Queerfeminismus? Ich lenin ab.
Die Geschichte des Feminismus
Feministische Bewegungen lassen sich in verschiedene Wellen einteilen. Die erste Welle beginnt grob am Ende des 18. Jahrhunderts und zieht sich bis zur Teilung zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung, letztere bekannt durch ihre Vertreterin und Gründerin des deutschen 8. März Clara Zetkin (1857-1933). Während die bürgerliche Frauenbewegung die Gleichheit von Mann und Frau für lediglich das Bürgertum verlangte, kämpfte die proletarische Frauenbewegung für eine Befreiung aller. Arbeiter:innen in beispielsweise England aber auch Deutschland formierten sich, sie kämpften um Mutter- und Arbeitsschutz, um Arbeitszeitverkürzung, Lohnverbesserung, Frauenwahlrecht und rechtliche Gleichstellung – sie wollten die Freiheit der Arbeiter:innen. Clara Zetkin erkannte dabei: in der doppelt ausgebeuteten Rolle kann es keine Freiheit der Frau geben. Ihre Befreiung ist ein Bruch der Verhältnisse, ein Aufheben der Klassen, ein Ende des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Nur so kann es eine Befreiung der Frau geben, nur so einen ehrlichen emanzipatorischen Ansatz – nicht durch bürgerliche Frauenbewegungen, nicht durch Romantisierung der Bourgeoisie. Daran anschließend waren es in der zweiten Welle Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem Studentinnen, die sich nach Vorbildern wie Alice Schwarzer und Audre Lorde nicht nur explizit mit dem Patriarchat, sondern auch mit Rassismus beschäftigten. Hinzu kam ein Fokus auf Abtreibungsrechte. In der dritten Welle, die man ab 1980/90 erkennt, entwickelten sich neue Theorien, bekannt ist in erster Linie Judith Butler. Mit dem neuen Fokus auf Fragestellungen, wie Geschlecht entsteht, aber auch wie sexuelle Befreiung aussieht, entstand eine postmoderne Feminismustheorie, der Queerfeminismus. Zusätzlich prägten Diskurse um die Thematik Prostitution/Sexarbeit den feministischen Kampf. Manche Feminist:innen sprechen von einer vierten Welle in der wir uns momentan befinden. Angestoßen durch beispielsweise die #MeToo-Debatte gerät der feministische Diskurs immer weiter ins Internet und den Mainstream. Neuer Fokus liegt auf Trans-Inklusivität und queeren Geschlechtern, oftmals im klaren Ideal von queerfeministischer Theorie. Zudem erleben wir heute eine offenere Aneignung von Feminismus durch den Kapitalismus.
Der Wahnsinn der Postmoderne
Das Entstehen von postmodernen Ansätzen (darunter feministische und antirassistische linke Theorien) lässt sich nur durch ein Versagen erklären: durch das Vergessen. Was postmoderne Diskurse eint, ist eine Abkapselung von bisheriger Theorie. Das bewusste Vergessen und Vergessenmachen von bereits entwickelter Theorie und damit auch Erkenntnisständen. Nur so lässt sich erklären, weswegen postmoderne Ansätze bewusst auf ökonomische Zusammenhänge verzichten. Statt historisch gewachsenen Analysen, die Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse auf kapitalistische Produktionsweise zurückführen zu verbessern, verleumden die vorherrschenden Theorien unserer Zeit diesen Zusammenhang und dieses Fundament. Unterdrückungen werden stattdessen auf Diskriminierung zurückgeführt. Während Clara Zetkin noch klarstellte, mit welcher Macht Ausbeutung einherkommt: „Mag man heute unsere gesamte Gesetzgebung dahin abändern, dass das weibliche Geschlecht rechtlich auf gleichen Fuß mit dem männlichen gestellt wird, so bleibt nichtsdestoweniger für die große Masse der Frauen die gesellschaftliche Versklavung in höchster Form weiter bestehen: ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von ihren Ausbeutern.