Category Archives: Geschichte des Antiziganismus

Antiziganistische Symbollehre: Der Besen vor der Tür

Zigeunerbesen I
Ähnlich wie der Antisemitismus besitzt auch der Antiziganismus eine christliche Traditionslinie. Dabei wurden Sinti und Roma von der Mehrheitsbevölkerung häufig in die Nähe des Teufels gerückt. Der kritische Historiker Wolfgang Wippermann [1] führt aus:

Verteufelt wurden neben den Juden und den hier unbedingt zu erwähnenden Hexen jedoch auch die Sinti und Roma. Anlaß und Beweis dafür war einmal die Hautfarbe der Sinti, die von den Chronisten als schwarz“ angegeben wurde. Schwarz galt nicht nur als häßlich und abscheulich, sie war auch die Farbe des Teufels. Den als abscheulich“ und schwarz“ bezeichneten Sinti wurde zusätzlich unterstellt, wie die Juden und Hexen geheime Kontakte mit dem Teufel zu unterhalten, von dem sie gewisse teuflische Fähigkeiten erworben hätten. Dazu wurde das Wahrsagen und Aus-der-Hand-Lesen sowie allerlei Schadenszauber gerechnet, durch den Sinti die Ernte der Bauern vernichten und ihre Scheunen und Häuser verbrennen könnten.

Gegen die „teuflischen Zigeuner“ halfen dem Aberglaube nach bestimmte (magische) Rituale wie der „Zigeunerbesen“. Wippermann [1]:

Er stammt aus dem mittelalterlichen Hexen- und Teufelsglauben, wonach Hexen vom Teufel die Fähigkeit hätten, auf Besen durch die Lüfte zu reiten, um sich dann auf dem Blocksberg mit dem Teufel zu paaren. Genau wie man Vampire mit Kruzifixen in Schach hält, wollten die guten norddeutschen Kaufleute die Sinti und Roma mit dem teuflischen Besen-Symbol abschrecken. Der Erfolg dieser Aktion war jedoch mäßig. Verschiedene Sinti und Roma hielten die Zigeunerbesen“ für Sonderangebote und fragten nach ihrem Preis.

Ironischerweise ist der Beruf der Besenmacher ein Beruf, der traditionell von Roma häufig ausgeübt wurde.

Alles Geschichte? Der mittelalterliche Brauch des „Zigeunerbesen“ lebt bis heute fort.
Zigeunerbesen II

Zum Beispiel Rostock 1992
Es war im Sommer 1992 als sich Anwohnerinnen und Anwohner in Rostock-Lichtenhagen durch die Überbelegung eines Wohnheims durch zumeist osteuropäische Roma gestört fühlten. Daraufhin griffen sie es gemeinsam mit zugereisten Neonazis zwei Nächte hintereinander mit Steinen und Molotowcocktails an (Vgl. Ännecke Winckel: Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland, Münster 2002, Seite 90-92).
Der spezielle antiziganistische Gehalt der rassistischen Pogrome wird bis heute leider kaum erwähnt. So wird in der sehr sehenswerten TV-Dokumentation „The truth lies in Rostock“ aus dem Jahr 1993 erwähnt, dass unmittelbar vor Beginn der Gewalttaten ein anonymer Anruf bei der lokalen Zeitung: „Am Sonntag werden wir auf die Straße gehen. […] Die Roma werden aufgeklatscht.“
In der sehr TV-Doku wird auch das Auftauchen der „Zigeunerbesen“ in Rostock unmittelbar vor den Pogromen erwähnt („[…] doch Ladenbesitzer müssen Besen in ihre Fenster stellen, um Ausländer zu vertreiben.“).
Zigeunerbesen III

Wippermann schreibt zu dem hartnäckigen Fortbestehen des antiziganistischen Brauchs [1]:
Die Zigeunerbesen“-Geschichte bestätigt die These des Philosophen Ernst Bloch, wonach Deutschland ein Land der Ungleichzeitigkeit“ sei. Neben modernen und aufgeklärten gäbe es hier auch ausgesprochen unmoderne und unaufgeklärte Denk- und Verhaltensweisen sowie abergläubische Praktiken. Antiziganistische Vorurteile wie die von den teuflischen Zigeunern“ gehören zweifellos hierher. Dennoch ist der Antiziganismus insgesamt keineswegs nur als Produkt und Erscheinungsform vergangener unmoderner und aufgeklärter Zeiten und Denkformen anzusehen. Aufklärung und Moderne haben ganz im Gegenteil zu seiner Radikalisierung beigetragen.

