Category Archives: Ungarn

Roma-Gymnasium in Pecs – Raus aus dem Teufelskreis

Einziges Gymnasium von Roma für Roma soll Benachteiligungen der größten Minderheit ausgleichen – Ein Besuch in Pécs

Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr. Die Schulglocke klingelt und Kinder mit weiten Hosen, bedruckten T-Shirts, Turnschuhen und bunten Rucksäcken schlendern aus ihren Klassen. Darunter auch Barbara, Virág, Kármen und Zsani. Die vier 16-jährigen Mädchen sind Schülerinnen der 9C des Gandhi Gymnasiums in Pécs im Süden Ungarns.

An den weiß getünchten Wänden hängen die Bilder der bisherigen Absolventen. Jede Klasse hat eine eigene Collage gestaltet. Auf einer Holzbank in der Aula nehmen die Mädchen Platz und erzählen von ihren Zukunftsplänen. Kármen will Polizistin werden, Virág Psychologin, Zsani möchte irgendwas mit Musik machen und Barbara will „studieren, aber was weiß ich noch nicht“. Um diese Wünsche umsetzen zu können, müssen sie hier in vier Jahren maturieren und anschließend ein Studium oder eine Ausbildung beginnen. Ist doch ganz normal, oder?

Nicht für diese Vier. Die Mädchen gehören zur Minderheit der Roma, der mit rund 800.000 Vertretern größten Minderheit in Ungarn, die sich oft in einem Kreislauf aus schlechter Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Armut wiederfindet. Continue reading Roma-Gymnasium in Pecs – Raus aus dem Teufelskreis

Abseits im eigenen Land – Die Minderheiten Sinti und Roma im europäischen Fußball

Sinti und Roma werden seit Jahrhunderten ausgegrenzt, in Osteuropa sind sie oft in Lebensgefahr. Über keine anderen Minderheiten weiß die Bevölkerung so wenig und glaubt so viel Negatives zu kennen. Auch im Fußball wird Antiziganismus, die rassistische Ablehnung von Sinti und Roma, weitgehend toleriert. „Zick, zack, Zigeunerpack“ gehört für viele Fans zum festen Sprachgebrauch.

In Ungarn zum Beispiel hat sich in den vergangenen 20 Jahren nur ein Spieler zu seinen Roma-Wurzeln bekannt: István Pisont. Seit seinem Karriere-Ende setzt er sich für die Rechte seiner Minderheit ein, ebenso wie der Malteser Imre Kozma, der jugendliche Roma durch Fußball in die Gesellschaft eingliedern will.

In Deutschland wird Antiziganismus – anders als Rassismus oder Antisemitismus – totgeschwiegen. Dabei hätte der DFB viel aufzuarbeiten: Sein früherer Präsident Felix Linnemann war während des Nationalsozialismus an der Deportation von Sinti und Roma beteiligt. So ist der Antiziganismus eines der letzten weißen Forschungsfelder des Sports.

Manuskript zur Sendung als PDF-Dokument oder im barrierefreien Textformat

zu finden auf:

Quelle: Deutschlandradio Kultur
Stand: 30.10.2011

Mit Feuer und Facebook gegen Roma

In Bulgarien kam es Ende September zu Massenaufmärschen und Gewalt gegen Roma. Auch in anderen europäischen Staaten werden die Wohnviertel der Roma zur Zielscheibe des Hasses. NGO sprechen von einer neuen Welle der Gewalt.

Vor allem Jugendliche seien auf den Straßen von Katunitsa gewesen und hätten Roma beschimpft und später Gebäude in Brand gesetzt, berichtet Teodora Krumowa von der bulgarischen NGO Amalipe. Zu dieser Gewalt kam es nach einem Autounfall am 23. September, bei dem ein 19jähriger Fußgänger gestorben war. Der Autofahrer gehöre zum Umfeld der organisierten Kriminalität, sagt Krumowa. Mit dem Opfer habe es zuvor eine Reihe von Konflikten gegeben.

