Am 2. August, dem »Roma Holocaust Memorial Day«, wird der Ermordung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus gedacht. Doch der Antiziganismus in Europa gehört nicht der Vergangenheit an.
In ganz Europa erstarkt derzeit der Antiziganismus, also der Hass auf Roma. Besonders krass manifestriert er sich seit mehreren Monaten in der Ukraine, wo extrem rechte Milizen regelrecht Jagd auf Roma machen. Brutaler Höhepunkt einer Serie gewalttätiger Übergriffe war die Ermordung eines 24jährigen Rom in Lwiw am 23. Juni während eines nächtlichen Angriffs auf eine Siedlung. Dabei wurden außerdem mehrere Roma, unter ihnen Kinder, schwer verletzt. Immer wieder gibt es schwere antiziganistische Gewalttaten in der Ukraine. Zu einer pogromartigen Vertreibung von Roma aus einem Kiewer Park kam es am 7. Juni. Die Täter, Mitglieder der rechtsextremen Miliz »National Druschyna«, waren mit Hämmern und Äxten bewaffnet – die Miliz besteht unter anderem aus Veteranen des Regiments Asow. Dieses ist einer der etwa 80 paramilitärischen Freiwilligenverbände, die gegen die von Russland unterstützten Separatisten im Osten des Landes kämpfen. Continue reading In Europa erstarkt der Antiziganismus – Hassverbrechen und Sondererfassung
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AfD-Anfrage: Wie viele Sinti und Roma leben in Sachsen?
Die Aufregung und Empörung über den Vorstoß des italienischen Innenministers Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega Nord, eine Zählung von Sinti und Roma in seinem Land durchzuführen, ist immer noch enorm. Ähnliche Vorstöße gibt es auch in Deutschland – von der AfD.
Am 13. Juni 2018 stellte der AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter eine kleine Anfrage an den sächsischen Landtag. Zum einen will Hütter wissen, wie viele Sinti und Roma seit 2010 in Sachsen leben, aufgeschlüsselt nach deutscher und anderer Staatsangehörigkeit – denn die deutschen Sinti und Roma seien nicht das Problem, wie es 2015 von der AfD Thüringen hieß. Über den Vorschlag, Sinti und Roma zählen zu lassen, hat Belltower.News bereits an anderer Stelle berichtet. Außerdem will Hütter unter anderem wissen, wie viele der Sinti und Roma Schüler*innen sind und ob die Schulpflicht hier eingehalten werde.
Zu den gängigen Vorurteilen, denen sich Sinti und Roma bis heute ausgesetzt sehen, gehört eine scheinbare Bildungsferne. Im Nationalsozialismus durften Sinti und Roma keine Schulen besuchen – danach hatten viele Eltern der Minderheit emotionale Probleme damit, ihr Kinder in Schulen zu schicken, in denen die gleichen rassistischen Lehrer*innen weiter unterrichten durften. Wie eine Studie von 2016 herausstellte, sind Schulen für Sinti- und Roma-Kinder in Deutschland nach wie vor keine sicheren Orte. Die Schule ist oft der erste Ort, an dem die Kinder der Sinti und Roma mit Vorurteilen konfrontiert werden.
Darüber hinaus möchte Hütter von der Landesregierung noch Informationen zur Wohnsituation und Sozialleistungen erhalten. Allerdings dürften seine Aussichten auf Antworten ziemlich erfolglos sein, schließlich werden in Deutschland keine Ethnien gezählt. Dementsprechend kann die Landesregierung hier gar keine Antworten liefern, weil es schlicht keine Zahlen zu gibt – und das ist auch gut so.
Sind für Tillschneider alle Bulgaren und Rumänen in Deutschland Sinti oder Roma?
Etwas besser kennt sich da der Rechtsaußen-AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider aus. Auch er wollte vergangenes Jahr etwas über Sinti und Roma wissen, um diese weiter zu stigmatisieren. Der Abgeordnete in Sachsen-Anhalt wollte von der Landesregierung wissen, wie viele Sinti und Roma in seinem Bundesland leben. „Sollte die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti und Roma nicht erfasst werden, frage ich, wie viele bulgarische und rumänische Staatsangehörige insgesamt im Land Sachsen-Anhalt leben“, ist in seiner Anfrage zu lesen.
