweichung von der Forderung der Staatsanwaltschaft erscheint milde, das Gericht wirkt wie die gerechte Instanz, die den Mittelweg zwischen den Forderungen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung sucht. Im Ergebnis erscheinen harte Strafen als gar nicht mehr so schlimm und eine Abwendung größeren Übels.

Dabei ist die Strafforderung an sich schon ein Skandal. Denn wie oben beschrieben, soll das Hooligan-Urteil den Weg dafür ebnen, das reine Mitlaufen zu bestrafen. Das juristische Geplänkel um die Demo-oder-nicht-Frage gibt wiederum allen Beteiligten viel Raum sich ihrer Rolle entsprechend in Szene zu setzen. Teil dieser Aufführung sind auch die oben erwähnten Befangenheitsanträge der Staatsanwaltschaft, mit denen sie versucht, ihre ‚harte Linie‘ zu unterstreichen.

Auch wenn es an der hier skizzierten Rollenverteilung nichts Wesentliches geändert hätte, gehört die vorsitzende Richterin gerade im G20-Kontext doch eher zu den Gemäßigteren. Oder anders ausgedrückt, es hätte mit anderen Richter*innen auch schlimmer kommen können und die Lügen der Polizei wären zum Beispiel gar nicht thematisiert worden. Wäre „sozialdemokratisch“ ein anerkanntes Schimpfwort, würde es das Verhalten der Richterin gut beschreiben: in etwas Pseudokritik verpackt, die gleiche Scheiße wie alle verzapfen.

Doch auch jenseits dessen ist das, was da gespielt wird kaum mehr als ein Rachezug für die bürgerliche Ordnung. Denn natürlich steht am Ende dieser Inszenierung nicht der eigentlich fällige Freispruch oder eine Einstellung, sondern das von Beginn an geplante Urteil. Von den enormen Belastungen der Angeklagten mit U-Haft, einem über 18-Monatigen Prozess und einer weitreichenden, diffamierenden Medienkampagne mal ganz zu schweigen.

Als bisher letzten Akt des Schauspiels schwafelt die vorsitzende Richterin bei der Urteilsverkündung gar noch davon, dass dieses Urteil jetzt aber nicht für andere Urteile herangezogen werden solle – ein doch eher lächerlicher Versuch sich aus der Verantwortung zu ziehen. Denn das Dank der rechtsstaatlichen Inszenierung auf den ersten Blick milder erscheinende Urteil hat es in sich – so viel kann man auch ohne die schriftliche Begründung schon sagen. Jenseits der strafrechtlichen Bedeutung kann dieses Urteil auch eine Basis für zivilrechtliche Ansprüche, wie bspw. Schadensersatz, gegenüber den Angeklagten darstellen. Kosten, die für jeden Einzelnen eine immense Belastung bedeuten – und das völlig unabhängig von eigenen Taten.

Was bleibt?

Dieser Prozess zeigt wieder mal in aller Deutlichkeit, dass es uns niemals um bessere Urteile innerhalb des Systems gehen kann. Inszeniert wird hier die gerechte Vergeltung eines Systems gegenüber denjenigen, die es wagen, die herrschende Ordnung in Frage zu stellen. Dabei muss für uns klar sein, dass ein System, das systematisch Menschen entrechtet, ermordet und weltweit auch in anderen Staaten dazu aktive Unterstützung leistet, in seinen Handlungen gestört und in seiner Ordnung gefährdet gehört.

Was lässt sich nun aus dem Geschriebenen für die tägliche Praxis ableiten? Einige wichtige Fragen sind zu diesem Zeitpunkt leider nicht abschließend zu beantworten. Ohne das schriftliche Urteil bleiben die Argumente des Gerichts nur vage und Richter*innen sind generell nicht an die mündliche Argumentation gebunden. Diese kann im schriftlichen Urteil wieder ganz anders ausfallen. Was jedoch sicher gesagt werden kann ist, dass es ein politischer Prozess war auf dessen Grundlage es niemals zur einer Verurteilung hätte kommen dürfen. Die Anklage war von Anfang an darauf aus, mit der Forderung nach einem völlig überzogenen Strafmaß, selbst nach einer Abmilderung durch das Gericht, hohe Strafen zu erreichen. Auch wird dieses Urteil mit ziemlicher Sicherheit als Vorlage und Bezugspunkt für weitere Urteile herangezogen werden. Da hilft es wenig, wenn die vorsitzende Richterin dies eigentlich ausschließen möchte.