Für die aufgebrachte Menge war völlig klar, dass der 19jährige vorsätzlich überfahren worden war. Der Beschuldigte ist für sie auch nicht Mitglied der Mafia, sondern Angehöriger eines mächtigen »Roma-Clans«. Dem Vorfall diese ethnische Dimension zu verleihen, sei äußerst gefährlich, sagt Krumowa. Drei Häuser brannten nieder, die dem Besitz der Organisation von Kiril Rashkov zugeordnet wurden, der lokalen Mafiagruppen vorsteht und für den der Verursacher des Unfalls arbeitete. »Die Polizei war vor Ort, sogar mit einem großen Aufgebot, ist aber trotz der eskalierenden Gewalt nicht eingeschritten«, kritisiert Krumowa. Die Menschen hätten gerufen, dass sie alle »Zigeuner« und Türken umbringen wollten. Dass diese beiden Gruppen in ­einem Atemzug genannt werden, sei für den Jargon der bulgarischen Rechtsextremen typisch. Continue reading Mit Feuer und Facebook gegen Roma

Deutsche Eichen oder Pogrom

In der Hoffnung auf Solidarität mit den von Pogromen bedrohten Menschen

Ein guter Kapitalist im deutschen Sinne ist einer, der von der Arbeitskraft, die er kauft, den Maschinen, die er vernutzt, und sich höchstpersönlich als „wir, die Völker“ spricht, der tagsüber kühl kalkuliert und abends den Arbeitskraftbehältern auf die Schulter klopft. So einer geißelt das Geld, das nicht „sinnvoll wirtschaftet“, also der Produktion gehorcht, sondern „herumzigeunert“ – und vor allen anderen pflichtet ihm ein deutscher Karrierist aus der Spekulationssphäre bei: Brecht die Zinsknechtschaft.

Unterdessen formiert sich in der Peripherie des Europas der Produktion der nationale Opferschutz wider die Nicht-Arbeit – unter Parolen wie „Zigeuner zu Seife“ oder doch nur „zur Arbeit“. Hier wie dort wird das „leistungs- und anstrengungslose“ Überleben in der rassistischen Figur des Zigeuners denunziert. Über mehr als zwei Wochen marschieren im nördlichsten Böhmen, einer einstigen Bastion des sudetendeutschen Faschismus, hunderte Tschechen auf, um die Roma-Ghettos als verdächtigten Hort parasitärer Nicht-Arbeit zu stürmen. Am 17. September sind es bis zu 3500 Menschen, die in Varnsdorf nur noch von der Staatsgewalt am Pogrom gehindert werden. Ende September dann wiederholt sich die rassistische Raserei in Bulgarien.

Und weiter nach Ungarn. Wo noch vor wenigen Monaten Milizen gegen „Zigeunerkriminalität“ aufmarschierten und Roma-Familien in die Flucht zwangen, herrscht nun Frieden durch Arbeitszwang. Vom ersten Arbeitsmarkt rassistisch ausgegrenzt, werden die Roma von Staats wegen rekrutiert: zunächst für die Rodung eines Hügels, auf dem dann deutsche Eichen angepflanzt werden. Hier in Gyöngyöspata, wo drei Monate lang Milizen die Ärmsten unter den Armen terrorisierten, begann jüngst das Pilotprojekt des „Ungarischen Arbeitsplans“ der Budapester Regierung. Überwacht werden die Arbeiten von der faschistischen Jobbik, der populärsten Partei in Gyöngyöspata. (Bei anderer Gelegenheit ratschlagte Csanád Szegedi, Jobbik-Abgeordneter im Europäischen Parlament, man müsse „Zigeuner“ provisorisch in gesonderten Zonen konzentrieren, die man nur mit „Registrierung“ und bis Anbruch der Nacht verlasse dürfe.) Auch eine Verleihung der Arbeitskräfte an nicht-staatliche Interessenten ist möglich, einschließlich zwangsverordneter Mobilität. Vorgesehen ist zudem, dass frühberentete Polizeibeamte den Arbeitsdienst organisieren. Continue reading Deutsche Eichen oder Pogrom

