Category Archives: Staatlicher Antiziganismus

Wie Rumänien im Kampf gegen Masern versagt

Rumäniens Unvermögen, einen tödlichen Masernausbruch zu verhindern, ist eine Geschichte der Selbstgefälligkeit, Stümperei und Diskriminierung. Und ein abschreckendes Beispiel für Europa.

Karla wurde nie gegen Masern geimpft. Ihr Gesundheitszustand erlaubte es nicht. Sie kam mit einem angeborenen Speiseröhrenverschluss auf die Welt und verbrachte ihre frühe Kindheit immer wieder im Spital – häufig mit Lungenentzündung. Während eines Routineaufenthalts im Louis-Ţurcanu-Kinderkrankenhaus in Temeswar im Westen Rumäniens lag das Kind im selben Stockwerk wie ein an Masern erkranktes Mädchen. Binnen Kurzem bekam Karla Fieber.

Sie wurde in das Krankenhaus für Infektionskrankheiten und Pneumologie Dr. Victor Babeş auf der anderen Seite der Stadt verlegt. Dort gab es so viele Masernpatienten, dass Karla zunächst auf einer Erwachsenenstation untergebracht werden musste. Ihr Zustand verschlechterte sich, das Fieber stieg auf 42 Grad Celsius.

In der Nacht des 18. Dezembers 2016 begann sie so heftig zu jammern, wie es ihre Mutter Florentina Marcusan noch nie gehört hatte. Sie bekam einen Ausschlag im Gesicht und auf der Brust. Kurz nach 8 Uhr früh, als eine Krankenschwester Karla eine Injektion verabreichte, begann der Kopf des Mädchens zu zucken. Während die Krankenschwester Hilfe holte, hielt Marcusan ihr Kind in den Armen. „Als ich sah, dass sie nicht mehr reagierte, geriet ich in Panik und legte sie hin, weil ich wusste, dass sie gestorben war – in meinen Armen“, erinnerte sie sich. Continue reading Wie Rumänien im Kampf gegen Masern versagt

Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erhebt schwere Vorwürfe gegen das BMI

Polizei schürt am ‚Tag der offenen Tür‘ Vorurteile gegen Sinti und Roma

Als unerträglich und gleichzeitig als einen Spiegel des noch immer tiefverwurzelten antiziganistischen Denkens in einigen deutschen Polizeibehörden bezeichnet es der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, daß im Bundesministerium des Innern während des ‚Tags der offenen Tür‘ am 26. und 27. August dieses Jahres ein massiv antiziganistischer Vortrag direkt neben dem gemeinsamen Stand des Minderheitenrates stattfand. Auf Einladung des Beauftragten für die nationalen Minderheiten, Hartmut Koschyk, und des Bundesinnenministeriums hatte zuvor Romani Rose ein zentrale Statement auf dem ‚Tag der offenen Tür‘ abgegeben. Dabei hatte Romani Rose ausdrücklich auf die positive Entwicklung der Minderheitenrechte in Deutschland hingewiesen.

Unter dem Titel „Vorsicht Langfinger! Wie Taschendiebe tricksen und Sie Ihnen die kriminelle Tour erfolgreich vermiesen können!“ wurde von einem Mitarbeiter der Berliner Direktion der Bundespolizei vorgetragen, daß Roma als „Verbrecher-Clans organisiert“ seien und als „kriminelle Großfamilien durch Europa ziehen“. Der Vertreter der Bundespolizei führte in seinen Ausführungen außerdem aus, daß jede Ethnie, Nordafrikaner oder Polen, „ihre eigene kriminelle Methode“ habe.

Ein derart rassistischer Vortrag im Bundesministerium des Innern beschädige nicht nur die Polizei in Deutschland, sondern auch das Ansehen des Bundesministeriums des Innern als demokratischer Behörden, die den Prinzipien unseres Rechtsstaats verpflichtet sind, erklärte dazu heute Romani Rose.

