Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Anwohnerinnen und Anwohner,
wer zu Rechtsrock recherchiert, kommt um das Netzwerk „Blood & Honour“ nicht herum. Das internationale Netzwerk von Neonazis organisiert in ganz Europa Konzerte und ist essentiell für das lukrative Geschäft mit dem Rechtsrock. Die deutsche Division von „Blood & Honour“ wurde im Jahr 2000 verboten, was die Neonazis in ihrem Treiben kaum behinderte. Alte Netzwerke und Kontakte bestehen bis heute fort. Zum Teil wichen deutsche Neonazis nach dem Verbot einfach ins benachbarte Ausland aus. So organisierten Dortmunder Neonazis Mitte der 2000er Jahre „Blood & Honour“-Konzerte in Belgien.
„Blood & Honour“ war stets mehr als ein rechtes Musiknetzwerk. Wie keine andere Organisation verbreitete „Blood & Honour“ seit Anfang der 1990er Jahre rechtsterroristische Konzepte, die in den USA entstanden waren, in der deutschen Neonazi-Szene. Immer wieder wurde zu Mord und Totschlag aufgerufen und Neonazi-Terroristen gehuldigt. Nicht zufällig entstammen fast sämtliche Helfer des NSU-Kerntrios, die das Untertauchen in Sachsen ermöglichten, aus den Kreisen von „Blood & Honour“.
„Combat 18“ – ein Szenecode für den „Kampf für Adolf Hitler“ – ist der bewaffnete Arm von „Blood & Honour“. Ein internationales Netzwerk militanter Neonazis, die sich gemäß dem Konzept des „führerlosen Widerstandes“, konspirativ in lose verbundenen Zellen organisieren. Ursprünglich der Name einer Neonazi-Gruppe aus England, die dort Mitte der 1990er Jahre die Kontrolle über die „Blood & Honour“-Division übernahmen, wurde „Combat 18“ spätestens mit Beginn der 2000er Jahre zu dem Label für all diejenigen, die Rechtsterrorismus propagieren und umsetzten.
Betrachtet man den Nazitreffpunkt hier im Kentroper Weg 18 in Hamm, ist Rechtsterrorismus wahrscheinlich nicht die erste Assoziation, die einem zu dem trostlosen Hinterhof und seinen wenig illustren Gästen in den Sinn kommt. Doch der Eindruck täuscht. Die Hammer Neonaziszene ist nicht nur im lukrativen Rechtsrockgeschäft bestens vernetzt – sie pflegt auch Verbindungen zu den genannten Netzwerken in Deutschland und dem Ausland und organisiert deren Unterstützung, z.B. über die Sammlung von Spenden und das Verbreiten von Propaganda, Devotionalien und Schriften, die sonst nicht über öffentliche Kanäle verbreitet werden können. Veranstaltungen im Kentroper Weg, z.B. ein Vortrag im April letzten Jahres, werden von ausländischen Divisionen von „Blood & Honour“ beworben.
Zentrale Figur für diese Vernetzung ist der Hammer Neonazi Martin Böhne, der seit einigen Jahren in Hamm wohnt und bei der Kommunalwahl 2014 auch für die Nazipartei „Die Rechte“ als Direktkandidat antrat. Böhne spielt nicht nur beim heute Abend auftretenden Projekt „Sturmwehr“, er ist auch bei zwei der dienstältesten deutschen Rechtsrockbands, „Sleipnir“ und „Oidoxie“, aktiv. Oidoxie spielten bereits mehrfach Konzerte in Hamm, zuletzt im Oktober 2016 in Räumlichkeiten des Schützenvereins Berge-Weetfeld-Freiske.
1996 gegründet, ist Oidoxie heute immer noch eine der einflussreichsten deutschen Neonazibands. Oidoxie bekennen sich offen zum Combat18-Netzwerk und gelten als deren wichtigste Propagandisten. 2006 veröffentlichte die Band die CD „Terrormachine“ mit der gleichnamigen Hymne auf die Terrororganisation. Marko Gottschalk, Sänger und Bandleader von Oidoxie aus Dortmund, hat sich das Label „Combat18“ auf die Brust tätowieren lassen und ist seit Ende der 90er Jahre mit internationalen „Combat18“-Führungskadern bekannt. Anfang der 2000er Jahre galt er in der Szene gemeinhin als offizieller Repräsentant von „Combat18“ in Deutschland.
