Category Archives: Deutschland

Allein gelassen und ignoriert – Die Bildungsteilhabe der deutschen Sinti und Roma

Viele Sinti und Roma hierzulande sind deutsche Staatsbürger. Dennoch müssen sie mit massiven Bildungsdefiziten leben und haben oft geringere Berufschancen. Schuld daran sind nicht zuletzt die Ausgrenzungsmechanismen von Staat und Gesellschaft.

Die Wohnung, in der es klingelt, steht in einer Hochhausgegend. Der Stadtteil heißt Hasenbergl und ist sozialer Brennpunkt Münchens. Die Wohnung im Erdgeschoss hat die Diakonie angemietet. Die Tür wird zur Hälfte von einem Plakat bedeckt – „Sinti und Roma“ steht darauf fingerbreit schwarz aufgemalt. Zwei Frauen, Mitte 20, kommen hierher zum Alphabetisierungskurs.

Latscho Diwes – Guten Tag! Die deutschen Sinti und Roma wachsen mit zwei „Muttersprachen“ auf. Romanes wird zu Hause gesprochen, gleichberechtigt mit Deutsch. Das Deutsch der Sinti ist ein eigener Dialekt, der innerhalb der Familien weitergegeben wird. Eine Variante, die dem Ostpreußischen ähnelt. Wegen der gepflegten Familienkontakte bis ins Ausland können sie sogar oftmals mehr Sprachen sprechen als andere Menschen in Europa. Aber lesen, schreiben und sich variantenreich ausdrücken, das bereitet den Schülerinnen hier im Hasenbergl große Schwierigkeiten. Kinga Papp, eine Ungarin, die aus Rumänien stammt, ist die Lehrerin der Sintizzas, wie Sintifrauen heißen. Continue reading Allein gelassen und ignoriert – Die Bildungsteilhabe der deutschen Sinti und Roma

Kundgebung: Serbische Roma in Münster von Abschiebung bedroht! Wir bleiben dran!

Donnerstag 10.11.2011, 08:00 Uhr, vor dem Amt für Ausländerangelegenheiten, Ludgeriplatz 4 (Eingang Südstraße), Münster. Alle bleiben! Keine Abschiebung von Roma – egal wohin!
Kundgebung des Münsteraner Bündnis für ein Bleiberecht der Roma

In den letzten Monaten haben wir schon mehrmals Münsteraner Roma zur Ausländerbehörde begleitet, deren Duldung auslief. Am Donnerstag, 10. November, begleiten wir wieder die beiden Geschwister, die wir schon öfter begleitet haben. Zuletzt wurde ihnen nur vier Wochen Duldung gewährt! Auch im Status der Duldung bleibt die ständige Drohung der Abschiebung.
Aus diesem Anlass findet die nächste Kundgebung am Donnerstag um 8 Uhr vor dem Eingang der Ausländerbehörde statt! Kommt zahlreich und bekundet eure Unterstützung! Wir werden nicht akzeptieren, dass unsere Nachbarn abgeschoben werden! Auf den zurückliegenden Kundgebungen vor der Ausländerbehörde wurde über die menschen- und völkerrechtlich untragbare Situation der serbischen Roma in Deutschland berichtet. Auch über die von Diskriminierung und Perspektivlosigkeit bestimmte Situation in Serbien, die in den kommenden Monaten durch den Winter noch zusätzlich verschärft wird, wurde informiert. Während in Baden-Württemberg mittlerweile wenigstens ein Winterabschiebestopp durchgesetzt wurde, hat sich in Nordrhein-Westfalen nichts geändert und in Münster sind immer noch viele Roma von auslaufenden Duldungen betroffen.
Deshalb werden wir dranbleiben, uns gegen die Abschiebungen einsetzen und dafür, dass es endlich ein Bleiberecht für Roma gibt!

