Proteste gegen Thügida (Jena) – Berichte und Pläne (die Unvollendete)

Zu Demonstrationen geht MAN in Kleingruppen. ALLE kennen die sogenannt bürgerlichen Namen der anderen. ALLE haben die EA-Nummer und die Infonummer im Kopf. MAN bleibt zusammen. ALLE haben Wasser und Kohlenhydrate dabei.
Wir kannten einander. Wir hatten EA- und Demosani-Nummer. Verteilten Kekse und Wasser.
Dann trennten wir uns.

Unuk1: Trank SPD-Kaffee. Hörte dem OB (an dem Tag im Urlaub), einem Professor und jemandem vom Theaterhaus zu. Vor Ort viele Leute. Der Thügida-Demo-Anmelder aus Kahla saß daneben und trank auch Kaffee. Der war aber selbst gekauft. Es wurde beobachtet, wie Thügida das V.I.P.-Security-Funkgerät nutzte. Das störte niemanden.
Anschließend ging es zum Paradiesbahnhof, dem Auftaktkundgebungsort von Thügida. Genauer: Es ging bis zur Polizeiabsperrung. Unuk plaudert mit einem müden Journalisten. Das wäre ja recht geballt in diesem Jahr. Unuk weist darauf hin, dass das Demonstrationsrecht ist. Dafür sind 1989 Leute auf die Straße gegangen. Wer keine Faschisten2 auf der Straße wollte, wäre damals besser zu Hause geblieben. Damit stürzte er den (freien) Journalisten in eine Glaubenskrise. Er konnte sich nicht entscheiden, was schlimmer sei.
Es folgt Musik, später abgelöst vom Pfeifen, als der ziemlich oldschool 90er-Demozug los ging. Der Paradiesbahnhof, mittlerweile alleiniger innerstädtischer Bahnhof, ist verwaist (wegen eines Kabelbrandes). Keine Züge kommen an, keine fahren ab. Im Notfall müsste man via Göschwitz die Stadt verlassen, erfuhr Unuk. Nur: Straßenbahnen fuhren ja auch nicht mehr.
Noch ein Kaffee, Besuch des Standes der Partei. Das Ende wurde von der Deutschlandhymne begleitet. Die Fackeln wirkten in der Polizeiwagenburg wie Lagerfeuer.

Chaise3: Ging zuerst zur Thügidademo. Muss man sich ja ansehen. Auf dem Weg hin kam der Anmelder entgegen. Gut geschützt von deuschen Polizisten aus fast allen Himmelsrichtungen lungerten Demo-Teilnehmende in spe in der Sonne herum. Lange kann man sich das nicht ansehen. Chaise‘ Weg führte weiter zu Leuten, die überlegten, wie man die Route blockieren kann. Pläne gab es schon, es musste nur noch mit allen geredet werden. Eine kleine Gruppe ward gefunden, man zog los. Dutzende Umwege weiter stand man an der Route, an einem Knick, an dem sie vorbei führen würde. Auch hier versperrten nebeneinander gestellte Polizeiwagen den Weg. Es wurden mehr, man blieb. Hin und wieder wurde gesagt, dass das ein wichtiger Ort ist. Die Menschen um Chaise herum waren gut vorbereitet und geduldig. Als die Fackelträger nahten, wurde gerufen.

Lucidar4: Folgte dem klassischen Weg – herumlaufen. War also vor allen anderen am Paradiesbahnhof, nach dem Mülltonnenumwerfen vor Ort, um noch zu sehen, wie freundliche Menschen die wieder aufstellten. Wanderte weiter, winkte Chaise. Beobachtete, wie junge Menschen dem Brandenburger BFE die Durchsagen der Blockade weiterleiteten. Bier tranken. Die Flaschen fein säuberlich an den Gartenzaun lehnten. Beobachtete, wie eine clevere Gruppe den Weg durch den Garten erwog – und mangels Kreuzschlitzschraubendreher (wer hat so was auch schon dabei?) wieder aufgab. Focht ein kleines „wer hat den Längsten“-Gefecht mit einem BFEler aus. Widerstand der Versuchung, in das nach oben gerichtete Gesicht mit offenem Visier zu spucken. Wurde von einer Radlertrinkerin darauf hingewiesen, dass „das doch nichts bringt“. Ging, als der Spuk vorbei war, noch rechtzeitig, um woanders zu sehen, wie ein hinterlistiger Hundeführer (dessen Hund einen Vorübergehenden derart heftig biss, dass ein Krankenwagen gerufen wurde5) von seinen Kollegen in Sicherheit – aus der Sicht der Empörten – gebracht wurde.