“ und Eric Williams ebenso an den Zusammenhang von Unterdrückung und Ausbeutung appellierte „Sklaverei kommt nicht von Rassismus, Rassismus kommt von Sklaverei“, berufen sich heutige Diskurse nicht auf den wahrhaftigen Ursprung von Diskriminierung, sondern lösen sich aus dem systemischen Fundament, oder blenden dieses in ihrer antipatriarchalen und antirassistischen Arbeit aus. Das Ergebnis ist oft eines: Identitätspolitik. Politik wird aus der gemeinsamen Diskriminierungserfahrung heraus motiviert, anstatt diese in einem Gesamtsystem der Unterdrückung zu sehen und daher aus einer Gemeinschaft heraus für einen Systemwandel zu kämpfen. Das resultiert in absurden Vorstellungen von Betroffenenpolitik und Allyship-Politik. Das Konzept des Allyship ersetzt dabei Solidarität und gemeinsame Kämpfe durch reine Lippenbekenntnisse von beispielsweise weißen Personen und Symbolik in der Unterstützung von „Rassismus-Betroffenen“ oder eben überausgebeuteten Menschen in einem rassistischen System. Antirassistische Kämpfe sollten sich aber nicht in BIPOC-Gruppen abspalten, antirassistische Kämpfe sollten sich nicht in Betroffene und Allyship spalten, antirassistische Kämpfe sollten inmitten aller anderen Diskurse stehen und gekämpft werden. Von allen Antifaschist:innen egal welcher Diskriminierungserfahrung. Die wirkliche Absurdität von Antidiskriminierungspolitik spitzt sich allerdings in feministischen Diskursen zu, im Queerfeminismus.
Der Fall Queerfeminismus
Was ist Queerfeminismus eigentlich? Beantworten können das meist nur feministische akademische Kreise, wo der Queerfeminismus vorherrscht. In daran anknüpfenden aktivistischen Bereichen und Gruppen wird der Begriff oftmals ohne Vorkenntnisse gewählt. In Gesprächen hört man dabei immer wieder, dass Gruppen sich als queerfeministisch verstehen, weil sie bei dem Begriff Frau auch Transfrauen miteinschließen. Das ist richtig und wichtig, aber absolut keine queerfeministische Theorie. In vielen Bereichen des Feminismus sind mit dem Begriff Frau auch Transfrauen miteingeschlossen – die Angst vor TERFS (Trans-exklusive Raikalfeminist:innen) ist in manchen Kreisen so riesig, dass angenommen wird, dass alle Feminismustheorien TERF-Theorien seien, die nicht queerfeministisch sind. Das ist schlichtweg falsch. Ergänzend wird auch gerne angenommen, dass der Queerfeminismus der Einzige sei, der die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern annimmt. Auch das stimmt nicht. Beides ist weder Abgrenzung des Queerfeminismus von anderen Strömungen noch die Theorie, auf die sich Queerfeminismus beruft. Diese Unwissenheit über die eigene Theorie herrscht in vielen Gruppen und lässt sich eventuell auf die Tatsache zurückführen, dass der Begriff „Queerfeminismus“ unschlagbar gut klingt – es klingt, als wäre er der einzige Feminismus der queeres Leben berücksichtigt. Doch was ist nun der wirkliche ausschlaggebende Punkt des Queerfeminismus, wodurch er sich von anderen differenziert?
