Das A in Antifa steht für Aushalten
Die Awareness-Falle
„Awareness“ und „Awareness-Arbeit“ – es gibt wohl nichts über das in linken Kreisen häufiger gesprochen aber auch gefaselt wird. „Klassenkampf“ ist es leider schon lange nicht mehr. Dabei ist die Idee hinter Awareness zunächst gut: Politik nachhaltig gestalten, aufeinander Acht geben, füreinander da sein. Ein wunderbarer Grundsatz, der eine Selbstverständlichkeit in politischer Arbeit und Genoss:innenschaftlichkeit sein sollte. Doch braucht es ausgeklügelte Konzepte, um miteinander „aware“ zu sein? Und wann wird „Awareness in Politik“ zu „Awareness statt Politik“?
Von Party…
Gerade in Partykonzepten ist Awareness immer wieder ein Thema. Egal ob sich Veranstalter:innen als linksradikal, als queer oder linksliberal verstehen: Ohne Awarenesskonzept wird schon lange nicht mehr gefeiert. Denn immer wieder sind Partys Tatort von Übergriffen. Wichtig ist dann, mit Betroffenen aber auch den Tätern richtig umzugehen. Oft ist die Lage durch Drogenkonsum bei Partys zusätzlich zugespitzt; Präventivarbeit müsste hier geleistet werden, anstatt weitere „Feuerwehr-„Politik““. Doch anstatt grundsätzliche Analysen von beispielsweise patriarchalen Verhaltensweisen voranzubringen und zu vermitteln, findet man sich bei den Partyvorbereitungen plötzlich in Debatten wieder, wie viele Safespaces noch benötigt werden. Eine der größten Trugschlüsse die postmoderne und vermeintlich feministische Politik einher brachte: Die Vorstellung es gäbe einen geschützten Raum innerhalb eines ausbeutenden und patriarchalen Systems. So kommen Menschen doch ernsthaft auf die Idee Räume auf Partys als sicher zu benennen. Sicher vor was? Gemeint sind selbstverständlich Übergriffe. Diese Räume dürfen dann ausschließlich von FINTA betreten werden. Die angewandte Statistik ist simpel: Männer sind statistisch häufiger für gewalttätige oder sexualisierte Übergriffe verantwortlich. Räume ohne sie, sollten damit seltener ein Tatort sein. So weit so klar. Doch wie soll es weitergehen? Müssen damit nicht auch antirassistische Räume etc. errichtet werden? Wie sieht eine Hausparty aus, auf der sich alle wohlfühlen? 20 Räume für aktuelle 20 bekannten Diskriminierungsarten? Und wenn ja, darf ich den Raum „frei von Klassismus“ mit allen Bonzen darin abfackeln?
Das Problem ist selbstverständlich nicht, dass es FINTA-only Räume gibt. Das Problem sind auch nicht die Tees, Tampons und Schokoladensorten, die dort auf die Personen warten und Trost und Auszeit von einer patriarchalen Welt bieten sollen. Aber da sollte man sich schon fragen: Verarschen wir uns da nicht? Und wer baut diese Räume auf? Es sind meist unterdrückte Geschlechter selbst, die dieses Konzept entwerfen und ihre politische Arbeitszeit investieren. Wofür? Um sich gegenseitig die Lüge zu erzählen, sie seien sicher. Das ist eine Entpolitisierung. Es ist nämlich kein Zufall, dass Queerpartys und generell „queere Communities“ politische Inhalte immer weiter verdrängen. Anstatt sich klassenkämpferisch oder antifaschistisch zu positionieren, sind linke Theorien durch Aware-Theorien und kinky-Mottos ersetzt worden. In vielen Städten findet sich kein politischer Anspruch in Queergruppen, es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich auch Rechte in den Kreisen aufhalten können, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Eine Peinlichkeit und Tiefschlag für Jahrzehnte-lange Kämpfe queerer Revolutionär:innen.
… zu Politik
Was vermeintlich auf einer Party funktioniert, nimmt dann gerne auch in manch einem Plenum Platz ein. Dieses wird dann aware gestaltet und auf alle Bedürfnisse zugeschnitten. Das darf an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden: selbstverständlich muss ein politischer Raum einer sein, in dem sich alle Menschen willkommen fühlen, die radikale Politik betreiben möchten. Selbstverständlich darf dieser Raum keinen Platz für patriarchales oder rassistisches Verhalten haben. Jedoch ist es immer noch ein Raum in unserer Gesellschaft – zu denken, er wäre frei von Unterdrückung ist eine Verleumdung. Es gibt keine Safspaces. Und wird der Raum gewiss auch nicht freier durch die absurden Vorstellungen von Individualpolitischen, die die verrücktesten Moderations-, Gefühls- und Kommunikationskonzepte verlangen. Was sie erschaffen, ist nur eine weitere linke Szeneideologie, die in einem Moralismus mündet: Das Treffen wird immer nischiger gestaltet, immer schwerer zugänglich und durch absurde Regeln und Moralvorstellungen dekonstruiert. Die Arbeiter:innen dürfen nach ihrem Ausbeutungstag im Plenum erst einmal 6 neue Handzeichen lernen, wie sie gewaltfrei und aware kommunizieren, um dann Politik zu machen, die alles andere als ihre Befreiung im Sinn hat. Stattdessen wird immer weniger ernsthafte Politik vorangebracht; anstatt sich dem Klassenkampf zu widmen, verrennen sich diese Gruppen in die Vorstellung diskriminierungsfrei zu sein, sie verstehen sich als moralische Menschen, die der unmoralischen Welt arrogant gegenüberstehen. Sie verurteilen die Arbeiter:innen und applaudieren sich Plenum für Plenum selbst, für das tolle Miteinander. Aber dieses Miteinander ist in Wahrheit alles andere als aware: es ist nämlich oftmals unsolidarisch. Man cancelt sich, weil jemand „Schwachsinn“ sagt und das Nazisprache ist; weil jemand ein ACAB T-Shirt trägt und das falsch sei; weil es „Gewaltausübender“ und nicht „Täter“ heißt. Wann haben sie vor wieder Politik zu machen?