Der Mist in Zahlen:
- Zwischen 200-240 Faschisten folgten dem Aufruf von Thügida am 20.4.
- Aus insgesamt drei Bundesländern wurden Polizistinnen angekarrt, um das zu sichern.
- 89 Prozent der Jenaer Läden in der Innenstadt hatten wegen des Ausnahmezustandes geschlossen – nun, eigentlich schufen sie ihn damit. Sechs der dafür Verantwortlichen jammerten zeitgleich über Umsatzeinbußen in der Lokalpresse.
- Schwer schätzbare 3.000-4.000-6.000 Menschen taten es Unuk, Chaise und Lucidar gleich und protestierten in verschiedener Form (in auch anderen als den geschilderten) über die Innenstadt verteilt gegen die Faschisten.

Schlussfolgerung: Das nächste Mal bleiben wir zusammen. Gehen zum Auftaktkundgebungsort und sprengen die Wagenburgen, ziehen dann auf die andere Seite und überwinden die Polizeiabsperrung. Die sind nicht so hoch. Anschließend sammeln wir alle Hinterlassenschaften von Bier- und Radlertrinkenden und stellen uns brav an die Seite – bis die sich dann noch trauenden Faschisten kommen. Zum Abschluss gibt’s Nudeln (nicht Pasta!) von Aldi und selbst gemixtes Radler. Zumindest letzteres schafften wir schon mal.

  1. Die Namen sind natürlich geändert. Hilfreich unterstützt diesmal von: The Star Wars Name Generator (make a random name & neutral). [zurück]
  2. Genau. Faschist^innen ist so absurd wie „EvangelikaleR“ gendern. [zurück]
  3. vgl. 1 [zurück]
  4. vgl 1 [zurück]
  5. Sollte es hier Lesende gegen, die das beobachtet haben, bitte fertigt ein Gedächtnisprotokoll an (was geschah wann und wo) und meldet euch bei der Roten Hilfe. [zurück]

Nazis stoppen am 20. April

Thügida, ein Ableger von Pegida, plant für den 20. April einen Fackelmarsch durch Jena. In finsterer Tradition wurde als Datum der Geburtstag Adolf Hitlers gewählt. 
Die Stadt Jena sieht Ähnlichkeiten mit SS und SA Märschen. Doch sie scheiterte vor Gericht mit dem Versuch den Aufmarsch zu verschieben.
 
Thügida – das sind bekannte Faschisten und rassistische Schläger. Solche Leute haben Rewekunden in Lobeda verprügelt, Gewerkschafter am 1. Mai in Weimar angegriffen und immer wieder überfallen sie Flüchtlinge.
Doch nicht nur Ausländer und ihre politischen Gegner haben unter der steigenden Zahl rechter Gewalttaten zu leiden. Auch Arbeitslose, alternative Jugendliche, Homosexuelle oder Behinderte werden vielfach Opfer rechter Schläger.
1933 wurde allen Menschen eindeutig gezeigt, wozu diese Ideologie wirklich dient: 
Die Nazis zerschlugen die Gewerkschaften und verschleppten und ermordeten politische Gegner in KZs. Letztlich entfachten sie den Zweiten Weltkrieg mit Millionen Toten weltweit.
„Der Satz ›Wehret den Anfängen!‹ ist längst überholt – wir sind mittendrin!“ Esther Bejarano, Auschwitz-Überlebende im Januar 2016
 
Jede und jeder zählt. Komm auch du und protestiere mit uns gegen den Aufmarsch der Faschisten in Jena.
gemeinsam-faschisten-blockieren

Heute schon Heimat geputzt?

