Die FLINTA ins Korn werfen!
Warum wir den Akronymen in vermeintlich linker Theorie ein Ende bereiten sollten
In der postmodernen Linken haben viele Abkürzungen und Buchstabenaneinanderreihungen Einzug gefunden – die Problematik daran soll anhand des präsentesten Beispiels analysiert werden. Der Begriff FLINTA (bzw. FINTA) wird sehr häufig in queerfeministischen Kreisen benutzt, um vom Patriarchat unterdrückte Geschlechter zusammen zu führen und zu benennen. Dabei ist die Buchstabenabfolge ein Akronym der Personengruppen Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Non-Binäre, Transpersonen und Agender Personen. Die Reihenfolge der Buchstaben variiert mittlerweile, um jeweils Personengruppen präsenter zu benennen (vgl. TINFLA). In vielen Bereichen von Texten über Reden, Kloschildern bis hin zu Demonstrationsaufrufen ersetzt der Begriff (fälschlicherweise) weitestgehend den Begriff Frau oder den Begriff Queers (für queere Geschlechter und Personen). Es soll analysiert werden, warum wir keine dieser Personengruppen mit den genannten Akronymen benennen sollten und warum die Nutzung von Akronymen fortschrittlicher Politik schaden.
- Die Sache mit den Massen, die Sache mit der Anschlussfähigkeit
In erster Linie sind Bezeichnungen wie FLINTA für große Teile der Gesellschaft nicht anschlussfähig. Das liegt daran, dass der Begriff eine Neuschöpfung ist und in vielen Bereichen noch keine Bekanntheit hat. Das hat viele Gründe. Zum einen kommen äquivalente Begriffe zum im deutschen Sprachraum genutzten FLINTA-Begriff in anderen Sprachen nicht vor. Folglich kann er gerade Menschen mit anderem sprachlichem Hintergrund nicht übersetzt werden. Außerdem herrscht der Begriff in einer politischen Szene vor, die wie der Begriff Szene schon verdeutlicht, sehr stark abgeschottet unter sich bleibt. Diese Szene erklärt zwar in jedem Plenum an der Anschlussfähigkeit arbeiten zu wollen und beschließt niederschwellige Kommunikation, jedoch ist das nicht das Problem. Vielmehr ist es die Tatsache, dass diese Kreise sich als moralisch überlegen inszenieren: sie kapseln sich ab, weil sie postulieren, die richtigen Wörter zu benutzen, weil sie keiner Personengruppe wehtun und alle berücksichtigen würden. Aber eigentlich kapseln sie sich ab, weil sie alle den gleichen Hintergrund haben, die gleichen Schuhe tragen – sie haben gemeinsam, nur vorzugeben, die Gesellschaft verändern zu wollen. Stattdessen genießen sie ihre Ruhe in einer Jugendkultur, wo man mit den barbarischen Arbeiter:innen nichts zu tun haben muss. Man ist ganz froh, ihnen fern zu sein, denn die glauben nicht an queere Geschlechter, die sind alle patriarchal und sagen Frau statt FLINTA. Man eröffnet vermeintliche Saf(r)space – anstatt sich dem Widerstand der Umstände anzunehmen. In Plena Niederschwelligkeit zu verlangen bedeutet nämlich eigentlich, dass sie eine Stufe sehen. Eine Stufe, die nicht ein höheres Klassenbewusstsein beschreibt, sondern eine Grenze der einfachen Leute und den Aufstieg zu Moralist:innen – diese Schwelle sollte nicht niederschwellige gestaltet werden, sondern sich vollständig aus ihren Köpfen lösen. Während man sich moralisch abgrenzt, anstatt Politik zu machen, verkennt man die Realität: im Alltag dieser einfachen Leute, der Arbeiter:innen, gibt es eine sehr klare Einteilung in Mann und Frau, oder eine Einteilung in unterdrückte Geschlechter und einem profitierenden Geschlecht. Diese binäre Einteilung können wir zwar als radikale/revolutionäre Linke nicht gutheißen, jedoch müssen wir ihre alltägliche Existenz ernsthaft angehen, anstatt sie durch sprachliche Veränderung lediglich zu vertuschen.
