Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Presse- und Meinungsfreiheit und die Gleichheit und Freiheit aller Bürger*innen sollten die Grundsätze einer jeden repräsentativen Demokratie sein. Dass es dabei erhebliche Unterschiede zwischen Realität und Ideal gibt, können wir tagtäglich in Deutschland erleben. Häufig geht zumindest von einem Teil der Gesellschaft das Bedürfnis aus, die Realität dem Ideal anzunähern. Dass solche Fortschritte und Errungenschaften, die oft durch Kämpfe aller möglichen Gruppen von Menschen auf allen möglichen gesellschaftlichen Ebenen erreicht wurden, nicht in Stein gemeißelt sind und jederzeit gegen einen reaktionären Rollback verteidigt werden müssen, können wir aktuell sehr gut in Polen beobachten.
In Polen gibt es schon seit je her eine starke rechte Bewegung, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass weder in den Medien, noch bei politischen Akteuren eine klare Abgrenzung zwischen
neofaschistischen Ideologien und den Standpunkten eines konservativen Bürgertums existiert. Dies zeigt sich auch dadurch, dass zum Beispiel stark nationalistische Tendenzen bei Weitem kein Randphänomen darstellen. Die Zusammenarbeit über weite Teile der Gesellschaft mit Neofaschist*innen führte 2006/2007 zu einem vorläufigen Hoch, als viele Mitglieder rassistischer
Skinhead-Subkulturen über eine rechte Regierungskoalition direkten Zugang zur polnischen Politik erhielten. So wurde der Gründer der sogenannten „Allpolnischen Jugend“ zum Minister für nationale Bildung und als stellvertretender Ministerpräsident berufen. Diese Organisation bezieht sich auf die gleichnamige Organisation, welche in den 1930ern für zahlreiche Angriffe auf jüdische Student*innen und politische Gegner*innen verantwortlich war und sich auch heute wieder mit Stolz offen zu ihrem Antisemitismus bekennt. Dieses Hoch endete zwar mit den Parlamentswahlen 2007, doch in einigen kulturellen und organisatorischen Bereichen konnten diese Neofaschist*innen ihre
wichtigen Einflussmöglichkeiten bis heute bewahren.
Im Gegensatz zu deutschen Neonazis, die sich oft auf die neuheidnischen Gottheiten der nordischen Mythologie berufen, ist bei polnischen Rechtsextremen eher Katholizismus Teil nationaler kollektiver Identität. Mit einem stark traditionellen Familien- und Geschlechterbild und extrem aggressiver Homo- und Transfeindlichkeit haben sie große Teile der katholischen Gesellschaft auf ihrer Seite.
Auch im Streit um die sogenannte „Genderideologie“, zeigt sich wie katholischer Konservatismus Anknüpfungspunkte und Zusammenarbeit mit der extremen Rechten bietet. Laut polnischen
Bischöfen würde es
– Zitat –
Dort, wo die Freiheit des Tuns zur Freiheit sich selbst zu erschaffen wird, als […] fundamentaler Widerspruch unvermeidlich zur Negierung des Schöpfers selbst kommen.
–Zitat Ende –
In ihr wird die Ursache für den Verfall der Familie, der demographischen Krise, dem Wandel der Männlichkeit und wesentlichen kulturellen Veränderungen gesehen.
Auch wird ein weit verbreiteter Antikommunismus deutlich, wenn versucht wird das Streben nach Gleichberechtigung über die Behauptung zu diskreditieren, dass die Wurzeln desselbigen imMarxismus und Neomarxismus lägen. Dieser Antikommunismus macht sich auch in der polnischen Geschichts- und Erinnerungskultur bemerkbar. So werden oft Parallelen zwischen der Zeit im Nationalsozialismus und der Zeit der Volksrepublik Polen, also der Zeit zwischen 1945 und 1989, gezogen. Dies führt zu einer gefährlichen Verharmlosung des Nationalsozialismus und bietet die Grundlage für anti-emanzipatorische Todschlag-argumente.