„Es ist ein wirklich unglaublicher Vorgang, daß am Tag der offenen Tür im Bundesministerium des Innern, an dem viele Initiativen gegen Extremismus und Rassismus auftreten und insbesondere die nationalen Minderheiten an einem gemeinsamen Stand über die Anliegen und die Beiträge der Minderheiten zur deutschen und europäischen Wertegemeinschaft informieren, gleichzeitig die Bundespolizei im Stil längst vergangen geglaubter Zeiten Klischees und Vorurteile pauschal gegen Minderheiten erheben“, so Rose.

Dieser Vorgang stellt den Dialog zwischen den nationalen Minderheiten und der Mehrheitsgesellschaft in Frage und untergräbt das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat, so Rose. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wendet sich wegen dieser Angelegenheit deshalb auch mit einem direkten Schreiben an Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Quelle: Zentralrat deutscher Sinti und Roma
Stand: 26.08.2017

Biografie von Romani Rose: Die erste Demo in ihrer Geschichte

Der Ballast der NS-Diktatur wog noch schwer, als Romani Rose den Kampf um Anerkennung der deutschen Sinti und Roma begann.
Romani Rose ist in Deutschland ein geachteter Mann. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, dessen Vorsitzender der 71-Jährige ist, ist die politische Vertretung der größten Minderheit des Landes, die hier seit 600 Jahren ansässig ist.

Roses eben erschienene Biografie belegt, dass es alles andere als normal ist, als Sinto in Deutschland ein geachteter Mann zu sein. Die Autorin Behar Heinemann, eine Romni aus dem Kosovo, die in den frühen 1990ern eingewandert ist, nimmt die Leserschaft mit auf eine 224-seitige Zeitreise in eine Bundesrepublik, in der es völlig unvorstellbar war, sich mit Stolz „Sinto“ oder „Rom“ zu nennen. Continue reading Biografie von Romani Rose: Die erste Demo in ihrer Geschichte

„Hierzulande besonders menschenverachtende Angriffe gegen Roma“

Zur NS-Zeit wurden Sinti und Roma systematisch ermordet. Auch heute sind sie Ziel rassistischer Angriffe. Eine Kommission soll dabei helfen, Rassismus zu bekämpfen. Doch die Unionsfraktion soll deren Schaffung blockieren.

Das SPD-geführte Auswärtige Amt hat der Unionsfraktion vorgeworfen, eine geplante Expertenkommission des Bundestags zur Aufarbeitung der Diskriminierung von Sinti und Roma zu blockieren.

Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) sagte der „Rheinischen Post“: „Leider habe ich den Eindruck, dass es aufseiten der Unionsfraktion Vorbehalte gibt, die das Anliegen blockieren.“

Roth und der Beauftragte der Bundesregierung für nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk (CSU), sowie die SPD-Fraktion befürworten die Einsetzung eines Expertengremiums.

Koschyk verwies gegenüber der Zeitung darauf, dass es „in Deutschland ganz besonders hässliche, menschenverachtende Angriffe gegen hier lebende Sinti und Roma“ gebe.

Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma systematisch verfolgt und ermordet. Auch heute werden sie immer wieder zum Ziel rassistischer Angriffe. Die Kommission soll auf die Vergangenheit und die heutige Situation der Sinti und Roma in Deutschland aufmerksam machen und dabei helfen, Rassismus zu bekämpfen.

Quelle: welt.de
Stand: 13.06.2017

Fehlender Rechtsschutz beklagt – Sinti und Roma werden in Berlin häufiger diskriminiert

Benachteiligung durch Behördenmitarbeiter, rassistische Kommentare, diskriminierende Medienberichte: In Berlin werden Sinti und Roma immer häufiger benachteiligt. Das belegt die Dokumentation diskriminierender Vorfälle des Vereins Amaro Foro.