Antiziganismus: Roma – Europas ungewolltes Volk

Belgrad – Die offen demonstrierte Abneigung gegen Europas ungewolltes
Volk kennt keine Grenzen. In Tschechien und Bulgarien ziehen mit
Baseball-Knüppel bewaffnete Neonazis und „Patrioten“ vor Roma-Vierteln
auf. Slowakische Kommunen trennen Roma-Stadtteile mit hohen Mauern von
der Nachbarschaft ab. In Ungarn pflegen selbst ernannte Bürger-Garden in
SA-Manier gegen die „Roma-Kriminalität“ zu Felde zu ziehen. Übergriffe
gegen Roma mehren sich nicht nur in Spanien und Italien. Trotz der ihnen
garantierten Freizügigkeit als EU-Bürger schiebt Frankreich Roma aus
Rumänien als lästige Bettler in ihr Heimatland ab. Auch nach zwölf
Jahren als Flüchtlinge sind Roma aus dem Kosovo in Mitteleuropa und
Skandinavien nicht vor der Deportation ins Nichts geschützt: Vermehrt
schiebt nicht nur Berlin selbst Kinder in die völlig fremde Heimat ab.

Roma ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von Volksgruppen, die in
mehreren Einwanderungsschüben einst vom indischen Subkontinent über
Persien und den Kaukasus nach Europa und Nordafrika gelangten. Auf acht
bis zehn, gelegentlich selbst bis zu zwölf Millionen Menschen wird die
Zahl der Roma in Europa geschätzt. Verlässliche Zahlen liegen nicht vor.
Oft werden Bürger ohne Papiere und gesicherten Wohnsitz von den
heimischen Statistikern nicht erfasst. Ob aus Angst vor Diskriminierung
oder wegen des Wunsches nach Assimilierung: bei Volkszählungen pflegen
sich viele Roma häufig eher als Ungarn, Rumänen oder Serben denn als
Angehörige ihrer Volksgruppe zu identifizieren.

Die Ursache ist unklar, warum die Roma in den Westen kamen

Mittels linguistischer Vergleichsstudien konnte schon im 18. Jahrhundert
der indische Subkontinent als einstige Heimat der Roma identifiziert
werden. Das mit dem Sanskrit verwandte Romanes lässt auf eine Herkunft
aus Nordwestindien schließen. Über die Ursachen, warum sie ihren Weg
nach Westen suchten, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Manche
Wissenschaftler vermuten Hungersnöte als Grund für ihren Exodus. Andere
glauben, dass sie als Schmiede, Viehhändler und Musiker Karawanen und
Armeen begleiteten. Eine weitere These ist, dass sie von muslimischen
Eroberern vertrieben wurden.

Persische Quellen aus dem 10. und 11. Jahrhundert berichten, dass Schah
Bahram V. im fünften Jahrhundert mehrere Tausend Musiker aus Indien ins
Land habe holen lassen. Relikte des Persischen, aber vor allem des
Griechischen weist das Romanes bis heute auf. In byzantinischen
Dokumenten finden sich seit dem achten Jahrhundert Hinweise auf die
Roma, die über Armenien und Griechenland nach Südosteuropa gelangten: Ab
dem 14. Jahrhundert wurden die „Zigeuner“ in Dokumenten in Serbien,
Bulgarien, Walachei und bald danach auch im damals ungarischen
Transsylvanien erwähnt. Als „Tataren, Heiden, Egiptenleut und Zigani“
tauchen sie Anfang des 15. Jahrhundert erstmals in den Stadtbüchern von
Hildesheim, Basel und Meißen auf. Zunächst freundlich aufgenommen und
mit Schutzbriefen von Kirchenfürsten begleitet, sollte sich die Neugier
bald in Abkehr gegen die dunkelhäutigen Zuwanderer wandeln. Ab dem 16.
Jahrhundert mehrten sich europaweit Ausweisungsbeschlüsse, Zwangsarbeit
und Kopfgelder auf tote und lebende Roma: Preußen-König Friedrich
Wilhelm I. gab 1725 die Erlaubnis, alle „weiblichen und männlichen
Zigeuner“ über 18 Jahre zu erhängen.

