„Menschenfeindliche Einstellungen“
Die rechts-esoterische Anastasia-Bewegung propagiert das Ideal eines so genannten Familienlandsitzes / Das macht ländliche Regionen wie Lippe für die Anhänger interessant, warnt Janine Tappe von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus OWL
Lippische Landes-Zeitung, Sven Kienscherf, 18.05.2022:
Die „Rawaule“, eine Lebensgemeinschaft in Hillentrup, macht Schlagzeilen, weil Bewohner Verbindungen zur Anastasia-Gruppe haben sollen (wir berichteten). Die ursprünglich aus Russland stammende Bewegung geht zurück auf eine Buchreihe des Autors Wladimir Megre, nach dessen Protagonistin Anastasia sie sich benannt hat. Die Ideologie der Gruppe ist eine Mischung aus rechter Esoterik, Natur-Mystifizierung, Antisemitismus und völkischen Ideen. Kernidee ist es, so genannte Familienlandsitze zu gründen. Über die Anastasia-Anhänger und die Gefahr, die von ihrer Ideologie ausgeht, spricht Janine Tappe von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus OWL.
Frau Tappe, was macht die Anastasia-Bewegung aus Ihrer Sicht gefährlich?
Auf den ersten Blick kann die Bewegung recht harmlos anmuten, weil sie vordergründig ökologisch-nachhaltige Lebensmodelle propagiert. Wenn man genauer hinschaut, enthält die Ideologie aber antimoderne, antisemitische, antifeministische und rassistische Elemente. Alles Einstellungsmerkmale, die wir in extrem rechten Ideologien finden. Was bei Anastasia auch oft mitschwingt, ist der Gedanke, eigene Schulen zu gründen. Denn das, was in staatlichen Schulen gelehrt wird, ist natürlich nicht das, was Anastasia propagiert.
Die Bewegung geht zurück auf eine Buchreihe des Russen Vladimir Megre.
Genau, es geht um eine fiktive Figur namens Anastasia, die dem Autor erzählt, wie Menschen leben sollen. Es finden sich darin menschenfeindliche Inhalte aber auch antisemitische Verschwörungserzählungen wie bei den Corona-Leugnern. In den Büchern wird davon gesprochen, wie angeblich Juden die Regierungen verschiedener Länder und den Geldfluss kontrollieren und dass sie selbst Schuld haben, dass sie verfolgt wurden.
In den Büchern wird das Ideal der so genannten Familienlandsitze propagiert. Wie viele gibt es davon in Deutschland?
Das ist schwer zu sagen. Bekanntere Beispiele sind das so genannte „Goldene Grabow“ in Brandenburg, „Weda Elysia“ im Harz in Sachsen-Anhalt und das „Waldgartendorf“ in Hessen. Es gibt auch weitere kleinere Projekte mit Bezug zu Anastasia, zu denen man die Rawaule zählen kann. Wenn man sich diese Projekte mal etwas genauer anschaut, sind sie aber sehr weit entfernt von dem in den Büchern propagierten Ideal des Familienlandsitzes.
Wie ist die Rawaule in der Anastasia-Bewegung einzuordnen?
Wenn man sich die Homepage anschaut, findet man erst mal keine direkten Bezüge zur Anastasia-Bewegung. Recherchen von Fachjournalisten und dem WDR haben aber ergeben, dass es im Dezember 2020 eine Wintersonnenwende-Feier der Anastasia-Bewegung an den Externsteinen gab, an der die Rawaule teilgenommen hat. Wenn man sich die Bewohner anschaut, die dort wohnen oder gewohnt haben, finden sich auch personell Bezüge zur Anastasia-Bewegung.
Welche sind das?
Es gibt einen Liedermacher, der unter dem Künstlernamen Jonathan Löwenherz auftritt und der Lieder gemacht hat, in denen es auch um die Familienlandsitze geht. Der Begriff Familienlandsitz ist immer ein Anastasia-Stichwort. Löwenherz war früher auch in der Reichsbürger-Szene aktiv. Es wurde unter seinem Namen ein Flyer veröffentlicht, in dem es um die Gründung einer so genannten Bürgerrepublik Deutschland ging. Auf dem Flyer sieht man dann ein Bild dieser Republik in den Grenzen des Deutschen Reichs, die zurückgewonnen werden sollen. Dann gibt es einen anderen Mitbewohner, der dort wohnt oder gewohnt hat, der bei den Anastasia-Festspielen Deutschland 2016 zu Gast war, wo er neben anderen Leuten aus der Szene Gitarre gespielt hat. Weiter taucht einer der Gründer der Rawaule Ende 2020 in einem Newsletter eines Anastasia-Aktivisten auf, in dem dazu aufgerufen wird, ihn finanziell zu unterstützen, weil er gerne einen Trecker für die Rawaule kaufen möchte.