2. Abkürzung wohl eher Verkürzung
Die Zusammenführung von Frauen und queeren Geschlechter, in beispielsweise einem Begriff ist auch eine stark verkürzte Analyse von Unterdrückungsverhältnissen im Patriarchat und Kapitalismus. Die Ausbeutung von und der Hass auf Frauen sind schlicht und einfach nicht identisch mit den Erfahrungen von queeren Geschlechtern, wie auch umgekehrt. Nicht-binäre Menschen leiden beispielsweise unter der Ausgrenzung und Diskriminierung in einer binären Welt – eine Erfahrung, die Frauen nicht machen. Genauso erleben Transmänner und Transfrauen sehr unterschiedliche Anfeindungen – nicht einmal ihr Leben lässt sich unter dem „T“ von FLINTA gleich benennen. Geschweige denn lässt sich ihr Leben mit den Erfahrungen von Interpersonen gleichsetzen. Wir sehen also, dass mit der Zusammenführung verschiedenster Personengruppen in einem Akronym nicht ihre Repräsentation gestärkt wird, sondern ihr Leid relativiert und verkürzt wird. Wir können das revolutionäre Subjekt auch nicht einfach durch den Begriff FLINTA ersetzen, wir müssen in der Forderung nach einer queeren Befreiung queeres Leben genauer analysieren – ihre Rolle in revolutionären Kämpfen nicht der der Frau gleichsetzen.
3. Steht „I“ für Männer inkludieren?
Viele Menschen benutzen den Begriff FLINTA um klarzustellen, dass Räume oder Veranstaltungen mit Ausschluss von Männern stattfinden sollen, oder um Personengruppen zu benennen, bei denen alle Geschlechter außer cis-Männer gemeint sind. Dass dabei Transmänner entgegen ihrer Definition wieder in dieselbe Position wie queere oder das weibliche Geschlecht gedrückt werden, sei einmal außenvorgenommen. Allerdings werden auch andere Männer im FLINTA-Begriff inkludiert. Das passiert durch Intergeschlechtliche Personen (das „I“ in FLINTA), welche teilweise nach der Geburt als Männer eingetragen werden oder sich als Männer identifizieren. Diese Widersprüche des FLINTA-Begriffs werden allerdings nicht dadurch gelöst, sich den Fehler der Analyse einzugestehen. Stattdessen wird mittlerweile in eine Vielzahl von Identitäten, biologischen Geschlechtern, Geschlechtern und Gendern unterschieden. Beschwert wird sich an dieser Stelle nicht über die Existenz von vielen Geschlechtern, sondern der vermeintlichen Wissenschaft der Ausdifferenzierung von Indo- und Endogeschlechtlichkeit. Es braucht allerdings eine klare Ausdifferenzierung, warum die Geschlechtsidentität nicht eine Identität ist, sondern ein wirkliches Geschlecht. Warum diese Identität eben das biologische Geschlecht ist, welches als solches dann nicht existiert. Es braucht eben keine sprachlichen Verrenkungen, sondern eine dialektisch materialistische Geschlechtsanalyse. Folglich meinen FLINTA-Räume etc. zwar Orte ohne Männer, faktisch sind sie allerdings nicht ausgeschlossen. Ob ihr Ausschluss richtig oder falsch wäre in Bezug auf verschiedene Situationen, ist zudem fraglich. Wer einen gemeinsamen Kampf gestalten möchte, sollte nur die wirklich notwendigen Abgrenzungsräume eröffnen.
4. Von einem Schrank zu vielen Schubladen
Während die Idee der Queer-Community nicht nur war, die ursprüngliche Beleidigung als queer wieder positiv zu besetzen und als Selbstbezeichnung und stolzen Begriff zu wählen, stand auch fest, dass der Begriff ein radikal offener sein soll, unter dem sich queere Personen zusammenfinden können, ohne sich definieren zu müssen. Dieser Ursprungsgedanke wurde aufgebrochen – in Begriffen wie FLINTA sollen Menschen sich zusammentun und als eben einer der Buchstaben identifizieren. Diese Identifizierung wird dabei zwar als empowernd vorgegaukelt, jedoch mündet sie eher in einer sprachlichen Kontrolle – die Wörter Frauen und Queers weichen einer Abkürzung, mit der man sich nicht gegenseitig ansprechen oder gar selbst bezeichnen kann. Außerdem brachte die radikale Offenheit des Queer-Begriffs eine dauerhafte Aktualität mit sich, während die Akronyme immer weiter um Buchstaben ergänzt werden und damit auch angehende Notwendigkeit der Neuvermittlung mit sich ziehen.
