Elektronische Gesundheitskarten für Asylsuchende in Dresden und Sachsen!

Die Sächsische Staatsregierung verschärft aufgrund ihres politischen Unwillens, Überforderung und einer inhumanen Verwaltungspraxis die bereits bundespolitisch verankerte gesundheitsbezogene Diskriminierung von Asylsuchenden nach dem §§4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz. Unter den Folgen leiden und litten nicht nur Asylsuchende – wie z.B. der vor einem Jahr in Plauen verstorbene libysche Asylsuchende Ahmed J. – sondern auch Ärztinnen und Ärzte sowie Kommunalverwaltungen.

Um den Zugang von Asylsuchenden zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern fordert das Netzwerk Asyl Migration Flucht Dresden bereits seit langem die Einführung von elektronischen Gesundheitskarten (wie in Bremen und Hamburg) anstatt der bisher üblichen Krankenscheine (1). Die Krankenscheine müssen von Asylsuchenden vor jedem Arztbesuch beim Sozialamt der jeweiligen Kommune beantragt werden und es entscheiden darüber nicht etwa Medizinerinnen und Mediziner, sondern i.d.R. sachunkundige Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungsmitarbeiter. Gegen diese Praxis sprach sich nicht nur die Bundesärztekammer in einer klaren Stellungnahme (2013) aus, sondern auch die Sächsische Landesärztekammer wandte sich an den Innenminister Sachsens (2014), um ihn von der Notwendigkeit der Einführung elektronischer Gesundheitskarten zu überzeugen.

Auch die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Dresden richtete eine Anfrage an die dem Innenministerium unterstellte Landesdirektion, da sie sich durch die Einführung der Chipkarten eine erhebliche Reduktion des Verwaltungsaufwandes und damit von Personalkosten erhoffte. Wie u.a. den Ausführungen im Entwurf zum neuen Integrationskonzept der Landeshauptstadt Dresden zu entnehmen ist, lehnten das Sächsische Innenministerium und die Landesdirektion die Einführung der Chipkarten in Dresden ab und begründeten dies mit der unhaltbaren Position, wonach Krankenkassen (die dann jeweils für die Leistungsabrechnung zuständig wären) nur nach medizinischen Aspekten und nicht nach dem Asylverfahrensstand urteilen würden. Mit der Argumentation, das medizinische Prämissen bei der Beurteilung einer Behandlungsnotwendigkeit von Asylsuchenden nachrangig seien, begibt sich der Innenminister in ein gefährliches Abseits.

Das Netzwerk Asyl Migration Flucht Dresden appelliert nunmehr insbesondere auch an die sächsische SPD, die sich im Landtagswahlkampf 2014 deutlich für die Einführung der Chipkarten für Asylsuchende positionierte (siehe Wahlprüfsteine des NAMF) und sich mit ihrem Regierungspartner im Koalitionsvertrag auf die Feststellung einigte, das man eine „Vereinfachung des Zugangs von Asylsuchenden zur Gesundheitsversorgung prüfen werde“. Die Regierungskoalition ist mittlerweile schon einige Monate im Amt, bisher sind allerdings in keinster Weise „Prüfungsergebnisse“ oder gar Fortschritte bezüglich des Themas zu erkennen. Stattdessen verschärft sich die Problematik der prekären Gesundheitsversorgung in Sachsen immer mehr. Neben dem beschriebenen erschwerten Zugang zur Versorgung aufgrund fehlender Krankenchipkarten veranlasste das überforderte Innenministerium vor kurzem die Eilzuweisung von Asylsuchenden in sächsische Kommunen, ohne das die Betroffenen vorher eine Asylverfahrensanhörung bekommen hatten und ohne jegliche medizinische Untersuchung, die im Rahmen jeder Erstaufnahme gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Tatsache, das hierbei neu ankommende Asylsuchende keine oder eine verspätete medizinische Untersuchung erhalten, kann erstens dramatische Folgen für betroffene Asylsuchende haben, es kann zweitens zu einer Verbreitung von Krankheiten in derzeit überbelegten und schlecht ausgestatteten Gemeinschaftsunterkünften kommen (in einer Schneeberger Turnhalle standen Mitte Februar für 200 Asylsuchenden nur 2 Toiletten und keine Duschen zur Verfügung), drittens ergibt sich hieraus eine personelle und finanzielle Überlastung der Kommunen, die von den Eilzuweisungen betroffen sind, viertens wird die Arbeit von Notdiensten und Arztpraxen durch mögliche zusätzliche unklare und undokumentierte Krankheitsfälle erschwert. Letztlich widerspricht die Praxis der Eilzuweisung ohne medizinische Erstuntersuchung auch dem Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz.