Deine Stadt braucht dich!
Man muss schon Glück haben. Einmal früh aufstehen und dann auch noch durch den Park gehen, das Ganze auch noch am richtigen Tag – und da sieht man sie: Ärtztinnen, Kellner, Physikerinnen, die ihren Samstag für gewöhnlich wohl anders verbringen, mit festen Handschuhen, „vernünftigen Schuhen“ und Müllbeuteln gehen sie herum und spielen von Kunitz bis Maua Stadtreinigung.
Das nannte sich am letzten Samstag Saale-PUTZ und fand zum nunmehr 10. Mal statt. Diesmal luden der Verein Saale-Vision, die Bürgerstiftung Jena und Stadtentwicklungsdezernent (sic!) Denis Peisker zum fröhlichen Event, in der vergangenen Jahren wurde das Projekt auch das Uni-Umweltreferat („für ein sauberes Jena und eine saubere Saalelandschaft“) und dem USV („Bewegen für die und in der Natur“) unterstützt. In der TLZ wurde das unentlohnte Engagement herausgestrichen, mit dem Jena, wen wundert’s, mal wieder punkten will: „Die Verwaltung habe mit dem Saale-Putz einen Beitrag zur europäischen Initiative ‚Let‘s Clean Europe!‘ angemeldet. Als einzige Stadt Thüringens.“
Es wurde um Anmeldung gebeten und: „Wenn Gummistiefel und Handschuhe vorhanden sind, bringen Sie diese bitte mit. Bitte denken Sie daran, dass Sie dem Anlass entsprechende Kleidung anziehen, die auch schmutzig oder gegebenenfalls nass werden darf.“
Reine Flugdistanz sind fast 10 Kilometer bzw. 6 Meilen, weil es aber ein Flußlauf und kein Kanal ist, kann man guten Gewissens ein Drittel draufschlagen und liegt vermutlich noch immer unter der von Freiwilligen bearbeiteten Strecke.

Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen. Müll kann durchaus mal weggeräumt werden. Kennt man ja auch von früher. Schon Lenin schrieb über die samstäglichen unentlohnten Tätigkeiten, allerdings hieß das „kommunistischer Subbotnik“ und er würdigte mit diesem Text die Unterstützung der Revolutionen durch „Arbeiter im Hinterland“, die in der üblichen Geschichtsschreibung oft untergeht.
Welche ökonomische Bedeutung diese Freiweilligenhilfe heute hat, beschreibt (überraschend klar) Marcus Rohwetter in der Zeit vom Freitag letzter Woche (in einem ansonsten nicht bemerkenswerten Artikel). Zur Aktion „Hamburg räumt auf“ (klingt gruslig, nicht?) schreibt er: „Spielt jeder Freiwillige auch nur eine Stunde lang den Straßenfeger, entspricht das aufs Jahr gerechnet mehr als 30 Vollzeitstellen.“ Gemessen hatte er das an den Zahlen der im Vorjahr zusammengekommenen Freiwilligen. In Jena waren es deutlich weniger als die 67.000, noch Ende März hoffte man auf 200, aber da arbeitet man auch drei Stunden.
Ausrüstung ist selbst zu stellen, versteht sich, hinkommen ist auch eigene Sache und für Unfälle kommt eine eventuelle eigene Unfallversicherung auf. Ist ja auch billiger, als Leute herumzufahren, für Arbeitsschutz zu sorgen und mögliche Ausfallzeiten wegen Krankheit oder Unfällen zu bezahlen.
Ist ein Subbotnik am Jenaer Saaleabschnitt 2016 das Gleiche wie einer an der Eisenbahn bei Moskau 1919?

Erinnert man sich noch der Teilnahme des „THS“ unter diesem Namen beim Stadtlauf Ende der 90er in Jenas Kernbergen? Kennt jemand die mittlerweile regelmäßigen Aufrufe zur „Zusammenarbeit“ im redaktionellen Teil von Jenapolis, auffällig zufällig immer kurz vor oder nach einer AfD-Veranstaltung? WIR wohnen doch alle hier, WIR müssen miteinander reden, WIR müssen uns für die Stadt einsetzen. Gibt es tatsächlich gemeinsame Interessen, nur weil Leute auf den knapp 115 km² „zusammen“ leben?

Kaum. Der Verweis auf den gemeinsamen Wohnort sagt nicht viel aus, aber er kann zu ziemlich vielem genutzt werden, von dem nicht viel zu halten ist. Daher knallten auch keine Sektkorken, als wir feststellen mussten, dass das verbogene Laufrad, an das wir uns noch vom letztjährigen Besuch an unserem Frischluftreffpunkt erinnerten, nicht mehr am gewohnten Platz lag. Und das lag nicht nicht an unserer schlechten Vorbereitung.
Zuletzt sei noch angemerkt: Viele andere Thüringer Städte schätzen die kostenfreie Arbeit ebenso, zuweilen wird der Stadtreinigungsersatz auch auf mehr als ein Flüsschen ausgedehnt.

