Category Archives: Geschichte des Antiziganismus

Französischer Abgeordneter erneut wegen Äußerung zu Roma verurteilt

Berufungsgericht bestätigt Geldstrafe gegen Politiker

Ein französisches Berufungsgericht hat die Verurteilung eines Abgeordneten und Bürgermeisters wegen einer Äußerung zu den Morden an den Roma und Sinti während der NS-Diktatur bestätigt. Gilles Bourdouleix wurde am Dienstag wegen „Verherrlichung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt. Das Berufungsgericht im westfranzösischen Angers verschärfte die Strafe damit noch, da die untergeordnete Instanz im Januar die Geldstrafe noch zur Bewährung ausgesetzt hatte.

Quelle: Die Welt
Stand: 12.08.2014

Der Kampf gegen die Angst

Matthäus Weiß kann nicht lesen und schreiben. Das hängt damit zusammen, dass er Sinto ist und seine Mutter wie viele andere Sinti-Kinder in Schleswig-Holstein vor mehr als 70 Jahren von den Nazis aus dem Unterricht heraus in Konzentrationslager verschleppt wurde. Das hat bis heute in vielen Sinti-Familien ein tiefes Unbehagen gegenüber der Institution Schule hinterlassen. Und genau dagegen kämpft der unfreiwillige Analphabet Matthäus Weiß.

Weiß erfuhr erst als Erwachsener, was geschehen war

Matthäus Weiß ist Mitte 60, schlank, fast schmal. Er trägt Schnurrbart, Brille, ein kariertes Hemd. Zuhause ist er in Kiel-Elmschenhagen. In Schleswig-Holstein lebt seine Familie schon seit Jahrhunderten. Dass er nie zur Schule gegangen ist, hängt mit seiner Mutter und ihren grauenvollen Kindheitserlebnissen zusammen. Matthäus Weiß war schon erwachsen, als sie ihm zum ersten Mal davon erzählte: Sie selbst ging damals wie die anderen Sinti-Kinder in Kiel zur Schule und war siebeneinhalb Jahre alt, als die Uniformierten sie aus dem Unterricht holten. Continue reading Der Kampf gegen die Angst

Remembering the Sinti and Roma of Auschwitz

On August 2, 1944, Nazis liquidated the concentration camp’s Gypsy section

At twilight on the evening of Aug. 2, 1944, big, wood-sided trucks arrived at the Gypsy family camp of Auschwitz-Birkenau. The prisoners were given sausage and a piece of bread and told that they were being taken to another camp. At first, the trucks drove off in a different direction from the gas chambers and crematoria, but as they doubled back toward the killing factories, the Gypsies began to struggle and fight the guards. “Betrayal!” they screamed. “Murder!”

A Hungarian Jew who heard the clamor from a nearby barrack later said that the memory made her blood run cold. “We heard yelling, German orders, the ever, ever-present German Shepherd dogs barking,” she recalled. “And then, screaming. I never, ever forget that screaming. Terrible screams. They must have known.”

On that August night, Nazis liquidated the Gypsy camp, killing nearly 3,000 Roma and Sinti—the two major groups of European Gypsies—in the gas chambers of Birkenau. They were women and men, elderly people and children, many of whom had been victims of Nazi medical experiments and forced sterilization. Their deaths were among the 20,000 Roma and Sinti who perished at Auschwitz—but a fraction of the hundreds of thousands murdered by the Nazis in mass killings and concentration camps. Continue reading Remembering the Sinti and Roma of Auschwitz

Ahead of the 70th anniversary of the “Gypsy camp” liquidation at Auschwitz-Birkenau, OSCE/ODIHR Director calls for leaders to speak out against anti-Roma rhetoric, scapegoating

Michael Georg Link, Director of the OSCE Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR), speaking ahead of Saturday’s 70th anniversary of the liquidation of the “Zigeunerlager”, or “Gypsy Camp”, at Auschwitz-Birkenau called today on political leaders not only to refrain from scapegoating Roma and Sinti communities, but also to speak out against racist rhetoric in public discourse that can fuel anti-Roma sentiment in society.