Natürlich sind nicht alle Bulgaren und Rumänen Sinti oder Roma und natürlich sind auch nicht alle in Deutschland lebenden Sinti und Roma gebürtig aus Bulgarien und Rumänien. Aber um Korrektheit geht es Tillschneider nicht, der übrigens in Rumänien geboren wurde. Seine Anfrage „Straffälligkeit von EU-Bürgern aus der Volksgruppe der Sinti und Roma“ implizieren bereits, dass Sinti und Roma Kriminelle und Schmarotzer seien, die das Sozialsicherungssystem ausnutzten.
Ähnliche AfD-Anfragen zu Sinti und Roma
Eine ähnliche kleine Anfrage wurde 2015 von Abgeordneten der AfD in Hamburg mit dem Titel „Integration von Roma“ gestellt. 2014 stellte die AfD im Thüringer Landtag die Kleine Anfrage „Abschiebung und Abschiebehindernisse II“, in welcher der Protest gegen die Abschiebung von Roma-Familien als kriminelle Tat dargestellt wurde. In Berlin stellten Abgeordneten der AfD 2017 eine Kleine Anfrage an den Senat, in der versucht wurde, den Roma-Verein Amaro Foro mit vermeintlich linksextremen Organisationen in Verbindung zu bringen.
AfD-Anfragen: Diffamierung der Gegner
Vom Recht, der Regierung Fragen zu stellen, macht traditionell vor allem die Opposition Gebrauch – es ist ein Instrument parlamentarischer Kontrolle. Die AfD hat daran offenbar großen Gefallen gefunden. Sie nutzt das Instrument der parlamentarischen Anfrage, um unliebsame politische Gegner, Geflüchtete, Muslime, aber auch Sinti und Roma zu diffamieren. Schaut man sich die Anfragen der AfD an, fällt auf, dass diese in den meisten Fällen immer erstaunlich kurz sind und offenbar nur mit Minimalaufwand erstellt wurden. Die AfD-Abgeordneten versuchten sich selbst als „Anwälte der Bürger*innen“ darzustellen, beispielsweise in dem sie aufzuzeigen versuchen, an welchen Punkten der Staat vermeintlich Steuergelder an Sinti und Roma verschwendet. Auffallend ist jedoch, dass die Anfragen, sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene oft stümperhaft sind.
Im Falle der Hütters-Anfrage zur Auflistung von Sinti und Roma in Sachsen ist es möglich, dass dem Antragsteller einfach unbekannt ist, dass es keine Erfassung von Sinti und Roma in Deutschland gibt. Vielleicht ist der Sinn der Anfrage aber schlicht Provokation. Schließlich gehört es zum Konzept der AfD, stetig neue und weitere rote Linien zu überschreiten und die Grenzen des Sagbaren immer stärker auszudehnen.
Quelle: Bell Tower News
Stand: 26.06.2018
Anti-Roma pogroms in Ukraine: C14 and tolerating terror
Three anti-Roma pogroms within a month mark a worrying escalation of racist violence by neo-fascist militias in Ukraine, and evidence of official collusion is a deeply sinister added element. The European Roma Rights Centre (ERRC) has expressed its deep concern at the lax response from law enforcement agencies to racially motivated violence, which renders minorities even more vulnerable, and besmirches the image political leaders in Kyiv strive to cultivate of a tolerant, forward-looking nation.
The U.S. Embassy in Ukraine called on law enforcement officers to investigate the recent attacks on Roma and tweeted the following: “No one in Ukraine should live in fear because of who they are. We urge law enforcement to investigate recent attacks on Roma. Justice and Tolerance for minority communities are key in the new Ukraine.” Continue reading Anti-Roma pogroms in Ukraine: C14 and tolerating terror
Diskriminierung gegen Roma
Der Berliner Verein Amaro Foro hat für 2017 einen starken Anstieg antiziganistischer Diskriminierung in Berlin verzeichnet. Waren es 2016 noch 146 Vorfälle, die in der Jahresdokumentation benannt wurden, sind für das letzte Jahr 252 Vorfälle angegeben. Dazu zählen Fälle behördlicher Diskriminierung unter anderem bei Jobcentern, Kindergeldstellen und Kindertagesstätten ebenso wie stereotypisierende Medienberichte oder Online-Kommentare. Amaro Foro konstatiert hier eine „deutliche Verrohung der Diskurse.“
Stand: 26.05.2018
Quelle: Amaro Foro, neues deutschland
Ordnungsamt Frankfurt am Main stempelt rechtswidrigen und diskriminierenden und Vermerk in Pass von Roma aus Rumänien
Der Sozialberatung des Förderverein Roma liegt der Pass einer Romni aus Rumänien vor, in den ein Mitarbeiter des Ordnungsamts Frankfurt den Vermerk „Beim aggressiven Betteln angetroffen“ mit Datum und Unterschrift gestempelt hat.