Trotz der bald zu erwarteten Urteilsbegründung sind die Urteile nicht gleich rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft ist weiter auf hohe Strafen aus und hat für alle Angeklagten Revision beantragt. Auf der anderen Seite akzeptiert auch Loïc das ungerechte Urteil nicht und geht ebenfalls in Revision.

Demo in Göttingen am 11.7.2020 (Bild: Links Unten Göttingen)

Dieser Prozess und dieses Urteil sind ein eindeutiger Versuch, die Aktionsform Demo zu kriminalisieren und zu verunmöglichen. Die juristische Auseinandersetzung darum ist aber auch jenseits des Elbchaussee-Prozesses noch nicht vorbei. Ihren nächsten Schauplatz wird sie, wie bereits erwähnt, im noch nicht abgeblasenen Rondenbarg Verfahren finden. Hier wird ebenfalls versucht, Menschen für das Ausüben ihres angeblich rechtsstaatlich gewährten Demonstrationsrechts zu kriminalisieren. Während in den letzten Jahren rechte Polizist*innen für das illegale Anhäufen von Munition und Waffen lediglich Bewährungsstrafen bekommen haben, wird mit riesigem Aufwand gegen Personen ermittelt, die lediglich an einer Demonstration teilgenommen haben. Aber auch diese Repression wird uns nicht abschrecken. Denn unser Aktivismus zeigt immer wieder auf, dass ihre Ordnung nicht so unangreifbar ist, wie einige es gerne hätten!

Fußnoten

1) siehe auch:
Neuigkeiten von Loïc Citation
Die Mauern niederreißen, die den Knast von der Außenwelt trennen (UWS)
Prozesserklärung von Loïc
2. Prozesserklärung von Loïc

2) Sowohl die Art und Weise, wie diese Einlassungen der Frankfurter/Offenbacher Angeklagten zustande kamen, als auch eine Analyse und Bewertung des Umgangs damit würde einen eigenen Text füllen und soll deswegen hier nicht weiter betrachtet werden.

 

]]>
2. Prozesserklärung von Loïc | Elbchausseeprozess 9. Juli 2020 https://unitedwestand.blackblogs.org/2-prozesserklaerung-von-loic-elbchausseprozess-9-juli-2020/ Sat, 18 Jul 2020 18:39:56 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3081 Continue reading ]]> »KEINE POLIZEI, KEINE PROBLEME«

So werde ich nun mit vier Jahren und neun Monaten Haft ohne Bewährung
bedroht – bei sofortigem erneuten Haftantritt. Drei Jahre dieser
Strafandrohung entsprechen nicht Taten, deren Autor ich gewesen sein
soll, aber zu deren Komplize ich gemacht werde.

Die meisten Leute sind keine Fans der G20. Es gab auch keine einzige
Demo für die G20 in Hamburg, außer vielleicht die der 30.000
PolizistInnen, die beschlossen hatten, jeglichen Verkehr zu verbieten,
außer für die Polizei und die Luxusfahrzeuge der GipfelteilnehmerInnen.

Als ich auf YouTube eine fünfzehnminütige Zusammenfassung der
Polizeigewalt des G20 von Hamburg veröffentlichte, sah ich bei meiner
Recherche, dass Olaf Scholz, ehemaliger Bürgermeister der Stadt, erklärt
hatte: »Diejenigen die Gewalt ausgeübt haben, sind weder die Polizisten
noch die OrganisatorInnen des Gipfels«. Doch wenn es ausreicht eine Lüge
zu bekräftigen, um sie wahrzumachen, dann sollten Sie wissen, dass ich
nie beim G20 Gipfel in Hamburg gewesen bin.

Ich denke dieses Verfahren würde viel schneller gehen, wenn die Anklage
sich auf die Taten beschränken würde, derer die Angeklagten persönlich
beschuldigt werden. Diese neuen Begrifflichkeiten der »Mit-Täterschaft«
und »Komplizenschaft«, die es ermöglichen Menschen für alles was auf
einer Versammlung passiert, verantwortlich zu machen, sind ein
Missbrauch juristischer Macht.