Sinti und Roma in Berlin werden nach Angaben des Vereins Amaro Foro immer häufiger wegen ihrer Herkunft benachteiligt. Wie der interkulturelle Jugendverband von Roma und Nicht-Roma am Dienstag mitteilte, wurden im vergangenen Jahr 146 Vorfälle gemeldet – mehr als in beiden Jahren zuvor. 2015 waren es noch 118 gemeldete Vorfälle gewesen, im Jahr davor 107.

Bei solchen Vorfällen handelt es sich laut der Webseite des Vereins [amaroforo.de] um eine Bandbreite von Diskriminierungen, struktureller oder individueller Art. Dazu gehöre etwa der individuelle Rassismus von Lehrkräften oder Behördenmitarbeitern oder abwertende Berichte in Medien.

Fast jeder zweite von 130 im vergangenen Jahr untersuchten Medienberichten und 350 Kommentare in Kommentarspalten oder sozialen Medien seien diskriminierend gewesen. Das zeige, dass Antiziganismus gesellschaftlich weitgehend toleriert werde, so der Verein weiter. Oft sei wegen fehlenden Rechtsschutzes keine Intervention möglich.

Unabhängige Beschwerdestelle gefordert

Auch Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) verlangte mehr Solidarität mit Sinti und Roma. Die seien die Minderheit in Europa, die wohl am stärksten benachteiligt und diskriminiert werde. „Es ist die demokratische Pflicht von Medien, Politik und Zivilgesellschaft, aktiv gegen Antiziganismus vorzugehen“, so Behrendt weiter. Er lobte zugleich die Arbeit von Amaro Foro. Der Verein zeige anhand konkreter Beispiele, „wie sich die gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen gegen Menschen mit tatsächlichem oder zugeschriebenem Roma-Hintergrund in allen Lebensbereichen auswirken.“

Der Verein forderte unter anderem eine unabhängige Beschwerdestelle. Außerdem müssten Mitarbeiter in öffentlichen Verwaltungen und Journalisten sensibilisiert werden.

Nach eigenen Angaben dokumentiert der Verein seit 2014 systematisch antiziganistische und diskriminierende Vorfälle in Berlin. Demnach seien für 2016 auch erstmals Auswirkungen der Asylrechtsverschärfungen in den Jahren 2014 und 2015 auf das Leben von Sinti und Roma erfasst worden. 2014 waren Balkanländer in die Liste sicherer Herkunftsländer aufgenommen worden, in denen Sinti und Roma möglicherweise als Minderheiten unter Verfolgung leiden.

Quelle: rbb.de
Stand: 09.06.2017

Polizei attackiert Roma-Community in der Slowakei: Kinder und ältere Leute verletzt

Das European Roma Rights Center (ERRC) hat ein Video erhalten, das zeigt, wie Polizisten wahllos Roma auf der Straße in Zborov (Slowakei) angreifen. Die Polizei drang am 16. April in das Roma-Viertel ein und begann willkürlich Roma zu schlagen – einschließlich Kinder und ältere Leute.

Drei Menschen benötigten medizinische Hilfe: ein fünfjähriger Junge, ein Mann in den 40ern mit einem Herzleiden und eine ältere Frau mit Behinderungen. Das ERRC hat erfahren, dass der Krankenwagen, der gerufen wurde, um die verletzten Mitglieder der Community zu behandeln, zeitweise von der Polizei behindert wurde. Zeug_innen, die die Gewalt gefilmt hatten, bekamen später Besuch von der Polizei und wurden aufgefordert das Filmmaterial zu löschen. Unser Informant weigerte sich.

Die Polizei war gerufen worden, nachdem ein Streit in der Nachbarschaft ausgebrochen war. Sie reagierte mit gezogenen Schlagstöcken, verursachte Terror unter den Bewohner_innen und schlug Männer, Frauen und Kinder, die ihr in den Weg kamen. Ein Bewohner sagte: „Wenn jemand versuchte, vernünftig mit ihnen zu reden und an sie appellierte, aufzuhören, wurde er geschlagen.“

Innenminister Robert Kalinak hat Pläne angekündigt, mehr Polizeikräfte in Gemeinden mit hoher Roma-Bevölkerung einzusetzen.