Mieterhöhung? Heizung kaputt? Drohende Zwangsräumung?

Das unsichtbare Wahrzeichen Jenas, noch vor der Chinesischen Mauer in Lobeda, noch vor dem Heizkraftwerk Burgau – und noch vor dem Fernrohr, das nur die Bahnfahrerinnen und vielleicht auch mal Swetlana Sawizkaja bemerkten – ist ein extrem angespannter sogenannter Wohnungsmarkt.
Ganz praktisch: eine Wohnung finden wird zum Großprojekt, dessen Äquivalent noch am ehesten der Flughafen Berlin-Brandenburg ist. Im Endeffekt wird alles viel teurer als anfangs geplant.
Zwei Straßen weiter geht Jenawohnen wieder gegen die eigenen Mieter vor (z.B., weil jenarbeit mal wieder rechtswidrig kein Geld rausrückt), werden Mietverträge wegen zweifelhaften Eigenbedarfs gekündigt, weil der Neuvermietungsaufschlag lockt… u.s.w.
Um bei all dem nicht mehr allein vor sich hin wursteln zu müssen, um sich über Erfahrungen austauschen zu können, gibt es ab April 2016 ein regelmäßiges Treffen für gegenseitige Unterstützung und Austausch in Jena. Jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat lädt Statt von 18:00-20:00 Uhr in die Räume des MobB e.v. (unterm Markt 2) ein.
Das nächste und auch erste Treffen ist am 6. April. Weitere Infos: Recht auf Stadt Jena.

Sanktionen abschaffen, online?

Noch ein paar Tage lang wird für ein Projekt Geld gesammelt, das „Sanktionsfrei“ heißt. Mit den gewünschten 75.000 Euro wird dann eine Website entwickelt, die (Muster-)Bewerbungen und Widersprüche ausspuckt. Es soll eine Rechtshilfe und Unterstützung bei den Verfahren und während der (potentiellen) Sanktionen geben. Werden es 150.000, geht alles einfach nur schneller. Idee dahinter: Aktuell legen ca. 5 Prozent der Betroffenen Widerspruch ein. Ein Insider genannter Informant sagte mal, dass die Jobcenter aufgeben müssten, wären es doppelt so viele, sagen die Initatorinnen.
Das kann sein.
„Die Würde des Menschen ist sanktionsfrei“, heißt der Slogan, unter dem das Projekt läuft, ein Verweis aufs Grundgesetz. Es ist schön, dass den alten Schinken ab und an noch wer rausholt, bisher dachten wir, der würde nur noch für Besinnungsrunden im Sozialkundeunterricht benutzt. Man kennt das ja, die Geschichten vom Eigentum, das verpflichtet, und den Angriffskriegen, die verboten sein sollen. Nicht, dass man darauf je viel hätte geben sollen, doch so ein Fitzelchen Wahrscheinlichkeit, dass beim Schreiben jemand etwas Menschenfreundliches wollte, wollen wir der Sache nicht absprechen.
Es sind bestimmt nette Leute, die auf diesem Weg versuchen, etwas Richtiges und Wichtiges zu tun. Wir fragen uns nur: Snd sind wir wirklich gegen Sanktionen wie sie? „Wir glauben, dass Menschen grundsätzlich einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten wollen. Zu arbeiten bedeutet, Teil einer Gemeinschaft zu sein und dazu beizutragen, dass sie funktioniert.“ Das kommt von ihnen, nicht von uns. Wir fragen uns nämlich, ob die darin gemeinte Lohnarbeit wirklich ein wünschenswerter Beitrag ist. Vier willkürlich ausgewählte Gründe, warum Zweifel gerechtfertigt sind:
- Kraftfahrer für Kettenfahrzeuge
- Fallmanagerin im Jobcenter eurer Wahl
- Feldlagerbetriebsfeldwebel
- Kalorien-Coachess.