- Einordnung in feministische Strömungen
Der Queerfeminismus gehört zu den Strömungen der Dekonstruktiven Feminismen. Was kompliziert klingt, lässt sich einfach erklären: Würde man allen feministischen Theorien die Frage stellen „Sind Männer und Frauen gleich?“ würden sie unterschiedlich antworten. Liberaler Feminismus oder Care-Feminismus, beides Strömungen des Gleichheitsfeminismus, würden erwidern, dass Männer und Frauen gleich sind. Radikale Feminismen, wie der Radikalfeminismus und der Ökofeminismus aber auch der konservative Feminismus würden stattdessen antworten, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind. Der Queerfeminismus würde erwidern, dass die Fragestellung falsch ist, da er die Kategorien Frau und Mann ablehnt, er erkennt diese Begriffe als Konstrukte, an die er nicht glaubt. Dieses Konzept nennt man Dekonstruktivismus. Es klingt zunächst einleuchtend: Frau und Mann sind ausgedachte Konzepte, die durch beispielsweise queere Geschlechter widerlegt werden. Queerfeminist:innen lehnen daher das Konzept der Einteilung ab. Dabei folgt allerdings ein falscher Schluss. Es wird nämlich verleumdet, dass in unserer Gesellschaft diese Kategorien leider vorherrschen: das reine aberkennen dieses Konstrukts bekämpft das Konstrukt noch nicht, genauso wie die geschlechtliche Unterdrückung. In der Praxis mangelt es dann an Anschlussfähigkeit: Im Alltag gibt es nämlich eine Einteilung in Mann und Frau, diese ist gewiss nicht frei gewählt, aber diese Tatsache abzulehnen, hebt sie nicht auf. Dabei müssen wir erkennen, dass die Einteilung in Mann und Frau nicht nur queerfeindlich ist, sondern auch eine strikte Einteilung in ein Geschlecht, das unterdrückt wird und ein Geschlecht, das von dieser Unterdrückung profitiert, geschieht. Das müssen wir nicht Mann und Frau nennen, ist aber die Situation, in der wir leben. Klar ist, dass keine Feminist:innen das gut heißen. Außerdem berufen sich viele Feminismen dabei auf die Tatsache, dass diese Einteilung queere Menschen diskriminiert und unsichtbar macht, ohne dabei die Realität der Existenz der Einteilung durch Dekonstruktion zu verleumden. Die Taktik, andere Geschlechter sichtbarer machen zu wollen, ist richtig, verhindert aber nicht ihre Unterdrückung, es ändert nichts an der Einteilung von Unterdrückten und Profitierenden.
Weitere Differenzen der Feminismen lassen sich an einer weiteren Fragestellung erklären: Woher kommt Sexismus? Für sozialistischen/marxistischen Feminismus und postkolonialen Feminismus steht fest, dass der Kapitalismus schuld ist, dass wir patriarchale Unterdrückung in dem heutigen Ausmaß erfahren und er sich vehement hält. Manche Ausrichtungen des Öko-Feminismus führen Umwelt-Ausbeutung und Verwobenheit mit der Biologie an, um diese Diskriminierung zu erklären. Der Anarchafeminismus gibt Machtverhältnissen an sich die Schuld als Basis von Sexismus. Der Radikalfeminismus würde der patriarchalen Männergesellschaft als Täter benennen. Der Queerfeminismus entgegen weist keine klare Benennung eines Ursprungs auf und verleumdet eine ökonomische Verwobenheit des Patriarchats. Dieses fehlende Bekenntnis sorgt dafür, dass Sexismus als Diskriminierungserfahrung oft freigelöst von strukturellen Ebenen wie dem Patriarchat und Kapitalismus betrachtet wird. Diese These mag ein Schock für einige Queerfeminist:innen sein: queerfeministische Theorie beruft sich nicht auf Antikapitalismus. Damit grenzt er sich zusätzlich von sozialistischen/marxistischen und anarchistischen Feminismustheorien ab, verkürzt aber auch Analysen. Wer Sexismus als Diskriminierung abtut, ohne eine Vernetzung mit dem Kapitalismus zu erkennen wird auch nicht antikapitalistisch arbeiten.
Das führt uns zur nächsten Unterscheidung der Feminismustheorien: Die Praxis, die aus ihnen folgt. Liberaler Feminismus, konservativer Feminismus oder transformativer Feminismus erhoffen sich eine Reformierbarkeit der Wirtschaft. Durch zum Beispiel Frauenquoten erhoffen sich Teile dieser Feminist:innen eine Gleichbehandlung und eine Ende der männlichen Vorherrschaft. Sozialistischer/marxistischer Feminismus, Teile des Öko-Feminismus und Anarchafeminismus fordern ein klares Ende des Kapitalismus, um im gleichen Kampf ein Ende des Patriarchats und damit der geschlechterbasierten Unterdrückung zu beenden. Der Diskurstheoretischer Feminismus und der Queerfeminismus setzen stattdessen auf Veränderungen im Alltag: die Praxis ist daher die Veränderung von Sprache sowie persönliches Empowerment.
