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Ungarische Roma reichen in der Schweiz Asylgesuche ein

65 Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma wurden aus ihrer Heimatstadt in Ungarn vertrieben. Seit einer Woche suchen sie um Asyl in der Schweiz nach. Als europäische Staatsbürger haben sie kaum Chancen darauf.

Nur gerade 46 Personen aus Ungarn ersuchten in den letzten zwei Jahren um Asyl in der Schweiz. Seit dieser Woche liegen nun auf einen Schlag die Asylgesuche von 65 Roma aus Ungarn vor. Das sei eine aussergewöhnliche Situation, sagt Beat Meiner von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe: «Wir haben wenige Asylgesuche aus Ungarn. Es ist sicher so, dass die Roma in Ungarn Probleme haben. Dass so viele jetzt aus Ungarn kommen, ist ungewöhnlich.»

Viele wollen noch einreisen

1400 Kilometer haben sie im Bus zurückgelegt, aus dem Osten Ungarns bis in die Westschweiz, bis nach Vallorbe, ins Empfangs- und Verfahrenszentrum. Sie würden in ihrer Heimat verfolgt, wie sie sagen. Ihre Häuser und Wohnungen in ihrer Heimatstadt Miskolc seien von den Behörden beschlagnahmt worden, denn mitten im Roma-Quartier soll ein neues Stadion gebaut werden, sagte einer der Asylsuchenden zur Westschweizer Zeitung «Le Matin».nAuf die Ankunft des Busses aus Ungarn hat das Bundesamt für Migration (BFM) gestern reagiert. BFM-Sprecherin Céline Kohlprath: «Das Bundesamt für Migration hat den Botschafter aus Ungarn getroffen. Zwei Themen wurden angesprochen: die Prävention vor Ort und die Rückkehr.» Die Schweiz hat mit Ungarn für solche Fälle ein Rückübernahmeabkommen. In Ungarn selbst sollen weitere mögliche Flüchtlinge von einer Reise in die Schweiz abgehalten werden. Sie seien nur die Vorhut, sagte einer der Roma aus Miskolc zu «Le Matin»: Hunderte weiterer Familien erwägten ebenfalls eine Flucht in die Schweiz.

Wenig Hoffnung

Ihnen allen macht BFM-Sprecherin Céline Kohlprath wenig Hoffnung, dass ihr Asylgesuch anerkannt wird: «Die Chance ist generell gering. Sie sind europäische Staatsbürger. Trotzdem wird jede Asylanfrage individuell behandelt.» Das Ziel sei, innert 48 Stunden über die Asylgesuche zu entscheiden. Dann steht den Roma aus dem ungarischen Miskolc wohl schon wieder die Rückreise bevor: Ungarn gilt in der Schweiz offiziell als sicheres Land. Von den 46 ungarischen Asylsuchenden der letzten zwei Jahre wurde kein einziger als Flüchtling anerkannt.

Quelle: SFR
Stand: 22.10.2014

Kommunalwahlen in Ungarn: Den Roma den Krieg erklärt

Heute wird in Ungarn gewählt. Aber in einem sind alle Parteien hier gleich: Sie haben den Roma den Krieg erklärt, um bei den Wählern zu punkten. Eine Reportage aus Miskolc.

Wie ein Slum sieht das hier nicht aus. Nicht wie die Mini-Favela aus Wellblech, Pappe und Sperrholz, in der viele Roma mitten im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad hausen. Nicht wie die verrottenden Plattenbauten im Stadtteil Lunik 9 des ostslowakischen Kosice, mit Wohnungen ohne Fensterscheiben und Türen und massenweise Müll zwischen den Häusern. Auch eine Mauer hat niemand hier im nordostungarischen Miskolc (sprich: Mischkolz) um die Siedlung gezogen, wie das auf behördliche Anordnung mit einem Roma-Wohngebiet im rumänischen Baia Mare geschah. Keine sichtbare jedenfalls.