Und natürlich: Wir fragen uns, ob eine Tätigkeit für das Funktionieren dieser Gesellschaft so toll ist, weil die Gesellschaft Kettenfahrzeuge, „Fälle“ und Feldlager beinhaltet, und ob Menschen, die Sinnvolles tun, ausgerechnet arbeiten wollen, beinhaltet diese doch auch Fremdbestimmung, verlorene Zeit und nicht selten Gesundheitsrisiken.
Doch nicht nur da fragen wir uns. Spannend ist z.B., wie man mit dem Aufbau einer Website 75.000-150.000 Euro innerhalb von sieben Monaten verbraten kann, wenn schlussendlich nur Bewerbungsvordrucke und eine Stellenanzeigensammlung ausgespuckt werden sollen. Für das angekündigte Ziel, den Ausfallbetrag bei Sanktionen auszufüllen, reicht es wiederum nicht, da landen aber ohnehin nur die Überschüsse aus den Spenden. Weitere – bis jetzt unbeantwortete – gute kritische Fragen findet ihr auf gegen.hartz.de.

Da wir von Berufs wegen skeptisch sind, freuen wir uns erst einmal darüber, dass mit dem Geldsammeln nebenher eine Debatte angestoßen wird/ werden kann, geben unser Geld aber lieber für die üblichen Sachen aus (wenn vom Programmieren was übrig bleibt: Zigaretten für Geflüchtete und Bier für Menschen ohne Vertrag mit Leuten, die von Immobilien leben). Daher müsst ihr, bei Interesse, selbst auf die Suche gehen, wenn ihr spenden wollt.

Keine Wahlempfehlung

… sondern ein Exkus in die Spieltheorie, speziell das Gefangenendilemma. Zu diesem Begriff verweisen wir auf Wikipedia unter genau diesem Schlagwort1.
Am kommenden Sonntag wird ein Großprojekt dazu in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stattfinden, an dem Leute über 18 mit deutschem Pass teilnehmen können. Die Frage kann auf die zwei Punkte heruntergebrochen werden:
- Mag ich „ausländisch ausehende“ (wahlweise „nordafrikanisch, südeuropäisch, südamerikanisch aussehende“) Menschen wirklich so wenig, oder/ und
- Will ich der Großen Koalition so sehr einen Denkzettel verpassen, dass ich vor Ärger keine besseren Ideen habe, als
dass ich die Wahlstimme jemandem gebe wie der AfD?
Anders als in der Spieltheorie geht es hier jedoch nicht um rationale Entscheidungen, die letztlich in der Gesamtheit zu Bullshit führen, sondern um angst- und ressentimentgeladene Hilflosigkeiten, die aber das gleiche Ergebnis haben können.

Aktuell reitet besagte unwählbare Partei auf der Welle der „Asylkritker“. Wo es ja schon von vornherein klar ist, dass es an Flucht und dem folgenden Asyl nur die Gründe zu kritisieren gilt, haben wir uns mal die Mühe gemacht, den Rest anzuschauen. Und das, versprochen, ohne den Punkt Asyl/Migration auch nur anzutasten.

Gucken wir also mal hin. Wir nutzen, der Kürze wegen, den Wahlomat.
Mehr als ein Viertel der Fragen (10/38) beantwortet die AfD in Sachsen-Anhalt (SaA) mit einem klaren: weiß nich‘. In BaWü und Rheinland-Pfalz (RP) sehen sie die Sache klarer (nur nicht schöner, s.u.).

Wo aktuell in RP Kitas gebührenfrei gestaltet, möchte die AfD Gebühren einführen. Wer’s nicht weiß: Für Kinder ist der Besuch von Kindertagesstätten eine gute Sache, Stichworte hierfür sind Selbständigkeit, Sprachentwickung, soziales Lernen. Das gilt auch für Superverdiener-Einzelkinder, deren Kitabesuch andernfalls durch die kostengünstigere 8-Euro-50-Nanny ersetzt wird.

Wo es in RP noch staatliche Krankenhäuser gibt, denkt die AfD – na, woran wohl? an die Patientinnen? Fehlanzeige – an die Defizite, die durch „fehlende“ Sofortentlassungen nach OPs, längere Liegezeiten und eine bessere Personaldecke entstehen. Ein Muster deutet sich an.

