Redebeitrag der ALM – gehalten am 15.8.2015 auf Demo „Freiheit statt Angst“ in Münster
Niemand hätte wohl nach der Selbstenttarnung des NSU gedacht, dass es dem „Verfassungsschutz“ gelingt, so schnell seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Trotz aller Kritik an seinen Praktiken hat er es geschafft, seine Existenz nicht nur weiter zu behaupten, sondern die eigenen Möglichkeiten auch noch auszubauen.
Seit dem November 2011 gelangten scheibchenweise immer wieder neue Informationen an die Öffentlichkeit, welche die zwielichtige Rolle der Inlandsgeheimdienste belegten: Bekannt wurde unter anderem, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz am 11.11.2011 zahlreiche Akten von V-Leuten geschreddert wurden. Sie konnten nicht komplett rekonstruiert werden. Um so länger die Aufklärungsversuche von Untersuchungsausschüssen, JournalistInnen und antifaschistischen Projekten dauerten, desto mehr V-Leute wurden im direkten Umfeld des NSU-Kerntrios und des UnterstützerInnen-Netzwerks bekannt.
Der NSU war regelrecht umstellt von staatlichen Spitzeln, die vielfach Führungspositionen in der Neonazi-Szene einnahmen und diese über ihre Honorare vom VS mitfinanzierten. Sie alle sollen aber laut Behörden nie über das ungetauchte Trio und dessen Terrortaten berichtet haben. Der jüngste aufgedeckte Fall betrifft NRW und den Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse im Jahr 2001: Der dem Phantombild der Polizei ähnelnde Kölner Neonazi Johann Helfer war nicht nur stellvertretender Kameradschaftsführer der mittlerweile verbotenen „Kameradschaft Köln“ sondern auch seit 1989 V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes. Er ist wegen Sprengstoffdelikten vorbestraft und war schon Ende der 1980er Jahre in einer rechten Wehrsportgruppe aktiv. Die Spur zu Helfer wurde dennoch bei den Ermitltungen nicht weiter verfolgt.
In diesem wie auch in allen anderen Fällen haben die Verfassungsschutz-Behörden rein gar nichts dazu beigetragen, die Hintergründe aufzuklären. Stattdessen wird gemauert, vertuscht, abgestritten und verharmlost!
Ungeklärt ist auch noch immer die Rolle des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme, der sich zur Tatzeit am Tatort des letzten NSU-Mordes mit der Ceska-Pistole 2006 in Kassel aufhielt. Hier ist es die hessische Landesregierung, die die Polizeiermittlungen und die Aufklärung im Untersuchungsausschuss nach Kräften behindert.
Trotz alledem ist es nicht gelungen, die Macht der Geheimdienste zu beschränken. Als wir 2012 begannen uns für die Auflösung der Verfassungsschutz-Behörden zu engagieren, befürchteten wir bereits, dass sich nach kurzer Zeit das „business as usual“ einstellen könnte. Leider ist genau dies eingetreten. Einerseits, weil der gesellschaftliche Widerstand zu gering war und andererseits weil es keinen politischen Willen gab, den Verfassungsschutz abzuschaffen oder zumindest erheblich einzuschränken.
Reformen des Verfassungsschutz-Gesetzes wie jene in NRW schufen zwar einige neue Regeln und schrieb dem Verfassungsschutz ins Stammbuch, er solle sich künftig vor allem um gewaltsame Bestrebungen kümmern. Grundsätzlich blieb aber alles beim Alten. Der Verfassungsschutz ist und bleibt eine Geheimbehörde, deren oberster Grundsatz der Geheimhaltung jedwede Kontrolle effektiv aushebelt. Er wird stets den Schutz seiner „Quellen“ höher als die Strafverfolgung oder gesellschaftliche Interessen werten. Der Verfassungsschutz ist eine Blackbox – was in den Ämtern geschieht, dringt nicht nach außen.
Neu ist die unverfrorene Dreistigkeit mit der die Geheimbehörden mittlerweile wieder auftreten. So erklärte der Chef des Bundesamtes Maaßen in einem Interview die NSU-Affäre für beendet: „Damals sind schwere Fehler gemacht worden, aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner Behörde zuzurechen“, so Maaßen.
Zugleich forderte er die Straffreiheit für seine V-Leute und neue Möglichkeiten zur Überwachung des Internets und Sozialer Netzwerke sowie den Zugriff auf verschlüsselte Daten. Der Verfassungsschutz will aufrüsten und mit NSA und BND gleichziehen.
Ein Blick in das neue Bundesverfasssungsschutz-Gesetz zeigt, dass Maaßen und Co ihre zentralen Forderungen durchsetzen konnten. Nach dem NSU wurden die rechtlichen Möglichkeiten und Ressourcen des Verfassungsschutzes nicht beschränkt, sondern ausgebaut. Obwohl er tief in die Neonazi-Szene verstrickt war, obwohl er nichts dazu beigetragen hat die NSU-Morde zu verhindern oder aufzuklären!
Auch der Ausbau der Überwachung der Internetkommunikation kommt, wie ein von „netzpolitik.org“ geleaktes Papier beweist. Die kritischen Journalisten wurden daraufhin auf Anzeige des Verfassungsschutzes mit einem Verfahren wegen „Landesverrat“ überzogen. Die Pläne des Geheimdienstes sollten tunlichst nicht publik werden.
Warum gelang es dem Verfassungsschutz seine Position zu behaupten? Dazu muss man sich vergegenwärtigen, was seine ureigene Aufgabe ist. Seine Aufgabe ist nicht die Information der Öffentlichkeit oder der Schutz vor Neonazis. Es ist auch nicht die Verfassung zu schützen – ansonsten müsste er ja gegen diejenigen Bestrebungen vorgehen, die die in der Verfassung verankerten Grundrechte aushöhlen. Also auch gegen die von ihm selbst forcierten Überwachungspläne.
Der Verfassungsschutz dient als Geheimdienst den jeweiligen Regierungen. Sie definieren, was das „Staatswohl“ ausmacht, das zu schützen ist. Der Verfassungsschutz war seit je her ein Instrument zur Abwehr unerwünschter politischer Bewegungen. In erster Linie war er gegen Links gerichtet. Seine Aufgabe ist neben der Überwachung die öffentliche Feindmarkierung: Wer ist in Augen der Herrschenden ein „Extremist“ und soll deshalb aus dem öffentlich Diskurs ausgegrenzt werden?
Der Geheimdienst „Verfassungsschutz“ wird immer ein Fremdkörper in der Demokratie bleiben. Diejenigen Kräfte, die ihn nutzen, haben damit kein Problem. Für uns alle, die wir gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Freiheit, Gleichheit und Solidarität wollen, wird der Verfassungsschutz ein Feind bleiben.
Ein letztes Wort zu seiner angeblichen Rolle im Kampf gegen Rechts: Wir brauchen ihn dabei nicht, er kann kein „Partner“ sein. Alleine durch sein V-Leute-System richtet er ungeheuren Schaden an, wenn er führende Neonazis mit staatlichen Geldern alimentiert und vor Strafverfolgung schützt. Seine Ausstiegsprogramme, Comichefte und Vorträge sind nur Augenwischerei.
Im Kampf gegen neofaschistische und rassistische Gruppen und Tendenzen sollten wir auf die Kraft unserer breiten antifaschistischen Bewegung vertrauen.
Für einen unabhängigen Antifaschismus!
Verfassungschutz und alle anderen Geheimdienste auflösen!