“Seventy years after the liquidation of the so-called ‘Zigeunerlager’, where some 23,000 Roma and Sinti were murdered, public discourse still perpetuates old negative stereotypes against these people,” Link said. “In a number of countries in the OSCE region Roma are portrayed as criminals or social outsiders. The crucial role of the media in constructing and perpetuating these negative images has recently been confirmed by a comprehensive study in Germany. These stereotypes must be countered, both to bring justice to the victims of the Roma and Sinti genocide, and to create a better future for Roma today.”

Link underlined the important role of leadership in combatting these attitudes.

“Public figures, and particularly politicians, have a responsibility to lead by example and publicly condemn racist speech targeting Roma and Sinti,” the ODIHR Director said. “The authorities in OSCE participating States should also work to promote non-discriminatory portrayals of Roma and their communities, in order to prevent the perpetuation of negative stereotypes in the media.”

As mandated by the 2003 OSCE Action Plan on Roma and Sinti, ODIHR promotes the official recognition and teaching about the experience of Roma and Sinti during the Holocaust.

“Teaching about the past and the tragedy of the Roma under the Nazi regime is one key to a better understanding their present situation,” Link said. “Roma and Sinti have long suffered from racism and discrimination, and understanding this history is necessary to promote a more tolerant, inclusive society for all.”

Earlier this year, on 2 June, ODIHR hosted an expert meeting on teaching about the Roma and Sinti genocide in the OSCE area, and will publish a report on the subject later this year.

Source: OSCE Office for Democratic Institutions and Human Rights
Date: 01.08.2014

Aufruf zum Gedenken, am 2. August 2014, am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma am Schwanenteich in Leipzig!

Als „Porajmos“ (dt. „das Verschlingen“) wird in Romanes der Genozid an den Sinti und Roma während der Zeit des Nationalsozialismus bezeichnet. Trauriger Höhepunkt des Völkermordes war der 2. August 1944, der sich dieses Jahr zum 70. Mal jährt. An diesem Tag wurde der Abschnitt BIIe im Konzentrationslager Auschwitz geräumt und die 2897 noch verbliebenen Sinti und Roma in den Gaskammern ermordet. Allein in Auschwitz starben zwischen Februar 1943 und August 1944 19300 in diesem Abschnitt untergebrachte Menschen. Insgesamt fielen hunderttausende Sinti und Roma den Nazis zum Opfer. In Deutschland ist das Bewusstsein für die leidvolle Geschichte der größten Minderheit Europas und die eigene Verantwortung dafür jedoch kaum ausgeprägt.

Auch heute ist diese Bevölkerungsgruppe rassistischen Angriffen ausgesetzt, die teilweise lebensbedrohlich sind. So fand 2009 in Klingenhain unweit von Leipzig ein Brandanschlag statt, bei dem das Haus und Gewerbe einer Sinti Familie niederbrannte, die daraufhin ihren Wohnort verließ, da sie um ihr Leben fürchten musste. Vorausgegangen waren jahrelange Anfeindungen, Drohungen und Angriffe mit eindeutig rassistischem Hintergrund.
Auch im Leipziger Stadtteil Volkmarsdorf wurde im Herbst 2010 massiv Stimmung gegen ansässige Roma gemacht, die in verbalen und tätlichen Übergriffen mündete.

Diese Übergriffe finden nicht irgendwo weit weg statt, sondern in unserer unmittelbaren Umgebung und trotzdem nimmt der überwiegende Teil der Gesellschaft daran keinen Anteil, selten wird darüber überhaupt medial berichtet.
Vor allem in Deutschland erwächst aus dem nationalsozialistischen Genozid an Sinti und Roma eine große Verantwortung, die sich nicht nur in einer würdigen Erinnerungskultur und einem entschiedenen Vorgehen gegen Rassismus (nicht nur) gegen Sinti und Roma in all seiner Bandbreite niederschlagen muss, sondern auch in einer aktiven Unterstützung der Verbesserung der Lebenssituation von Roma in ganz Europa!

Darum rufen wir am 2. August 2014, 16 Uhr anlässlich der Liquidation des Abschnitts BIIe im KZ Auschwitz vor 70 Jahren zum Gedenken am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma in der Goethestraße, Ecke Ritterstraße, am Schwanenteich in Leipzig auf. Setzen wir gemeinsam ein Zeichen gegen rassistische Stimmungsmache und für ein würdiges Erinnern!