Wir finden es wieder, wo die AfD gegen die Mietpreisbremse zu Felde zieht. Testweise haben wir ein vierstöckiges Mehrparteienhaus entworfen und mit den Einnahmen durch Mieten verrechnet. Ergebnis: Nach weniger als 30 Jahren gehört es uns, einschließlich des Grundstückes – bei einem Mietpreis von 5 Euro pro Quadratmeter, also weit unter denen in Mainz, Koblenz und Trier. Dafür mit großem Garten, ohne jedwede Fertigteile (nicht mal für die Decken), mit Wintergarten und netten kleinen Erkern und Nischen.
Zum Vergleich: Der durchschnittliche Mietpreis in Koblenz liegt bei 7,73 Euro, bei einer Neuvermietung dürften wir selbst mit Mietpreisbremse noch bis zu 10 Prozent draufschlagen (77 ct/ m² für die Durchschnittswohnung = 38,65 bei von uns geplanter 50m²-Wohnung – für uns weniger, weil wir schon niedriger starteten, da wären’s, genau, „nur“ 25 Euro). 25 Euro einfach nur dafür, weil jemand auszog und jemand anderes einzog. Und das mit Mietpreisbremse.

Dann, natürlich, unser Hauptthema: Alg2. Die AfD findet: „Es ist die Pflicht eines jeden Leistungsbeziehers, wo und wann immer möglich, zur Entlastung der Allgemeinheit beizutragen. Wo diese Einsicht fehlt, sind Sanktionen nicht zu umgehen.“
Natürlich. Selbstverständlich. Wer ohnehin schon kaum Geld zum Leben hat, soll das möglichst noch gekürzt bekommen, weil (Praxiseinschub:) sie nicht mit Bandscheibenvorfall zur Putztruppe will. Oder mit Bluthochdruck in die Gießerei. Wer aber allein vom Besitz schon drei Autos finanziert bekommt, dem ist Verantwortung für die „Allgemeinheit“ fremd. Wir erinnern uns an dieser Stelle: „AfD lehnt Idee einer Vermögenssteuer ab.“ Nein, nicht die Vermögenssteuer selbst, allein die Idee, allein das Drübernachdenken. Besonders erfreut hat uns in der Presseerklärung des Bernd Lucke der Verweis, diese Idee „zielt vor allem darauf ab, mittels Ressentiments und Neidgefühlen auf Stimmenfang zu gehen“. Neid und Ressentiments waren der AfD ja seit jeher ein Graus…

An dieser Stelle – und nur da, mangels Masse – ein ganz ähnlich gelagertes Zitat der AfD SaA zur Erbeschaftssteuer: „Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer ist […] im Moment nicht angezeigt.“

Versuch gelungen? Klar gezeigt? Man kann die AfD scheiße finden, auch ohne nur einmal das Wort Asyl oder Geflüchtete/ Flüchtling tippen zu müssen. Ist ganz leicht. Wer mit ihr protestieren will, protestiert für hohe Vermöen und einen freien Markt, der, wenn er gekonnt hätte, auch Siebenjährige in die Bergwerke geschickt hätte.

  1. Das Gefangenendilemma „modelliert die Situation zweier Gefangener, die beschuldigt werden, gemeinsam ein Verbrechen begangen zu haben. Die beiden Gefangenen werden einzeln verhört und können nicht miteinander kommunizieren. Leugnen beide das Verbrechen, erhalten beide eine niedrige Strafe, da ihnen nur eine weniger streng bestrafte Tat nachgewiesen werden kann. Gestehen beide, erhalten beide dafür eine hohe Strafe, wegen ihres Geständnisses aber nicht die Höchststrafe. Gesteht jedoch nur einer der beiden Gefangenen, geht dieser als Kronzeuge straffrei aus, während der andere als überführter, aber nicht geständiger Täter die Höchststrafe bekommt.“ Realistischerweise muss hinzugefügt werden: Es fehlt natürlich die Variante, beide sagen nichts. Dann kann u.U. niemandem etwas nachgewiesen werden. Wer jetzt nicht sofort weiß, was gemeint ist, startpage2 „Anna und Arthur“. [zurück]
  2. Andere sagen googlen, aber das ist nicht so gut. [zurück]

Antirassistische Demonstrationen

Unter dem zutiefst skurrilen Motto „Wir lieben Ostthüringen“* wird nach Eisenberg mobilisiert, dem Ort mit der nächstgelegenen Landesaufnahmestelle für geflüchtete Menschen. Wes Geistes Kind solche Aufrufe sind, ist hinlänglich bekannt (wenn nicht: unter dem Label versammeln sich Pegida-ähnliche Organisationen und Einzelpersonen, die – bestenfalls – keine „Berührungsängste“ mit den Leuten von NPD&Co. haben. Sehr diplomatisch ausgedrückt).