Und diesem Bekenntnis folgten Taten. Um die Band formierte sich Mitte der 2000er Jahre die „Oidoxie Streetfighting Crew“, eine militante Kameradschaft mit Mitgliedern aus Dortmund und Kassel, die bei den Konzerten der Band als Sicherheitstruppe fungierte und deren Mitglieder inklusive der Band außerhalb der Konzerte durch zahlreiche Überfalle und Straftaten von sich Reden machten. Einer dieser Übergriffe ereignete sich am 28. Januar 2006 in Dortmund. Dort griffen ca. 15 Mitglieder der der „Oidoxie Streetfighting Crew“ Antifaschistinnen und Antifaschisten nach einer Demo an und verletzten mehrere Personen schwer. Zeugen dieses brutalen Überfalls – und seiner Vorbereitung – waren Mitarbeiter des Verfassungsschutzes NRW, welche die Gruppe um Marko Gottschalk an diesem Tag bereits länger beobachteten. Die Verfassungsschützer taten jedoch nichts, um den Überfall zu verhindern, den Verletzten zu helfen oder eine Strafverfolgung im Anschluss zu ermöglichen. Sie schrieben ein Protokoll und legten es zu ihren Akten.
Denn der VS NRW war zu diesem Zeitpunkt an ganz anderen Aktivitäten von Marko Gottschalk und seinen Kameraden interessiert. Diese hatten um 2004 herum begonnen, aus der Oidoxie Streetfighting Crew heraus eine Combat18-Zelle in Dortmund aufzubauen. Unter den Mitgliedern war mit Sebastian Seemann auch ein V-Mann des VS NRW, der gute Kontakte zur rechten Combat18-Zelle „BBET“ aus Belgien pflegte und mit Waffen und Drogen handelte. Seemann, dessen Spitzeltätigkeit im Rahmen von Ermittlungen wegen seiner Drogengeschäfte aufflog, gab 2005 zu Protokoll, dass mehrere Waffen, u.a. eine Maschinenpistole und mehrere Pump-Guns in der Dortmunder Naziszene im Umlauf waren. Bereits 2003 hatte die Dortmunder Polizei eine zündfähige Rohrbombe in der Dortmunder Nordstadt sichergestellt, die mit der Gruppe in Verbindung gebracht wurde.
Doch anstelle diese Informationen über eine rechtsterroristische bewaffnete Struktur sofort an die Polizei weiterzuleiten, machte der Verfassungsschutz: Nichts. Stattdessen kam man 2006 – dem Jahr in dem der NSU in Dortmund und Kassel mordete – zu dem Schluss, die Gruppe würde aus „Maulhelden“ bestehen und stelle keine wirkliche Gefahr da. Die belgische Staatsanwaltschaft hingegen nahm im September 2006 die erwähnte BBET/“Blood & Honour“-Gruppe hoch, weil diese Terroranschläge geplant hatte. Zahlreiche Schusswaffen und eine Bombe wurden bei den Mitgliedern, unter denen sich auch Soldaten der belgischen Armee befanden, sichergestellt. In Deutschland hingegen war trotz alledem Verharmlosung und Ignoranz an der Tagesordnung.
Eine fatale Einschätzung, denn das „Combat18“-Netwerk hat nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt. Recherchen antifaschistischer Gruppen zeigen, dass das Netzwerk weiter aktiv ist und sich in den letzten Jahren vermehrt öffentlich zeigte. So konnte ein Treffen internationaler „Combat18“-Kader am Rande von zwei Demonstrationen in Dortmund im Jahr 2016 belegt werden. Mit dabei: Marko Gottschalk und Robin Schmiemann, ebenfalls mutmaßliches Mitglied der Oidoxie Streetfighting Crew und Brieffreund von Beate Zschäpe.
