In Ungarn wird eine blonde Polizistin vergewaltigt und ermordet. In der Öffentlichkeit entlädt sich der Hass auf ihren „Zigeuner-Mörder“ und seine ganze Volksgruppe. Der Rassismus gegen die Roma hat die Mittelschicht erreicht. Jetzt wird gar diskutiert, die Todesstrafe wieder einzuführen.
Als die Polizei den mutmaßlichen Täter verhaftet hatte, gab es in der Öffentlichkeit kein Halten mehr: Der Vergewaltiger und Mörder der 25-jährigen Polizeipsychologin Kata Bándy – „ein Zigeuner“, hieß es prompt. In ungarischen Internetforen rief ein entfesselter Mob zur „Endlösung der Zigeunerfrage“ auf. Gruppen von TV-Reportern sezierten die Familie und das Umfeld von László P. medial, Politiker plädierten für die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Ungarns einflussreicher Rechtsaußen-Publizist Zsolt Bayer, ein Mitbegründer der Regierungspartei Fidesz, schrieb: „Wir müssen es aussprechen: Der viehische Mörder war ein Zigeuner. In diesem Ungarn erleben Millionen Menschen, dass die Zigeuner sie ausrauben, schlagen, demütigen und ermorden. Wenn die Zigeunergemeinschaft diese Mentalität ihrer Rasse nicht ausrottet, dann ist klar: Mit ihnen kann man nicht zusammenleben.“
Selten zuvor hat ein Kriminalfall die Öffentlichkeit in Ungarn so aufgepeitscht wie der Mord an Kata Bándy Anfang Juli im südungarischen Pécs. Selten zuvor war ein derartiger Einzelfall Anlass für eine so massive Stigmatisierung einer ganzen Volksgruppe. Vor allem Rechtsextreme schürten nach dem Mord die antziganistische Stimmung. Inzwischen marschieren Einheiten der verbotenen paramilitärischen „Ungarischen Garde“ wieder auf im Land: Anfang August zogen rund tausend Rechtsextreme durch das Dorf Devecser in Westungarn, seit Tagen terrorisieren Mitglieder mehrerer rechtsextremer Bürgerwehren die Bewohner eines Roma-Viertels in der Stadt Cegléd südöstlich von Budapest. Am vergangenen Samstag feierten auf dem Budapester Heldenplatz Anhänger der verbotenen Garde die Gründung der Organisation vor fünf Jahren – und beschworen dabei die „Gefahr der massenhaften Vermehrung von Zigeunern“.
„Wir fühlen uns ausgeliefert und schutzlos“, sagt der Budapester Roma-Aktivist Jenö Setét. „Der Mord an Kata Bándy ist schrecklich, aber noch schrecklicher ist, dass wir seitdem kollektiv für schuldig erklärt werden und die staatlichen Institutionen nichts tun, um uns, die wir Bürger dieses Landes sind, besser zu schützen.“
Schon als die 25-jährige Kata Bándy Anfang Juli in ihrer südungarischen Heimatstadt verschwand, war das Medien- und Öffentlichkeitsinteresse an der gutaussehenden, blonden Polizeipsychologen riesig – „Missing White Woman Syndrome“ (MWWS) nennen US-Mediensoziologen ein solch überproportional hohes öffentliches Interesse an zunächst vermissten, später häufig ermordeten jungen, attraktiven Frauen.
Eine Volksgruppe wird kollektiv schuldig gesprochen
Im Fall von Kata Bándy berichteten nicht nur Fernsehsender, Zeitungen und Nachrichtenportale im Internet rund um die Uhr über jede Einzelheit des Falles. Auch in zahlreichen Internetforen und auf einer speziellen Facebook-Seite beteiligten sich zehntausende Menschen an der Vermisstensuche, diskutierten Täter-Theorien, nachdem die Polizei Bándys Leiche am 11. Juli in Pécs gefunden hatte.
Als der 26-jährige László P. fünf Tage später als mutmaßlicher Täter verhaftet wurde, kippte die Stimmung in der Öffentlichkeit: In vielen Medien wurde P. umgehend als „Mörder-Zigeuner“ gebrandmarkt und seine Existenz auf die Roma als Kollektiv projiziert. László P. war arbeitslos, lebte in überaus prekären Verhältnissen in einem heruntergekommenen Wohnhaus, ist mehrfach vorbestraft und hatte wegen Diebstahl und Raubes mehrere Jahre im Gefängnis gesessen. Details des Mordes an Kata Bándy ließen die Stimmung weiter aufheizen: László P. soll Kata Bándy äußerst brutal vergewaltigt und danach erwürgt haben. Angeblich, so sickerte aus Polizeikreisen durch, soll er in seinem Geständnis keine Reue gezeigt haben.
Zwar baten die Eltern von Kata Bándy die Öffentlichkeit in einer Presseerklärung ausdrücklich darum, den „Namen unserer Tochter nicht zum Vorwand für Hetze, Hass oder die Wiedereinführung der Todesstrafe zu missbrauchen“, allerdings vergeblich.