5. Frauen sind nicht der Feind
Durch den Begriff FLINTA wurde bisher vor allem der Begriff Frau ersetzt. Das ist inhaltlich falsch aber auch eine falsche Botschaft an Frauen – sie stellen jetzt nur noch einen Buchstaben in einem Akronym, dass patriarchale Ausbeutung beschreiben soll. Dabei wurde der falsche Feind gewählt, nicht Frauen sind die, die zu viel benannt werden und weichen sollen. Sie sind es, deren Kampf unser momentan Schlagkräftigste ist, ein Kampf, der unser aller Befreiung bedeuten kann, wenn wir ihn richtig führen. Das bedeutet, dass uns die Situation abverlangt, eine Revolution gegen das Patriarchat zu führen, in der Frauen die tragenste und größte Rolle einnehmen. Dabei müssen wir auch die Positionen von anderen Geschlechtern analysieren – sie stellen einen Bruchteil der Unterdrückten und sind ausdifferenziert anhand der Ausbeutung. Die Ausbeutung ist aber die Schlagkraft, die wir für unsere Befreiung aufwenden müssen. Folglich ist die Ausbeutung definierend für den Kampf, den wir führen: Die Drängung der Frau in die Reproduktionssphäre gibt ihnen eine besondere Rolle als revolutionäres Subjekt im Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus. Dieses Verständnis muss Fundament der Analyse sein und zeitgleich ein Maßstab, an dem wir die Rolle anderer Geschlechter in der Revolution bemessen.
6. Ein ganzes Kornfeld
Die postmoderne Linke weist auch weitere Akronyme auf, denen es ähnlich zum FLINTA-Begriff an Anschlussfähigkeit, Aktualität, Präzision, Analyse und Sinnhaftigkeit mangelt. Bekannt sind beispielsweise LGBTQIA+, BIPOC und IDAHOBIT. Am Beispiel der Abkürzung LGBTIAQ+ (lesbian, gay, bisexual, trans, inter-, agender, queer+) konnte historisch beobachtet werden, wie ein Begriff (LG bzw. LGBT) an Aktualität verliert und immer weiterwachsen muss. Ein Irrsinn, der daraufhin durch die Einführung des + beendet werden sollte, um keine Ergänzungen mehr vornehmen zu müssen, sondern eine radikale Offenheit zu suggerieren. Nichtsdestotrotz ist der LGBTQIA+ Begriff bereits sperrig und nicht alltagstauglich – etwas, was eine Selbstbezeichnung und Identität allerdings sein sollte, wenn sie genutzt werden soll.
Die letzten Jahre mehr in die Öffentlichkeit gerückt ist der IDAHOBIT – (international day against homo-, bi- and transphobie) der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans-Feindlichkeit. (Da war für ein A dann keine Geduld mehr, oder ist das A in FLINTA eigentlich auch das N?). Dass der Tag und seine Bedeutung an Aufmerksamkeit gewinnen, ist natürlich ein wichtiger Schritt. Allerdings kommt die Frage auf, warum ausgerechnet die queere, queerfeministische und postmoderne Strömung einen solch großen Hang zu komplizierten und langen Abkürzungen hat. Einer Frage der wir nachgehen müssen:
7. Woher kommt der Abkürzungs-Kink?
Selbstverständlich hatten auch andere Bewegungen Abkürzungen zur Benennung von Personengruppen, Kampftagen oder Aktionen. Dennoch scheint gerade die queere/(queer-)feministische Bewegung einen expliziteren Hang dazu zu haben: aus dem einfachen Grund einen ständigen Zwang zu Repräsentation zu haben. Die vorherrschende Ideologie in diesen Bewegungen ist, dass anstatt einer vollständigen und ausdifferenzierten Analyse, der Fokus auf Repräsentation und Benennung aller Personengruppen erfolgen muss. Anstatt eines Raums für „alle unterdrückten Geschlechter“ oder „Menschen betroffen von patriarchaler Gewalt“ oder „für Frauen und Queers“, müssen alle Identitäten und Individuen einzeln aufgezählt werden. Es klingt zunächst einleuchtend, dass eine Bewegung, die aus Personen besteht, die unterrepräsentiert und unbenannt im Alltag sind, diese Diskriminierung durch eigene Plattformen durchbrechen will. Das ist auch nicht falsch, jedoch muss eine Politik weitergehen als sich auf einer Repräsentation auszuruhen. Was aber nach einer Kleinigkeit klingt, zieht sich als strukturelles Problem durch diese Strömungen. Es sind nämlich momentan genau diese „linken“ Bewegungen, die es bei Identitätspolitik belassen (vgl. Sackgasse Identitätspolitik) und es dabei auch nicht aus den eigenen Zirkeln schaffen. Des Weiteren stillt Identitätspolitik auch ein großes Bedürfnis: dem Bedürfnis nach Identität. Anstatt sich aber als Teil einer Klasse, eines Widerstands, einer Organisation oder Bewegung zu begreifen, versteht man sich als individuelle Identität, als beispielsweise schwarze lesbische Transfrau. Damit empowert man sich selbst, anstatt einen Zusammenschluss zu erkämpfen. Kollektivität und Solidarität sind allerdings die Grundbausteine einer linken und revolutionären Politik, statt einer Vereinzelung. Das Verbünden in einem Identitäten-überschneidenden Kollektiv ist notwendig, um gemeinsam einen Kampf zu starten, welcher nicht der Befreiung einzelner, sondern aller dient. Dieser Kampf bleibt durch Identitätspolitik aus, verständlicherweise wird sie daher auch so geduldet und vermarktet – Prideflaggen verkaufen sich besser als die Revolution.
8. Sprache statt Antikapitalismus
Begriffe durch Akronyme zu ersetzen, erweckt den Anschein, die mit Frau oder FLINTA verbundene Ausbeutung und Unterdrückung im Patriarchat ließe sich durch sprachliche Veränderungen antastet oder gar überwinden. Während den sozialistischen Diskursen von Materialismus bis Dialektischem Materialismus klar ist, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, wird hierbehauptet, es wäre durch reine sprachliche Veränderungen möglich, unsere Unterdrückung zu beenden – dass es zusätzlich eine Ebene der Ausbeutung gibt, wird erst gar nicht analysiert (vlg. Queerfeminismus ich lenin ab). Dieser reformistische Ansatz ist lächerlich im Verhältnis zu dem Ausmaß der herrschenden Systeme, Kapitalismus und Patriarchat. Die Sprache zu verändern ist kein Mittel gegen das Ausmaß des Leids bezüglich der unbezahlten Reproduktionsarbeit, dem Ausmaß der Übergriffe, der Vergewaltigungen und Morde. Ein Akronym zu benutzen, ist keine Politik, es ist ein Hohn an all die, die eine Frauenrevolution im Iran betreiben, an all die, die das emanzipatorische Projekt Kurdistan gegen den IS verteidigen, aber auch ein Hohn an die, die in Deutschland versuchen eine revolutionäre Bewegung aufzubauen und sich in den Debatten wiederfinden, warum die Linke keine Perspektiven, sondern nur noch Vokabeln bietet. Frauen und Queers werden weltweit ermordet und die deutsche Linke überlegt sich Buchstabenrätsel.
Wer denkt, diesen Feminist:innen ginge es zu gut, schlussfolgert allerdings falsch, sie sind nicht zu wenig unterdrückt, sie sind nur zu stark verblendet. Denn die Forderung nach der Befreiung von Frauen und Queers ist bürgerlich geworden – sie verkennen die ökonomischen Bedingungen als Fundament für unsere Ausbeutung und auch für unsere Unterdrückung. Der Begriff FLINTA signalisiert dabei nicht nur postmoderne Identitätspolitik (vgl. Sackgasse Identitätspolitik) sondern auch das Abfinden mit einer abgekapselten Szene-Politik, der finalen Resignation. Wo haben sie ihren Antikapitalismus gelassen? Wo ihre Geschichtsbücher? Wenn das Streben nach einer Revolution gegen eine Sprachphilosophie ersetzt wird, verlieren wir nicht nur radikale Ansätze, wir verlieren auch jegliche Chance eine Befreiung zu erreichen. Die Devise muss lauten Klassenkampf statt Vokabeltest.