Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität – Worte der Notwendigkeit
Die revolutionäre Notwendigkeit von Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität ist unumstößlich. In einer Welt, die von Individualismus und Konkurrenzdenken geprägt ist, braucht es diese Alternative. Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität sind die Gegenmittel zu der gesellschaftlichen Krankheit. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Genoss:innenenschaften und kollektive Initiativen oft die einzige Möglichkeit waren, um die Bedürfnisse der Unterprivilegierten zu befriedigen. Arbeiter:innen, Kleinbbäuer:innen, Frauen sowie sozial Benachteiligte haben sich zusammengeschlossen, um ihre Interessen zu verteidigen. Es ist an der Zeit, dass wir diese Lektion wieder aufgreifen und in die Tat umsetzen. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um den Mächtigen Paroli zu bieten und uns gegenseitig zu unterstützen. Die revolutionäre Notwendigkeit von Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität ist nicht nur eine Frage des Überlebens, sondern auch der Menschlichkeit. Wir müssen uns entscheiden, ob wir eine Gesellschaft wollen, die auf Solidarität und Zusammenarbeit basiert oder eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Konkurrenzdenken beruht. Wenn wir aktiv werden, begegnen wir uns in politischen Gruppen auf Plena, Veranstaltungen und Aktionen. Dabei müssen uns aufeinander verlassen können, zusammenarbeiten trotz verschiedener Hintergründe und Lebensrealitäten. Ein Gefühl der Gemeinschaft aufzubauen ist fundamental, um langfristig, gesund und effizient Politik zu machen. Solidarität muss organisch wachsen und kann nicht erzwungen werden.
Belastung
Stets wird festgestellt „das Private ist politisch“ – doch wer gibt in seiner Politik Raum für Liebeskummer, Prüfungsängste oder finanzielle Sorgen? Wie können wir erwarten, dass Menschen sich uns anschließen, wenn unsere Politik ihre persönlichen Struggle schlicht und einfach nicht im Blick hat? Wie können wir erwarten, dass Menschen, die im Kapitalismus leiden, die Zeit und Kraft finden, zusätzlich für die Politik und Überzeugung zu arbeiten? Denn zu den persönlichen Belastungen, ist die linksradikale Politik oft in erster Linie keine Befreiung, sondern eine Zusatzbelastung mit negativen Erfahrungen wie Repressionen, Gewalterfahrungen, Enttäuschungen, Niederlagen, Stress und Überforderung. Wir müssen diese Belastungen so gering wie möglich halten und kollektiv mit ihnen umgehen, da sie uns alle betreffen können aber auch da sie unsere Politik betreffen. Neben der Empathie zueinander muss es auch in unserem politischen Interesse liegen, so gesund und rücksichtsvoll wie möglich zu arbeiten, da nur das der Schlüssel ist, um langfristig aktiv sein zu können. Die meisten Aktivist:innen sind Jugendliche oder junge Erwachsene, das ist bedauernswert, da unsere politisches Engagement damit ein Ablaufdatum hat: oft ist es schon das Alter 30 in dem Menschen sich gegen den Aktivismus entscheiden (müssen). Damit einher geht ein enormer Verlust von Wissen, denn alle paar Jahre müssen Strukturen neu eröffnet werden, Skills neu erlernt werden, Themen reflektiert werden, weil erfahrene Genoss:innen nicht mehr in unseren Reihen sind. Eine zusätzliche Belastung und Ausbremsung. Wer es mit der Politik, der Revolution oder der Befreiung der Menschen aber ernst meint, sollte nur ein Interesse haben: Menschen in der Politik halten und das auch in schweren Zeiten. Schwere politische Zeiten aber auch im Privatleben der Personen. Und dafür gibt es nur einen Schlüssel: Das Privatleben als solches abschaffen, Genoss:innenschaften als enge Freundschaften führen, füreinander da sein, sich auffangen aber auch gezielt Sinn-stiftend arbeiten.