Zum Hintergrund:
Das Schicksal der Roma, die wir am Donnerstag begleiten werden, teilen viele andere: Sie sind in den neunziger Jahren nach Münster gekommen, hatten hier Freunde, die Kinder gingen zur Schule. Anfang der 2000er Jahre wurden sie nach Serbien abgeschoben und lebten dort in einem kaputten Haus, konnten nicht mehr zur Schule gehen, fanden keine Arbeit und waren Diskriminierungen und Perspektivlosigkeit ausgesetzt. Als die Visumpflicht für Serbien fiel, kamen sie Anfang 2010 voller Hoffnung wieder zurück nach Deutschland – endlich nach Hause! Doch hier treffen sie auf völliges Unverständnis, Arbeitsverbot und „Schnellverfahren“, um sie wie viele andere schnellstmöglich nach Serbien abzuschieben. Continue reading Kundgebung: Serbische Roma in Münster von Abschiebung bedroht! Wir bleiben dran!

Ausgegrenzt und diskriminiert

Internationales Symposium zur Situation von Sinti und Roma in Europa.

Toleranz und kulturelle Vielfalt werden gemeinhin hochgeschätzt. Doch stößt beides europaweit an eine diffuse Grenze: Mit 10 bis 12 Millionen Menschen stellen Roma und Sinti zwar die größte Minderheit in Europa. Gleichzeitig treffen sie wie keine andere Gruppe auf Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus.

Mit den historischen Ursachen, der aktuellen sozialen Situation von Sinti und Roma sowie möglichen Strategien gegen den grassierenden Antiziganismus befasste sich ein Internationales Symposium der Allianz Kulturstiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin, das den bewusst provokanten Titel „Was heißt denn hier Zigeuner?“ erhalten hatte.

Dass es sich bei der Diskriminierung der Rom-Völker in Europa um keine neuere Erscheinung handelt, stellten Wolfgang Ischinger, ehemaliger Staatssekretär, und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, in ihren einleitenden Statements klar. Seit 600 Jahren sind Sinti und Roma in Europa ansässig – und ebenso lange werden sie verachtet, verfolgt und oft zu Gewaltopfern. Die Ermordung von etwa 500.000 Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten wurde lange Zeit allenfalls als Randthema behandelt, und bis heute tun sich Politik und Behörden schwer, Opfer, Überlebende und ihre Nachkommen angemessen zu würdigen. Continue reading Ausgegrenzt und diskriminiert

Gedenken an Milos – Die Demonstration

Trotz massiver Mobilisierung durch Infotische, dem Verteilen von 3000
Flugblättern und Mailkontakt bis hin zu Parteien ließen sich zur
angekündigten Demonstration an diesem Samstag nicht viel mehr als 50
Leute mobilisieren, was bei diesem brisantem Thema auf großes
Unverständnis der Demonstranten_innen stieß. Die Polizei als Hüter der
rassistischen kleinbürgerlichen Syker Ordnung war nicht gewillt eine
reibungslose Demonstration geschehen zu lassen, sondern versuchte alle
Möglichkeiten auszuschöpfen um die Demo zu behindern. So versuchte die
Staatsgewalt ein Verbot des Lautsprecherwagens durchzusetzen, da laut
Demoauflagen dieser erst bei einer Personenanzahl von 50 erlaubt sei.
Nach penibelem Zählen und Feilschen, Auf-, Ab- und Aufbau des
Lautsprecherwagens und dem ersten Redebeitrag via Megafon wurde eine
neue Hürde aufgebaut.

Der nächste Streitpunkt mit der Polizei war die Demonstrationroute,
welche aufgrund der vorgeschrittenen Zeit nur noch die kürzere sein
sollte. Nachdem die Anzahl von 50 Personen erreicht war, gab es von
Seiten der Demonstrationsteilnehmer_innen keinen Diskussionenbedarf,
mensch startete einfach mit Musik vom Lautsprecherwagen die lange
Strecke durch die Innenstadt über die B6 zum Rathaus. Auf der Hälfte der
Demo wurde ein Redebeitrag der Bremer Gruppe Polypol gehalten.

