Zuwanderung geistiger Armut

Warnung vor einer angeblichen Gefährdung des sozialen Friedens – Fakten hat die Bundesregierung keine

Mit der Warnung vor »Armutszuwanderern« schürt die Bundesregierung Vorurteile gegenüber rumänischen und bulgarischen Migranten. Dass es dafür keine Belege gibt, musste sie nun selbst zugeben.

Eine »Beleidigung für den gesunden Menschenverstand« sei es, Migranten die selben Sozialleistungen zu gewähren wie »einheimischen Staatsbürgern.« Ausreisen sollen »Personen, die Sozialleistungen betrügerisch in Anspruch nehmen«. Die Aussagen stammen von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Wahlkampf auf dem Rücken von Migranten und das Schüren von Fremdenfeindlichkeit warfen ihm Migrantenverbände deshalb vor. Nun muss die Bundesregierung einräumen, dass hinter dem Phänomen »Armutsmigration« vieles steckt, nur keine Fakten.

Man teile »die Auffassung, dass es sich bei der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nicht in erster Linie um sogenannte ›Armutsmigration‹ handelt.« So lautet der überraschendste Satz in der Antwort der Bundesregierung auf eine »Kleine Anfrage« der LINKEN-Abgeordneten Ulla Jelpke. Statistische Belege für einen »erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit von rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen« gebe es nicht.

Spätestens seit Beginn dieses Jahres, als der deutsche Städtetag in einem dramatischen Appell vor der »Gefährdung des sozialen Friedens« durch »Armutszuwanderung« warnte, ist die Abwehr südosteuropäischen Migranten für Unionsparteien Wahlkampfthema: In einem Brief an den EU-Ratspräsidenten forderte Minister Friedrich vor einem Monat zu Maßnahmen auf, »um den Folgen dieser Art von Einwanderung zu begegnen.« Mehr noch: »Armutszuwanderung« bedrohe »unser gemeinsames Ziel, die Mobilität der europäischen Bürger zu fördern«, schrieb Friedrich gemeinsam mit Amtskollegen aus Österreich, Großbritannien und den Niederlanden. Die Forderung für ein Treffen im Juni: Einschränkung der EU-Freizügigkeitsrichtlinie

Doch selbst Vertretern der EU geht Friedrichs Demagogie zu weit. Es gebe keinen »Sozialleistungs-Tourismus«, sah sich unlängst EU-Sozialkommissar László Andor genötigt klarzustellen und attestierte »manchen Mitgliedsstaaten« ein »Wahrnehmungsproblem«.

Dieses belegt nun auch die Antwort der Bundesregierung. Nicht nur südosteuropäische Migranten, sondern vor allem der deutsche Steuerhaushalt profitiert demnach von der gescholtenen EU-Freizügigkeitsrichtlinie: So befanden sich im Dezember 2012 fast 110 000 sozialversicherungspflichtige rumänische und bulgarische Staatsbürger in Deutschland. Die Arbeitslosenquote befand sich hingegen mit 9,6 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt nicht-deutscher Arbeitssuchender.

»Friedrich kann nichts beweisen, er kann nur Stimmung machen«, kommentiert deshalb die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion Jelpke. Auch der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma, Romani Rose, weist in einer Erklärung darauf hin, dass nicht deutsche Steuerzahler die maßgeblichen Opfer der Debatte sind. Mehrere »aggressive Demonstrationen vor Häusern, in den Roma-Familien leben«, habe es bereits durch rechtsextreme Gruppen gegeben. Dies müsse auch den Parteien für die bevorstehende heiße Phase des Wahlkampfes bewusst sein.

Quelle: Neues Deutschland
Stand: 10.05.2013