Initiative „Leipzig Korrektiv“

http://ecoleusti.wordpress.com/

Gräbern von Sinti und Roma droht die Räumung

Zahlreichen Grabstätten von Sinti und Roma in Deutschland droht die Räumung – die Ruhefristen der Friedhöfe laufen aus. Aber für die Angehörigen sind die Gräber zugleich auch Gedenkstätten für NS-Opfer. Und die müssten erhalten werden, fordert der Verband der Sinti und Roma in Heidelberg.

Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, hat deshalb Bund und Länder am Montag aufgefordert, mehr für den Erhalt der Grabstätten von Sinti und Roma zu tun. Die Gräber seien auch Erinnerungsorte an die Opfer des Holocaust, sagte er in Heidelberg. Das findet auch Max Birkenfelder. Er hatte fünf Geschwister einst, vier von ihnen haben den Holocaust überlebt, genauso wie er selbst und beide Elternteile. Seine kleine Schwester aber wurde im KZ Radom ermordet, einem Außenlager von Majdanek in Polen. Auch mehrere Onkels und Cousins überlebten die NS-Lager nicht.

„Dann fällt unsere Familie auseinander“

„Wenn ich heute zum Grab meiner Eltern gehe, dann denke ich nicht nur an sie, sondern an alle, die den Holocaust nicht überlebt haben. Es erinnert mich daran, was mit uns Sinti und Roma damals passiert ist“, sagt Birkenfelder. „Wenn das Grab irgendwann geräumt wird, dann fällt unsere ganze Familie auseinander.“ In vier Jahren läuft die Ruhefrist für das Grab aus. Etwa 3.000 Euro müsste der 76-Jährige zahlen, wenn er die Frist verlängern will. Woher er das Geld nehmen soll, weiß der Rentner nicht.

Max Birkenfelder hat dasselbe Problem wie zurzeit viele Sinti und Roma in Deutschland. Manchmal lässt sich eine Ruhefrist noch mit Geld verlängern, manchmal nicht mal das – das liegt am jeweiligen Friedhof. Was für andere Menschen schon ärgerlich und traurig ist, erscheint vielen Sinti und Roma unerträglich. Denn in den Grabstätten ruhen die wenigen Überlebenden des Holocaust – und sie sind zugleich der Ort, derjenigen zu gedenken, von denen es keine Spuren mehr gibt und auch kein Grab. Jener Sinti und Roma, die in der NS-Zeit ermordet wurden.

Strenge Friedhofsordnung

Das Gräbergesetz sieht vor: Überlebende des Holocaust, die vor dem 31. März 1952 starben, erhalten ein sogenanntes „Ehrengrab“ mit ewigem Ruherecht. Gräber von Opfern der NS-Diktatur, die nach diesem Stichtag gestorben sind, werden hingegen wie ganz normale Grabstätten behandelt. Eine Ausnahme bilden die jüdischen Friedhöfe.
„Wenn die Gräber beseitigt werden, dann geht den Familien auch die Erinnerung verloren, an einen Teil ihrer Biografie und an die Menschen, die einem einmaligen rassistischen Verbrechen zum Opfer gefallen sind“, sagt Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Er geht noch weiter: Es handele sich bei den Stätten auch um „Lernorte“ für die Bevölkerung: Man könne durch sie begreifen, was in Deutschland einmal möglich gewesen sei und was heute unvorstellbar erscheine.

Es geht um rund 3.500 Gräber

Um die Grabstätten zu schützen, schlägt der Zentralrat vor, sie unter Denkmalschutz zu stellen oder in Ehren- oder Dauergräber umzuwandeln. Maximal um 3.500 Gräber gehe es bundesweit – ihr Erhalt sei gemessen an den 40 Millionen Euro, die etwa der Bund jährlich für Kriegsgräberfürsorge aufwende, ein „minimaler Betrag“, urteilt Rose. Nun will sich Rose bei einem Treffen mit Vertretern des Bundesrats für eine bundesweite Lösung einsetzen. Das ist ihm auch deswegen wichtig, weil er darin auch eine symbolische Anerkennung der Sinti und Roma als Opfer des NS-Regimes sieht. Auf eine Lösung hofft auch Max Birkenfelder. Ihm ist vor allem die Erinnerung an die Geschichte seiner Familie wichtig – und an dieser sollen auch Außenstehende teilhaben, findet er: „Ich möchte auf dem Grab einen Hinweis anbringen, dass meine Eltern Überlebende des Holocaust sind.“

