Category Archives: Analyse und Kritik des Antiziganismus

Kommunalwahlen in Ungarn: Den Roma den Krieg erklärt

Heute wird in Ungarn gewählt. Aber in einem sind alle Parteien hier gleich: Sie haben den Roma den Krieg erklärt, um bei den Wählern zu punkten. Eine Reportage aus Miskolc.

Wie ein Slum sieht das hier nicht aus. Nicht wie die Mini-Favela aus Wellblech, Pappe und Sperrholz, in der viele Roma mitten im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad hausen. Nicht wie die verrottenden Plattenbauten im Stadtteil Lunik 9 des ostslowakischen Kosice, mit Wohnungen ohne Fensterscheiben und Türen und massenweise Müll zwischen den Häusern. Auch eine Mauer hat niemand hier im nordostungarischen Miskolc (sprich: Mischkolz) um die Siedlung gezogen, wie das auf behördliche Anordnung mit einem Roma-Wohngebiet im rumänischen Baia Mare geschah. Keine sichtbare jedenfalls.

Im schönsten Nachmittagslicht liegt sie da, die Siedlung aus einstöckigen Häusern, auf halber Strecke zwischen der idyllischen Altstadt und der nicht minder hübsch am Hügelrand gelegenen mittelalterlichen Burg Diosgyör. Schmal vom grasgrün gesäumte Asphaltsträßlein. Kaum Autos, dafür viele fröhlich lärmende, bunt gekleidete Kinder. Malerisch blättert da und dort Putz von den Häusern, hin und wieder künden Satellitenschüsseln von Gegenwart. Und auf der nahe gelegenen Durchgangsstraße rumpeln die altertümlichen Bahnen der Tram-Linie 1 vorbei. Alles reif also für den Touristen-Werbeslogan „Romantik pur“? Schöner kann der Schein kaum trügen.

Betritt man die Siedlung der von 1 bis 10 nummerierten Straßen – oder der „Straßen ohne Namen“, wie sie hier genannt werden –, ist es vorbei mit dem Postkartenparadies. Noch dazu, wenn eine Gruppe unangekündigt hineinschlendert, mit Reporter, Dolmetscherin, Fotografin. „Was wollt ihr hier?“, fragen die Bewohner bohrend. „Keine Fotos!“, ruft jemand. Ein anderer: „Jedenfalls keine von den schlechteren Häusern!“ Ein großes Palaver folgt, und es braucht einige Überzeugungskraft, bis sich unter den Umherstehenden und schnell in der Siedlung verbreitet, dass man nicht in böser Absicht kommt.

Tatsächlich sind die Straßenzüge mit den 60 Häusern, in denen 250 bis zu achtköpfige Familien leben, hochpolitisches Kampfgebiet. Seit Bürgermeister Ákos Kriza angekündigt hat, die Roma-Siedlung komplett zu räumen, damit auf dem Gelände ein Parkplatz für das benachbarte Fußballstadion entstehen kann, gilt Miskolc ungarnweit als derzeit krassestes Beispiel für staatlichen Antiziganismus. Und vor den am heutigen Sonntag stattfindenden Kommunalwahlen in Ungarn überbieten sich die nahezu gleichauf liegenden Parteien – die sozialdemokratische MSZP, die stramm rechte Fidesz und die neofaschistische Jobbik (deutsch: die Besseren) – in roma-feindlichen Parolen, um bei den Wählern zu punkten.

Quelle: Der Tagesspiegel
Stand: 12.10.2014

Rassismus gegenüber Sinti und Roma: Die Rückkehr der Feindbilder

Zuwandernde Sinti und Roma sind in Deutschland nicht willkommen. Der Berliner Historiker Wolfgang Benz erläutert in einem Artikel für den Tagesspiegel, was hinter den anhaltenden Ressentiments steckt.

Den Sinti und Roma, der größten Minderheit in Europa, begegnet die Mehrheit der Deutschen öffentlich mit unreflektierter Ablehnung – und privat mit Hass. Wie kürzlich eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gezeigt hat, geht die Ablehnung der Sinti und Roma zudem mit stereotypen Vorstellungen über „die Zigeuner“ einher. Traditionell sind das die Klischees vom Nomadenleben, dem Freiheitsdurst, der unbändigen Musikalität und dem Drang, zu stehlen.

Aktuell werden zuwandernden Roma Ängste vor Armutszuwanderung entgegengebracht, mit der eine Ausplünderung der Sozialsysteme verbunden sei. Continue reading Rassismus gegenüber Sinti und Roma: Die Rückkehr der Feindbilder

Czech NGO releases exclusive survey by and about Romani women

Research released earlier this month by the Slovo 21 civic association on the position of Romani women in the Czech Republic found that most Romani women consider their children’s education to be very important. More than 600 Romani women were surveyed by the project.

The research endeavors to refute stereotypical notions about Romani people, specifically Romani women, on the basis of data. „The opinion prevails in the Czech Republic that Romani women do not want to educate themselves and work, that they have many children, and that they believe it is not important that their descendants receive a quality education. There was no relevant data to either confirm or deny such claims, which is why we decided to research the actual position of these women in Czech society and in the Romani community and reveal the challenges they face daily,“ the introduction to the study’s final report says.