Der von der Obrigkeit eifrig mit geschürte Rassenhass sollte zwei
Jahrhunderte später im Holocaust gipfeln: Auf 250000 bis 500000 Menschen
wird die Zahl der Roma und Sinti in Europa geschätzt, die während des
Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslagern ermordet wurden. In
Mitteleuropa waren die Roma nach Ende des Nationalsozialismus auf eine
kleine Minderheit geschrumpft. Im überwiegend sozialistisch regierten
Südosteuropa wurde offiziell die Emanzipation der Volksgruppe verkündet.
Verstärkte Bildungsanstrengungen ließen in Jugoslawien einige Roma den
sozialen Aufstieg schaffen. Dank der staatlich orchestrierten
Industrialisierung und der Kollektivierung der Landwirtschaft fanden
Roma in den neuen Fabriken und den großen Agrarkombinaten Lohn und Brot.

Doch das Ende des Kalten Kriegs und des realsozialistischen
Staatenmodells, die Wirtschaftstransformation und die Kriege im
zerfallenden Jugoslawien Anfang der 90er Jahre sollten die Minderheit
besonders hart treffen. Der Bankrott unrentabler Staatsunternehmen und
Landkombinate sollte vielen Roma das Los der Dauerarbeitslosigkeit
bescheren: Ungeschulte Hilfs- und Landarbeiter sind nicht mehr gefragt.
Sinkende Staatsinvestitionen in den Bildungssektor gehen in den
ex-sozialistischen Staaten mit einer feindlich gesinnten Umwelt und
wachsendem Nationalismus einher. Der Grad der Diskriminierung ist von
Land zu Land verschieden. Während nationalistische Parlamentsparteien in
Ungarn und Bulgarien ungestraft den Rassenhass schüren können, ist die
öffentliche Diskriminierung von Roma beispielsweise in Serbien verpönt.

Doch grenzüberschreitend gleich ist die triste soziale Lage der Roma:
Deren zunehmende Verelendung bekommen die westeuropäischen Staaten in
Form ungewünschter Zuwanderer immer stärker zu spüren. Die
Wohlstandsschere zwischen Roma und dem Rest der Bevölkerung klafft in
allen Staaten Mittel- und Südosteuropas immer weiter auseinander:
Während der Hasspegel gegen Europas ungewolltes Volk weiter steigt,
werden Arbeitslosigkeit, Analphabetentum und Armut zunehmend „romanisiert“.

Deutschland: In Deutschland leben ungefähr 70.000 Roma mit deutscher
Staatsbürgerschaft. Hinzu kommen Arbeitsmigranten und Flüchtlinge, vor
allem vom Balkan, deren Zahl auf rund 50.000 geschätzt wird.

Südosteuropa: Die meisten Roma leben in Südost- und Ostmitteleuropa. Es
gibt keine genauen Zahlen, da die Roma-Organisationen zu hohen Angaben
neigen, um sich mehr politisches Gewicht zu geben. Im Gegenzug
veröffentlichen die Staaten niedere Zahlen, um den Einfluss klein zu
halten. Schätzungsweise leben 10 Millionen Roma in Europa. Davon zwei
Millionen in Rumänien, 800.000 in Bulgarien, 600.000 in Ungarn und je
500.000 in der Slowakei und Serbien.

Quelle: Stuttgarter Zeitung
Stand: 06.10.2011

Wie Europa den Roma helfen will

Zehn bis zwölf Millionen Roma leben in Europa unter schwierigen bis katastrophalen Bedingungen. Nach einer Brandrede der EU-Justizkommissarin haben die Staaten gelobt: Diskriminierung aufgrund der Rasse darf in Europa keinen Platz haben. Nun beglückwünscht sich die EU zu einem Rahmenplan. Aber ob das Papier die Lage der Roma verbessert, ist fraglich.

Von ethnischen Säuberungen war die Rede, aber auch von gescheiterter Integration, als Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy systematisch Roma-Gruppen des Landes verwies – das war im vergangenen Herbst. Die Aufregung war groß: Sarkozy musste sich von EU-Justizkommissarin Viviane Reding erklären lassen, dass Diskriminierungen aufgrund der Rasse in Europa keinen Platz haben.