Quelle: SWR
Stand: 07.07.2014

Über die Jenischen, eine unbekannte Minderheit

„Wir campen nicht, wir wohnen. Warum lasst ihr uns nicht?“
jenische Familie

Wagen von Fahrenden

BILD: Schnappschuss aus Tübingen, kunstvoll verzierter Wagen von Fahrenden

Antiziganismus richtet sich im deutschsprachigen Raum nicht nur gegen Sinti und Roma, sondern kann sich auch gegen die Minderheit der Jenischen richten. Die Existenz dieser Minderheit ist in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik trotzdem kaum bekannt. Nicht selten werden sie mit Sinti oder Roma verwechselt.
Generell sind die Jenischen eine soziokulturelle Minderheit, deren Mitglieder sich teilweise auch als ethnische Minderheit verstehen. Es handelt sich um „eine transnationale europäische Minderheit, deren Wurzeln bis ins Mittelalter und möglicherweise noch weiter zurückreichen“.
Jenische sind bzw. waren eine Gruppe von Fahrenden, die sich nicht den Sinti und Roma zuordnen und über eigene Traditionen und eine eigene Verständigungssprache verfügen. Unklar ist Herkunft und Entstehung dieser Gruppe. Einer Theorie nach sind die Jenischen eine im Zuge der Bauernkrieg (1520-25) aus der Schweiz ausgewanderte Volksgruppe. Viele jenische Wörter stammen aus dem Romanes, aus der jüdischen Umgangssprache, dem Jiddischen und aus dem Rotwelschen. Allerdings ist Jenisch als Sprache an der Stufe zum Aussterben. Zwar wird Jenisch in Deutschland z.B. noch in Waldachtal, einem Ortsteil Lützenhardt, gesprochen bzw. zur Verständigung genutzt. Aber es gibt insgesamt wohl nur noch einige hundert, die diese Sprache bzw. ihren Wortschatz beherrschen.
Traditionell übten durch ihre fahrende Lebensweise die Jenischen bestimmte Berufe aus. Berufe wie das Altwarensammeln, verschiedene Formen von Wanderhandwerken (Kesselflicker, Scherenschleifer, Korbflechter etc.) und den Hausierhandel. Diese Berufe verdeutlichen auch die Stellung der Jenischen als marginalisierte Minderheit und ihre gesellschaftliche Deklassierung.
In der Mehrheitsgesellschaft wurden die Jenischen, auf Grund ihrer traditionell fahrenden Lebensweise, häufig als „Zigeuner“ wahrgenommen und angefeindet und manchmal auch als „weiße Zigeuner“ bezeichnet.

Interessanterweise entstanden Gruppen mit ähnlichem Charakter fast zeitgleich in Großbritannien („Traveller“), Irland („tinker“) und Frankreich („Gens de Voyage“). Auch sie stoßen auf starke Ablehnung der ansässigen Mehrheitsgesellschaft. So lehnten in einer Umfrage 75 % der englischen Bevölkerung ansässige Traveller in ihrer Nachbarschaft ab. Durch Auswanderung gibt es auch größere Gruppen von Traveller in den USA.

Besonders im deutschsprachigen Raum ist die Minderheit der Jenischen zu finden. In Österreich sollen 35.000 Jenischen leben, genau soviel in der Schweiz, wo sie vermutlich am besten organisiert sind. Weitere Länder mit Jenischen-Minderheiten sind Frankreich und Luxemburg. Es soll auch Jenischen in Ungarn und Weißrussland geben.
Was die Zahlen der Minderheit in Deutschland betrifft, so gibt es hier sehr unterschiedliche Angaben. Sie schwanken zwischen 8.000 und 250.000. Die Bundesregierung sprach von etwa 8.000 Jenischen. Bis zu 400.000 Menschen in Deutschland sollen jenischer Abstammung sein, die wenigsten dürften sich dessen allerdings bewusst sein. In ganz Deutschland sollen noch etwa 5.000 Personen noch jenischen Traditionen leben. Heute ist die große Mehrheit der Jenischen fest ortsansässig. Nur ein paar hundert sollen noch ganzjährig fahrend sein, d.h. in einem Wohnwagen leben. Eine ältere Schätzung nennt 8-10.000 „Landfahrer“ für die alten Bundesländer, worunter aber auch Kleinzirkusleute, Schausteller und fahrende Sinti mit erfasst sein dürften. Sowieso ist der Begriff „Landfahrer“ durch eine jahrzehntelange Kriminalisierung von Fahrenden durch Behörden unter diesem Begriff zu vermeiden.
Als wichtigste Interessenorganisation der Minderheit in der Bundesrepublik gilt der „Jenische Bund in Deutschland“, der nach Eigenangaben etwa 4.000 Mitglieder haben soll.
Siedlungsschwerpunkt ist Süddeutschland. Angeblich leben bis zu 120.000 Jenische in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Traditionell leben sie hier in einzelnen, kleineren Orten oder Vierteln. Die baden-württembergische Stadt Singen gilt als Hochburg der Jenischen, wo hunderte Menschen mit jenischen Selbstverständnis leben.

