Redebeitrag der Gruppe CoA zum Thema „Bautzen“ auf der NOPE-Demonstration am 09.01.2017

Es ist komisch, aber immer wenn mensch aus Bautzen kommt, ist mensch auf einmal froh wieder in Dresden zu sein.
 
Dieses Zitat eines Genossen beschreibt wohl am besten die momentane Situation in Bautzen. Aber gehen wir zunächst noch einmal ein paar Monate zurück und schauen uns eine Chronik der Ereignisse in Bautzen an.
Auch wenn das Naziproblem in der Region natürlich viel tiefer sitzt und sich über Jahre verfestigt hat, kann der 09.09. letzten Jahres als Ausgangspunkt für eine neue Eskalationsstufe gesehen werden. An diesem Tag fand eine Demonstration der Gruppe „Die Sachsendemonstration“ in Bautzen statt. Gleichzeitig gab es eine Kundgebung unter dem vielsagenden Motto „Nazikiez verteidigen“ auf dem mittlerweile berühmt berüchtigten Kornmarkt, welche sich gegen eine Versammlung von Geflüchteten und linken Aktivist*innen richtete. Trotz des eindeutigen Mottos und des zu erwartenden Klientels waren zunächst wenig bis gar keine Cops anwesend. Es kam zu ersten verbalen und tätlichen Angriffen durch die Faschist*innen. Die Repressionen, die von den später in größerer Zahl anwesenden Polizist*innen, richtete sich trotzdem fast ausschließlich gegen die Geflüchteten.  
Die Nazis hatten nun offenbar Lunte gerochen und die Situation schaukelte sich hoch. Anwesende Aktivist*innen berichten von einer Pogromstimmung, die sie an jene aus den 90er Jahren im nur wenige Kilometer entfernten Hoyerswerda erinnerte.
Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die Situation am 14.09., als 80 alkoholisierte Nazis durch die Stadt „patrouillierten“ und schlussendlich eine Gruppe von rund 20 jungen Geflüchteten durch die Stadt hetzten. Parolen wie: Bautzen bleibt braun“, „Frei, sozial und national“ und „Hier marschiert der nationale Widerstand“ waren zu hören. Diese Situation reichte aber offenbar nicht aus, um politische Verantwortliche oder die Bürger*innen der Stadt dazu zu bewegen, sich den Menschen, die in der folgenden Zeit immer wieder nach Bautzen kommen sollten um ihre Solidarität mit den Geflüchteten zu bekunden, anzuschließen. Nicht in den Nächten, in denen Aktivist*innen auf dem Kornmarkt verharrten um den braunen Spuk nicht unwidersprochen zu lassen, nicht bei der antifaschistischen „We will fight“Demonstration am 18.09. und auch nicht beim Begegnungsfest am 08.10. Im Gegenteil, Oberbürgermeister Ahrens redete in diesen Tagen ausschließlich mit den Neonazis, ging zum Teil auf ihre Forderungen ein (Ausgangssperre für unbegleitete minderjährige Geflüchtete) und legitimierte ihre Aussagen mit einem widerlichen Maß an Verständnis. Im Ohr klingt uns wahrscheinlich allen noch das berühmte: „Das ist mir bekannt“ des Bürgermeisters auf die Aussage die Geflüchteten seien Kindersoldaten, die Löwen jagen, seit sie acht Jahre alt sind“. Herr Ahrens: Es ist unerträglich, wie Sie sich hier mit Rassist*innen anbiedern. Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Und mit Nazis redet mensch nicht, mensch bekämpft sie! Und nein, es ist nicht in Ordnung, sich mit Stream BZ, dem Rechten Kollektiv, der NPD oder dem ganzen anderen Faschistenschmutz zu treffen und eine gemeinsame Lösung zu suchen. Denn jeder Schritt, der auch nur einen Funken der Forderungen dieser Menschen enthält, ist ein Schritt in die falsche Richtung. 