Eine der Forderungen der Revoltierenden von Hongkong ist die »Rücknahme
des Begriffs ›Aufständische‹ für die Bezeichnung von DemonstrantInnen,
da diese Bezeichnung eine viel größere Anzahl an Verhaftungen für
geringfügige Verstöße ermöglicht«. China war in Hamburg vertreten.
Dieser ewige Prozess fußt auf den gleichen Kriminalisierungen von
Versammlungen und der Verwendung von künstlicher Intelligenz. So kann
sich gefragt werden ob »Pekings Griff« nach Hongkong nicht auch ein paar
Finger in Richtung Hamburg gestreckt hat.

Während Versammlungen wurde nie ein Polizist für die Gewalt beschuldigt,
die ein anderer Polizist begangen hat. Im Übrigen wird ein Polizist an
sich fast nie angezeigt. Es gibt Reglementierungen zur Anwendung von
Gewalt, doch wenn sich die Polizei daran nicht hält – keine Verfahren.
Und hierbei lasse ich mich auf das Feld des reinen Legalismus herab.
Denn ob ich den Knüppel im Rahmen der Vorschriften auf den Schädel
bekomme oder ohne Einhaltung der Regeln – mein Gefühl der Revolte bleibt
dasselbe. Meine Empörung hört nicht bei der anatomischen Würdigung der
Gewalt auf.

Max Stirner schrieb:
»Des Staates Betragen ist Gewalttätigkeit, und seine Gewalt nennt er
›Recht‹, die des Einzelnen ›Verbrechen‹«. Ich denke, dass wenn
Gewaltanwendung ihren Ausdruck findet, diese in jeder Situation
hinterfragt gehört. Sie darf um keinen Preis zu einer Normalität
verkommen, zu einem unbeweglichen Recht.

*

War es in der Situation des G20 in Hamburg legitim den Gipfel mit Gewalt
zu verteidigen? Was wäre passiert, wenn es keinen einzigen Polizisten
zum Schutz des G20 Gipfels gegeben hätte?
Meine Sichtweise ist folgende.

Wäre der G20 Gipfel von Hamburg ohne Polizei abgehalten worden, hätten
sich die zum Gegenprotest angereisten Personen an den Ort des Treffens
begeben. Ohne anwesende Polizei hätte es keine Auseinandersetzungen
gegeben. Es hätte sich ein altes Demo-Sprichwort bestätigt: »Keine
Polizei, kein Problem. »Jede städtische Struktur, die den Kapitalismus
symbolisiert, wäre besetzt worden. Die Banken wären zu Orten des
Tausches und des Schenkens ohne Geld geworden. Die Entfernung von
Werbeschildern hätte freie Zeit für die Gehirne verschafft. Im Rahmen
dieses Gegengipfels hätte man sich in kleinere Versammlungen oder
Gruppen aufgeteilt. Da Menschen aus allen Kontinenten nach Hamburg
gekommen sind um zu protestieren, hätte es einen aus dem Austausch der
Meinungen und deren Diversität entspringenden überbordenden Reichtum
gegeben. Wir hätten uns gefragt, was mit den offiziellen Führungskräften
der G20 geschehen solle. Manche hätten sie ins Gefängnis werfen wollen,
doch eine Arbeitsgruppe mit dem Titel »Abschaffung aller Polizeien und
Gefängnis-Institutionen« hätte sich dem entgegengestellt. Eine Person
hätte diesen Utopisten, die eine Welt ohne Knäste und Polizei forderten,
vorgeworfen, das Chaos heraufzubeschwören. Ein Mensch hätte ihr
geantwortet: »Die meisten Menschen im Knast kommen aus den armen
Klassen, sehr wenige aus der Mittelschicht und noch weniger aus der
Klasse der Reichen. Dies zeigt auf, inwieweit das
Sich-im-Gefängnis-wiederfinden nichts mit der individuellen
Wahlfreiheit, sondern mit den materiellen Existenzbedingungen
zusammenhängt. Die Lösungen die sich vorgestellt und mit denen
experimentiert wird, sind unterschiedlich. Doch allen ist gemein, dass
sie die Idee verfolgen, die Gewalt und das Leid der Gesellschaft zu
lindern, ohne dafür auf die Intervention der Polizei angewiesen zu sein.
Diese Lösungen greifen die Ursachen an, indem sie gegen die Armut, die
Wohnungsnot, die soziale Exklusion und den Rassismus ankämpfen.«