[1] Wolfgang Wippermann: Antiziganismus – Entstehung und Entwicklung der wichtigsten Vorurteile. „Zwischen Romantisierung und Rassismus“, aus: Landeszentrale für politische Bildung (Hg.): Sinti und Roma. 600 Jahre in Deutschland, 1998

Antiziganismus von Links: ein historisches Beispiel

In der Schriften-Sammlung „Der kurze Sommer der Anarchie“, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, finden sich zwei kleine Berichte (Seite 205-206) darüber, wie der berühmte spanische Anarchist und Revolutionär Buenaventura Durruti 1936 eine Gruppe spanischer Roma (vermutlich Kale) zur Arbeit an einer Straße von Pina de Ebro zu dem Dorf Monegrillo gezwungen hat. Als Begründung für diese Zwangsarbeit wird das antiziganistische Stereotyp von der angeblichen Arbeitsunwilligkeit von Roma angeführt.

War Durruti ansonsten auch in vielen Bereichen ein vorbildhafter Idealist, so darf dieser Aspekt in der Biografie des Anarchisten nicht verschwiegen werden.

Der Mitkämpfer Ricardo Sanz berichtet:

Diese Straße heißt bei den Bewohnern heute noch »Die Straße der Zigeuner«. Durruti hatte nämlich in seinem Operationsgebiet einige Zigeunerlager vorgefunden, und er brachte es fertig, das wandernde Volk zum Straßenbau zu überreden. Was andern wie ein Wunder erschien, nannten die Zigeuner freilich »eine Strafe Gottes«.

Heißt es bei Sanz noch „überreden“, so wir in dem Bericht von Gaston Leval eindeutig klar, dass es sich um Zwangsarbeit handelt:

Als die Kolonne Durruti nach Aragon vordrang, stieß sie auf ein Zigeunerlager. Ganze Familien kampierten da auf freiem Feld. Das war insofern unangenehm, als diese Leute sich um den Frontverlauf nicht im geringsten kümmerten und nach Belieben herüber- und hinüberwechselten. Es war nicht ausgeschlossen, daß sie sich als Kundschafter für Franco mißbrauchen ließ. Durruti dachte über das Problem nach. Dann ging er zu den Zigeunern und sagte ihnen: »Als erstes, meine Herrschaften, werdet ihr euch anders anziehen und das gleiche Zeug tragen wie wir.« Die Milizsoldaten trugen damals alle Monteurskittel, Overalls, und das in der Juli-Hitze! Die Zigeuner waren nicht gerade begeistert. »Heraus aus euren Lumpem! Was die Arbeiter tragen, das steht euch auch zu.« Die Zigeuner merkten, daß Durruti nicht zum Spaßen aufgelegt war, und zogen sich um. Aber damit nicht genug. »Jetzt, wo ihr Arbeitskleider habt, jetzt könnt ihr auch arbeiten«, fuhr Durruti fort. War das ein Heulen und Zähneknirschen. »Die Bauern hier haben ein Kollektiv gegründet und beschlossen, eine Straße zu bauen, damit ihr Dorf einen Weg zur Hauptstraße hat. Hier habt ihr Schaufeln und Pickel, auf geht’s!« Was blieb den Zigeunern anders übrig. Und von Zeit zu Zeit kam Durruti selbst vorbei und sah nach, wie die Arbeit voranging. Er freute sich diebisch darüber, daß er die Zigeuner dazu gebracht hatte, ihre Hände zu gebrauchen. »Der Seno‘ Durruti ist da!« flüsterten sich die Zigeuner zu, mit ihrem andalusischen Akzent, und erhoben die Hand zum antifaschistischen Gruß; das heißt, sie streckten ihm die geballten Fäuste hin, und Durruti verstand sehr wohl, was sie damit sagen wollten.

Interessant ist, dass hier mitten im Spanischen Bürgerkrieg einer Randgruppe Illoyalität bzw. Spionage („daß sie sich als Kundschafter für Franco mißbrauchen ließ“) und ein fehlender Arbeitsethos unterstellt werden. Ganz in der Tradition antiziganistischer Vorurteile.
Der Arbeitsethos der Mehrheitsbevölkerung und die Loyalität werden letztendlich mit Gewalt sicher gestellt bzw. erzwungen. Dies geschieht durch eine Art von Zwangsassimilierung der Roma, die gezwungen werden die (Arbeiter-)Kluft der anarchistischen Milizen zu tragen. Entgegen dem anarchistischen Ideal reproduziert Durutti unter der scheinbaren Notwendigkeit des Krieges Herrschaft und Diskriminierung gegenüber einer randständigen Bevölkerungsgruppe. Spätere libertäre Generationen entwickelten glücklicherweise eine ausgeprägte Kritik des kapitalistischen Arbeitsethos.

