Da es der deutschen Linken nicht an plakativen Aufrufen mangelt, proletarische Andachten in der katholischen Kirche jedoch äußerst rar sind, veranstalteten wir dieses Jahr eine Online-Andacht für den heiligen Josef als Stellvertreter aller Arbeiterinnen und Arbeitern dieser Welt.
Gebet zur Eröffnung
Im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes.
Amen.
Guter Gott, du hast jedem Menschen
eine unauslöschliche Würde geschenkt,
hast Jeder und Jedem von uns
die Fähigkeit zu fruchtbarem Schaffen
und zur Selbstverwirklichung gegeben.
Damit ist auch der menschlichen Arbeit
eine große Würde verliehen.
Auf diese Würde bezieht sich auch
der Gedenktag des hl. Josef – des Arbeiters,
den wir heute begehen.
Gib uns in der kommenden Stunde
deinen Geist für unser gemeinsames Nachdenken
und Austausch über dein Wort.
Dir sei der Lobpreis und die Ehre,
jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.
Impuls
Nur weil der erste Mai 2020 still wird, heißt das nicht, dass wir ruhig sind.
Der erste Tag des Monats Mai ist nicht nur internationaler Kampftag der Arbeiterklasse, sondern bei den Christen auch Josef dem Arbeiter geweiht, wobei dies von der bürgerlichen Kirche totgeschwiegen wird. Erst vor zwei Monaten verstarb Ernesto Cardenal, ein prägender Befreiungstheologe, Priester und Revolutionär. Um seinen Kampf fortzuführen, widmen wir uns in heute einem Auszug seines Buches „Das Evangelium der Bauern von Solentiname“ (erstmals erschienen 1975 in spanischer Sprache), indem Cardenal (1980) die Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der urchristlichen Landkommune auf den Solentiname-Inseln dokumentiert. Die Überlegungen der (zum Teil analphabetischen) Bäuerinnen und Bauern sind ebenso simpel wie scharfsinnig und haben bis heute nichts von ihrem kämpferischen Gehalt verloren.
Das Vorwort zum Johannesevangelium (Johannes 1,1-18) (S. 13-20)
„Alejandro: – Der Arbeiter ist das Ebenbild Gottes, und alles, was er schafft, ist gut und bereichert den Menschen.
Ernesto: – Darin liegt die Größe des Arbeiters. Alle Dinge, die wir haben, wurden zuerst von Gott und dann von den Arbeitern gemacht. Die Schuhe, die wir tragen, wurden von einem Arbeiter gemacht. Die Kleidung von einem anderen Arbeiter. Die Städte und alles, was es darin gibt, die Landstraßen und die Brücken…
Ein Fremder […]: – Das alles kommt von der Macht des Vaters, und der Vater gab diese Macht seinem Sohn, und die Macht des Sohnes ist auch unsere Macht.
Felipe: – Das ist die Größe des Arbeiters. Die Arbeiter setzen die Macht Gottes auf der Erde fort und arbeiten an der Schöpfung. Darum müßten die Arbeiter die Herren der Erde sein und nicht die, die nicht arbeiten…, die Schuhe und Kleidung und Essen haben und überall herumreisen und nicht arbeiten und nicht säen und überhaupt nichts hervorbringen. Aber das sind die Herren der Arbeit der anderen und der Häuser und der Ländereien…“
Tauscht euch nun über die soeben gehörten Worte aus.
Welche Konsequenzen hat dieser Auszug für das christliche Bekenntnis, für die Kirche, für deinen politischen Standpunkt als Christin oder Christ in der Gesellschaft?
Bereichert wirklich alles Geschaffene den Menschen?
Fordert der Text nicht die Revolution als Pflicht jedes Menschen, der sich als Christ bekennt, ein?
Schlussgebet
Guter Gott, wir danken dir für diese Stunde
des Betens und des Austausches.
Wir bitten dich,
lass uns nicht bei bloßen Worten stehen bleiben,
sondern gib uns die Kraft,
dort zu intervenieren,
wo die Würde der menschlichen Arbeit,
der Arbeiter und der gesellschaftlich Schwachen
bedroht oder verletzt wird.
Hilf uns,
ungerechte Strukturen zu hinterfragen
und zu bekämpfen
und sei uns nahe,
damit wir uns selbst nicht in solchen Strukturen verlieren.
Dir sei der Lobpreis und die Ehre,
jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.
Literatur:
Cardenal, E. (1980). Das Evangelium der Bauern von Solentiname: Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Peter Hammer Verlag.