Wenn solche Leute gesammelt auftreten, ist Vorsicht geboten, mehr noch, wenn sie das in unmittelbarer Nähe des Wohnraumes von Geflüchteten auftauchen. Mehr als Vorsicht gibt es in Eisenberg am 12.12.2015, nämlich eine Nachttanzdemo. Für den Tag davor wird zu einer antirassistischen Demonstration in Jena aufgerufen.
Auch, wenn es eventuell ein bisschen zu viel behauptet ist zu sagen, dass die Aufnahme von Geflüchteten, die Hilfe beim Einleben, die Versorgung mit dem Notwendigsten eine politische Sache ist – das ist nicht mehr und nicht weniger als praktische Menschlichkeit, auch wenn sie ungewöhnlich ist – ist es wichtig, gegen den ostthüringer und sonstigen Sumpf in die Öffentichkeit zu gehen.
Daten und Links finden sich bei den Terminen.

  1. Ostthüringen, ein Begriff aus der Raumordnung, der zur besseren Planbarkeit 1991 mittels „Thüringer Verordnung über die räumliche Abgrenzung der Planungsregionen im Land Thüringen (Landesregionenverordnung – LRegVO -) vom 22. August desselben Jahres ausgerufen wurde. Ganz klasse. Praktisch beinhaltet er so liebenswerte Ortschaften wie Gera, Greiz oder auch den Saale-Holzland-Kreis und verspricht neben einem unterfinanzierten, aber guten Theater auch Skandale in der Schweinemast, privatisierte Kulturgüter, miese Bezahlung und Obdachlosigkeit. Neuerdings ist diese Gegend auch bekannt für ein hohes Aufkommen an rassistischen Gerüchten, etwa dem Schwäneessen und Ziegenverschwinden (Saale-Holzland-Kreis), der gezielten Supermarktplünderung (Eisenberg) oder, ganz perfide, der Behautung, ein Geflüchteter hätte eine 14-Jährige (Jena) vergewaltigt. [zurück]

Feministinnen sind hübsch und gut im Bett – ???

So hab‘ ich geguckt, denn das ist in etwa die nennenswerteste Erkenntnis, die ich aus der Veranstaltung „Stand up! Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene“ mitnahm. Eingeladen hatte das Referat für Gleichstellung des Sturas der Uni Jena (entschuldigt, wenn ich euch falsch betitele, ich hab’s mir über eure Internetadresse nur vage zusammenreimen können)1. Versprochen wurde zu erklären, wie Feminismus „das eigene Leben verbessern kann“, und dass „Feminismus für jede*n etwas ist.“

Ich sage es gleich vorweg: Ich ging als Fortgeschrittene hin, als Anfänger wollte ich mich nicht betiteln lassen. Im politischen Kontext bin ich da ein bisschen empfindlich. Dass das Sternchen, Alternative zum Gendergap (der Unterstrich in Worten, um zu zeigen, dass alle Menschen gemeint sind, auch die mit Geschlechteridentität abseits des männlich-weiblich-Dualismus), nur an der von mir zitierten Stelle auftauchte, ist richtig. Oder eigentlich nicht, er hätte nicht mal da hin gehört. Es ging um Männer und Frauen. Manchmal auch um andere Identitätsentwürfe, aber das waren im wahrsten Sinn des Wortes Randerscheinungen.
Die Veranstaltung war eine Vorstellung des Buches gleichen Titels, das die Autorin Julia Korbik auf Bitte des Verlages verfasste. Da war eigentlich schon klar, dass nichts Welt- oder gar Geschlechterbewegendes passieren würde. Es wäre auch die erste Auftragsarbeit, die irgendetwas Revolutionäres gesagt hätte. Nach der Auflösung der Frage, wie es zu diesem Buch kam, las Frau Korbik Teile des Kapitels vor, das sich mit Vorurteilen über Feministinnen beschäftigt. So seien sie häßlich, rasierten sich die Achselhaare nicht, verbreiteten schlechte Laune und hassten Männer. Nein, ich will mir an dieser Stelle nicht vorstellen, wie ein Buch der Autorin zum Antirassismus ausgesehen hätte.
Die einzelnen Vorurteile wurden vorgestellt und einer Korrektur unterzogen: Feministinnen sind schön, 80 Prozent der Emma-Leserinnen leben in einer Hetero-Beziehung und niemand redet so viel über Sex wie sie, also können sie ihn ja auch nicht ablehnen, müssten gar Expertinnen sein. Zu viele Informationen, ganz eindeutig.
Es folgte das Kapitel für Männer. Um die Autorin an dieser Stelle sinngemäß zu zitieren: Es sind ja auch ein paar Männer da, da kann ich das schon mal vorlesen.
Klar. Ich schätzte auf ein Viertel der Anwesenden, aber wenn überhaupt ein Mann da ist, kriegt er die volle Aufmerksamkeit. Die anderen Menschen haben halt mal still zu sein und zuzuhören. Tat ich. Leider. So wurde ich darüber informiert, dass Menschen in Partnerschaften dann am zufriedensten seien, wenn sie die Hausarbeit etwa zu gleichen Teilen erledigen. Es ging wieder um Hetero-(romantischen-)Zweierbeziehungskram, logisch. Und wenn Beziehungen als angenehm beschrieben werden, muss es ja auch mit dem Sex klappen.
Ja. Nu‘… Nee, eigentlich nicht. Mensch kann dutzende Beziehungen haben, und Sex ist auch nicht so was wie Atmen oder Essen, nicht lebensnotwendig, und es gibt Menschen, die darauf einfach keinen Wert legen. Aber halt, wir sind ja im Kapitel, das Männern erklärt, warum Feminismus toll ist. Und was Männern wichtig ist, ist ja allgemein bekannt. Sex sells.