Die Brandrede hat Wirkung gezeigt. Plötzlich gelobten alle, sich um Verbesserung der schwierigen Lage der zehn bis zwölf Millionen Roma in der EU zu bemühen. Die Ungarn, deren erste Ratspräsidentschaft jetzt zu Ende geht, haben sich das Thema besonders auf die Fahnen geschrieben und im April einen EU-weiten „Rahmenplan für nationale Roma-Strategien“ vorgelegt. Am Freitag hat der Rat den Plan auf dem EU-Gipfel in Brüssel verabschiedet. Aber ob das Papier auch den Roma etwas bringt, ist fraglich. Continue reading Wie Europa den Roma helfen will

«Wir fackeln Eure Häuser ab»

Im ungarischen Dorf Gyöngyöspata solidarisieren sich die Bewohner zunehmend mit den Garden der Rechten.

Unter dem Titel «Machtergreifung – Neonazis haben de facto die Polizeigewalt in einem ungarischen Dorf übernommen» berichteten wir in der April-Ausgabe unserer Zeitung über die rechtsextreme Bürgerwehr der «Jobbik»-Partei, die zwei Wochen lang das Dorf Gyöngyöspata belagerte, um die «Zigeunerkriminalität» zu bekämpfen.

Doch es ist noch nicht vorbei, wie die «Jungle World» im April berichtete: «Jobbik» hielt Anfang des Monats eine Kundgebung mit rund 2.000 Menschen ab, die gemeinsam durchs Dorf streiften. Solche Aufmärsche gegen die «Zigeunerkriminalität» hat es in den vergangenen Jahren in vielen ungarischen Dörfern gegeben. Die antiziganistische Propaganda, die Angehörige der Roma-Minderheit für Alltagskonflikte, Diebstähle und Gewalt verantwortlich macht, kommt in der ungarischen Provinz gut an.

Das Mikrofon und die Bühne sind inzwischen verschwunden, eine kleine Gruppe von Rechten ist aber geblieben. Gerufen wurden sie vom Ortsvorsitzenden der «Jobbik», Oszkár Juhász, wegen der angeblich ausufernden Kriminalität, die von den rund 500 im Dorf lebenden Roma ausgehe. Die Rechtsextremen mit ihrer Bürgerwehr «patrouillieren» noch immer durch Gyöngyöspata, bauen sich bedrohlich vor den Häusern der Roma auf. Mit Uniformen und Befugnissen hat sich die rechte Bürgerwehr selbst ausgestattet. Einige haben Peitschen und Äxte. Unbeobachtet kommt niemand mehr bis zum Dorfladen oder auch nur zum Nachbarn. Das Auftreten der «Szebb Jövöert», zu deutsch «Schönere Zukunft», wie sich die Gruppe nennt, in diesem kleinen Dorf am Fuß des Matra-Gebirges hat jedoch inzwischen im ganzen Land für Aufsehen gesorgt. Der Name spielt auf das ungarische Pendant zum deutschen Hitlergruß an: «Gott gebe eine schönere Zukunft!» Auf dem Nachrichtenportal «index.hu» ist zu lesen: «Ungarn hört in Gyöngyöspata auf», hier sei das staatliche Gewaltmonopol einer selbsternannten Bürgerwehr übergeben worden. Ungestört von der großen Aufmerksamkeit in den Medien schüchtern die rechten Militanten morgens die Kinder der Roma-Familien auf dem Weg zur Schule ein, nehmen eigenmächtig Personenkontrollen vor oder hindern Roma am Betreten bestimmter Straßen. Die örtliche Polizei stört das nicht. Continue reading «Wir fackeln Eure Häuser ab»

Unter der Flagge der »Ordnung« gegen die Roma

Ungarische Oppositionelle über die rechte Bewegung und den Antiziganismus in ihrem Land

Das Dorf Gyöngyöspata war in den vergangenen Wochen Brennpunkt der Konflikte zwischen ungarischen Rechtsextremen und Roma. Aus Angst vor uniformierten Bürgerwehren flohen hunderte Roma zeitweilig in andere Orte. Ungarns Parlament hat die Aktionsmöglichkeiten der Rechtsradikalen jüngst eingeschränkt, ohne die Bürgerwehren grundsätzlich zu verbieten. Oppositionelle sehen das Problem jedoch dadurch nicht gelöst.