Die Passinhaberin berichtet, ein Schild mit Bitte um eine Spende hätte zum Vermerk und zur Überprüfung der Papiere auf der Wache geführt. Die Situation ist von der Frau und ihrer Freundin, die ebenfalls ein Vermerk in den Pass erhielt, als bedrohlich und ängstigend erlebt worden. Auf eine Übersetzung wurde seitens des Ordnungsamtes nicht geachtet.
Beide Frauen kommen aus der rumänischen Stadt Gheorgheni. Roma leben dort in ärmlichen Hütten ohne jegliche Versorgung, sind vom Regelschulbesuch ausgeschlossen und konfrontiert mit neonazistischen Pogromen.
Der beschriebene Eintrag entbehrt nach Auffassung des Förderverein Roma jeder Rechtsgrundlage und führt zur Ungültigkeit des Passdokuments, das Eigentum des rumänischen Staates ist. Das Vorgehen zeigt in skandalöser Weise die Spitze von Ausgrenzung und Stigmatisierung. Die Passinhaberin wird ungeachtet der Entwertung bei jeder Überprüfung durch den Stempel denunziert, jeder Grenzübertritt wird zum Spießrutenlauf. Der ebenso unmenschliche wie unrechtmäßige Verwaltungsakt erinnert zudem an rassistische Vermerke in Passdokumenten von Roma und Sinti, deren Intention allein in der Herabwürdigung, Verfolgung und Demütigung der Betroffenen lag.
Nach der Räumung der Brache im Frankfurter Gutleutviertel und dem Camp an der ehemaligen Europäischen Zentralbank, nach dem Vertreiben von Roma-Frauen in der Gutleutstraße und den aktuellen Barverwarnungen stellt der Sichtvermerk im Pass eine weitere Eskalationsstufe dar, deren Ziel die Vertreibung von obdachlosen Roma-MigrantInnen aus der Stadt Frankfurt ist.
Statt Alternativen bereit zu stellen und Armut zu bekämpfen, werden, wie in anderen deutschen Städten, Ausgrenzung und Kriminalisierung favorisiert. Letztlich endet die Praxis in der Absicht, den Aufenthalt durch den Entzug der Freizügigkeit zu beenden und die Abschiebung mit Rückreisesperre durchzusetzen – eine umfangreiche Entrechtung von EU-BürgerInnen.
Der Förderverein Roma leitet rechtliche Schritte gegen die Verfahrensweise des Ordnungsamtes Frankfurt ein. Darüber hinaus wird der Anspruch auf Schadenersatz geprüft und der Datenschutzbeauftragten des Landes Hessen sowie das rumänische Generalkonsulat über den Vorfall informiert.
Ffm., den 13.2.2018
Quelle: Förderverein Roma
Stand: 14.03.2018
Streit über Eintrag in Reisepässen
„Beim aggressiven Betteln angetroffen“ – Der Frankfurter Förderverein Roma ärgert sich über handschriftliche Einträge des Ordnungsamtes in Reisepässen. Das Amt räumt mindestens einen Verstoß ein.
Die Verantwortlichen des Frankfurter Fördervereins Roma haben ihre Worte mit Bedacht gewählt. Deshalb fallen sie so heftig aus. Von einem ebenso „unmenschlichen“ wie „unrechtmäßigen“ Verwaltungsakt ist in einer Pressemitteilung von Mitte letzter Woche die Rede. Der eigentliche Anlass ist auf den ersten Blick eine Kleinigkeit: Ein Stempel und ein handschriftlicher Vermerk in einem Reisepass. Für die Inhaberin des Dokuments könnte diese „Kleinigkeit“ jedoch gravierende Folgen haben.