Die erste kollektive Bewusstwerdung wäre dann gewesen, festzustellen,
dass alle zusammen gekommenen Personen aus den verschiedenen Nationen
keine Atomwaffen wollen. Und, dass aus den Herzen der verschiedenen
Völker ein gemeinsamer Wille nach Frieden herausragt.
Im Angesicht der zahlreichen Probleme, die die Zentralisierung der Macht
generieren, hätten wir mit der Notwendigkeit der Relokalisierung und
Selbstorganisation begonnen. Als dann Trump, nachdem er gewartet hätte
an der Reihe zu sein, das Wort ergriff, hätten wir gemerkt, dass wir
kaum auf die verschiedenen offiziellen Führungskräfte der G20 geachtet
haben.
Dann hätten wir auf die Schnelle einen Text mit dem Titel »Abolition
aller Führungskräfte und Tyrannen« verabschiedet. Dessen Idee wäre, dass
einE jedeR seinE eigeneR MeisterIn würde, ohne gehorchen zu müssen und
sich jeglicher Autorität zu unterwerfen. Der Text hätte mit diesem Zitat
von Anselme Bellegarrigue geschlossen: »Sie waren bis zum heutigen Tage
der Annahme das es Tyrannen gab? Tja! Sie haben sich getäuscht, es gibt
nur Sklaven: Da wo niemand gehorcht, befiehlt auch keiner.«

Und dann wäre etwas Unglaubliches passiert. Da wir ihnen keine besondere
Wichtigkeit mehr zugeschrieben hätten, hätten sich diese Staatschefs –
die niemand mehr als solche betrachtete – verwandelt. Die hätten die
Macht, die ihnen bis dahin zugeschrieben hatte, verloren.
Man hätte Trump nicht wiedererkannt. Die autoritären Züge seines
Gesichts hätten sich aufgelockert und er wäre ein Dichter geworden. An
der mexikanischen Grenze meditierend, könnte er die wenig glorreiche
Geschichte der Aneignung mexikanischen Landes durch die Vereinigten
Staaten vor sich sehen. Im eigens geschrieben Lied »Von den Mauern
meines Herzens zu den Mauern der Grenzen«, rief er zur Zerstörung der
Mauer und zur Rückgabe des Landes an Mexiko auf. Gleichermaßen hätte er
den indigenen Gemeinschaften in den USA große Gebiete rücküberlassen und
sich für die Pipeline-Projekte entschuldigt, die er selbst nach dem G20
verhindert hätte. Da er sein luxuriöses Flugzeug Musikgruppen zur
Verfügung gestellt hatte, damit sie darin Umsonstkonzerte organisieren
können, hätte er die Rückreise über den Atlantik auf einem großen
Segelschiff angetreten. Diese Reise würde durch das Gutdünken des Windes
bestimmt. Bis zu seiner Ankunft wäre seine Stimme sanft geworden.

Macron hätte seine Hütten in den Wäldern des Wendland gebaut, etwa
hundert Kilometer von Hamburg entfernt. Inspiriert von dieser Gegend,
die gegen ein Projekt der unterirdischen Atommülllagerung gekämpft hat,
hätte er entschieden, die AktivistInnen von Bure nicht länger als
Übeltäter zu sehen. Er war sein ganzes Leben inmitten der Geschäftswelt
umhergeirrt, den Lobbyvertretungen gefolgt. Von dieser Komödie ermüdet,
hätte dieser Gegengipfel der G20 ihn um die schwere Last der Macht
erleichtert. Als ehemaliger Präsident Frankreichs hätte er sich vom
Blick des Eichhorns definieren lassen. Die Räumung der ZAD von
Notre-Dame-des-Landes wäre nicht erfolgt. Die BesetzerInnen hatten,
durch ihren Kampf vor Ort, eine Feuchtzone vor der Versiegelung durch
einen Flughafen gerettet. Für Macron hätte der Begriff von Eigentum
keine Bedeutung mehr gehabt, als er erfuhr, dass der Vinci-Konzern,
welcher der Gesellschaft auf der Tasche liegt, den Preis des
nicht-gebauten Flughafens von ihm zurückforderte. Die Argumentation, die
er vorbereitet hatte, um die Räumung zu legitimieren, hätte in seinen
Augen keinen Sinn mehr gemacht. Klar, warum voranstellen, dass es sich
um Profiteure handelt, die keine Steuern zahlen? Er hätte ab sofort
begriffen, dass ein Reicher, der Steuern hinterzieht, ein tausendmal so
schlimmer Parasit ist, als diese paar hundert Menschen, die eine neue
Utopie aufbauen welche nach Selbstverwaltung strebt. Die sich
föderierenden Lebensräume der Gelbwesten hätten ihn ebenfalls tief
berührt. Kein einziger hätte seine Hände verloren. Keiner wäre
gestorben. Keiner wäre in den Knast gekommen.