Im schönsten Nachmittagslicht liegt sie da, die Siedlung aus einstöckigen Häusern, auf halber Strecke zwischen der idyllischen Altstadt und der nicht minder hübsch am Hügelrand gelegenen mittelalterlichen Burg Diosgyör. Schmal vom grasgrün gesäumte Asphaltsträßlein. Kaum Autos, dafür viele fröhlich lärmende, bunt gekleidete Kinder. Malerisch blättert da und dort Putz von den Häusern, hin und wieder künden Satellitenschüsseln von Gegenwart. Und auf der nahe gelegenen Durchgangsstraße rumpeln die altertümlichen Bahnen der Tram-Linie 1 vorbei. Alles reif also für den Touristen-Werbeslogan „Romantik pur“? Schöner kann der Schein kaum trügen.

Betritt man die Siedlung der von 1 bis 10 nummerierten Straßen – oder der „Straßen ohne Namen“, wie sie hier genannt werden –, ist es vorbei mit dem Postkartenparadies. Noch dazu, wenn eine Gruppe unangekündigt hineinschlendert, mit Reporter, Dolmetscherin, Fotografin. „Was wollt ihr hier?“, fragen die Bewohner bohrend. „Keine Fotos!“, ruft jemand. Ein anderer: „Jedenfalls keine von den schlechteren Häusern!“ Ein großes Palaver folgt, und es braucht einige Überzeugungskraft, bis sich unter den Umherstehenden und schnell in der Siedlung verbreitet, dass man nicht in böser Absicht kommt.

Tatsächlich sind die Straßenzüge mit den 60 Häusern, in denen 250 bis zu achtköpfige Familien leben, hochpolitisches Kampfgebiet. Seit Bürgermeister Ákos Kriza angekündigt hat, die Roma-Siedlung komplett zu räumen, damit auf dem Gelände ein Parkplatz für das benachbarte Fußballstadion entstehen kann, gilt Miskolc ungarnweit als derzeit krassestes Beispiel für staatlichen Antiziganismus. Und vor den am heutigen Sonntag stattfindenden Kommunalwahlen in Ungarn überbieten sich die nahezu gleichauf liegenden Parteien – die sozialdemokratische MSZP, die stramm rechte Fidesz und die neofaschistische Jobbik (deutsch: die Besseren) – in roma-feindlichen Parolen, um bei den Wählern zu punkten.

Quelle: Der Tagesspiegel
Stand: 12.10.2014

Die Roma sollen die Stadt verlassen

Kommenden Sonntag finden in Ungarn Kommunalwahlen statt. In der Industriestadt Miskolc haben alle grossen Parteien die Vertreibung der Roma im Wahlprogramm. Die rechtsextreme Jobbik könnte gewinnen.

Sie haben noch einmal Aufschub bekommen. Noch ein halbes Jahr dürfen Sandor Lakatos und seine Frau in ihrer kleinen Wohnung in der nordungarischen Stadt Miskolc bleiben, das hat eine Richterin entschieden. Nächstes Frühjahr aber müssen sie ganz sicher raus. Verständnis für ihre Situation habe die Richterin nicht gezeigt, meint Lakatos: «Sie sagte uns nur, wir sollten hier nicht Theater spielen.» Ihre Nachbarn trafen auf noch weniger Verständnis. Einige wurden bereits aus ihren Wohnungen geworfen, zum Teil mit Polizeigewalt. Anderen droht dieses Schicksal in den nächsten Wochen.

Joszefne Molnar muss am 20. Oktober ihre Wohnung räumen. Aufschub bekommt sie nicht: «Der Beamte herrschte mich nur an, ob ich denn ein Schaf sei, dass ich die Kündigung nicht verstehe.» Molnar hat viel Arbeit und Geld in die Wohnung gesteckt. Die Fenster sehen ziemlich neu aus, der Boden auch. Finanzielle Entschädigung wird sie dafür nicht bekommen. Auch eine andere Wohnung wird ihr von der Gemeinde nicht angeboten. Ihre Anträge blieben unbeantwortet: «Sie wollen uns zu ­Beginn der kalten Jahreszeit einfach auf die Strasse setzen.» Continue reading Die Roma sollen die Stadt verlassen

Roma in Ungarn: Kein Interesse für die Opfer

Fünf Jahre nach der rechtsextremistischen Mordserie

Im August 2009 wurden in Ungarn mehrere Rechtsterroristen gefasst: Sie hatten sechs willkürlich ausgewählte Roma erschossen und 55 Menschen verletzt, ebenfalls fast alle Roma. Die Mordserie ist bis heute nur ansatzweise aufgearbeitet.