- Die Sache mit der Sprache
In den meisten politischen materialistischen Diskursen ist klar: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Der Queerfeminismus grätscht rein und scheint stattdessen zu fordern, dass die Sprache das Bewusstsein formt und das Bewusstsein das Sein (Poststrukturalismus). An dieser Stelle muss es kurz philosophisch werden. Philosoph:innen aller Länder vereinigt euch und verzeiht die folgende Verkürzung. Wenn man Materialismus so simpel wie möglich erklären will, könnte man sagen, es gibt erst einen Zellhaufen, wir nennen ihn Gehirn, und danach elektrische Signale, die durch ihn fließen, wir nennen diese Stimulation Gedanken. Es gibt erst eine Hormonausschüttung und dann ein Gefühl, es gibt erst einen Körper und dann einen Charakter. Dabei ist alles aus Materie gemacht. Jede Zelle besteht aus Zellbestandteilen, die sich beispielsweise aus Proteinen zusammensetzen, welche aus Aminosäuren bestehen, die Moleküle aus Atomen sind, die sich wiederum aus Elektronen, Neutronen und Protonen zusammensetzen. Es gibt also nichts, was nicht aus Materie besteht, sondern nur Dinge, die Materie sind oder aus ihr gemacht werden. Die Grundlage dieser Erkenntnis sind die Naturwissenschaften, das Konzept nennt sich Materialismus. Dem gegenüber stehen beispielsweise Religionen mit der Theorie, es gäbe Seelen unabhängig vom Körper, unabhängig von Fleisch und Knochen, unabhängig von Materie. Diese Vorstellung nennt man Idealismus. Dem entgegnet der Marxismus strikt den Dialektischen Materialismus, demnach ist die Dialektik eine Anleitung zum Handeln (Engels), was eine beständige Weiterentwicklung, anstatt vollständige Analyse fordert. Wir können ohne weitere Vertiefung in die Rolle von dialektischen Widersprüchen verstehen, dass unsere Gegebenheiten uns mitbestimmen und formen. Dass wir in Wechselwirkung mit der Welt stehen, dass wir auch anhand unserer materialistischen Bedingungen agieren. Wir sehen, dass die Wirtschaftsform damit ausschlaggebend für unsere Gesellschaftsform ist, dass diese Dinge nicht getrennt voneinander sind, sondern oftmals gleichbedeutend; dass es eine Basis gibt, und einen Überbau. Das erkannten beispielsweise Marx und Engels. Letzterer lieferte die Analyse, dass die erste Unterdrückung, die der Frau vom Mann gewesen sei. Das wollen wir uns beispielshaft anschauen: finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann in Familienkonzepten. Wer hier denkt, dass ursprüngliche Ehen gemeint sind, liegt falsch. Auch vermeintlich moderne heterosexuelle Beziehung weisen finanzielle Abhängigkeiten durch die „Gender-Pay-Gap“, Care-Arbeit bei Kindererziehung, Erziehungsurlaub und unterschiedliche Renten auf. Die finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann formte die Beziehung dieser Geschlechter: die Frau war darauf angewiesen den Mann zu befriedigen, um nicht den Zugang zu seinen Privilegien, wie etwa finanzielle Mittel, zu verlieren. Befriedigen bedeutet an dieser Stelle tatsächlich unteranderem auch wonach es klingt: Eine Ehefrau, die ihren sexuellen Verpflichtungen nicht nachkam, hatte das Risiko verlassen zu werden. Unter dieser Bedingung kann Sexualität nicht mit Fokus auf die weiblichen Bedürfnisse stattfinden. Dass die sexuelle Befreiung, insofern wir sie schon erreicht haben, also nur mit der fortschreitenden finanziellen Unabhängigkeit der Frau vom Mann kommen konnte, sollte an dieser Stelle klar geworden sein. Dieses Beispiel ist allgegenwärtig: die ökonomischen Bedingungen sind Fundament für unsere Ausbeutung und auch für unsere Unterdrückung.