Die Politik wäre nicht mehr in den Parlamenten verschlossen. Parlamente
wären im Übrigen Orte für Kunstvorführungen, von Konzerten und
Theaterstücken geworden. Wöchentlich würden dort Konferenzen mit den
Überlebenden anderer Kulturen stattfinden, die sich die unsere
auszurotten erlaubte, mit dem Vorwand den Fortschritt einzuführen. Es
gäbe dort auch Augenzeugenberichte zum nicht-zivilisatorischen Leben,
von Mikrogesellschaften die in der Lage waren wilde Wälder zu pflegen.
Es würde in der Folge beschlossen, die kapitalistische
Industriezivilisation zu verlassen, welche die Auslöschung aller
Spezies, auch der unseren, vorantrieb.
Es wäre für alle einleuchtend geworden, dass die Ausbeutung und
Beherrschung des gesamten Planeten zum Zweck der Durchsetzung unserer
zerstörerischen Wirtschaftsweise uncool war. Wir hätten festgestellt,
dass die Freiheit des Individuums von der Freiheit der anderen
Individuen abhängt. Dass eine tugendhafte Gesellschaft diejenige ist,
die auch für Millionen andere, die Möglichkeit zu existieren, lässt.
Ohne Dominanz, ohne den ganzen Raum einzunehmen, alles zu kontrollieren,
alles auszulöschen. Die Menschen hätten die Macht über ihr Leben
zurückgewonnen und begonnen vor Ort zu wirken. Macron hätte aufgehört zu
sprechen. Er würde sich verkleiden, um nicht wiedererkannt zu werden und
würde zuhören. Von einem Massenmanipulateur wäre er zu einem Betrachter
des Individuums geworden.

Präsident Xi Jinping hätte Elisée Reclus studiert: Die Entwicklung, die
Revolution und das anarchistische Ideal. Dann hätte er die riesigen
Knäste geöffnet und die Uiguren und alle zuvor unterdrückten
Minderheiten befreit. Er hätte die Gesichtserkennung aufgegeben. Es
hätte keine Repression gegen die Demonstrierenden von Hongkong gegeben.
Diese und alle anderen Städte Chinas und der Welt wären autonom und
selbstverwaltet geworden und hätten sich zu Kiezen – mit oder ohne
Werbung – in freien Vereinbarungen geformt.

Erdogan hätte wie alle anderen Staatschefs seine Macht verloren und
dabei der kurdischen Community ihre Selbstbestimmung überlassen. Es
hätte keinen Angriff auf Rojava gegeben. Und das Ideal des libertären
Kommunalismus des Schriftstellers Murray Bookchin würde weiterhin den
Geist der Region und darüber hinaus erglühen lassen.

Russland hätte keine AnarchistInnnen gefoltert.
Deutschland hätte aufgehört Waffen zu verkaufen.
Saudi-Arabien hätte aufgehört Jemen zu bombardieren.
England, die USA, Russland, China und Frankreich, welche die fünf
größten Waffenhändler sind, hätten aufgehört diese zu produzieren und zu
verkaufen.

Und so viele andere wundervolle Dinge, die ich vergesse oder die nicht
vorstellbar sind, denn es muss den revolutionären Situationen den Platz
lassen Utopien zu gebären. Anerkennen, dass die Person die man Heute
ist, weniger gut ist, als diejenige die Morgen aufsteht. Und somit, den
konservativen Hochmut hinter sich lassend, Schritt für Schritt den Pfad
der Perfektion beschreiten, ohne jemals anzuhalten.