„Schlaft, es ist nur der Wind!“, sagt die Mutter zu ihren Kindern. Doch der Junge hört sie kommen.

„Sie sind da“, schreit der Junge. „Raus, raus!“ Sie laufen aus dem Haus, direkt vor die Schrotflinten der heimtückischen Mörder, die im Dunkel der Nacht lauern.

So passiert es in der vorletzten Szene des Filmes „Nur der Wind“ des ungarischen Regisseurs Bence Fliegauf. Der international preisgekrönte Spielfilm erzählt die fiktive Geschichte einer Roma-Familie, die von rassistischen Mördern erschossen wird. Sie basiert auf wahren Ereignissen. In den Jahren 2008/2009 ermordeten rechtsextreme Terroristen in Ungarn bei Anschlägen sechs Roma, darunter einen vierjährigen Jungen, und verletzten 55 Menschen, ebenfalls fast alle Roma, zum Teil lebensgefährlich. Den letzten Mordanschlag verübten sie am 3. August 2009, drei Wochen später wurden sie gefasst: vier Männer mittleren Alters mit einschlägiger rechtsextremer Vergangenheit.

Heute, fünf Jahre später, ist die Geschichte dieser Mordserie in Ungarn nur ansatzweise aufgearbeitet: Zwar wurden drei Täter vergangenes Jahr zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt, ein Komplize zu 13 Jahren, jedoch steht ein langes Berufungsverfahren bevor. Zum anderen spielten ungarische Geheimdienste während der Romamordserie, ähnlich wie bei den NSU-Morden, eine zwiespältige Rolle: So etwa gaben sie während der Mordserie wichtige Erkenntnisse über die Täter nicht an die Ermittler weiter. Die genauen Umstände werden derzeit untersucht. Außerdem fahnden Ermittler noch nach mutmaßlichen Mittätern und Helfershelfern. Vor allem aber: Die meisten überlebenden Opfer und Angehörigen der Mordserie leben in tiefster Armut – eine Folge der Anschläge, aber auch des öffentlichen Desinteresses an den Opfern.

Erinnerungen eines Anschlagopfers

Krisztián Rontó schaut aus dem Fenster seines Wohnzimmers. Der junge Mann zeigt auf den Tatort. Da drüben, auf der anderen Seite des Flusses, stand der Schütze, 70 Meter entfernt, versteckt zwischen Büschen:

„Der Anschlag war am 15. Dezember 2008, es regnete und war schon dunkel, es passierte so gegen vier, halb fünf. Ich ging nach draußen, um Holz zu zersägen. Da kam der erste Schuss. Das Projektil schlug in die Mauer ein. Ich dachte, jemand spielt mit Böllern. Ich ging auf die Straße, um nachzuschauen, sah aber nichts. Dann nahm ich das Holz auf den Arm und wollte ins Haus gehen. Als ich vor der Tür stand, kam der zweite Schuss. Auch da dachte ich, es ist ein Böller, diesmal, dass ich auf ihn getreten sei, denn ich hatte ein Gefühl im linken Bein, als ob ich einen Stromschlag bekommen hätte. Plötzlich spürte ich etwas Heißes in der Beckengegend. Blut floss an mir herunter. Dann verlor ich das Bewusstsein und brach zusammen. Ich wachte erst wieder auf der Intensivstation auf.“

Krisztián Rontó, 25 Jahre alt, schmal, hoch aufgeschossen, dunkelblondes Haar, wohnt in dem nordostungarischen Dorf Alsózsolca. Er wirkt völlig arglos und noch fast jungenhaft. Rontó hat die 8. Klasse abgeschlossen und ein paar Jahre lang auf Baustellen gejobbt. Drei Monate vor dem Mordanschlag hatte er eine spezielle Berufsschulausbildung für Roma-Jugendliche in der nahegelegenen Großstadt Miskolc begonnen – er träumte davon, die neunte und zehnte Klasse zu schaffen und Malermeister zu werden. Doch die Mörder zerstörten seinen Traum: Nach dem Anschlag kämpften die Ärzte tagelang um sein Leben, es dauerte Monate, bis er wieder normal essen und laufen konnte.