Wir lehnen es ab, das die Sächsische Staatsregierung das Thema aktuell mit dem Verweis auf eine im Herbst 2014 gestartete Bundesratsinitiative zum Thema der Chipkarten für Asylsuchende (deren Ausgang ungewiss ist) auf die lange Bank schiebt. Wir fordern die Sächsische Staatsregierung auf, dem Beispiel Brandenburgs (Februar 2015) zu folgen und sich in einem ersten Schritt klar für die Einführung von elektronischen Gesundheitskarten auszusprechen. Einzelne Kommunen, wie die Landeshauptstadt Dresden, müssen in ihrem Anliegen, elektronische Gesundheitskarten für Asylsuchende einzuführen, unterstützt werden. Diesbezüglich wäre u.a. eine landesweite Rahmenvereinbarung mit einer gesetzlichen Krankenkasse (z.B. AOK Plus) anzustreben. Die Übernahme von gesundheitsbezogenen Kosten durch das Land, die die Asylbewerberleistungspauschale des Landes an die Kommunen sowie einen kommunalen Eigenanteil (ca. 7.700 Euro) überschreiten, kann und muss auch im Rahmen eines Krankenchipkartensystems möglich sein.

Nachdem im Mai 2014 eine knappe Mehrheit im Dresdner Stadtrat einen Antrag auf Einführung von elektronischen Gesundheitskarten in Dresden abgelehnt hatte, haben sich aufgrund mittlerweile veränderter Mehrheitsverhältnisse die Chancen auf kommunaler Ebene verbessert. Wir fordern die Stadtratsfraktionen sowie die Stadtverwaltung und den amtierenden Oberbürgermeister dazu auf, sich (erneut) für die Einführung elektronischer Gesundheitskarten für Asylsuchende stark zu machen. In diesem Zusammenhang begrüßen wir eine entsprechende Positionierung der Stadtratsfraktionen Die Linke, SPD und Grüne vom 19.2.1015. Verantwortliche auf kommunaler Ebene sollten mit Nachdruck Gespräche mit der Landesregierung suchen und führen und im Falle einer erneuten Weigerung des Landes müssen konsequent verwaltungsrechtliche Schritte eingeleitet werden.

Im Zusammenhang mit dem Tod des libyschen Asylsuchenden Ahmed J. am 14.2.2014 steht seit Januar 2015 der Wachmann der Plauener Gemeinschaftsunterkunft vor Gericht, weil er sich geweigert hatte, einen Notarzt zu rufen. Theoretisch wäre eine Vorlage eines Krankenscheines des Sozialamtes in diesem akuten Notfall nicht notwendig gewesen. Anscheinend hatte der Wachmann keine Kenntnis darüber und/oder er handelte schlichtweg nach „Anweisungen von oben“ (wie er zu seiner Verteidigung vor Gericht angab). Diesen Anweisungen könnten laut MDR Exakt (26.2.2014) (2) auch ökonomische Erwägungen zugrunde gelegen haben. Mitverantwortlich sind unseres Erachtens hierbei also auch Akteurinnen und Akteure insbesondere auf Landes- und auf Bundesebene. Schließlich ist der Tod von Ahmed J. kein Einzelfall. Die prekäre gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden hat System, wie ein bekannter Rechtsexperte der Universität Jena mit Verweis auf §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes betonte. Letztendlich widerspricht die inhaltliche Begründung für die Ablehnung der elektronischen Gesundheitskarten seitens des sächsischen Innenministeriums der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts (2012), wonach die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist.

(1) Es handelt sich nicht um Krankenversicherungschipkarten im eigentlichen Sinne, da die Kosten nicht aus der Sozialversicherung stammen.
(2) http://www.mdr.de/exakt/asyl180.html

Quelle: namf.blogsport.de

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