*

Die überwiegende Mehrheit der MitbürgerInnen beteiligt sich durch
Steuerzahlungen an der Entwicklung von Rüstungsfirmen, der Existenz der
Polizei und der Armee.
Kriegswaffen, Polizisten die verstümmeln, Soldaten die morden. Warum
Waffen bauen, warum welche verkaufen, für wen? Frankreich verkauft
Waffen an Saudi-Arabien und an die Emirate – Länder die sich in Jemen an
Kampfhandlungen beteiligen. Mit über 230.000 Toten wird der Konflikt
durch die UNO als die »schlimmste humanitäre Katastrophe auf der Welt
bezeichnet«. Ohne Qualen hierarchisieren zu wollen, glaube ich, dass die
Vereinten Nationen falsch liegen. Seit Jahrzehnten findet infolge von
Waffenhandel und Minenausbeutung eine schlimmere humanitäre Katastrophe
in der Demokratischen Republik Kongo statt. In den 20 vergangenen Jahren
wird der dortige Genozid auf 6 bis 10 Millionen Tote geschätzt. Laut
Amnesty International arbeiten 40.000 Kinder über 10 Stunden am Tag, um
das Mineral Kobalt abzubauen, welches von Firmen wie Microsoft, Apple
oder Samsung verbaut wird. Diese Multinationalen müssten wegen
Komplizenschaft am Genozid angeklagt werden. Es gibt weitaus mehr
Beweise als in diesem Verfahren.

Noch ein Zitat aus dem Buch Erziehung und Revolution von George Chambat:

»Das Ziel des ›Museums der Arbeit‹ ist es, allen einen Zugang zur
Geschichte und Organisierung der Arbeit zu ermöglichen, von der
Extraktion der Materialien bis zum Verkauf der fertigen Produkte,
inklusive der Produktionskosten, dem Gewinn und dem Mehrwert der aus der
Arbeitsausbeutung resultiert. Das ließe keine Zweifel zu: »diese stummen
Lektionen, wären sie nicht eloquenter als das vergebliche revolutionäre
Geschrei mit dem sich die Redner der Taverne aufreiben? (…) Wenn man
sich den Einfluss einer solch ähnlichen Lektion der Dinge verdeutlicht,
die Intensität der Unruhen, die außerordentliche Krise, die in allen
Arbeitern gleichzeitig die Überzeugung heranwachsen lassen würde, dass
das gesellschaftliche Übel überall gleich ist«.

Das Problem der großen politischen Bewegungen ist, dass es immer die
Überlegung gibt, wie denn viele Menschen zu erreichen seien, wie eine
Massenbewegung entstehen könne.
Bevor sie auf ihr Herz hören, beginnen die Personen damit, auf einem
strategischen Niveau nachzudenken. Ihr Parolen sind leer und rütteln
niemand auf. Es muss mit den Individuen geredet werden, nicht mit den
Massen. Die Masse existiert nicht, sie darf nicht existieren. Mich sorgt
es, institutionelle Umweltpolitik mit immer neuen Kompromissen
voranschreiten zu sehen. Sie schlägt Energiewenden vor, die nichts
anderes sind als grüner Kapitalismus. Interessieren wir uns für jedes
Objekt, seinen Bau und seinen Bedingungen.
Solarpanele werden durch die Ressourcen- und Human-Ausbeutung in Afrika
gewonnen. Die Zusammensetzung erfolgt unter unwürdigen Bedingungen in
China und anderen asiatischen Ländern. Zudem werden verschmutzende
Materialien verwendet und der Bau – da dies ein Geschäftsmodell ist –
ist ein Opfer überflüssiger Programme, die von unserem Wirtschaftssystem
aufgezwungen werden. Die gleiche Problematik betrifft elektrische
Batterien und industrielle Windkraftanlagen. Der Dokumentarfilm »Planet
of the humans«, auch wenn an ihm einiges zu kritisieren wäre, hilft,
dieses oft unterbelichtete Thema zu vertiefen.

Es kann keine Ökologie im Kapitalismus geben.
Der Kapitalismus ist nicht reformierbar.

Wir können jetzt entscheiden, eine Vielzahl an Utopien auf den Ruinen
eines dahinsiechenden Wirtschaftssystems aufzubauen. Wir müssen effektiv
sein und diesen wahnsinnigen Lauf mit unseren Körpern und unseren
Handlungen vereiteln.