Sinnhaftigkeit
Viele Strukturen, darunter auch viele Antifa-Gruppen, arbeiten oftmals sehr Projektbezogen. Maximal gibt es Kampagnen über ein halbes Jahr. Langfristige Ziele mit Etappen und Prozessen sind eher eine Seltenheit. Diese Kurzlebigkeit, die auch in einer Kurzlebigkeit von Gruppen und Strukturen mündet, sorgt bei manchen Mitgliedern für eine Empfindung von Ohnmacht und Sinnlosigkeit. Selbstverständlich sind einmalige Aktionen oder kurze Kampagnen auch ein wichtiger Teil von politischer Arbeit und erbringen widerständigen Mehrwert in unserer Gesellschaft, dennoch braucht es ein großes Ziel, um am Ball zu bleiben und nicht nach 5 Kampagnen genug Repression und Stress oder eben einfach genug von Politik zu haben. Dabei liegt es auf der Hand, was die großen Ziele sind: antikapitalistisch, antipatriarchal, antirassistisch, antifaschistisch zu sein. An der Frage, was das heißt, müssen wir uns selbstverständlich orientieren. Dabei kann nicht mithilfe eines Treffens geklärt werden, welche Strategie gewählt wird, um Patriarchat/Kapitalismus zu stürzen. Der Ansatz, diese Frage aber auszublenden und Kampagnen bezogen von Plenum zu Plenum zu leben, bietet keine sinnstiftende Alternative. In einer wirklich unglaublich schlechten Netflix-Serie namens „Wir sind die Welle“ äußert ein Charakter: „Man sucht sich den größten Feind, den man finden kann, damit man ihn nie erreichen muss“. Obwohl die Serie die Darstellung von antifaschistischer Arbeit komplett verfehlt, scheint aber dieser Gedanke sich in Teilen linksradikaler Politik breit zu machen: wenn wir zu groß denken würden, wenn wir an großen Idealen festhalten würden, würden wir sie nicht erreichen. Aber das ist falsch und viel falscher ist der Umkehrschluss: man solle Politik machen, ohne das große Ganze im Blick zu haben, von kurzen Erfolgen leben und bloß keine großen Fragen stellen, wenn keine Antworten parat sind. Es darf aber nur einen Schluss geben: wir müssen die großen Fragen stellen, wir müssen versuchen die Antworten zu finden und jede Einzelaktion sollte uns dieser Antwort näherbringen aber auch dem großen Ziel. Das bewahrt nicht nur das Erbe von linker Theorie und lässt uns weitere Erkenntnisse und weitere (unverkürzte) Analysen liefern, sondern es ist auch maßgeblich sinn-stiftend. Natürlich erfüllt es einige Aktivist:innen von KüFa, über Sprayaktion hinzu Adrenalin bei der Demo zu leben. Natürlich brauchen nicht alle Menschen neben reinem Widerstand auch einen Sinn in ihrer Politik. Aber die Sinnhaftigkeit schweißt uns zusammen, lässt uns durchhalten und verhindert eventuell Ausstiege und Enttäuschungen. Denn beim Beantworten von großen Fragen dürfen Einzelaktionen scheitern, es darf Niederlagen geben und es wird sie auch geben, aber wir können nach vorne blicken: da ist etwas, da kommt etwas, und wir erkämpfen es. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht unsere Generation, aber die Widersprüche sind da, wir benennen sie und wachsen mit jedem Menschen im Prozess. Was kann also den Sinn bringen? Eventuell eine gemeinsame Theorie. Wer sich beispielsweise als Marxist:in versteht, weiß, dass es eine absolute Wahrheit gibt, dass Marxismus kein Lifestyle oder Überzeugung ist, sondern eine Wissenschaft, eine Analyse, die nicht nur ökonomische Fragen betrifft. Was der Marxismus zeigt, ist der Zusammenhang von Unterdrückungen, von Ausbeutung aber auch wie die Welt funktioniert. Das klingt zunächst wie ein Glaubenssatz, aber steht genau dem vehement entgegen: Durch das Berufen auf den dialektischen Materialismus, rechnet der Marxismus mit genau dieser spirituellen, esoterischen oder religiösen Fantasie ab. Er probiert nicht, Sinn zu stiften, durch die Idealisierung, durch Versprechen, durch ewiges Leben, sondern entgegnet dem, wie die Welt ist: materialistisch, endlich und naturwissenschaftlich. Dabei kann der Marxismus auch Hoffnung bringen, er benennt Widersprüche, er benennt die Krisen des Kapitalismus und auch sein kommendes Ende. Man muss aber nicht Marxist:in sein, um Analysen zu haben, die aufzeigen, dass Potential für Veränderung besteht. Auch Anarchist:innen, Syndikalist:innen Anarchokommunist:innen haben die Theorie und Praxis, um zu schlussfolgern: es muss nicht sein, wie es ist und wir haben es in der Hand.