Verfolgung im Nationalsozialismus
Jenische sind eine vergessene und bis heute öffentlich nicht anerkannte Opfer-Gruppe des Nationalsozialismus.
Die Jenischen wurden im Nationalsozialismus häufig auf Grund ihrer Lebensweise als „Zigeuner-Mischlinge“ oder wegen ihrer Lebensweise „als Asoziale“ bzw. „nach Zigeunerart umherziehende Personen“ kategorisiert und verfolgt. Anfangs waren sie auf Grund ihrer Lebensweise auch Opfer der frühen Asozialen-Verfolgung im Nationalsozialismus. Später wurden sie auch wegen angenommener oder tatsächlicher Sinti-Vorfahren verfolgt und ermordet.
Manchmal wurden die jenischen NS-Opfer im „Dritten Reich“ aber auch als Jenischen benannt. So wurden bei den deportierten „Kindern von Mulfingen“ die Jenischen-Kinder auch als Jenischen benannt, während die Opfer dieser Deportationen in der Geschichtsschreibung zumeist nur als Sinti benannt wurden.
Im NS-Deportationserlass gegen Sinti und Roma von 1943 wurden sie dagegen nicht noch einmal gesondert erwähnt.
Jenische NS-Opfer sind teilweise auch anhand ihres Wohnortes erkennen. Beispielsweise, wenn die Opfer aus Fichtenau im Kreis Schwäbisch Hall stammten, wo heute noch 50 Familien mit jenischem Stammbaum leben. Allein aus diesem kleinen Ort wurden fünf Jenische im KZ umgebracht.
Viele wurden ermordet oder zwangssterilisiert, die genaue Zahl der Opfer aus dieser Minderheit ist unbekannt. Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Opfern aus. Timo Adam Wagner, ein Minderheiten-Vertreter gab an, fast jede zweite Familie habe Opfer zu beklagen gehabt, „meist sogar mehrere“.

In der Schweiz wurden die Jenischen zwar nicht wie im Nationalsozialismus verfolgt und umgebracht, aber es wurden ihnen durch eine staatliche Behörde mit Zwang hunderte Kinder weggenommen.

Getötet, weil er im Weg war

Auch tausende Kinder fielen dem Euthanasie-Programm der Nazis zum Opfer. Jetzt wird das Leben des 14-jährigen Augsburgers Ernst Lossa verfilmt.

Ernst Lossa wäre in diesem Jahr 85 Jahre alt geworden, erlebt hat er nicht einmal seinen 15. Geburtstag. Der Augsburger Bub gehörte der Minderheit der Jenischen an und wurde von den Nazis im Rahmen des sogenannten Euthanasie-Programms ermordet. Vor wenigen Jahren erschien Lossas Geschichte als Buch, nun soll sein Leben verfilmt werden. Die Volksgruppe den Jenischen setzt große Hoffnungen in den Kinostreifen. „Wir versprechen uns, dass sich die Bevölkerung endlich mit der Geschichte der Jenischen beschäftigt“, sagt der Vorsitzende des Bundesrats der Jenischen Deutschlands, Timo Adam Wagner. Denn Lossas Schicksal sei kein Einzelfall für die Jenischen während der Hitler-Diktatur gewesen. „Es gab kaum eine Familie, die nicht betroffen war.“

Die Jenischen lebten laut Wagner damals überwiegend in Süddeutschland. Doch im Unterschied zu Sinti und Roma sind sie bis heute kaum bekannt. Ihr Bundesrat fordert entsprechend, dass die systematische Verfolgung durch die Nazis erforscht wird. Bislang seien nur Einzelfälle dokumentiert, sagt Wagner. Genaue Zahlen von Opfern unter den Jenischen gebe es nicht. Der Vorsitzende schätzt, dass es damals rund 100 000 Todesopfer gab. Viele weitere seien inhaftiert oder zwangssterilisiert worden, erklärt Wagner.