Der Demonstrationszug musste in der Innenstadt feststellen, dass die
Polizei im Interesse des bürgerlichen Weltbildes gehandelt hatte. Eine
heile Welt, die nichts wissen und sehen will von
Menschenrechtsverletzungen. Solange es sie selber nicht betrifft,
schließen sie lieber die Fensterläden und gucken weg. Ob dieses
Verhalten auf Panikmache der Polizei oder Ignoranz zum Thema zurück zu
führen war, sei da hingestellt.
In solch einer Gesellschaft muss mensch sich nicht wundern, dass die
Flüchtlinge der Demo fernblieben, da die Angst vor bürgerlichen und
staatlichen Repressalien allgegenwertig ist.

Am Rathaus gab es noch ein abschließenden Redebeitrag.

Vielen Dank an die wenigen Syker und besonders an die Menschen, die aus
Hamburg und Bremen angereist sind.

Syke wach auf!

Quelle: gedenkenanmilos
Stand: 22.10.2011

Abseits im eigenen Land – Die Minderheiten Sinti und Roma im europäischen Fußball

Sinti und Roma werden seit Jahrhunderten ausgegrenzt, in Osteuropa sind sie oft in Lebensgefahr. Über keine anderen Minderheiten weiß die Bevölkerung so wenig und glaubt so viel Negatives zu kennen. Auch im Fußball wird Antiziganismus, die rassistische Ablehnung von Sinti und Roma, weitgehend toleriert. „Zick, zack, Zigeunerpack“ gehört für viele Fans zum festen Sprachgebrauch.

In Ungarn zum Beispiel hat sich in den vergangenen 20 Jahren nur ein Spieler zu seinen Roma-Wurzeln bekannt: István Pisont. Seit seinem Karriere-Ende setzt er sich für die Rechte seiner Minderheit ein, ebenso wie der Malteser Imre Kozma, der jugendliche Roma durch Fußball in die Gesellschaft eingliedern will.

In Deutschland wird Antiziganismus – anders als Rassismus oder Antisemitismus – totgeschwiegen. Dabei hätte der DFB viel aufzuarbeiten: Sein früherer Präsident Felix Linnemann war während des Nationalsozialismus an der Deportation von Sinti und Roma beteiligt. So ist der Antiziganismus eines der letzten weißen Forschungsfelder des Sports.

Manuskript zur Sendung als PDF-Dokument oder im barrierefreien Textformat

zu finden auf:

Quelle: Deutschlandradio Kultur
Stand: 30.10.2011

Vereint im Kampf um Europa

Die antiziganistischen Vorfälle im tschechisch-deutschen Grenzgebiet wecken auch bei deutschen Neonazis Interesse. Teile der deutschen und tschechischen Neonaziszene sind generell um eine bes­sere Zusammenarbeit bemüht.

In der tschechischen Stadt Ostrava treffen am frühen Nachmittag des 28. Oktober gut 100 tschechische Nationalisten auf dem Masaryk-Platz ein. Die meisten sind Anhänger der neonazistischen DSSS (»Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit«). Die Chemnitzer NPD-Stadträtin Katrin Köhler steht vor den Versammelten auf einer Bank. Dass sie ungeachtet der weiten Anreise gerne ins Nachbarland gekommen sei und dass deutsche und tschechische Nationalisten trotz der »schwierigen Geschichte« zusammenarbeiten müssten, sagt sie in ihrer Ansprache. Von einer solchen »Zusammenarbeit« gibt es an diesem Freitagnachmittag keine Spur. Köhler wird lediglich von einer Kameradin des »Rings nationaler Frauen« sowie von den bekannten Funktionären Frank Rohleder und Christian Bärthel begleitet.

Am nächsten Tag marschiert die DSSS »für mehr Bürgerrechte« in Rotava auf. Tatsächlich handelt es sich um eine der vielen antiziganistischen Demonstrationen gegen einen angeblichen »schwarzen Rassismus« der Roma-Bevölkerung. In dem zehn Kilometer hinter der deutschen Grenze gelegenen Ort bleiben Katrin Köhler und die Mitglieder ihrer kleinen Delegation diesmal nicht die einzigen deutschen Teilnehmer. Der bayerische Kameradschaftsverband »Freies Netz Süd« (FNS) hat zwei Busse gemietet, mit denen 70 Neonazis anreisen. Pogromähnliche Vorfälle im Grenzgebiet, an denen sich in den vergangenen Monaten Tausende Bürger beteiligt haben, dürften das Interesse an einer Fahrt über die Grenze geweckt haben. Continue reading Vereint im Kampf um Europa