Ohnmacht
Die Sinnlosigkeit in Politik kommt aber auch mit einem Symptom einher: der Ohnmacht. Wer ehrlich zu sich ist, merkt, dass die Antifaschistische Aktion kein roter Massenselbstschutz ist, keine proletarische Widerstandbewegung und auch keine befreite Kommune, sondern eine Jugendkultur. Wenn wir Glück haben eine Jugendgegenkultur. Diese Generation ist aufgewachsen im Kapitalismus, sah weder sozialistische Ansätze noch große Widerstandsbewegungen und lebt meist abgeschottet von denen, die davon erzählen könnten. Dagegen gilt es vorzugehen, denn wie lässt es sich gegen Umstände kämpfen, wenn wir keine Alternativen kennen? Wie können wir Hoffnung schöpfen, wenn der Kapitalismus und alle herrschenden Verhältnisse uns so unerschütterlich scheinen? Es macht sich lediglich eine Ohnmacht breit, es ließe sich nicht verändern. Dieser müssen wir aktiv entgegentreten: Wir brauchen Erfolge in unserer Politik, nicht nur für die Befreiung der Menschen, sondern auch zum Wachsen des Widerstandes und unserer jetzigen Genoss:innen. Wie bekommen wir Erfolge? In dem wir historische oder internationale Erfolge betrachten, aber auch in dem wir die Erfolge, die wir in unseren Gruppen haben, auch als solche benennen. Viele Antifa-Gruppen haben Strukturen für Vorträge, für Organizing oder für Hilfsangebote. Oft werden diese Strukturen auch gut besucht und genutzt. Aber niemand traut sich zu sagen „das haben wir gut gemacht, das war ein Erfolg“. Und das ist schlecht. Lasst uns aufhören zu vergleichen, wie viele Menschen zu Vortrag XY kamen und wer gefehlt hat, lasst uns stattdessen jede Begegnung, jeden Kontakt und jede organisierte Person als Erfolg werten. Denn das ist es! Jede Person, die sich uns anschließt, ist ein Gewinn unserer Strukturen. Und um den Kitsch zu vervollständigen, die Revolution beginnt mit den Menschen, denen wir auf dem Weg begegnen, die Revolution beginnt mit jede:r Einzelnen von uns. Das zu sehen, zu benennen und auch so zu empfinden, wirkt der Ohnmacht entgegen. Ja, vielleicht erfahren wir Repression, vielleicht ist eine Aktion nicht wirksam gewesen, vielleicht erscheint sie unbedeutend, aber haben wir Menschen überzeugt? Haben wir nur ein gutes Gespräch geführt? Wenn ja, dann hat es sich gelohnt. Denn was die Ohnmacht bekämpft, ist sich gegenseitig zu bemächtigen, sich wachsen zu sehen und miteinander zu stehen.