Lossas Vater stirbt in Flossenbürg

Auch Ernst Lossas Vater wurde verfolgt, ins Konzentrationslager Dachau gesperrt, er stirbt schließlich im oberpfälzischen KZ Flossenbürg. Ernst kommt mit seinen beiden Schwestern in ein Augsburger Kinderheim, seine Mutter stirbt in einem Krankenhaus bereits mit 23 Jahren. Später wird der Junge in ein Nazi-Erziehungsheim gebracht, schließlich landet er in der Heil- und Pflegeanstalt in Irsee und wird – wie viele andere dort – umgebracht. Mit 14 Jahren stirbt Ernst Lossa im August 1944 durch zwei Giftspritzen. Nach dem Krieg werden die Morde in einem Euthanasie-Prozess in Augsburg verhandelt, doch die Täter kommen mit milden Strafen davon. Vor wenigen Jahren schreibt der Autor Robert Domes die Lebensgeschichte des Buben auf.

Quelle: Mittelbayrische Zeitung
Stand: 11.06.2014

Gedenken an KZ-Aufstand der Sinti und Roma

Der Aufstand im Warschauer Getto 1943 ist den meisten ein Begriff. Weniger bekannt ist, dass es auch einen Aufstand im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau der Sinti und Roma gab. Am 16. Mai 1944 leisteten sie bewaffneten Widerstand gegen ihre drohende Vernichtung. Sie konnten sie aufschieben – aber nicht verhindern.

Die SS in Auschwitz wollte am 16. Mai 1944 die noch lebenden dort inhaftierten Sinti und Roma in die Gaskammern schicken. Doch sie widersetzten sich: Mit Steinen und Werkzeugen bewaffnet verbarrikadierten sie sich in den Baracken. Es gelang ihnen, ihrer Vernichtung so vorerst zu entkommen. Der Aufstand im Lagerabschnitt II B von Auschwitz-Birkenau, dem „Zigeunerlager“, war ein Höhepunkt des Widerstandes, den die Sinti und Roma auf vielfältige Weise gegen die Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten leisteten. Doch auch ihr Widerstand wurde gebrochen: Nach der Selektion aller arbeitsfähigen Häftlinge wurde das „Zigeunerlager“ Anfang August aufgelöst. Die zurückgebliebenen 2900 Menschen starben in den Gaskammern.

„Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau

Auch Sinti und Roma waren von der nationalsozialistischen Rassenideologie betroffen. Zwischen 1933 und 1945 wurden Hunderttausende Menschen in Deutschland und anderen Ländern Europas als „Zigeuner“ verfolgt. Sie selbst bezeichneten sich meist als Sinti, Roma, Lalleri, Lowara oder Manusch. In Europa am stärksten vertreten waren die Sinti und Roma. Ziel der Nationalsozialisten war die Vernichtung dieser Minderheit. Sie wurden verschleppt und in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.

Fortsetzung der Diskriminierung nach 1945

In Auschwitz-Birkenau wurde ein eigenes „Zigeunerlager“ errichtet. Dort waren insgesamt 23.000 Menschen inhaftiert – die Hälfte davon jünger als 14 Jahre. Im Mai 1944 waren noch etwa 6000 Menschen am Leben. Von den erfassten 40.000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden über über 25.000 ermordet. Insgesamt fielen der Vernichtung durch die Nationalsozialisten aus dieser Volksgruppe schätzungsweise 220.000 bis 500.000 Menschen zum Opfer. Nach 1945 ging die Diskriminierung der Sinti und Roma weiter. Viele der für die Verfolgung und Vernichtung Verantwortlichen machten in den Behörden der Bundesrepublik Karriere. Erst 1982 wurde der Völkermord als rassistisch von der Bundesregierung anerkannt. Entschädigungszahlungen gab es kaum. Die Begründung: Sinti und Roma seien als potenzielle Verbrecher „kriminalpräventiv“ inhaftiert worden.

Quelle: Deutschlandradio Kultur
Stand: 16.05.2014