Hier zeichnet sich eine falsche Analyse des Queerfeminismus ab: die Durchmischung von Ausbeutung und Unterdrückung. Klären wir zunächst, was Ausbeutung ist. Geprägt ist dieser Begriff maßgeblich durch Marx selbst, der ihn in der Arbeitswerttheorie nutzt, jedoch verbirgt sich weiter ein soziales Konstrukt hinter Ausbeutung, bei dem die Ausbeutung in einer Wechselbeziehung zu den Ausgebeuteten steht, die sowohl eine Schädigung als auch eine Abhängigkeit beinhaltet. Es ist eine ökonomische Beziehung, die im Queerfeminismus nicht berücksichtigt wird. Die Unterdrückung hingegen hat keine Abhängigkeit, keinen rein ökonomischen Hintergrund, wirkt aber oft aus diesem heraus. Der Unterdrückte ist nicht von der eigenen Unterdrückung abhängig; der Unterdrückende nicht zwangsläufig von den Unterdrückten. Wir müssen also stets beides analysieren: Wo wird Ausbeutung und wo Unterdrückung erlebt? Beides gilt beispielsweise für den Arbeitsmarkt, aber auch in der Sexualität. Es gilt nicht für die Sprache: Dort zeichnet sich eine Diskriminierung, ein unterdrückendes Verhalten ab, aber keine Ausbeutung. Das Beenden von sexistischen Beleidigungen oder dem generischen Maskulinum und das Einführen von neuen Begriffen (FINTA) können daher nur eine Bestrebung gegen Sexismus und Unterdrückung sein, nicht gegen Ausbeutung, welche zwangsläufig durch Wechselbeziehungen und ökonomische Interessen geprägt ist, welche sich nicht durch Sprache angreifen lassen. Gesellschaftlichen und systemischen Wandel können wir mit Sprache also nicht bewirken; queerfeministische Praxis beschränkt sich aber dennoch oft auf diese. Aber nicht die Sprache formt, wie wir denken, die Sprache ist ein Abbild, wie wir denken, und das wiederum ist maßgeblich von der Welt geprägt, in der wir leben, von der Gesellschaft, von der Unterdrückung, von der wirtschaftlichen Ausbeutung. Es hat keine Menschen in die Prostitution gezwungen oder aus ihr befreit, wenn Hure eine Beleidigung ist oder nicht. Und wir werden auch nicht mehr Frauen auf den Mond bekommen, nur weil wir „Astronaut:innen“ sagen. Sprache schließt und öffnet nur kleine Türen, aber wir brauchen große Tore, wenn wir frei sein wollen. Gesagt sei nicht, dass Sprache egal ist, gesagt sei nur, dass sie weder Aktivismus noch ausreichende Praxis gegen das Patriarchat ist.