„Die Täter sind Zigeuner – wir brauchen die Todesstrafe“
Nicht nur die antiziganistische Stimmung hat in Ungarn einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit dem Mord führt vor allem die rechtsextreme Partei Jobbik („Die Besseren“), die bei den Wahlen 2010 17 Prozent der Stimmen erhielt, eine großangelegte Kampagne zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Der Jobbik-Parteichef Gábor Vona begründet das in einem Blogeintrag so: „Die Morde geschehen. Die Täter stammen zu 90 Prozent aus ein- und demselben soziokulturellen Milieu. Sprechen wir es aus: Sie sind Zigeuner. Die Opfer hingegen sind zu 100 Prozent Ungarn. Deshalb brauchen wir die Todesstrafe.“
Auch in der Regierungspartei „Bund Junger Demokraten“ (Fidesz) plädierten mehrere Politiker für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Zwar würde das gegen die ungarische Verfassung und gegen EU-Recht verstoßen. Dennoch soll das Thema nach der parlamentarischen Sommerpause Anfang September in der Fidesz-Fraktion diskutiert werden.
Pál Tamás, einer der prominentesten ungarischen Soziologen, ist von dem großen öffentlichen Echo auf den Bándy-Mord nicht überrascht. Er glaubt, dass der herkömmliche rechtsextreme Diskurs bei einer zunehmend verängstigten Mittelklasse auf immer größere Resonanz stößt. „Die Roma-Problematik nimmt in Ungarn und überhaupt in osteuropäischen Ländern immer mehr die Form eines Rassengegensatzes wie einst in den USA an“, sagt Tamás. „Inzwischen entwickelt sich dafür auch eine Begrifflichkeit. In Ungarn bezeichnet man die Roma-Bewohner heruntergekommener Großstadtviertel immer öfter als ‚Schwarze‘, zum Teil ist von ‚farbigen Mitbürgern‘ die Rede. In den gesellschaftlichen Reaktionen auf den Bándy-Mord zeigt sich, dass dieser neue Rassengegensatz und seine Begrifflichkeit auch in der Mittelklasse akzeptiert wird.“
Die Rechtsextremen etablieren den Begriff „Zigeunerkriminalität“
Schon einmal heizten zwei Verbrechen in Ungarn die Stimmung in der Öffentlichkeit ähnlich auf wie jetzt der Mord an Kata Bándy: Im Oktober 2006 prügelten Mitglieder einer Roma-Familie aus dem ostungarischen Dorf Olaszliszka einen Autofahrer vor den Augen seiner beiden minderjährigen Töchter zu Tode. Sie hatten ihn – völlig zu Unrecht – verdächtigt, ein elfjähriges Mädchen überfahren zu haben. Im Februar 2009 wurde der Handballspieler Marian Cozma in der westungarischen Stadt Veszprém bei einem Streit in einer Discothek erstochen, die Täter waren Roma.
Vor allem der schreckliche Lynchmord von Olaszliszka führte zu einem gesellschaftlichen Stimmungsumschwung in Ungarn. Die rechtsextreme Jobbik-Partei erlebte seitdem einen starken Zulauf, nach dem Modell der im August 2007 gegründeten paramilitärischen „Ungarischen Garde“ entstanden zahlreiche rechtsextreme Bürgerwehren. Der Jobbik-Partei gelang es, den Begriff der „Zigeunerkriminalität“ in Ungarn zu etablieren und ihm in weiten Teilen der Gesellschaft zur Akzeptanz zu verhelfen. Umfragen und soziologische Studien zeigen, dass Antiziganismus in Ungarn inzwischen im Denken eines großen Teils der Bevölkerung fest verankert ist.
Dabei beruhen viele Versatzstücke des Antiziganismus auf einer völlig verzerrten Wahrnehmung, etwa auf der verbreitete Annahme, Roma begingen besonders viele Morde. „Es gibt zwar keine ethnischen Kriminalitätstatistiken“, sagt György Virág vom Ungarischen Landesinstitut für Kriminologie (OKRI), „aber unsere Forschungen besagen, dass Roma im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung nicht überproportional viele Tötungsdelikte begehen.“
Die regierenden Jungdemokraten gehen auf widersprüchliche Weise mit dem Thema um. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán beispielsweise verurteilt Roma-Feindlichkeit periodisch als nicht hinnehmbar. Doch meistens fügt er dann hinzu, dass „die Roma“ sich integrieren und arbeiten müssten. So geschehen auch nach dem Bándy-Mord: Bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden der Landesselbstverwaltung der Roma (ORÖ), Flórián Farkas, Ende Juli, sagte Orbán mit Blick auf die Roma, es gehe nicht an, durch Kriminalität oder von Sozialhilfe zu leben; der Familie der ermordeten Kata Bándy sprach Orbán zugleich sein Mitgefühl aus. Der ORÖ-Chef Farkas sah sich bei dem Treffen gezwungen, seine ungarischen Landsleute darum zu bitten, wegen der Mordtat „nicht die gesamte Zigeunerschaft zu verurteilen“.
Wohin ein solches Hassklima führt, zeigte sich nach einem Verbrechen im November 2008: Damals wurde in der Gemeinde Kiskunlacháza das 14-jährige Mädchen Nóra Horák ermordet. Sofort machte der Bürgermeister der Gemeinde, József Répás, die Roma im Ort kollektiv für den Mord verantwortlich. Lange glaubte auch die ungarische Öffentlichkeit, Roma seien die Täter gewesen. Mehrere Roma-Jugendliche standen unter Mordverdacht, ihre Familie wurde aus dem Ort vertrieben. Sieben Monate nach dem Mord fasste die Polizei den tatsächlichen Mörder – einen ungarischen Nachbarn des Mädchens. Auf eine Entschuldigung des Bürgermeisters warten die betroffenen Roma bis heute.
Quelle: Spiegel
Stand: 27.08.2012