Lasst uns einen Impact haben, da, wo die zerstörerischen Projekte sich
etablieren.
Da. wo die Konzerne die Wälder zerstören.
Da, wo Atomprojekte die kommenden Generationen für Jahrtausende in Gefahr
bringen.
Da, wo die Mächtigen dieser Welt sich treffen.
Die Radikalität unserer Aktionen muss auf Augenhöhe des Desasters sein.

Zum Schluss: Jede Person, die sich in einem geistigen Universum
zurückzieht, um sich zu trösten, sich zu vergewissern, beteiligt sich an
der Zerstörung der »Schöpfung«.
Eine Zerstörung, die von unserer industriellen kapitalistischen
Zivilisation orchestriert wird. Eine Zivilisation, wie es sie
millionenfach gab und geben kann (wie auch weitere Formen von
nicht-zivilisatorischen Gesellschaften). Wir befinden uns derzeit in der
schlimmsten von allen, da sie die Möglichkeit aller weiteren Formen
existenziell aufs Spiel setzt. Stellen wir uns für einen kurzen
Augenblick vor, es gäbe einen »Gott«, und dass dieser uns auf Erden
ausgesetzt hätte und nicht direkt ins Paradies, damit wir die Wahl
hätten, ihm zu folgen oder es nicht zu tun. Die erste aller Missionen –
egal welcher eurer Glaube sei – wäre es zu kämpfen, damit diese
Freiheit, nämlich die Schöpfung, überdauern kann.

Ich bin glücklich, denn ich konnte ausdrücken, was mir auf dem Herzen
lag, ohne mich aufgrund der Angst vor dem Urteil oder den strategischen
Ratschlägen meiner AnwältInnen einzuschränken. Ich bin stolz darauf, an
den Demonstrationen gegen die G20 teilgenommen zu haben, dem Gipfel an
dem sich die größten Waffenhändler der Welt versammelten. Noch ist
nichts verloren, jeder Moment ist zu bewahren.

Zwei Zitate um zu schließen. Eins von Henri David Thoreau:
»Insofern ist jedes Unglück ein Sprungbrett ins Glück.«

Und ein weiteres von Nelson Mandela zum Gefängnis:
»Ein Mensch, der einen anderen seiner Freiheit beraubt, ist Gefangener
des Hasses, der Vorurteile und der Beschränkung des Geistes.«

Dankeschön.

Loïc, Hamburg, 9. Juli 2020.

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Soligrüße von Fabio https://unitedwestand.blackblogs.org/soligruesse-von-fabio/ Thu, 09 Jul 2020 16:09:27 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3078 Continue reading ]]> Gesendet: Mittwoch, 08. Juli 2020
Von: Fabio

Solidarität für Loic und die anderen angeklagten Gefährten!

Vor drei Jahren sind mehrere zehntausend Frauen und Männer aus allen Ländern Europas in Hamburg auf die Straße gegangen, um gegen den G20-Gipfel zu demonstrieren, jeder mit seinen eigenen Mitteln, seinen eigenen Demonstrationsformen und seinen eigenen Empfindungen. Allen gemeinsam war die Überzeugung, dass der Gipfel Ausdruck einer Welt voller Ungerechtigkeit und Ausbeutung war.

Viele leiden weiterhin unter den Rachegelüsten der Staatsanwaltschaft. Am 10. Juli dieses Jahres wird das Urteil in jenem Prozess gefällt, der wahrscheinlich der wichtigste der Prozesse gegen die Demonstranten ist.

Fünf Gefährten werden beschuldigt am Morgen des siebten Juli an der Demonstration auf der Elbchaussee teilgenommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert für sie Strafen bis zu vier Jahren und neun Monaten Haft.

Am kommenden Freitag riskieren unsere Brüder und Freunde zurück ins Gefängnis geschickt zu werden.
Loic – vor allem er – wurde bereits ein Jahr und vier Monate in Untersuchungshaft gehalten.
Es werden ihnen keine besonderen Straftaten vorgeworfen, vielmehr seien sie „Teil“ einer Gruppe von Personen gewesen, die Straftaten begangen hätten.
Ihre Verurteilung würde den Weg freimachen für viele weitere Verurteilungen all jener, die beschließen, an einem Protest auch nur teilzunehmen; ein gefährlicher juristischer Präzedenzfall soll geschaffen werden, der sich an alle richtet, die für einen andere, eine bessere Welt zu kämpfen bereit sind.