Dass trotz dieser bereits extremen Voraussetzungen von einem Rechtsruck gesprochen werden kann, zeigt sich im Handeln der aktuellen Regierungspartei PiS (Abkürzung) – zu Deutsch „Recht und Gerechtigkeit“. Diese ist seit den Parlamentswahlen 2015 alleinregierend. Sie nutzte die 2015 auch in Polen aufkommende Debatte über den Umgang mit Geflüchteten, indem sie ihr Repertoir der Menschenfeindlichkeit um Muslimhass erweiterte und im Wahlkampf Sozialneid und Ängste vor einer angeblichen Islamisierung schürte. Die PiS vereint alle, in der polnischen Gesellschaft vorherrschenden, Ressentiments. Wie weit die Abschaffung der Demokratie in Polen bereits vorangeschritten ist, soll die folgende Chronik der Regierungsbeschlüsse der PiS zeigen. Eine ihrer ersten Handlungen war eine Gesetzesänderung bezüglich des polnischen Verfassungsgerichtshofes. Mit ihr wurde eine effektive Arbeit des Verfassungsgerichtshofes verunmöglicht und eine Gewaltenteilung de facto abgeschafft. Die Tatsache, dass der Verfassungsgerichtshof dieses Gesetz als verfassungswidrig einstuft wurde von der Regierung einfach nicht anerkannt.
Seit einer Medienreform werden die Senderchefs öffentlicher Medien – sei es Presse, Rundfunk oder Fernsehen – über den Rat Nationaler Medien berufen. Die Mitglieder dieses Rates werden zu 60% von der Regierungspartei bestimmt. Damit ist auch die Unabhängigkeit der nichtprivater Medien de facto abgeschafft.
Ein weiteres Gesetz soll künftig die Funktion des General-staatsanwalts und des Justizministers in einer Person vereinen. Dies erlaubt dem Justizminister bei jeder Ermittlung zu intervenieren.
Außerdem wurde das Polizeigesetz erweitert und ermöglicht nun die staatliche Kontrolle über das Internet. So erhalten Polizei und Geheimdienste dauerhaften Zugriff auf eine ganze Reihe von
Metadaten – ohne Zustimmung des Providers oder strenger richterlicher Kontrolle. Auch das Abtreibungsgesetz sollte verschärft werden. Obwohl schon nach dem aktuellen Gesetz
Abtreibung nur dann legal ist, wenn der Fötus eine schwere Fehlbildung aufweist, die Schwangerschaft Folge einer Straftat, oder die Gesundheit der Mutter gefährdet ist. Trotzdem lehnen
viele Ärzte eine Abtreibung ab. Dies hat zur Folge, dass Ab-treibungen im Ausland vorgenommen werden oder fachunkundig Menschen die Abtreibung übernehmen, was für die betroffene Person lebensgefährlich sein kann. Die Gesetzesänderung sah vor, dass Abtreibungen nur noch dann legalsein sollten, wenn das Leben und die Gesundheit der werdenden Mutter auf dem Spiel ständen. Massenproteste in ganz Polen konnten das Gesetz allerdings verhindern. Das Demonstrationsrecht wurde eingeschränkt. So sollen Demonstrationen nur noch in einem
Mindestabstand von 100 Metern voneinander stattfinden. Außerdem hat der Präsident die Möglichkeit bekommen Gegendemonstrationen zu untersagen. Außerdem werden kirchliche Organisationen und öffentliche Organe bei der Anmeldung bevorzugt werden. Das Gesetz wurde
vom Verfassungsgericht für konform erklärt, nachdem der Justizminister und Generalstaatsanwalt – wir erinnern uns: neuerdings ein- und dieselbe Person – drei von den vierzehn Verfassungsrichtern die Teilnahme an der Abstimmung aus „Zweifeln an der Unparteilichkeit“ untersagt hatte.
Aktuell ist die Regierung dabei Schulen einzurichten, an denen Schüler zu Soldaten erzogen werden. Neben zweistündigem Theorieunterricht pro Woche, soll Praxis im Umgang mit der Waffe und auf dem Truppenübungsplatz gelehrt werden. Außerdem soll die Truppenstärke Polens langfristig verdoppelt werden.
Im Gegensatz zu den Vorgängen in der Türkei wurden diese Veränderungen in der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Polen ist auf dem besten Weg in eine ein-Parteien-Diktatur und es ist das Sinnbild dafür, was mit einem Land passiert, wenn reaktionäre Kräfte an die Macht kommen. Viele der eben aufgezeigten Mechanismen und Agitationsmuster ähneln denen in anderen Ländern, wie zum Beispiel dem FN in Frankreich oder der AfD in Deutschland. Doch auch in Polen gibt
es Widerstand.
Zwar fordern wir immer wieder: „No boders, no nations!“, doch warum hört unser Support an so etwas fiktivem wie der deutsch-polnischen Grenze auf? Wieso schaffen es Neonazis sich europaweit zu vernetzen und wir schaffen es kaum überregional für die nächste Demo zu mobilisieren?
Vernetzt euch! Denn der Kampf um Befreiung bleibt Antinational!