Der Stempel trägt nach Angaben des Fördervereins das Logo des Frankfurter Ordnungsamts. Der handschriftliche Vermerk lautet: „Beim aggressiven Betteln angetroffen“. Ein Mitarbeiter der Ordnungsbehörde soll diesen Eintrag in den rumänischen Reisepässen zweier Frauen vorgenommen haben, die zuvor mit einem Schild um Spenden gebeten hatten. Unklar ist, wo sich der Vorfall ereignete.
Nach Auffassung des Fördervereins verstößt der Vermerk gegen geltendes Recht und macht darüber hinaus die Reisepässe beider Frauen ungültig. „Das Vorgehen zeigt in skandalöser Weise die Spitze von Ausgrenzung und Stigmatisierung“, heißt es in der Pressemitteilung. „Die Passinhaberin wird ungeachtet der Entwertung bei jeder Überprüfung durch den Stempel denunziert, jeder Grenzübertritt wird zum Spießrutenlauf.“
Das Frankfurter Ordnungsamt bestätigt auf Anfrage der FR, dass es zumindest in einem Fall zu einem entsprechenden Eintrag gekommen sei. „Derlei Einträge sind in der Tat nicht zulässig“, erklärt Ralph Rohr, Sprecher des Ordnungsamtes. Der Mitarbeiter, der diese vorgenommen habe, habe die geltende Rechtslage falsch ausgelegt. Er sei „eindringlich sensibilisiert“ worden.
Zudem sei in einem Rundschreiben an alle Mitarbeiter des Ordnungsamtes darauf hingewiesen worden, dass derartige Vermerke nicht zulässig sind. Gemäß der Aufenthaltsverordnung des Bundes müssen Ausländer – auch EU-Bürger – gewisse Einträge in ihren Reisepässen dulden. Dazu zählen etwa Angaben zu Ein- und Ausreise, aber gegebenenfalls auch über das „Antreffen im Bundesgebiet“.
Weitere Angaben sind dem Wortlaut des Gesetzes nach nicht vorgesehen.
Aus Sicht des Fördervereins dient der mutmaßlich rechtswidrige Eintrag dem Ziel der „Vertreibung von obdachlosen Roma-Migranten“ aus der Stadt. Der Verein kündigt, an rechtliche Schritte gegen das Ordnungsamt einzuleiten sowie mögliche Schadenersatzansprüche zu prüfen.
Quelle: Frankfurter Rundschau
Stand: 14.04.2018
Nationalisten brennen linkes Hausprojekt nieder
In Thessaloniki greifen Neonazis linke und antinationale Projekte an
Hunderttausende beteiligten sich am Sonntag an einer Großkundgebung im nordgriechischen Thessaloniki, die sich gegen die Nutzung des Wortes Mazedonien durch die benachbarte ehemalige jugoslawische Teilrepublik richtete. Die nördliche Region Griechenlands trägt ebenfalls den Namen Mazedonien. Am Rande der patriotischen Versammlung fanden faschistisch motivierte Angriffe auf zwei besetzte Häuser statt. Vermummte verübten einen Brandanschlag auf die anarchistische Besetzung »Libertatia«. Wie Videos zeigen, schritt die anwesende Polizei nicht ein. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude brannte völlig aus.
Am Freitag hatte Griechenland mit der »Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien« (»Former Yugoslav Republic of Macedonia«, FYROM) in New York erneut Verhandlungen im Namensstreit begonnen. Kritiker wie die rechte Politikerin Maria Kollias-Tsaroucha (ANEL) werfen FYROM vor, eine falsche Nationalidentität zu schaffen. Unter dem Motto »Mazedonien ist griechisch« versammelten sich am Nachmittag nach Schätzungen der Polizei etwa 90 000 Menschen aus ganz Griechenland an der Hafenpromenade in der Nähe des Weißen Turms. Gegner der nationalistischen Kundgebung hatten das Wahrzeichen in der Nacht zum Sonntag mit Parolen wie »Eingeschlafen als Patriot, aufgewacht als Faschist« besprüht. Außerdem organisierten anarchistische Gruppen eine Gegendemonstration, an der sich etwa 300 Personen beteiligten.