Porrajmos — the persecution of the Roma and Sinti by the Nazis

The Roma and Sinti have their own term for their genocide at the hands of the Nazis. They call it the Baro Porrajmos which means the “Great Devouring.” The total number of Roma and Sinti (Gypsies) who were murdered in the Nazi death camps is still unknown. The US Holocaust Memorial Museum estimates that 220,000 were killed, but other sources put the total deaths at 500,000 or more than half the total number of Gypsies in all the countries of Europe.

After World War II ended, Germany gave compensation to the Jewish survivors, but compensation claims by the Gypsies were denied by the Germans in the 1950s on the grounds that the Gypsies had been persecuted under the Nazi regime because they were “asocial” or had broken the laws of the country, not because of racism. After a few years of protest by the Gypsies, compensation was finally given to the survivors.

In October 1999, I visited the Buchenwald Memorial Site near Weimar, Gemrany. I purchased the camp guidebook from the Buchenwald Museum. Continue reading Porrajmos — the persecution of the Roma and Sinti by the Nazis

Der Boxer, der nicht siegen durfte

Diffamiert von den Nazis, weil er ein Sinto war – 1942 wurde Johann „Rukeli“ Trollmann ins KZ Neuengamme gesteckt und 1944 ermordet.

Im Ring war er kaum zu besiegen. Doch sein größter Gegner war kein fairer Sportsmann. 1944 wurde der Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann im KZ erschlagen. In Berlin-Kreuzberg trägt jetzt eine Sporthalle seinen Namen.

Vielleicht hat Johann Trollmann die Halle am Kreuzberger Marheinekeplatz, die nunmehr seinen Namen trägt, mit eigenen Augen gesehen, auf dem Weg zu seinem größten sportlichen Triumph. Denn ganz in der Nähe, im Sommergarten der Bockbierbrauerei in der Fidicinstraße, wurde am 9. Juni 1933 der Kampf um die Deutsche Meisterschaft der Berufsboxer im Halbschwergewicht ausgetragen. Trollmann, eigentlich zu leicht für diese Gewichtsklasse, traf auf den favorisierten, für seine Schlagkraft berühmten Adolf Witt aus Kiel. Doch mit seinem als „Trollmann-Tanz“ bekannten Kampfstil siegte David über Goliath. Continue reading Der Boxer, der nicht siegen durfte

Guter Rat an die Lebenden

Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wird eine Straße in Berlin-Friedrichshain den Namen Ede-und-Unku-Weg erhalten. Dieses Ereignis gedenkt der toten und soll ein Zeichen sein für die lebenden Juden, Sinti und Roma im Land.

Der Name erinnert an ein Buch, seine Helden und an die Autorin. Der Jugendroman „Ede und Unku“, geschrieben 1931 von Grete Weiskopf, genannt Alex Wedding, gehörte zu meiner Kindheit. Er erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Berliner Kindern kurz vor dem Nationalsozialismus: Ede, Sohn eines Arbeitslosen trifft Unku, ein Mädchen aus einer Sintifamilie. Es geht um Loyalität, Freundschaft, Vorurteile und Klassenkampf. Continue reading Guter Rat an die Lebenden

Schicksal der Sinti und Roma nicht vergessen

BergstraSe. Mit dem Begriff „Zigeuner“ assoziieren sogar heute noch viele die Vorstellung vom „fahrenden Volk“, von „Gauklern“ und „Gaunern“. Dass die antiziganistischen Klischees und Vorurteile präsent sind, ergab nicht zuletzt eine Erhebung an hessischen Schulen, die der Verband Deutscher Sinti und Roma durchführte. Selbst gut ein Drittel der befragten Lehrer verband mit der Volksgruppe ein nomadenhaftes Leben. Sie wussten nicht einmal um das Schicksal der Gruppe im Zuge der rassistischen Ausrottungspolitik des Nationalsozialismus.
Landrat begrüßt Projekt
„Ihre Geschichte darf nicht vergessen werden“, unterstrich Landrat Matthias Wilkes. Er begrüßte das vom Landesverband initiierte Projekt, für den Unterricht Medienkoffer mit Textdokumenten und Bildmaterial zusammenzustellen. Dabei steht lokale Aspekte im Mittelpunkt. In dem Pool von Materialien kommen auch Zeitzeugen zu Wort und werden Biographien von ehemaligen Mitbürgern rekonstruiert. Zurzeit wird eine Version mit Dokumenten aus den Kreisen Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau und Odenwald erarbeitet. Autor ist der Politologe Dr. Udo Engbring-Romang. Continue reading Schicksal der Sinti und Roma nicht vergessen