Eine Entwicklung, die selbst dem Verfassungs- und dem Staatsschutz nicht verborgen geblieben ist. Auf eine kleine Anfrage der Linkspartei antwortet die Bundesregierung im Juni 2017, dass seit dem Jahr 2013 eine Gruppierung mit der Bezeichnung „Combat 18“ mit Mitgliedern aus Hessen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen existiere. Darüber hinaus lägen Hinweise auf regionale „Combat 18“-Strukturen vor, die aber nicht genauer zu beziffern wären. Auch das Combat18-Vernetzungstreffen beim großen Rechtsrock-Festival in Themar im Sommer 2017 wurde von den Behörden als solches erkannt. Im September 2017 kontrollierte die GSG9 mehrere Autos mit Combat18-Mitgliedern, die von einem Schießtraining in Tschechien kamen und fand Munition in deren Autos. Ob sich daraus ein rechtsterroristisches Potenzial ableiten lasst, prüft man bei den Verfassungsschutzbehörden allerdings noch.
Wir wissen, dass wir dem Ergebnis dieser „Prüfung“ nicht vertrauen können. Denn Schießtrainings haben die „Combat 18“-Nazis bereits Mitte der 2000er Jahre abgehalten – ohne dass der Verfassungsschutz dies als Beleg für deren Gefährlichkeit nahm.
Wir wissen, dass wir uns auf die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz nicht verlassen dürfen, wenn es darum geht rechten Terror als solchen zu erkenne, zu benennen und zu verhindern.
Wir haben gelernt, dass es massiven öffentlichen Druck braucht, um der Verharmlosung und dem Verschweigen rechten Terrors entgegen zu wirken.
Wir haben gelernt, was für Folgen es hat, wenn wir als Zivilgesellschaft in dieser Funktion versagen.
Wir sehen, wie sich die Rechtsrockszene weiter professionalisiert und sich zunehmend und mit immer größeren Events in die Öffentlichkeit traut.
Wir sehen, wie sich in dem Zusammenhang rechtsterroristische Netzwerke re-organisieren und wieder aktiv werden. Seit Beginn der Diskussion um die „Flüchtlingskrise“ eine deutliche Zunahme rechter Gewalt, inklusive des Einsatzes von Sprengstoff, zu beobachten. In den unterschiedlichsten Spektren der extremen Rechten werden verstärkt Waffen gehortet. Ein angeblicher Bürgerkrieg, der den bewaffneten Kampf notwendig mache, wird heraufbeschworen.
Unsere Aufgabe ist es, zu verhindern, dass die Nazis dies abseits der Öffentlichkeit und nur unter den Augen des Verfassungsschutzes in Ruhe tun können.
Unsere Aufgabe ist es, einen breiten und effektiven Widerstand gegen Nazis in all ihren Facetten und mit all ihren Events zu organisieren.
Deshalb stehen wir heute – am internationalen Gedenktag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz – hier und stören die trügerische Ruhe, die die Nazis gerne im Viertel hätten. Deshalb werden wir weiter gegen das Nazizentrum im Kentroper Weg aktiv werden. Auf allen Ebenen und mit den notwendigen Mitteln!
Keine Rückzugsräume für Nazis – das Nazizentrum am Kentroper Weg dichtmachen – Nazistrukturen zerschlagen!
Quellen:
https://www.taz.de/!5471964/
https://nrw.nsu-watch.info/bundesanwaltschaft-weist-beweisantraege-der-nebenklage-zurueck-die-neue-informationen-ueber-nsu-unterstuetzer_innen-in-nrw-liefern-koennten/
https://nrw.nsu-watch.info/das-label-combat-18/
https://www.lotta-magazin.de/ausgabe/62/propagandisten-des-rechtsterrorismus
https://www.lotta-magazin.de/ausgabe/online/combat-18-reloaded
https://nrw.nsu-watch.info/erstes-fazit-zum-abschlussbericht-des-nsu-ausschusses/
https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-14400.pdf
http://www.martinarenner.de/index.php?id=38366&no_cache=1&tx_ttnews%5BbackPid%5D=34837&tx_ttnews%5Btt_news%5D=74192&cHash=ca4b1e41c64b7484184abd92fbcf6f 5a
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/130/1813072.pdf
https://correctiv.org/blog/ruhr/artikel/2017/05/04/spinnen-im-terrornetz/