Redebeitrag auf der Kundgebung „Verfassungsschutz abschaffen!“

Liebe Freundinnen und Freunde,
Niemand hätte wohl nach der Selbstenttarnung des NSU gedacht, dass es dem „Verfassungsschutz“ gelingt, so schnell seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Trotz aller Kritik an seinen Praktiken hat er es geschafft, seine Existenz nicht nur weiter zu behaupten, sondern die eigenen Möglichkeiten auch noch auszubauen.Seit dem November 2011 gelangten scheibchenweise immer wieder neue Informationen an die Öffentlichkeit, welche die zwielichtige Rolle der Inlandsgeheimdienste belegten: Bekannt wurde unter anderem, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz am 11.11.2011 zahlreiche Akten von V-Leuten mit Bezug nach Thüringen geschreddert wurden. Sie konnten nicht komplett rekonstruiert werden. Um so länger die Aufklärungsversuche von Untersuchungsausschüssen, JournalistInnen und antifaschistischen Projekten dauerten, desto mehr V-Leute wurden im direkten Umfeld des NSU-Kerntrios und des UnterstützerInnen-Netzwerks bekannt.

Der NSU war regelrecht umstellt von staatlichen Spitzeln, die vielfach Führungspositionen in der Neonazi-Szene einnahmen und diese über ihre Honorare vom VS mitfinanzierten. Sie alle sollen aber laut Behörden nie über das untergetauchte Trio und dessen Terrortaten berichtet haben. Doch nach 5 Jahren bekommt dieses Bild immer mehr Risse: Aktuell wird besonders der Fall des Zwickauer Nazi Ralf „Manole“ Marschner öffentlicht diskutiert. Als V-Mann „Primus“ war er über Jahre im Dienste des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Marschner war eine der zentralen Figuren der Zwickauer Neonazi-Szene. Als das untergetauchte NSU-Trio 2000 von Chemnitz nach Zwickau zog, bezog es eine Wohnung in der Polenzstraße. Direkt schräg gegenüber wohnte ein enger Vertrauter von Marschner. Aber beide behaupteten, dass NSU-Trio nie gesehen zu haben. Das Bundesamt mauert und teilt mit, Marschner habe nie über die untergetauchten Neonazis berichtet.

Doch nicht nur, dass BfV verweigert die Aufklärung der Rolle des V-Mannes Marschners. Auch der mit den NSU-Ermittlungen beauftragte Generalbundesanwalt interessiert sich kaum für ihn. Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags erklärte jüngst ein Vertreter des GBA, dass man eine umfassende Recherche zu Marschner nicht gemacht habe. Zugleich sagte er: Man habe irgendwann aufgehört zu zählen, wieviele NSU-Unterstützer Marschner persönlich gekannt habe. Aber diese Unterstützer wohnten nun einmal in Chemnitz, Marschner hingegen in Zwickau. – Das ist eine Logik, die einen sprachlos werden lässt….

Der folgende Eindruck drängt sich auf: Bei V-Leuten, die in den NSU-Ermittlungen eine Rolle spielen könnten, ermittelt der Generalbundesanwalt mit angezogener Handbremse. Dann werden Hinweise schnell „ausermittelt“ zur Seite gelegt. Dies dient in erster Linie den Verfassungsschutzämtern und ihrer Schutzbehauptung, dass sie trotz zahlreicher V-Leute im Umfeld des NSU-Trios vor November 2011 weder den Aufenthaltsort von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, noch den Begriff NSU und erst recht nichts von den Morden erfahren hätten. Die Meistererzählung von den „Pleiten, Pech und Pannen“ des Verfassungsschutzes soll nicht angekratzt werden.

Doch gerade der Fall Marschner könnte dies ändern. Vor einigen Wochen veröffentlichten Journalisten die Ergebnisse ihrer Recherche, demnach soll Uwe Mundlos unter den Tarnpersonalien eines Unterstützers in Marschners Baufirma gearbeitet haben. Ein Bauunternehmer, der Marschners Firma beauftragt hatte, bestätigte, dass er Mundlos auf seinen Baustellen gesehen habe.