- Intersektionalität, Diversität und anderer Hokuspokus
Feministische Theorien unterscheiden sich bei der Fokussetzung beziehungsweise der Analyse von zusammenhängenden Kämpfen. Der sozialistische/marxistische Feminismus bekennt sich klar zum Kampf gegen Klassen, dabei wird ein Fokus auf Arbeiter:innen, insbesondere auch Migrant:innen gelegt, genauso wie auf Familienkonzepte und die Verwobenheit mit dem Kapitalismus. Auch der Öko-Feminismus fokussiert sich auf kapitalistischer Ausbeutung, aber auch auf die herrschende Abneigung von Natur und Natürlichkeit. Postkolonialer Feminismus legt, wie der Name vermuten lässt, einen Schwerpunkt auf Arbeit zu Kolonialismus, Rassismus und dem Kapitalismus. Anarchafeministische Ansätze beschäftigen sich mit dem Kapitalismus und Machtverhältnissen oder Hierarchien. Der Queerfeminismus setzt auf die Bedeutung von (queerer) Sexualität, die eigene sexuelle/Gender-Identität und Familienkonzepte. Ein Grundpfeiler ist dabei das Streben nach Intersektionalität und Diversität. Das klingt zunächst einmal sehr logisch: Es gibt verschiedene Unterdrückungsformen, wodurch die unterschiedliche Ausbeutung nach beispielsweise Geschlecht oder Race berücksichtigt werden müssen. Diese Kämpfe müssen dann mit Berücksichtigung verschiedener Kombinationen gemeinsam geführt werden, während sich möglichst divers aufgestellt werden sollen. Nun soll mit der These eingeleitet werden: Intersektionalität ist ein falscher Ansatz. Intersektionalität, und damit verbunden die Idee einen Kampf aus der eigenen Identität mit der Inklusion anderer Identitäten zu führen, behauptet, Feminismus müsse viele Kämpfe zusammenführen. Diese Kämpfe hätten aber nie getrennt werden sollen! Die vermeintliche Analyse von Überschneidungen verschiedener Diskriminierungen und der Summe als Fazit, verkennt den wirklichen Zusammenhang: den des Kapitalismus. Während antikapitalistische Feminismustheorien schon immer die Existenz von Überausbeutung von beispielsweise schwarzen Frauen berücksichtigt, als eben diese Ausbeutungsform im Kapitalismus, ist es nur der postmoderne Feminismus, der denkt, Menschen in der Analyse hinzufügen zu müssen. Eben genau weil ein grundsätzliches antikapitalistisches Konzept fehlt. Der marxistische Feminismus beispielsweise muss sich nicht neu aufstellen, um antirassistisch und queersolidarisch zu sein, alle Unterdrückungen sind bereits durch die Ausbeutungsverhältnisse, welche der Unterdrückung zu Grunde liegen analysiert. Während ein weiß geprägter Queerfeminismus beginnt, antirassistisch werden zu wollen und queere Geschlechter und Identitäten zu inkludieren, sind queere Kämpfe in marxistischen Analysen gegen traditionelle Familienkonzepte schon historisch gewachsen, genauso wie die Befreiung schwarzer Frauen. Dinge, die zusammengehören, zusammenführen zu müssen, zeigt die Schwäche des Queerfeminismus: er spaltet Unterdrückungsverhältnisse und trennt sie von Ausbeutungsverhältnissen. Nun muss er „das Pferd von hinten satteln“. Das ist schlichtweg falsch, da an dieser Stelle die kapitalistische Ausbeutung lediglich als weitere Unterdrückungs- und Diskriminierungsform ergänzt wird (Klassismus etc.). Sie wird nicht als grundlegend verstanden, obwohl sie genau das ist. Ein Beispiel: Laut der Identitätspolitik von queerfeministischen Ansätzen müsste eine schwarze Frau doppelt unterdrückt und diskriminiert sein, aufgrund von Rassisfizierung und Sexismus. Ende der Analyse. Der marxistische Feminismus hingegen erkennt: eine schwarze Frau kann überausgebeutet sein aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe. Es spielt aber eine Rolle, ob diese Frau CEO oder Putzkraft ist. Das bestimmt maßgeblich ihre Erfahrungen und die vermeintlich gleiche Identität zweier schwarzer Frauen (CEO, Putzkraft) trennt sich aufgrund ihrer Klasse. Diese Klasse ist keine zusätzliche Identität, sondern Grundlage des Ausbeutungsverhältnis. Dass der Queerfeminismus diesen Klassenstandpunkt durch Identitäten ersetzt, zeigt sich in fundamentalen Forderungen: Der Queerfeminismus fordert Privilegien, wie etwa das männliche Geschlecht, zu reflektieren. Die Analyse ist also, dass lediglich ein falsches Bewusstsein, also ein unreflektiertes weiß/männlich Sein der Ursprung der Unterdrückung sei, ergo würde nach der Reflektion dieser Privilegien die Aufhebung der Unterdrückung und Befreiung beginnen. Hier wird deutlich, dass die Streichung oder Verkürzung des Antikapitalismus den Queerfeminismus um jegliche Strategie beraubt. Gleiches gilt für moderne antirassistische Kämpfe, die sich oftmals auf Darstellung und Repräsentation von Diversität berufen – ein richtiger aber ein nicht weit genug gehender Ansatz. Die bloße Darstellung der Existenz von Gruppen oder Geschlechtern, befreit diese nicht.