Die griechisch-orthodoxe Kirche, die viele der rund 400 angereisten Busse organisiert hatte, veranstaltete vor der Kundgebung einen Gottesdienst. Neben Vertretern der konservativen Opposition Nea Dimokratia und dem Koalitionspartner von Tsipras, der rechtspopulistischen ANEL, beteiligte sich ein großer Block mit ultrarechter Prominenz wie der ehemalige Generalstabschef der Griechischen Armee Frangos Frangoulis, der in einer Rede die Nachbarn als »Zigeuner von Skopje« ansprach. Starke Präsenz zeigte die neonazistische Partei Chrysi Avgi, die seit 2012 im Parlament vertreten ist, mit ihrem Parteisprecher Ilias Kasidiaris. Im Verlauf der Demonstration wurde am Sonntag Mittag das Denkmal der ermordeten Juden Thessalonikis am Platz der Freiheit (Platia Elefteria) mit »Chrysi Avgi« beschmiert.
Die parallel stattfindenden Angriffe auf zwei der nunmehr fünf besetzten Sozialen Zentren ist ein herber Schlag gegen die linke Infrastruktur der Stadt. Kurz vor dem Start der Kundgebung warfen Vermummte vor den Augen der untätigen MAT-Beamten – Spezialeinheit, die bei Demos zum Einsatz kommt – Steine gegen das »Soziale Zentrum Scholio« (Schule). Doch die im Gebäude Anwesenden konnten den Angriff erfolgreich abwehren. Wenig später wurde auch eine kleine Gegenkundgebung von etwa 150 Rechten angegriffen. Diesmal setzte die Polizei Tränengas ein, um ein Aufeinandertreffen der Gruppen zu verhindern.
Quelle: neues Deutschland
Stand: 06.02.2018
Prozess der Woche: Der Hetzer, der im Fall Elias Sinti und Roma böswillig beschimpfte
Der sechsjährige Elias aus Potsdam war noch nicht lange verschwunden, und viele Menschen bangten um das Schicksal des Jungen aus dem Potsdamer Stadtteil Schlaatz, da begannen im Internet auch schon die Diffamierungen.
Vor allem ein Mann fiel auf: Simon K. Auf der Seite der öffentlichen Facebook-Gruppe „Suche Elias“ soll der Mann aus Potsdam am 11. Juli 2015 – also drei Tage nach dem Verschwinden des Jungen – seine Hetze verbreitet haben. „Dreckige Romas diese Inzest Missgeburten, entführen wohl auch Kinder!“ kommentierte er. Einem Leser fiel der Post auf. Er zeigte Simon K., der den Kommentar unter seinem Klarnamen veröffentlicht hatte, an. Ebenso die Facebook-Nutzer, die den Post geliked hatten.
Am kommenden Mittwoch muss sich Simon K. wegen seiner geschriebenen Worte vor dem Amtsgericht in Potsdam verantworten. „Die Anklage wirft dem Mann Volksverhetzung vor“, sagt ein Sprecher des Amtsgerichts. Continue reading Prozess der Woche: Der Hetzer, der im Fall Elias Sinti und Roma böswillig beschimpfte
Paul „Sido“ Würdig: „Wir wurden Zigeunerpack genannt“
Der Rapper mit den Sinti-Wurzeln redet im Interview über Antiziganismus, sein Familienleben und Rap für Erwachsene.
Die Hochzeit mit seiner Frau Charlotte, mit der er zwei Kinder hat, hat ihn verändert. „Ich bin ein Familienmensch“, sagt der Berliner Rapper Paul „Sido“ Würdig. Im Film „Eine Braut kommt selten allein“ (Das Erste, 20.15 Uhr) spielt er nun den Hartz-IV-Empfänger Johnny. Dessen Leben ändert sich schlagartig, als er die attraktive Romni Sophia trifft. Die quartiert kurzerhand ihre Familie bei ihm ein. Für Sido, der selbst Sinti-Wurzeln hat, war der Dreh eine „Herzensangelegenheit“.