Lasst uns alles tun, die Gefährten nicht allein zu lassen.

Unsere Solidarität gilt Loic und den anderen Angeklagten des Elbchausseeprozesses!

Euer Fabio

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DEMO: Solidarität mit den Angeklagten im Elbchaussee-Prozess https://unitedwestand.blackblogs.org/demo-solidaritaet-mit-den-angeklagten-im-elbchaussee-prozess/ Wed, 08 Jul 2020 20:45:19 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3076 Continue reading ]]> Angemeldete Antirepressionsdemo am 10. Juli: Es muss ein Zeichen gesetzt werden! Solidarität mit den Angeklagten im Elbchaussee-Prozess!

Am Freitag, den 10. Juli 2020, soll das Urteil im sogenannten Elbchaussee-Prozess verkündet werden. Über 1,5 Jahre wurde darum gerungen, die 5 Angeklagten aus Frankreich sowie Frankfurt und Offenbach in Kollektivhaftung für die bloße Teilnahme an einer Demo während des G20-Treffens zu nehmen. Die Handlungsmöglichkeiten, die ein derartiges Urteil schafft, bringen die Backen der Justiz auch ohne Feuer zum glühen. Wen überrascht es, dass bisher kein einziger Bulle für die Prügelorgien während des Gipfels zur Rechenschaft gezogen wurde?

Im Verlauf des Prozesses war die Staatsanwaltschaft stets bemüht, das Geschehen auf der Elbchaussee zu entpolitisieren. Doch zeigt die Verbissenheit der Repressionsorgane nur, dass die Menschen, die am Freitag, den 7.7.2017, auf der Elbchaussee demonstrierten die Bestie getroffen haben. Sie haben die Wut auf die Mächtigen und Profiteur_innen der G20 in die Viertel der Reichen getragen.

Wir solidarisieren uns mit den 5 Angegklagten und allen weiteren von der Repressionskeule nach dem G20 Betroffenen, insbesondere mit den im Juli 2017 aus anderen Ländern angereisten Genoss_innen und Gefährt_innenn und mit den Betroffenen der Rondenbarg-Anklagen. Wir vergessen auch sicher nicht die Repression gegen die drei von der Parkbank und dass zwei von ihnen mittlerweile schon seit einem Jahr in U-Haft gesperrt sind.

Aus diesem Grunde rufen wir euch auf, zur angemeldeten solidarischen Demo am 10.7.2020 zu kommen. Wir wollen auf den Wegen der Querulant_innen wandeln, als Zeichen, dass sie nicht allein sind.

Startpunkt: 17 Uhr Elbchaussee Höhe Donnerspark, Endpunkt IKEA / Neue Große Bergstraße.
Bitte achtet auf das Vermummungsgebot!

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Kommt alle zum Elbchaussee-Prozess! https://unitedwestand.blackblogs.org/kommt-alle-zum-elbchaussee-prozess/ Tue, 30 Jun 2020 21:05:10 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3057 Flyer 30.6.2020

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Veranstaltung zum Elbchaussee-Prozess https://unitedwestand.blackblogs.org/veranstaltung-zum-elbchaussee-prozess/ Tue, 30 Jun 2020 15:36:01 +0000 http://unitedwestand.blackblogs.org/?p=3051 Continue reading ]]> … im Internationalen Zentrum B5, (Brigittenstraße 5, Hamburg), am
Donnerstag, 2. Juli 2020 um 19:00 Uhr.

Der G20- „Elbchausseeprozess“ gegen fünf Menschen nähert sich seinem Ende – nach über 1,5 Jahren! Von 65 Prozesstagen fanden 60 unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Der Staatsanwalt forderte am 22. Juni 4 Jahre und 9 Monate für den französischen Aktivisten Loic S. wegen schweren Landfriedensbruchs, Vandalismus, versuchter Brandstiftung, versuchter Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Außerdem forderte er die umgehende Inhaftierung nach der Urteilsverkündung wegen Fluchtgefahr.

Für die vier Aktivisten aus Hessen forderte der Staatsanwalt 2,5 Jahre Haft und 3 Jahre Haft.

Mit dem Urteil ist am 10. Juli zu rechnen!

Weiterhin wollen wir auch über Loics kämpferische Prozesserklärung berichten.

Wir achten auf die Hygienebedingungen wegen Corona!

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