Halt! Wo hatte ich mich da rein gesetzt? In eine Veranstaltung, wo ein Ex-Soldat erzählen kann, dass er mal was Positives zu Feminismus in Facebook schrieb und böse Zuschriften erhielt. Wo er, zufrieden in die Runde schauend, verkünden kann, dass der Feminismus jetzt viel besser ist, ihn nicht so ausschließt und überhaupt, damals, am Anfang, da war der viel zu radikal. Wo besagter Ex-Soldat aus seiner Dienstzeit erzählen kann, wo die Menschen gleichen Dienstgrades gleich bezahlt werden2. Wo eine Frau sagt, dass diese ganzen Mädchendinge, Glitter, Ringe und Make-up doch toll und wichtig sind. Für Frauen.

Spannender wurde es nicht, aber viel merkwürdiger auch nicht. Mir reichte das für’s Erste. Ich hab‘ keine Ahnung, ob das Feminismus ist. Marxismus gibt’s ja auch in vielen Spielarten, das Christentum, Neoliberalismus u.s.w. Jedenfalls hab‘ ich erst mal genug davon und bleibe bei meinem Emanzenkram. Genau, das böse Wort, das für Latzhosen (die cool sind, wenn man bastelt und schraubt), Schwarz statt Pink und Auto, Fahrrad, Computer selbst bauen steht. Für lange Kleider und Hosen. Und dafür – hoffentlich – nicht von Soldaten gut gefunden zu werden.

Es sei euch aber ganz dringend geraten, nach Buch und Autorin mal im Netz zu startpagen. Das Buch ist ganz toller Feminismus und die Autorin fand es schon als Kind doof, gesagt zu bekommen, sie mache Liegestütze wie ein Junge. Kulturpessimismus ist eine langsam aussterbende Qualifikation.

  1. Unterstützt von: einem Projekt mit schwarz-got-gold und Bundesadler, von dem ich aufgrund der 2dpi-Druckgröße den Namen nicht entziffern kann. Es wirbt mit „Demokratie leben!“ Außerdem mit im Boot: die Heinrich-Böll-(sic!)Stiftung Thüringen e.V., die Landeszentrale für politische Bildung und die Gleichstellungsstelle Jena. [zurück]
  2. Im geschilderten Beispiel handelte es sich um einen Oberfeldwebel, der die Ausbildung leitete und zuvor in einer Spezialeinheit arbeitete, und seine Kollegin? Kameradin? gleichen Ranges, die in allen Disziplinen besser war als er. Was doch mal wieder die Frage aufwirft, ob Spezialeinheiten so was sind wie Woodstock, wo auch alle nachträglich dabei gewesen sein wollen. Aber vielleicht ist auch die Kochtruppe eine Spezialeinheit, immerhin ist sie spezialisiert. [zurück]

[Jena] Veranstaltung der AFD gestört.

Blockade des Hörsaals

Erfolgreiche Blockade gegen eine Veranstaltung der AfD in Jena

[Jena] Veranstaltung der AFD gestört.

Blockade des Hörsaals

Erfolgreiche Blockade gegen eine Veranstaltung der AfD in Jena