06.10. Demonstration – Die Pogrome gegen Roma und Sinti stoppen! Antiziganistischer Hetze entgegentreten!

Gut 300 DemonstrantInnen fanden sich heute trotz kurzfristiger Mobilisierung zusammen und protestierten gegen Antiziganismus in Europa aus Anlass der aktuellen Pogrome gegen Roma in Bulgarien und Tschechien. Von der Botschaft Tschechiens ging die Demonstration vorbei an den Botschaften Rumäniens, Ungarns zu einer Zwischenkundgebung vor der Vertretung der Europäischen Kommission in unmittelbarer Nähe der britischen und französischen Botschaft. Die Abschlusskundgebung fand vor der Botschaft Bulgariens statt. Petitionen wurden sowohl an VertreterInnen der Botschaften Tschechiens und Bulgariens sowie der Europäischen Kommission übergeben. Wir danken allen TeilnehmerInnen für ihre Unterstützung und das Durchhaltevermögen trotz des Regens kurz vor dem Ende der Demonstration. Morgen werden wir hier die Petitionen als Faxvarianten online stellen, damit alle weiteren UnterstützerInnen, die heute nicht teilnehmen konnten, ebenfalls ihre Möglichkeit auf Protest wahrnehmen können.

Bilder
Bericht

Quelle: Zusammen handeln
Stand: 08.10.2011

Fax-Kampagne gegen Antiziganismus und soziale Ausgrenzung

Gestern wurden während der Demonstration anläßlich der Pogrome in Bulgarien und Tschechien gegen Roma sowie die oft gegenwärtige antiziganistische Hetze in Europa Petitionen an die Botschaften beider Länder sowie die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland übergeben. Dies war auch der Anlass, den Beginn der Demonstration auf 16.00 Uhr zu legen. Wer nicht daran teilnehmen konnte und/oder persönlich ein Fax an diese Institutionen senden möchte, kann hier jetzt Vorschläge runterladen und verändern oder unverändert benutzen. Auch können diese länderspezifisch angepasst und an weitere Botschaften gesendet werden. Wir rufen alle dazu auf, diese Gelegenheit zu nutzen, um die Proteste gegen antiziganistische Hetze und soziale Ausgrenzung an die entsprechenden Institutionen weiterzuleiten und diese zum sofortigen Gegensteuern sowie zum Stoppen der Pogrome aufzufordern.

Quelle: Zusammen handeln
Stand: 08.10.2011

Dotschy Reinhardt : „Ich will nicht so deutsch wie möglich leben“

Sie wurde früher „dreckige Zigeunerin“ genannt und trifft heute noch auf Vorurteile. Warum Dotschy Reinhardt mit einer Flucht heiratete und Frank Sinatra liebt.

Frau Reinhardt, wir treffen uns auf dem Marktplatz Ihrer Heimatstadt Ravensburg. Dort drüben ist die katholische Pfarrkirche St. Jodok mit dem Denkmal für die im Holocaust ermordeten Sinti. Darauf steht 16 Mal der Name Reinhardt.

Wenn ich das sehe, denke ich an meine Großmutter. Als Ende der 90er Jahre ein paar Offizielle von der Stadt raus zu ihr nach Ummenwinkel kamen, um die Namen der Toten unserer Familie zu erfragen, sagte sie: „Zuerst bringt Ihr uns um, und dann stanzt Ihr unsere Namen auch noch in rostigen Stahl.“

Ummenwinkel – Ihre Großmutter wohnt immer noch in den alten Nazibaracken vor den Toren Ravensburgs?

Die Baracken wurden vor 15 Jahren abgerissen und durch eine Fertighäuschen-Siedlung ersetzt, in der auch fast nur Sinti leben. Continue reading Dotschy Reinhardt : „Ich will nicht so deutsch wie möglich leben“