Danach wurde es eine Zeit lang scheinbar ruhig in Bautzen. Ja, nur scheinbar, denn das Problem war in keiner Form gelöst. Es war die Ruhe vor dem Sturm, denn die Nazis waren in der Stadt weiterhin präsent und tonangebend. Diese scheinbare Ruhe endete am 01.11., als 4050 Neonazis zwei junge Geflüchtete durch die Stadt jagten. Diese Hetzjagd wurde, trotz mehrere Zeugenaussagen, von der Polizei vehement dementiert. An dieser Stelle noch ein paar Worte zum Verhalten der Polizei beim Thema Bautzen. Sie ist kein Teil des Problems, sondern Teil des organisierten Staatsversagens. Ihr Auftreten auf den Straßen der Stadt, aber auch gegenüber der Presse ist schlicht nicht hinzunehmen. Hier wird eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben, die ihresgleichen sucht. So wurde die Schuld an der Eskalation fast ausschließlich den Geflüchteten zugeschoben und die Faschist*innen als „eventorientierte teils alkoholisierte Jugendliche“ verharmlost, während verletzte Antifaschist*innen, welche mit Kieferbruch und 15cm Platzwunde ins Krankenhaus mussten, als „leicht verletzt“ abgetan wurden. Die sächsische Polizei trägt hier eine massive Mitschuld an der heutigen Situation. Denn wer permanent Geflüchtete und Antifaschist*innen kriminalisiert und Nazis hofiert, der sorgt dafür, dass sich diese im Recht wähnen. 
In den folgenden Monaten kam es immer wieder zu Beleidigungen, Auseinandersetzungen, Verfolgungsjagden und Angriffen von Seiten der Nazis gegen ihrer Meinung nach Linke oder geflüchtete Menschen. Auch ein versuchter Brandanschlag mit Molotowcocktails auf eine Geflüchtetenunterkunft und ein brutaler organisierter Naziangriff auf fünf junge Antifaschist*innen am 30.12., von denen zwei mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus mussten, zählen dazu.  
Mensch sieht also, dass mensch sich nicht auf den Oberbürgermeister, im Moment leider auch nicht auf große Teile der Bautzner Zivilgesellschaft und erst recht nicht auf die Cops in Bautzen verlassen kann. Am Samstag jährte sich der Todestag von Oury Jalloh, welcher in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt wurde, zum 12. Mal. Oury Jalloh, ein Name der bis heute untrennbar mit Rassismus, vor allem mit struktutellem Rassismus verbunden ist. Ein Name der zeigt, was passiert, wenn sich Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft bis hinein in staatliche Strukturen verfestigen kann. Wir verzichten daher auf die Zusammenarbeit mit staatlichen Strukturen, in denen Rassismus ein inhärenter Bestandteil ist, wie man es zum Beispiel an der menschenunwürdigen Abschiebepolitik sehen kann. Und wir verzichten auch gern auf Lichterketten und andere Symbolpolitik, die nirgendwo und noch nie ein Naziproblem nachhaltig gelöst haben. Worauf wir nicht verzichten können und diesen Menschen gilt unsere Solidarität, das sind die Antifaschist*innen und Antirassist*innen aus Bautzen, die sich den Verhältnissen trotz der momentanen Situation entgegenstellen und ganz besonders den fünf Menschen, die kurz vor dem Jahreswechsel angegriffen wurden und zum Teil immer noch mit ihren Verletzungen zu kämpfen haben.
Wir fordern euch daher auf: Organisiert euch in Bezugsgruppen, checkt die üblichen Kanäle und fahrt nach Bautzen, wenn es wieder nötig ist. Lasst uns die Strukturen vor Ort supporten. Lasst uns den Leuten dort ihre Ohnmacht nehmen, nichts verändern zu können. Lasst uns ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind.
Denn Antifa ist und bleibt auch immer Landarbeit.
 
Aufruhr! Widerstand! Es gibt kein ruhiges Hinterland!
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