- So kommen wir nicht weiter
Mit dem Streichen des Klassenstandpunktes stürzt der Queerfeminismus die radikale Linke tiefer in eine Krise – die postmodernen Strömungen haben die radikale Linke getötet. Es war nicht Stalin und der aufkommende Antikommunismus, es war nicht die 1968er Bewegung oder die RAF, es war das Streichen des Klassenstandpunktes, anstatt seiner Aufarbeitung. Es war die Theorie der Kapitalismus sei nicht grundlegend, sondern ein Zusatz. Mit diesem Verständnis, entwickelt sich eine nicht haltbare Praxis. Massenarbeit wird abgelehnt und Diskurse in weiße Akadermiker:innen und Antifa-Szene-Kreise verlagert. Es wird von heterosexistisch, ageistisch, klassistischen heteronormativ cisgender Privilegien gefaselt. Auf der Strecke bleibt nicht nur der:die Arbeiter:in, auf der Strecke bleiben alle, die nicht in einem verzeckten, Nägel lackierenden autonomen Jugendzentrum abhängen und Awareness-Kurse besuchen. Auf Demonstrationen fallen in den Reden Wörter, die Normalsterbliche erst einmal googeln müssen. Man sollte nicht denken, jemand könne diesem Wahnsinn noch folgen, er sei anschlussfähig, er wäre inklusiv oder ernsthaft daran interessiert Politik zu betreiben. Sich Wörter auszudenken, befreit niemanden, keine FLINTA, keine FINTA und keine Frauen. Man schottet sich ab, will in den eigenen moralischen Kreisen bleiben, sich schlauer und überlegener fühlen. Aber man hat sich nicht reflektiert, man hat sich regressiert. Es wurde sich nicht politisiert, sondern moralisiert. Um die Linke jetzt zu reanimieren, braucht es aber nur eines: das revolutionäre Subjekt. Das ist was dem Queerfeminismus schlichtweg fehlt und was die Misere beenden würde. Ein revolutionäres Subjekt ist ein Subjekt, das objektiv ohnmächtig gehalten wird, und sich durch einen revolutionären Kampf genau diesem entziehen kann. Es sind die Arbeiter:innen in unserer Gesellschaft, die in ihrer Ausbeutung die Macht hätten, ihre Befreiung herbeizuführen, wenn sie eine Einheit dafür aufweisen. Und es sind vor allem Frauen, die Reproduktionsarbeit leisten, die Arbeitskraft damit regenerieren und diese Ware erneut verkaufen und damit einer Doppelbelastung ausgesetzt sind. Sie sind damit nicht nur Teil ihrer Klasse, sondern auch ihr stärkstes Druckmittel. Aber diese Identität fehlt, sie neu zu stiften, ist, was unmöglich scheint. Es ist die Herausforderung des marxistischen Feminismus: diese Chance zu nutzen, um sich auf die Überausbeutung von Frauen und Queers zu berufen, anstatt sich in verleumdenden queerfeministischen Ansätzen zu verstricken. Es braucht in unserer Zeit, einen Feminismus, der klar benennt, wer im Kapitalismus ausgebeutet wird und befähigt ist, die Unterdrückung zu beenden. Es sind keine linken Moralist:innen, keine Queerfeminist:innen. Es sind Frauen und Queers, es sind Arbeiter:innen!