Ein anderer Fall betrifft NRW und den Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse im Jahr 2001: Der dem Phantombild des Täters ähnelnde Kölner Neonazi Johann H. war nicht nur stellvertretender Kameradschaftsführer der mittlerweile verbotenen „Kameradschaft Köln“ sondern auch seit 1989 V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes. Er ist wegen Sprengstoffdelikten vorbestraft und war schon Ende der 1980er Jahre in einer rechten Wehrsportgruppe aktiv. 2012 meldete der Verfassungsschutz diese Ähnlichkeit dem Generalbundesanwalt.

Im Untersuchungsausschuss des Landtags kam nun heraus, dass der Verfassungsschutz zugleich aber Fotos von H. zurückhielt und das ermittelnde BKA nur ein Foto in schlechter Qualität bekam. Unter großem Zeitdruck und mit einer fragwürdigen Lichtbildvorlage klärte das BKA daraufhin die Spur ab. Augenzeug*innen konnten den V-Mann nicht als Täter erkennen. Damit war die Spur erledigt, weitere Verdachtsmomente spielten keine Rolle mehr. Wieder zeigte der Generalbundesanwalt kein Interesse an ausführlichen Ermittlungen. In diesem, wie auch in allen anderen Fällen, haben die Verfassungsschutz-Behörden rein gar nichts dazu beigetragen, die Hintergründe aufzuklären. Stattdessen wird gemauert, vertuscht, abgestritten und verharmlost!

Auch abseits des NSU gilt: Die Bekämpfung des Neonazismus ist nicht das vorrangige Ziel des Verfassungsschutzes. Es sollen Informationen gesammelt werden, aber keine rechte Organisierung oder rechte Aktivitäten verhindert werden. Wichtigste Quelle für Informationen sind die V-Leute. In den vergangenen 25 Jahren scheute sich der Verfassungsschutz nicht mit führenden Szene-Aktivisten oder mit hochkriminellen Neonazis zusammen zu arbeiten. Ein ehemaliger Verfassungsschützer aus NRW erklärte vor dem Untersuchungsausschuss, dass damals die Philosophie vorherrschte, Neonazis aus den Führungsebenen der Szene als V-Leute anzuwerben, um durch sie die Szene „von oben“ zu steuern und zu befrieden. Wer sich die Liste der enttarnten V-Leute ansieht, ist erstaunt, wie viele Führungskader sich darunter befinden, so dass man davon ausgehen kann, dass in fast jeder wichtigen Neonazi-Gruppe ein führendes Mitglied im Sold des Verfassungsschutzes stand. „Befriedet“ wurde die Szene dadurch nicht, Gewalttaten nicht verhindert. Stattdessen hat der Verfassungsschutz über seine V-Leute zur Verfestigung der Szene beigetragen.

Trotz alledem ist es uns nicht gelungen, die Macht der Geheimdienste zu beschränken. Als wir 2012 begannen uns für die Auflösung der Verfassungsschutz-Behörden zu engagieren, befürchteten wir bereits, dass sich nach kurzer Zeit das „business as usual“ einstellen könnte. Leider ist genau dies eingetreten. Einerseits, weil der gesellschaftliche Widerstand zu gering war und andererseits weil es keinen politischen Willen gab, den Verfassungsschutz abzuschaffen oder zumindest erheblich einzuschränken.