Halten Sie es für möglich, dass es Menschen gibt, die sich von Anastasia angezogen fühlen, weil sie auf der Suche nach Gemeinschaft sind, nach einem Leben im Einklang mit der Natur und weniger von den rechtsextremen Elementen?
Die Bewegung hat durch das Werben für ein ökologisches Leben und durch den Aussteiger-Gedanken eine hohe Anschlussfähigkeit. Das eigene Gemüse zu züchten und das eigene Brot zu backen, ist ja schon fast ein gesamtgesellschaftlicher Trend. Wenn die Rawaule wie im April zu einer Pflanzentauschbörse einlädt, ist das ein niedrigschwelliges Angebot. Als Besucher findet man die Leute vielleicht erst mal nett und fühlt sich dort aufgehoben und gerät dann an diese Ideologie. Wir wissen nicht, wann die ins Spiel gebracht wird. Wenn man die Bücher liest, wird aber klar, dass die menschenfeindlichen Einstellungen keine Randaspekte der Bewegung sind.
Was macht Regionen wie Lippe für Anastasia interessant?
Für die Bewegung kommt eigentlich nur der ländliche Raum zum Siedeln infrage, weil sie das Stadtleben, Technologie und Moderne ablehnt. In der Idealvorstellung ist ein Familienlandsitz ein Hektar groß. Diesen Platz wird man in der Stadt nicht finden. Deshalb sollten Menschen auf dem Land, die Grundstücke oder Immobilen verkaufen wollen, für das Thema sensibel sein, damit sie nicht unbeabsichtigt an Anastasia-Anhänger geraten. Das gilt auch für Städte und Gemeinden.
Gesetzt den Fall, ich hätte einen alten Hof zu verkaufen, und dafür interessiert sich eine Gruppe von Menschen. Wie merke ich, ob sie der Anastasia-Bewegung angehören?
Das ist wirklich sehr schwer. Wenn man beispielsweise auf Menschen trifft, die sagen, sie wollen eine Kommune gründen, kann man fragen, ob es dabei ein Prinzip gibt, auf das sie sich berufen. Es ist natürlich nicht gesagt, dass man eine ehrliche Antwort erhält. Auf der anderen Seite gab es 2021 auf Ebay-Kleinanzeigen ein Gesuch, in dem fünf Familien aus dem Raum Detmold ein Gehöft in Lippe gesucht haben. Das Titelbild war das Cover eines Anastasia-Buches. Wenn man ein Bauchgefühl hat, dass irgendetwas nicht stimmt, kann man sich auch an die Mobile Beratungsstelle wenden, wir können da sicher weiterhelfen.
Haben Sie Erkenntnisse, ob die Anastasia-Bewegung gezielt den Kontakt mit Rechtsextremisten beispielsweise aus dem völkischen Spektrum sucht?
Ich denke, das kann man nicht verallgemeinern. Überschneidungen sind in OWL bisher eher personell begründet, wie beispielsweise bei dem erwähnten Liedermacher, der in der Reichsbürger-Szene aktiv war. Es gibt aber natürlich Gemeinsamkeiten. Neben den Einstellungen, die ich bereits genannt habe, auch das Familienbild. Eine Familie besteht für Anastasia immer aus Vater, Mutter und Kindern. Homosexuelle Beziehungen werden abgelehnt. Auch den Ökologie-Gedanken finden wir in Teilen der extremen Rechten, die etwa die Parole „Umweltschutz ist Heimatschutz“ ausgeben. Überschneidungen gibt es auf jeden Fall zur Szene der Corona-Leugner, in den entsprechenden Gruppen im Internet sind Verweise auf die Anastasia-Bücher und -Projekte geteilt worden.
Was kann man als Bürger tun, damit Bewegungen wie Anastasia sich nicht ausbreiten können?
Es ist wichtig, sich und andere zu informieren, um solche Projekte überhaupt zu erkennen. Ein ganz wichtiger Faktor, um zu verhindern, dass sich rechte Gruppierungen festsetzen können, ist sich aktiv für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft einzusetzen.
Strategien gegen Rechtsextremismus
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus OWL (MBR OWL) mit Sitz in Herford ist eine Beratungsstelle für Einzelpersonen, Gruppen, Vereine, Unternehmen und Institutionen. Die MBR vermittelt Fachwissen und hilft beim Aufbau von Strukturen zum Umgang mit Rassismus und Rechtsextremismus. Die Förderung der Beratungsstelle erfolgt unter anderem aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Die Beratung ist kostenlos. Die MBR OWL ist zu erreichen unter Tel. (05221) 1745726 oder per E-Mail: [email protected].