Länger andauernde körperliche Arbeit kann Krisztián Rontó nicht mehr verrichten und konnte deshalb auch die Berufsausbildung nicht beenden.

„Meine Harnblase, mehrere Adern und inneres Gewebe waren verletzt, mein Steißbein war zersplittert. Das Projektil war durch mich hindurchgegangen und hatte ein vier Zentimeter großes Loch hinterlassen. Innen war alles zerfetzt. Mein linkes Bein spüre ich nicht mehr, weil durch die Schussverletzung mehrere Nervenstränge zerstört wurden. Im Oberschenkel spüre ich noch etwas, aber an der Wade und Fußsohle nichts mehr. Als ich aus dem Krankenhaus kam, sagte der Arzt, dass der Zustand meines Beines sich in fünf bis zehn Jahren verschlechtern werde, ich würde Schmerzen haben, schwerer gehen und vielleicht in einen Rollstuhl kommen. Gott sei Dank ist es noch nicht so schlimm. Aber wenn ich länger laufe, dann schwillt das Bein an, im Oberschenkel spüre ich Stiche, und manchmal bekomme ich Krämpfe. Continue reading Roma in Ungarn: Kein Interesse für die Opfer

Ethnische Säuberung zur „Stadtverschönerung“: Behörden in Ungarn beginnen mit Zwangsumsiedlung von Roma

Der Beginn der Räumungen in einem städtischen Wohnviertel in Miskolc, das unter das Verdikt der Stadtregierung: „Auflösung von Ghettos und Slums“ fällt, hat zu Protesten der Betroffenen und von Romavertretern geführt. Mit Demos vor Ort will man die Zwangsräumung und Zwangsumsiedlung von bis zu 200 Familien und bis zu 600 Menschen verhindern, die – mit jeweils ein paar tausend Euro abgefunden – in eine Behelfssiedlung am Stadtrand oder ganz wegziehen sollen. „Ethnische Säuberungen“ nennen das Aktivisten.

Der Fidesz-dominierte Stadrat hatte im April bzw. im Mai den entsprechenden Räumungsbeschluss gefasst und mit einer Wegziehprämie gekoppelt. Die Maßnahme wurde zunächst vor allem sozial und stadtplanerisch begründet, auch wenn die Umstände der Räumung bzw. Aussiedlung keinerlei Verbesserung der Lebensumstände oder gar Perspektiven der Bewohner bedeuteten. Kurz darauf wurde klar, dass die Räumung einzig der Errichtung eines durch ein Sondergesetz finanziertes neus Fußballstadion dient, wie sie in Ungarn zu Dutzenden entstehen und als Basiscamp und Fördermittelumschlagplatz für die neuen Fidesz-Clanchefs dienen. Offizielle Sprachregelung: durch die Räumungsmaßnahmen solle Miskolc „sicherer und lebenswerter“ werden.

Am Mittwoch wurden zunächst zwei Wohnungen geräumt, eine davon wurde von einer älteren Frau mit einer Beinamputation bewohnt, die andere von einer Familie mit drei minderjährigen Kindern. Die Eltern waren zum Zeitpunkt der Amtshandlung nicht anwesend. Entgegen gängigen Klischees war der Vater arbeiten und die Mutter bei einer Schulung. Die jetzt betroffenen Familien können nicht einmal mit der “Umzugshilfe” von maximal 2 Mio. Forint (6.600 EUR) rechnen, da sie gerichtlich zur Räumung freigegeben wurden. Mit all jenen Familien, die man nicht über Rechnungsrückstände (teils mit Bagatellbeträgen) gerichtlich aus den Wohnungen bekommt, will “man sich einigen”… Continue reading Ethnische Säuberung zur „Stadtverschönerung“: Behörden in Ungarn beginnen mit Zwangsumsiedlung von Roma

Roma-Morde in Ungarn: Hass statt Gedenken

Fünf Jahre ist die grausame Mordserie in Ungarn her – sechs Roma starben damals. Doch viele würden die rechten Gewalttaten am liebsten vergessen. Im Wahlkampf nutzen Politiker den Fremdenhass für ihre Zwecke.