Reformen des Verfassungsschutz-Gesetzes wie jene in NRW schufen zwar einige neue Regeln und schrieben dem Verfassungsschutz ins Stammbuch, er solle sich künftig vor allem um gewaltsame Bestrebungen kümmern. Grundsätzlich blieb aber alles beim Alten. Der Verfassungsschutz ist und bleibt eine Geheimbehörde, deren oberster Grundsatz der Geheimhaltung jedwede Kontrolle effektiv aushebelt. Er wird stets den Schutz seiner „Quellen“ höher als die Strafverfolgung oder gesellschaftliche Interessen werten. Im Zweifelsfall werden die Skandale der Ämter mit Verweis auf das „Staatswohl“ vertuscht. Der Verfassungsschutz ist eine Blackbox – was in den Ämtern geschieht, dringt nicht nach außen.

Neu ist die unverfrorene Dreistigkeit mit der die Geheimbehörden mittlerweile wieder auftreten. So beschwerte sich Maaßen jüngst, dass die Untersuchungsausschüsse zum NSU den Verfassungsschutz so viel Arbeit machen, und man deshalb keine „Terroranschläge verhindern“ könne. Im Gespräch mit dem MDR warb er für seine Behörde mit den folgenden Worten: „Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber und ich kann sagen, in manchen Bereichen unseres Hauses kann man all das machen, was man schon immer machen wollte, aber man ist straflos.“

In einem anderen Interview erklärte Maaßen die NSU-Affäre für beendet: „Damals sind schwere Fehler gemacht worden, aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner Behörde zuzurechnen“. Zugleich forderte er die Straffreiheit für seine V-Leute und neue Möglichkeiten zur Überwachung des Internets und Sozialer Netzwerke sowie den Zugriff auf verschlüsselte Daten. Der Verfassungsschutz will aufrüsten und mit NSA und BND gleichziehen.

Ein Blick in das neue Bundesverfasssungsschutz-Gesetz zeigt, dass Maaßen und Co ihre zentralen Forderungen durchsetzen konnten. Nach dem NSU wurden die rechtlichen Möglichkeiten und Ressourcen des Verfassungsschutzes nicht beschränkt, sondern ausgebaut. Obwohl er tief in die Neonazi-Szene verstrickt war, obwohl er nichts dazu beigetragen hat die NSU-Morde zu verhindern oder aufzuklären!

Auch der Ausbau der Überwachung der Internetkommunikation kommt, wie ein von „netzpolitik.org“ geleaktes Papier beweist. Die kritischen Journalisten wurden daraufhin auf Anzeige des Verfassungsschutzes mit einem Verfahren wegen „Landesverrat“ überzogen. Die Pläne des Geheimdienstes sollten tunlichst nicht publik werden.

Warum gelang es dem Verfassungsschutz seine Position zu behaupten? Dazu muss man sich vergegenwärtigen, was seine ureigene Aufgabe ist. Seine Aufgabe ist nicht die Information der Öffentlichkeit oder der Schutz vor Neonazis. Es ist auch nicht die Verfassung zu schützen – ansonsten müsste er ja gegen diejenigen Bestrebungen vorgehen, welche die in der Verfassung verankerten Grundrechte aushöhlen. Also auch gegen die von ihm selbst forcierten Überwachungspläne.

Der Verfassungsschutz dient als Geheimdienst den jeweiligen Regierungen. Sie definieren, was das „Staatswohl“ ausmacht, das zu schützen ist. Der Verfassungsschutz war seit je her ein Instrument zur Abwehr unerwünschter politischer Bewegungen. In erster Linie war er gegen Links gerichtet. Seine Aufgabe ist neben der Überwachung die öffentliche Feindmarkierung: Wer ist in Augen der Herrschenden ein „Extremist“ und soll deshalb aus dem öffentlich Diskurs ausgegrenzt werden?

Der Geheimdienst „Verfassungsschutz“ wird immer ein Fremdkörper in der Demokratie bleiben. Diejenigen Kräfte, die ihn nutzen, haben damit kein Problem. Für uns alle, die wir gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Freiheit, Gleichheit und Solidarität wollen, wird der Verfassungsschutz ein Feind bleiben.

Verfassungschutz und alle anderen Geheimdienste auflösen!

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