Gemeinschaft
Manchmal macht es fast schon den Eindruck, es braucht erst Repressionswellen oder Fascho-Angriffe, bis Gruppen sich zusammentun oder auch interne Beziehungen sich festigen. Dabei braucht es Beziehungsarbeit immer und präventiv, nicht erst wenn die Gruppe auf die Probe gestellt wird, und damit die Belastbarkeit jede:r Einzelnen. Denn wir haben gesehen, das Einzige was gegen Belastung, Sinnlosigkeit oder Ohnmacht hilft, ist Kollektivität und Genoss:innenschaftlichkeit. In der Repressionswelle müssen wir nicht nur Kosten, Isolation und Schikanen auffangen – sondern auch uns gegenseitig. Durch Gespräche, durch zusammen weinen und zusammen lachen. Zusätzlich muss auch jede Massenpolitik Kollektivität bieten: wie kann ich einen Menschen überzeugen, mit uns Politik zu machen, in einer Welt, die ihr*ihm nichts bietet und in der auch wir nichts bieten können? Ganz einfach, in dem wir sehen, was wir bieten können, nämlich Kollektivität. Wir können keinen Nicht-Kapitalismus im Kapitalismus aufbauen, aber wir können in einer Wettbewerbsgesellschaft solidarisch sein. Wir können einem Menschen nicht eine Befreiung im System bieten, aber wir können uns anbieten. Also ja, die Welt ist schlecht und das wird sie auch noch eine Weile sein, aber kämpf mit uns gemeinsam und es fühlt sich nicht mehr so scheiße an. Es ist schon ein Trost zu wissen, nicht alleine zu sein, mit den Sorgen aber auch mit dem Bedürfnis ein anderes System zu wollen und dadurch eine Gemeinschaft zu finden. Aber diese Gemeinschaft darf keine linke Szene mehr sein, keine Subkultur, kein Partylocation, kein Studi-Lesekreis, kein Einheitsbrei. Das Kollektiv muss breit aufgestellt sein, um auch in alle Bereiche Politik tragen zu können. Wir müssen erkennen: die oft studentisch geprägten Gruppen, sterben jede Prüfungsphase aus und erwachen nach den Semesterferien von den Toten, um sich wieder im eigenen Kreis zu drehen – peinlicher, aber auch uneffektiver kann Politik nicht gestaltet sein. Lasst uns alle Barrieren fallen lassen, um zugänglich für eine breite linksradikale Bewegung zu sein, in der die Menschen langfristig arbeiten wollen.
Zurückziehen
Menschen werden sich trotz all unserer Bemühungen aus der Politik zurückziehen, obwohl sie an den Idealen festhalten. Momentan ist es oft die Ohnmacht, Familienpläne, berufliche Belastung, Stress, körperliche Fitness oder andere belastende Sorgen. Wir müssen versuchen zu unterstützen, Hilfe stellen, Solidarität erlebbar machen und Menschen auffangen. Aber auch wer sich komplett zurückziehen möchte, dem müssen wir signalisieren, dass auch einer Rückkehr niemals etwas entgegensteht – wir werden dich wieder unterstützen wollen und wir freuen uns über dein Erscheinen. Gefühle wie Scham, Verrat oder Schuldgefühle haben da nichts zu suchen – offene Arme sind geboten und volles Verständnis, denn die Struggle die der Kapitalismus uns aufzwingt, betreffen uns alle und jemand, der austritt ist nicht an ihren*seinen Belastungen Schuld. Stattdessen müssen wir uns fragen, warum wir die Probleme nicht auffangen konnten. Ein Austritt ist nicht das Versagen de:r Einzelnen, de:r es zu viel wurde, sondern ein klares Feedback an die Gruppe: wir müssen uns stärken, wir müssen unsere Angebote den Umständen anpassen und allen ermöglichen zu bleiben. Die Devise muss heißen: Kommst du zurück, stehen wir wieder zusammen, als wärst du nie weggewesen.
Fazit
Gut arbeiten heißt langfristig arbeiten, und um langfristig zu arbeiten, braucht es Überzeugung, Hoffnung, Kollektivität und Chancen. Wir müssen Theorie-Wissen vermitteln, Hoffnung schüren, Support bieten und Erfolge feiern. Wir müssen aber auch Niederlagen verkraften, persönliche Belastungen besprechen und uns großen Fragen stellen. Lasst uns erkennen: wenn wir nichts haben, aber alles wollen, lasst uns beginnen, uns zu haben, als Genoss:innen, als Kollektiv.