Die Täter kamen kurz nach Mitternacht. Sie hatten sich durch ein Maisfeld angeschlichen, dann weiter durch den Garten. Nirgends brannte noch Licht, alle Bewohner schienen zu schlafen. Der Angriff dauerte kaum mehr als eine Minute. Die beiden Täter traten die Tür des Hauses ein, einer ging in den vorderen Raum und schoss mit seiner Schrotflinte auf die schlafende Frau. Der andere, im hinteren Raum, feuerte auf das Mädchen. Einige Nachbarn hörten die Schüsse. Sie dachten, jemand spiele mit Böllern. Im Morgengrauen fand eine Verwandte Mutter und Tochter in Blutlachen.

Kisléta, ein kleines ostungarisches Dorf, war am 3. August 2009 der Schauplatz des letzten Mordes einer Anschlagsserie. Rechtsterroristen töteten binnen eines Jahres sechs Roma, darunter einen vierjährigen Jungen. 55 Menschen wurden verletzt, teils lebensgefährlich. Drei Wochen später wurden vier fanatische Rechtsextreme in der ostungarischen Stadt Debrecen gefasst. Continue reading Roma-Morde in Ungarn: Hass statt Gedenken

„Nicht die Roma sind für ihr schlechtes Image verantwortlich“

Was passiert in Miskolc?

Ich bin überzeugt davon, dass in Miskolc eine profitorientierte Rassenverfolgung stattfindet. Eine diskriminierende Politik, die im Zusammenhang mit einem Spekulationsgeschäft steht. Die Sanierung des DVTK Stadions bedeutet für die Machthaber eine große wirtschaftliche Chance, das Armenviertel, das im Volksmund nur als die „nummerierten Straßen“ genannt wird, steht dem Vorhaben jedoch im Weg. Man hat in der ganzen Stadt eine romafeindliche Stimmung generiert, in der die Vertreibung der Roma als vermeintliche Lösung der Probleme erscheint.

Manche sagen, dass sich die Menschen in Miskolc lediglich eine Verbesserung der öffentlichen Sicherheit wünschen.

Die öffentliche Sicherheit in Miskolc verbessert sich stetig, das zeigen die Statistiken. Das Problem ist vielmehr, dass man versucht, die kulturellen Konflikte, die durch Ausgrenzung, Armut und Aussichtslosigkeit entstehen, als Roma-Problem darzustellen. Ein Teil der Gesellschaft ist unzivilisiert, weil sie in einer unzivilisierten Umgebung lebt. Menschen, die sich in der Gesellschaft etablieren konnten, Roma oder nicht Roma, tragen überwiegend die gleichen kulturellen Züge, im Gegensatz zu Roma, die nicht arbeiten dürfen, in eine prekäre Lebenslage getrieben, aus der Gesellschaft ausgegrenzt und ihres Selbstbewusstseins beraubt wurden.

Die Regierung versucht die Roma mithilfe gemeinnütziger Arbeit wieder in die Gesellschaft einzubinden.

Die herrschende Klasse hat in den letzten 25 Jahren keine einzige ernstzunehmende Maßnahme getroffen, um den Roma den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Diese kommunalen Beschäftigungsprogramme konservieren lediglich ihre Außenseiterrolle, die feudalen Zustände. Die Regierung hat den Kommunen alle Zuständigkeiten weggenommen, ausgenommen die Sozialhilfe und die gemeinnützige Arbeit. So können die machtbesessenen Bürgermeister ihre feudalen Triebe nur noch an den Ärmsten der Armen auslassen. Wirtschaftspolitisch spricht jedenfalls nichts dafür, es ist eine Art Zwangsarbeit. Die 49.000 Forint monatliche Entlohnung, die ein Arbeiter bekommt, kostet den Staat 150.000 Forint, die Kosten übersteigen den Wert ihrer Arbeit bei weitem.

Sándor Pintér verteidigte die Einführung der kommunalen Beschäftigungsprogramme auch nicht mit deren wirtschaftlichem Nutzen, sondern dass es schlicht nicht weiter tragbar sei, wenn gesunde und lebenskräftige Menschen über mehrere Generationen nicht arbeiteten und ihren Lebensunterhalt ausschließlich von Sozialhilfe bestreiteten. Langeweile, Ziellosigkeit und extreme Armut sind stark begünstigende Faktoren für deviantes Verhalten und auch für die Kinder gehen die Erwachsenen mit positivem Beispiel voran, wenn sie morgens aufstehen und arbeiten gehen.