The analysis of the survey findings was performed by an expert team at the Faculty of Humanities at Charles University in Prague. It shows that Romani women in the Czech Republic want to become educated, want to work, and want quality education for their children. Continue reading Czech NGO releases exclusive survey by and about Romani women

Vienna names square after Romani celebrity

Earlier this month a square in the Viennese quarter of Neubau was named after one of its celebrated, recently deceased residents, Ceija Stojka. A Romani woman, Ms Stojka survived three concentration camps, lived a travelling lifestyle for years after the war, and made her living as a carpet seller.

At the end of the 1980s she published her autobiography, called We Live in Seclusion – Memories of a Romni, which was published in Czech translation 20 years later by the Romano daniben association in collaboration with the Argo publishing house. In time she became a famous author and painter and was eventually granted an honorary professorship by a government minister.

As part of the „ordination“ of the square, a celebration was held in front of the chruch where Ms Stojka had regularly attended mass. Her relatives read from her books and played Romani songs, while the children in attendance were able to make masks if they felt like it. Continue reading Vienna names square after Romani celebrity

Rauswurf nach antiziganistischen Äußerungen: GEW will Korol ausschließen

Die Gewerkschaft GEW hat beschlossen, Martin Korol auszuschließen. Nach taz-Informationen werden seine Beiträge an antifaschistische Initiativen gespendet.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) will den Bürgerschaftsabgeordneten Martin Korol ausschließen. Der Bremer Landesvorstand der GEW hatte das bereits im Juli beschlossen, bislang aber nicht öffentlich gemacht.

Am Dienstag sei ein entsprechendes Schreiben an Korol verschickt worden, bestätigte nun GEW-Landesvorstandssprecher Bernd Winkelmann der taz. Der Beschluss sei einstimmig gewesen. Nun entscheide die „Landesschiedskommission“.

Korols Gewerkschaftsbeiträge sollen an Bremer Organisationen gespendet werden, die über „neofaschistische und rechtspopulistische Tendenzen“ aufklären. Außerdem sei er aufgefordert worden, sein Delegiertenmandat für den Gewerkschaftstag niederzulegen. Continue reading Rauswurf nach antiziganistischen Äußerungen: GEW will Korol ausschließen

Zentralrat der Sinti und Roma kritisiert Änderung des Asylrechts

Nach seiner Asyl-Einigung mit der Bundesregierung hat der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), viel Kritik einstecken müssen.

Doch nachdem sich die ersten Wogen geglättet haben, zeigten einige Parteikollegen auch Verständnis für die Entscheidung des ersten grünen Regierungschefs.

Durch Kretschmanns Ja war im Bundesrat am Freitag eine Mehrheit für die Abkürzung der Asylverfahren für Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zustande gekommen. Die Zahl der Asylbewerber ist seit Jahresbeginn stark angestiegen.

Die Berliner Grünen-Chefin Bettina Jarasch verteidigte Kretschmanns Alleingang. „Wir wissen, dass es uns allen um Verbesserungen für die Flüchtlinge geht“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Im Bundesvorstand, dem Jarasch angehört, sei lange darüber diskutiert worden. Die Grünen hätten versucht, das Maximum herauszuholen. Man müsse akzeptieren, dass Kretschmann bei diesem Kompromiss die Folgen für die Menschen in seiner Verantwortung abgewogen habe. Bei einem Scheitern der Verhandlungen hätten die Grünen im Vermittlungsausschuss zudem keinen Einfluss mehr gehabt. Continue reading Zentralrat der Sinti und Roma kritisiert Änderung des Asylrechts

Roma-Fußballer ohne Gegner

Der TJ Junior Roma ist Tabellenführer der dritten Kreisklasse im nordböhmischen Bezirk Decin. Doch seine Punkte hat der Roma-Verein allein am grünen Tisch gewonnen. Weil kein Gegner zum Spiel antritt.

Aus Sorge vor der angeblich brutalen Spielweise der Roma-Kicker verzichten die meisten Gegner bislang auf den Anpfiff der Partien. Trainer und Spieler vermuten offenen Rassismus hinter der Spielverweigerung. Eine internationale Diplomatenmannschaft spielt nun an diesem Wochenende gegen den TJ Junior Roma, um ein klares Zeichen gegen den Rassismus im tschechischen Fußball zu setzen.