Wir sind in Budapest, im Stadtteil Józsefváros (Josephstadt). Das Interview mit Aladár Horváth, dem ehemaligen Vorsitzenden der Stiftung für Roma-Bürgerrechte, und dem methodistischen Prediger Gábor Iványi findet an der Theologischen Hochschule John Wesley statt. Vor dem Zweiten Weltkrieg wohnten in Józsefváros sehr viele, in der Regel ärmere jüdische Familien. Während des Holocaust wurde ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung aus Józsefváros deportiert oder gleich an Ort und Stelle getötet. Danach wurden dort Roma aus den Dörfern für die Fabrikarbeit angesiedelt. Continue reading Unter der Flagge der »Ordnung« gegen die Roma

Kampf gegen Roma-Klischees

Viele blicken dieser Tage ob rechtsradikaler Tendenzen besorgt nach Ungarn. Doch derlei Hetze betreibe nur eine Minderheit, sagt Erika Horváth. Die erste ungarische „Roma-Diplomatin“ tritt vehement für den Ausbau von Bildungsprogrammen zur Integrationsförderung ein.

Viele blicken dieser Tage ob rechtsradikaler Tendenzen besorgt nach Ungarn. Doch derlei Hetze betreibe nur eine Minderheit, sagt Erika Horváth. Die erste ungarische „Roma-Diplomatin“ tritt vehement für den Ausbau von Bildungsprogrammen zur Integrationsförderung ein.

Schadwinkel, König, Wragge: József Czukor, Ungarns Botschafter in Berlin, nennt Sie die erste Roma-Diplomatin Ungarns. Sind Sie damit einverstanden?

Erika Horváth: Das stimmt nicht so ganz. Es gibt mehrere Roma im ungarischen Staatsdienst, auch im Aussenministerium.

Schadwinkel, König, Wragge: Aber sind Sie persönlich mit dieser Formulierung glücklich? Continue reading Kampf gegen Roma-Klischees

Regierungsprogramm für Roma-Integration präsentiert

Ausgrenzung soll ein Ende haben

Der Staatssekretär für sozialen Anschluss, Zol­tán Balog, stellte am vergangenen Dienstag wesentliche Aspekte des neuen Programms zur Bekämpfung der Aus­gren­zung von Roma vor. Das einzige Roma-Mitglied im Euro­päi­schen Parlament, Lívia Járóka, die Seite an Seite mit Balog saß, sagte, dass die „Roma-Frage“ eigentlich eine Frage der Ar­mut sei und nicht nur auf eine ethnische Minderheit beschränkt werden dürfe.

Arbeit und Bildung sind der Schlüssel zur Integration der Roma, die bis zu sieben Prozent an der Gesamtbevölkerung Ungarns (rund zehn Millionen) ausmachen, erklärten die Regierungsvertreter am vergangenen Don­nerstag. Das neue Programm der Regierung setzt genau da an, denn es zielt darauf ab, Zehntausende in die Arbeitswelt zurückzuführen und mehr als drei Mal so viele Roma-Studenten an die ungarischen Universitäten zu bekommen, so der Vorsitzende der Landes-Roma-Selbstverwaltung (ORÖ) und Parlamentsabgeordnete des Fidesz, Flórián Farkas. Er stellte die Grundpfeiler des neuen Regierungsprogramms zur Bekämpfung der Ausgrenzung der Roma vor.
Lívia Járóka sagte, dass die bisherigen Versuche, das Roma-Problem anzugehen, allesamt gescheitert seien. Was bisher getan wurde, war vor allem Geldverschwendung, so Járóka.
Zoltán Balog, erklärte, dass das Kabinett in der vergangenen Woche einem Ab­kom­men mit der ORÖ zugestimmt habe, der die Stra­­te­gie Ungarns zu diesem Thema beinhalte. Er war Anfang der Woche von Mi­nis­ter­­prä­sident Viktor Orbán und dem ORÖ-Vor­sitzenden Flórián Farkas unterzeichnet worden. Balog sagte, dass Lívia Járóka „die wichtigste Kämp­ferin“ im Europäischen Par­­lament für eine Integrationsstrategie der Roma sei. Continue reading Regierungsprogramm für Roma-Integration präsentiert