Das sollte die Regel sein. Diese Gelder wären aber bei weitem besser angelegt, wenn Unternehmen sie bekämen, um schwer vermittelbare und benachteiligte Menschen bei einem Mindestlohn von 100.000 Forint zu beschäftigen. Es gilt Arbeitsverhältnisse zu schaffen auf Grundlage von Arbeitsverträgen und keinen Arbeitsdienst. Continue reading „Nicht die Roma sind für ihr schlechtes Image verantwortlich“

Rassismus als Konsens: „Linke“ in Ungarn macht Wahlkampf auf Rücken der Roma

Álbert Pásztor, der gemeinsame Bürgermeisterkandidat der „linken“ Oppositionsparteien für Miskolc, ist der nächste Offenbarungseid der demokratischen Opposition. Seine martialischen Sprüche zum „Zigeunerproblem“, die er als „realistisch“ verkauft, sollen Wahlerfolge zeitigen, – auf dem Rücken der Roma. Damit kopiert man das „Erfolgsrezept“ der neonazistischen Jobbik. Die Regierungspresse applaudiert und höhnt.

Pásztor war unter den linksliberalen Vorgängerregierungen Polizeichef der drittgrößten ungarischen Stadt Miskolc, die traditionell einen sehr hohen Anteil Roma hat. Er fiel in seinem Job, vor allem 2009 mehrfach durch rassistische Äußerungen zur „Zigeunerkriminalität“ auf, die er jedoch – wie es bei verkappten Rassisten Sitte ist – als „ehrlich“ und „pragmatisch“ gewertet wissen wollte. Kurz gesagt: er machte die örtlichen Roma für fast alle Diebstähle und Raubüberfälle der Gegend verantwortlich, denn „Ungarn“ (lies: Magyaren) würden höchstens Banken und Tankstellen ausrauben, nicht aber Omas, Gärten und Geschäfte. Er wurde von der Regierung abgesetzt, nach „Protesten aus der Bevölkerung“, also aus wahltaktischen Überlegungen, umgehend rehabilitiert.

Pásztor hatte mehrfach einen direkten Zusammenhang zwischen ethnischer Herkunft, daraus folgender „Mentalität“ und der Kriminalitätsstatistik gebastelt, obwohl ihm als Miskolcer die jahrzehntelange, gezielte Asozialisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma – eben auch aus rassischen Motiven – bekannt gewesen sein musste und die Spezifika der von Roma verübten Straftaten eindeutig materiellen, sozialen und gesellschaftlichen (Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Gesundheitsversorgung, Rechtssicherheit etc.) Ursachen zuzuornden sind. Über die Integration(un)fähigkeit der Roma zu spekulieren, ist so lange schäbig, so lange die Mehrheitsgesellschaft diese Integration verweigert und – auch mit Gesetzen – Bürger zweiter, eigentlich dritter Klasse schafft.

Pásztor ist – auch für das linke Spektrum – kein Einzelfall, rassistische Stereotypen – vor allem gegen Roma – sind in Ungarns Gesellschaft tief verankert, im gesamten politischen Spektrum und in allen Bildungsschichten. Doch eine derartige Person zum gemeinsamen Spitzenkandidaten der maßgeblichen linken Parteien DK, MSZP (E2014-PM hat sich später reserveirt gegeben) zu machen, ist neu und ein klares Signal, dass auch für die „Linke“ die Roma nur ein Objekt politischer Spekulation sind. In einer Aussendung hieß es eindeutig, dass man jemanden als Kandidaten wollte, der „die breitest mögliche Zustimmung der Msikolcer“ erfahre. Rassismus ist dort heute der größtmögliche Konsens.