Verbindlichkeit statt Befindlichkeit
Die Gerüchte sind war: es soll Menschen geben, die nicht Politik machen, um sich wohlzufühlen. Es soll Menschen geben, die ernsthaft Politik machen, um Dinge zu verändern, um die Umstände zu bekämpfen. Menschen, denen es aufgrund der Unterdrückung im Kapitalismus scheiße geht, die deswegen noch mehr Laster auf sich nehmen, um das System loszuwerden. Diese Hardcore-Kommunist:innen scheuen dabei nicht einmal davor zurück, täglich Zeit in Gruppen und Organisationen zu stecken. Sie begehen tagtäglich Grenzüberschreitungen: an ihnen selbst. Sie springen über ihren Schatten, um bei Infoveranstaltungen neue Menschen zu gewinnen. Sie missachten ihre Comfortzone um im revolutionären Kampf politische Ziele zu erreichen und gehen dabei enorme Risiken durch Repression und Gewalt ein. Fast so, als würden sie es ernst meinen. Als würden sie die Politik nicht für sich, sondern für ein Ziel machen. Ganz anders gestalten andere Kreise ihre Politik: ein Treffen soll ein Rückzugsort, ein Safespace, ein Befindlichkeitsort sein. Das soll nicht heißen, dass nur Politik, bei der man auch mal leidet, ernsthafte Politik ist. Gemeint ist aber, dass Widerstand gegen ein System und radikale Veränderung niemals nur in Wohlfühlrahmen stattfinden kann. Radikale Politik wird sich niemals gut anfühlen, wir können und sollten dabei natürlich langfristig und schonend mit Genoss:innen umgehen, aber zu denken, die Politik würde uns nichts abverlangen ist eine falsche Illusion. Lasst uns Befindlichkeitsgrenzen überschreiten und dem Patriachat und dem Kapitalismus ernsthaft den Kampf ansagen.
Gradwanderung
Wo ist also die richtige Abwägung zwischen solidarischem Umgang und Awareness-Wahn? Es ist wirklich ganz simpel: wir müssen uns nur fragen, wann das Awarenesskonzept unserer Politik nützt und wann der Grad überschritten ist und die Politik nur noch der Awareness nützt. Einen Raum zu schaffen, indem wir uns über Gefühle unterhalten können, fällt beispielsweise ganz klar in den Bereich der Awareness-Arbeit, die unserer Politik nützt: wir festigen dabei Genoss:innenschaftlichkeit, lernen uns und unsere Laster kennen, können füreinander da sein und damit langfristig und gemeinsam Politik machen. Ganz anders sieht es beispielsweise mit Abschottunsgräumen aus: eine Aufteilung von Gruppen nach Geschlecht oder Hautfarbe, die unabhängig ohne Absprachen agieren, hemmen die Politik, es verbrennt Ressourcen, verringert Schlagkraft und spaltet Kämpfe. Solche Identitätspolitik nützt radikaler Politik nicht, sondern schwächt sie. Genauso müssen wir uns bei jeder Regel, die in Treffen oder Organisationen eingeführt werden soll, fragen: wird sie unsere Zusammenarbeit stärken oder verkomplizieren und damit unzugänglich und auch moralistisch gestalten. Es ist schlicht nicht unsere Aufgabe einander zu bewerten und unsere Awareness zu loben, uns moralisch zu messen und abzuschotten, sondern die Welt zu verändern. Dabei steht das A in Antifa eben manchmal für Aushalten, nicht für Awareness.
Kein Text ohne Kapitalismuskritik
Es scheint Menschen immer noch zu überraschen, aber ja: der Kapitalismus eignet sich alles an. Auch linke Theorie. Der Kapitalismus vermarktete Feminismus, er vermarktete Queerness und er wird auch Awareness vermarkten. In Startups, die von flachen Hierarchien faseln, fassen auch Awarenesskonzepte Fuß. Neben dem Firmen-Yoga und Obstkörben werden es auch Befindlichkeitskonzepte sein, die dort ihren Platz und ihren Nutzen finden werden. Denn es nützt dem Kapitalismus Arbeiter:innen auch noch durch vermeintliches emotionales Interesse an die Ausbeutung zu binden und damit besser ausbeuten zu können. Da kann man sich nur auf die erste queer-awarenes-party-crew aus Berlin freuen, die ihre Konzepte an Firmen verkauft und Schulungen von Führungsebenen anbietet, um die Ausbeutung der Arbeiter:innen angenehmer zu gestalten. Das hat der Entpolitisierung gerade noch gefehlt. Da kann man nur hoffen, dass sie vorher zu viel MDMA nehmen.