Was ist Ihre Filmfigur für ein Typ?
Würdig Ein Verlierer. Sein Problem ist das Kiffen. Manche Menschen werden dadurch antriebslos. Johnny ist einer davon. Und er kann verdammt schlecht Nein sagen.
Fällt Ihnen das privat auch schwer?
Würdig Nee, im Gegenteil: Ich kann sehr gut abwägen, was gut und was schlecht für mich ist. Dass ich eine ganze Roma-Familie bei mir einquartiere, kann mir nicht passieren (lacht). Aber sehr wahrscheinlich würde ich ihnen meine Hilfe anbieten.
Der Film behandelt das Leben von Sinti und Roma in Deutschland. Wurden Sie schon einmal diskriminiert?Würdig Ich selbst nicht. Ich bin ja ziemlich hellhäutig geraten. Aber meine Mutter wurde früher wegen ihrer dunklen Hautfarbe als „Neger“ oder „Kanake“ beschimpft. Als wir ins Märkische Viertel zogen, änderte sich das. Dort wohnten viele Migranten. Alle steckten in derselben Lage.
Und heute?
Würdig Seit wir im Berliner Randbezirk wohnen, hören wir es wieder häufiger. Dort ist man noch nicht so auf „fremde Menschen“ eingestellt. Vor einiger Zeit bekamen wir einen Brief, in dem wir als „Zigeunerpack“ betitelt wurden. Mir ist das egal. Aber meiner Mutter geht das sehr nahe.
Wird Antiziganismus Ihrer Meinung nach in Deutschland ausreichend thematisiert?
Würdig Ich denke, es wird zu wenig über Diskriminierung von Sinti und Roma gesprochen. Das ist eine Randgruppe der Randgruppen, die sehr wenig Aufmerksamkeit bekommt.
Wie halten Sie privat die Balance zwischen Job und Familienleben?Würdig Ich teile mir das gut ein. Ich arbeite gerne und bin fleißig. Aber ich nehme mir auch sehr viel Zeit für die Familie.
Hat sich das bei Ihnen mit den Kindern verändert?
Würdig Meinen ersten Sohn hatte ich ja schon mit 19. Ich denke eher, die Hochzeit hat mich verändert, das Haus, die Ruhe. Ich bin ein kompletter Familienmensch.
Würden Sie irgendwann Sido Sido sein lassen, um mehr Zeit für die Familie zu haben?
Quelle: RP Online
Stand: 12.12.2017
Würdig Mit Sido ist es irgendwann eh vorbei. Und dann höre ich von alleine auf zu singen. Ich werde dem Ruhm nicht hinterherrennen.
Fühlen Sie sich zu alt für Rap?
Würdig Es gibt auch einen HipHop, den wir Älteren machen können. Aber er muss erwachsener sein, nachdenklicher. Rappen kann man immer. Man muss sich nur selbst treu bleiben.
Roma-Day in Berlin: Aufstehen gegen Rassismus und Nationalismus
Mehr als 70 Jahre nach dem Genozid an Sinti und Roma gehören massive Diskriminierung und Ausgrenzung für beide Minderheiten immer noch zum Alltag. In Berlin kamen daher zum „Romaday“ Angehörige beider Gruppen sowie Vertreter aus Politik und Gesellschaft zusammen, um nach neuen Lösungsansätzen für die Praxis zu suchen.
Holocaust. Shoa. Fast jeder kennt diese Begriffe: Sie stehen für den Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland. Aber wie vielen Deutsche sagt der „Porajmos“ etwas? Der Ausdruck bedeutet übersetzt „Das Verschlingen“ und ist eine Bezeichnung für die systematische Ermordung von Sinti und Roma während der NS-Zeit in Deutschland und Europa. Die geschätzten Opferzahlen schwanken zwischen 200.000 bis hin zu einer halben Million Menschen. Sicher aber ist: Es war ein Völkermord. Ein Völkermord, der erst 1982 durch die sozialliberale Koalition von Kanzler Helmut Schmidt anerkannt wurde. Vor gerade einmal fünf Jahren wurde den Opfern ein Denkmal im Berliner Tiergarten gewidmet. Continue reading Roma-Day in Berlin: Aufstehen gegen Rassismus und Nationalismus