Ein Mann der zupackt, der „Wahrheiten klar ausspricht“, das scheint für Miskolc der wahltaktisch richtige Ansatz zu sein. Ob es den Roma dort hilft, die unter den Wohltaten der “Nationalen Romastrategie” der Fidesz-Regierung gerade mit der Räumung eines der „Ghettos“ und „Wegziehprämien“ sowie mit dem fortdauernden Jobbik-Terror konfrontiert sind, ohne – außer erniedrigender „Zwangsarbeit“ – eine Perspektive zu bekommen, scheint auch dem „linken“ Lager zweitranging. Mit Pásztor gesteht die „Linke“ ihr Versagen bzw. ihre Ignoranz bei der Roma-Problematik ein als sie selbst an der Macht war. Nun imitiert sie Fidesz, mehr noch, sie geht den Weg Jobbiks.

Pásztor legte jetzt nach und versuchte sein Image zu reparieren. In der „Népszabadság“ zieh er all jene, die ihn kritisierten als Menschen, die „vor Problemen den Kopf in den Sand stecken“ und dass das „Roma-Problem“ auch all jene erfassen wird, die ihn jetzt rassistisch nennen. Inhaltlich versucht sich Pásztor zusammenzureißen und sieht das „Roma-Problem“ im „Mangel an Bildung“ begründet, der wiederum den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt und der entstand, weil „man ihnen die Chance zur Integration in die Gesellschaft nicht gegeben“ hat. „Unglücklicherweise wurden viele so zu Kriminellen“.

Pásztor warnt im Interview vor „sehr baldigen Hungerunruhen“, denn „es gibt Menschen, die hungern und die werden Geschäfte ausrauben und sich nehmen, was sie brauchen.“ Neben strukturierteren und an Law-and-Order-Standards gebundenen Förderprogrammen macht Pásztor jedoch auch Werbung für einen neuen Weg. Denn was die (gescheiterte) „nationale Romastrategie“, also die Fidesz-Politik versucht, ist ja keine Integration, sondern Assimilisation. Die kann nur schief gehen oder – sollte sie erzwungen werden – in Verbrechen gegen die Menschlichkeit enden. Das „Clan-System“ der Roma, wie es Pásztor im Interview nennt, habe „jahrehundertelang funktioniert“ und die „Mehrheitsgesellschaft sollte bis zu einem gewissen Grad die internen Regeln der Roma-Gemeinschaft tolerieren“.

Das nächste heikle Plaster, das Pásztor aufreisst: die Übernahme „gewachsener Strukturen“, Stammesriten, sozusagen. Ist das nun ethnisch feinfühlig, politisch korrekt, pragmatisch oder schon wieder rassistisch, unterstellt es doch den Roma, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht qualifiziert zu sein und hört sich eher nach Reservat als nach Internat an. Fakt ist auch, dass in dem „Vojvoden-System“ (Pásztor) nicht nur Dinge geschehen, die gesetzlich verboten sind, sondern auch dafür sorgen, dass neben der äußeren eine innere Unterdrückung festgeschrieben bleibt.

Wenn Pásztor damit meinte, man müsse die Roma endlich bei den Problemlösungen einbeziehen, ihnen Verantwortung übergeben und das bürgerliche Minimum an Selbstbestimmung gewährleisten, läge er richtig, allein sein „Lösungsvorschlag“ ist dafür völlig ungeeignet – was er wüsste, wenn er sich z.B. einmal mit Roma-Bürgermeistern (ein paar gibt es und auch einige „Best-Practice“-Beispiele) oder Aktivisten darüber unterhalten hätte, die sich nämlich nicht alle hinter Political correct-Floskeln verstecken. Die sind nämlich vor allem damit beschäftigt, – anhand sehr konkreter und kleinteiliger Projekte – allgemeine Grund- und Menschenrechte für alle gegen die Clanstrukturen der „Zigeunerbarone“ durchzusetzen – und gegen die Maßgaben der Regierung. Sie wollen durch Leistung und Perspektiven überzeugen, Hoffnung geben, Widerstände – und eben auch alte Strukturen – aufbrechen.