Quelle: Deutschlandfunk
Stand: 18.09.2014

»Laßt uns Fackeln bauen«

Halle (Saale): Rassistische »Bürgerwehr« gegen Roma patrouilliert im Stadtviertel »Silberhöhe« und mobilisiert im Internet zu Pogromen

Erst Hetzparolen, dann ein Übergriff: In der Silberhöhe, einem Wohngebiet im sachsen-anhaltischen Halle (Saale), eskaliert der Fremdenhaß. Jetzt hat sich eine »Bürgerwehr gegen Roma« formiert, die ankündigt, regelmäßig »Streife« zu laufen. Das Bündnis »Halle gegen rechts« will nicht länger hinnehmen, »daß selbsternannte Ordnungshüter versuchen, andere Menschen zu bedrohen und anzugreifen«. Mit einer Demonstration unter dem Motto »Für Solidarität und Mitgefühl mit den Betroffenen rassistischer Gewalt« wollte das Bündnis gestern abend einem rassistischen »Rundgang« Kontra bieten und die Migranten schützen. Solche Szenen könnten sich nun Woche für Woche wiederholen.

Die Wohnungen in der Silberhöhe sind billig. Zu DDR-Zeiten lebten dort fast 40000 Menschen, vor allem Chemiearbeiter. Verblieben sind etwa 13000. Seit Jahren gilt das Plattenbauviertel als sozialer Brennpunkt. Als im April dieses Jahres 40 Familien aus Rumänien zuzogen, begann ein rassistischer Mob zu toben, zunächst im sozialen Netzwerk Facebook. Seit Anfang Juli existiert dort eine Gruppe namens »Bürger der Silberhöhe setzen sich zur Wehr«. Unter den inzwischen 674 Anhängern sind auch bekannte Neonazis. Die Gruppe ruft zum »Widerstand« gegen die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG) und die Roma auf. Der Stadtteil werde »mit Imigranten förmlich überschüttet« (Rechtschreibfehler im Original), heißt es. Und: Die Roma produzierten Müll, sorgten für Lärm und Diebstähle, bedrohten Anwohner. Continue reading »Laßt uns Fackeln bauen«

»Laßt uns Fackeln bauen«

Halle (Saale): Rassistische »Bürgerwehr« gegen Roma patrouilliert im Stadtviertel »Silberhöhe« und mobilisiert im Internet zu Pogromen

Erst Hetzparolen, dann ein Übergriff: In der Silberhöhe, einem Wohngebiet im sachsen-anhaltischen Halle (Saale), eskaliert der Fremdenhaß. Jetzt hat sich eine »Bürgerwehr gegen Roma« formiert, die ankündigt, regelmäßig »Streife« zu laufen. Das Bündnis »Halle gegen rechts« will nicht länger hinnehmen, »daß selbsternannte Ordnungshüter versuchen, andere Menschen zu bedrohen und anzugreifen«. Mit einer Demonstration unter dem Motto »Für Solidarität und Mitgefühl mit den Betroffenen rassistischer Gewalt« wollte das Bündnis gestern abend einem rassistischen »Rundgang« Kontra bieten und die Migranten schützen. Solche Szenen könnten sich nun Woche für Woche wiederholen.

Die Wohnungen in der Silberhöhe sind billig. Zu DDR-Zeiten lebten dort fast 40000 Menschen, vor allem Chemiearbeiter. Verblieben sind etwa 13000. Seit Jahren gilt das Plattenbauviertel als sozialer Brennpunkt. Als im April dieses Jahres 40 Familien aus Rumänien zuzogen, begann ein rassistischer Mob zu toben, zunächst im sozialen Netzwerk Facebook. Seit Anfang Juli existiert dort eine Gruppe namens »Bürger der Silberhöhe setzen sich zur Wehr«. Unter den inzwischen 674 Anhängern sind auch bekannte Neonazis. Die Gruppe ruft zum »Widerstand« gegen die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG) und die Roma auf. Der Stadtteil werde »mit Imigranten förmlich überschüttet« (Rechtschreibfehler im Original), heißt es. Und: Die Roma produzierten Müll, sorgten für Lärm und Diebstähle, bedrohten Anwohner. Continue reading »Laßt uns Fackeln bauen«

Ian Hancock: 500 000 Romani Holocaust victims? There could have been twice that

The repeated number of 500 000 Romani deaths in the Porrajmos is becoming the conventional, accepted total. But we do not know this for a fact. The documentation has not been completely located nor analyzed. We must guard against this figure becoming the accepted total, appearing in the (small number of) books that even acknowledge the genocide of our people. Is it a move to diminish the extent of the mass murder, the samudaripen, in the eyes of the world? If this low estimate can be shown to be true, this is surely a cause for gladness. But the number, in reality, was in fact much higher.

Nobel prize-winner Günther Grass asked: “Were the fates of the Jews and of the Roma and Sinti identical? We can only estimate the number, many more than one million Roma and Sinti were annihilated. But that is not the point. For me the decisive issue is the will to destroy, which was practiced in different ways.”

The question of the numbers of Romanies who were killed in the Holocaust is a vexed one. Given the nature of their mode of life, no reliable estimate of the pre-war European Romani population exists. Similarly, the circumstances of their dispatch at the hands of the Nazis make this a question which can never be fully answered. This was dealt with in some detail in Hancock (1988b) [„Uniqueness, Gypsies and Jews“, in Yehuda Bauer et al., Remembering for the future: Jews and Christians during and after the Holocaust], but relies here on König’s statement that Continue reading Ian Hancock: 500 000 Romani Holocaust victims? There could have been twice that