Passenderweise arbeitet die Orbán-Regierung selbst daran, „jahrhundertealte“ Clan-Strukturen zu revitalisieren, denn ihre ständische Politik zeitigt – vor allem auf dem Lande – auch unter „Magyaren“ immer stärker den Rückfall in die Abhängigkeitsmuster feudaler Strukturen. Pásztor also ist, wie Minister Zoltán Balog oder Heimatdichter Zsolt „Zigeuner sind Tiere“ Bayer, auch nur einer dieser „weißen Männer“, die alles besser wissen, aber nichts besser machen. Doch man kann von Staatsbürgern, die man wie „Wilde“ behandelt oder bezeichnet, kaum die Einhaltung von Normen erwarten. Eine Binsenweisheit, doch an dieser Grundvoraussetzung scheiterte bisher jede „Strategie“ in Ungarn. Freilich wird man die Hühnerdiebe von Omas Garten nicht mit Nächstenliebe und Humanismus allein fernhalten, – ohne diese aber auf lange Sicht schon gar nicht.

Die regierungsnahen Medien triumphieren derweil ob der Auftritte Pásztors, erkennen sie doch das Eingeständnis der „Linken“, dass ihre „political correctness“ an der „Realität“ gescheitert ist und sie daher nun Fidesz kopierten, ja, sich sogar an Jobbik orientierten, in dem sie versuchen, ihre Popularität über Ängste und Ressentiments der Bevölkerung zu erhöhen, wobei man diese Ressentiments notfalls auch selbst steigert. Die „Linke“ seien sich für nichts zu schade und zu blöd, um irgendwie an die Macht zurückzukommen, aber so dumm sei das ungarische Wahlvolk nicht und werde im Zweifel eher das Original wählen als die billige Kopie.

Quelle: Pester Lloyd
Stand: 18.07.2014

Hungarian City Set to ‘Expel’ Its Roma

The European Roma Rights Centre (ERRC) is deeply concerned about a recent local government decree designed to expel Roma from Miskolc, a major city in Eastern Hungary. The ERRC sent its legal analysis to the European Commission to underline the unlawfulness of the action, urging the European Commission to take action against Hungary as its local decree is in breach of EU law. The local Romani community is holding a public rally in the city today to protest the Miskolc government’s actions.

The government of the city of Miskolc recently amended a decree on social housing that in effect seeks to drive Roma out from the city limits – adding a new, worrying chapter to this city government’s history of excluding Roma.

The decree foresees the demolition of the most impoverished low-comfort social housing neighbourhoods in the city (the so-called ‘numbered streets’) which are almost exclusively inhabited by Roma. The decree explicitly discriminates against people living in low-comfort social housing. It offers compensation to them to terminate their contracts, but only if they buy a property strictly outside the territory of Miskolc. That property cannot be sold or mortgaged for at least 5 years. No such restrictions apply to tenants of full comfort social housing – most of whom are non-Roma.

The local government has hardly concealed its aim to expel the Romani community of this neighbourhood, as the city’s equal opportunities programme acknowledges that low-comfort social housing neighbourhoods are occupied by Roma.

People living in these neighbourhoods will not only be forced out of the city, but will be at risk of becoming homeless.

The authorities of Miskolc have been pursuing since at least 2009 a policy of excluding and stigmatising the Romani population. Public statements from the police chief on the existence of ‘gypsy crime’ and from the mayor who spoke of his wish to clear the city from ‘anti-social’ Roma, prepared the ground for this attempt to expel Roma from the town. The local government’s law enforcement have also conducted 45 property inspections within a ten-month period targeting Roma neighbourhoods. The Romani tenants felt humiliated, particularly as no such measures were taken in any other areas of the city.

The ERRC considers this an egregious example of systemic discrimination and racism in an EU member state. The plans of the city of Miskolc contradict the Hungarian Constitution, the Charter of Fundamental Rights and the Race Equality Directive of the European Union, the European Convention on Human Rights, and commitments of Hungary under the European Union Framework for National Roma Integration Strategies.

The ERRC has urged the European Commission to remind the Hungarian authorities to adhere to their obligations and take steps to stop these violations of fundamental rights. The Commission should call on Hungary to nullify the decree, and if necessary, start infringement proceedings for this breach of EU law.

The ERRC’s Memorandum on the lawfulness under European and international law of amendment to Miskolc social housing law can be found here.

For more information, contact:

Sinan Gökçen
Media and Communications Officer
European Roma Rights Centre
Tel. +36.30.500.1324
[email protected]

Source: ERRC
Date: 25.06.2014