Das ERRC hat Kriminalitätsstatistiken untersucht und herausgefunden, dass es sich bei den vorgeschlagenen Gemeinden nicht um diejenigen mit den höchsten Kriminalitätsraten handelt, sondern um diejenigen mit relativ hoher Roma-Bevölkerung. Aus den Daten der Regierung ergibt sich kein starker Zusammenhang zwischen hoher Roma-Bevölkerung in einer Gemeinde und erhöhter Kriminalitätsrate.

Die aktuelle Regierung benutzt Roma einmal mehr als Sündenbock für billige politische Ziele. Der Kampf gegen so genannte „Zigeunerkriminalität“ ist ein beliebtes Mittel slowakischer Politiker_innen, um an den unter Wähler_innen verbreiteten Antiromaismus zu appellieren. Es gibt wenig Beweise, dass es die Kriminalitätsrate in den Gebieten senken würde, wenn die Polizeikräfte in den Roma-Vierteln erhöht würde.

Quelle und Video: RAN
Stand: 29.05.2017

Gruppe Gegen Antiromaismus bei Gedenkfeier am ehemaligen Roma-KZ in Lety/Cz

Die Schweinefarm muss endlich weg

Am Samstag, den 13. Mai, fuhr die Dresdner Gruppe Gegen Antiromaismus mit etwa 30 Unterstützer_innen vor allem aus Dresden und Leipzig zur offiziellen Gedenkfeier am ehemaligen Konzentrationslager Lety in Tschechien. Dort sprachen unter anderem der tschechische Minister für Menschenrechte und der Kulturminister, der Leiter der deutschen Botschaft in Prag, Hansjörg Haber, sowie mehrere Botschafter vor etwa 200 Teilnehmern. Die Gruppe Gegen Antiromaismus bekräftigte ihre Forderung, die Schweinemastanlage auf dem Gelände abzureißen und so ein würdiges Gedenken zu ermöglichen.

Im KZ Lety kamen während des Nationalsozialismus mehrere Hundert Menschen um, die meisten davon Roma und Sinti. Auf dem Gelände steht seit den 1970er-Jahren eine industrielle Schweinemastanlage. Erstmals liefen dieses Jahr offiziell Verhandlungen über einen Aufkauf der Farm, die aber momentan wegen der Regierungskrise in der Tschechischen Republik auf Eis gelegt wurden. Mehrere Redner_innen forderten die Regierung auf, das Vorhaben endlich umzusetzen. Continue reading Gruppe Gegen Antiromaismus bei Gedenkfeier am ehemaligen Roma-KZ in Lety/Cz

NSU-Tribunal in Köln: Referent soll zurückkommen

Die OrganisatorInnen des NSU-Tribunals fordern die Rückkehr eines Referenten. Der Roma-Aktivist wurde am Dienstag ins Kosovo abgeschoben.

Er sollte am Wochenende beim NSU-Tribunal in Köln dabei sein: Doch am Dienstag wurde der Essener Roma-Aktivist Selami Prizreni morgens von der Polizei abgeholt und per Sammelflieger ins Kosovo abgeschoben. Die OrganisatorInnen des NSU-Tribunals fordern nun, den 28-Jährigen rechtzeitig zu seinen Veranstaltungen am Wochenende zurückzuholen. Tim Klodzko, Sprecher des Aktionsbündnisses „NSU-Komplex auflösen“, erklärte: „Die Abschiebung folgt einer rassistischen Praxis, die wir mit dem Tribunal anklagen.“

Das fünftägige NSU-Tribunal begann am Mittwoch mit einer Auftaktveranstaltung im Schauspiel in Köln. Angehörige der NSU-Opfer und UnterstützerInnen wollen noch bis Sonntag in Workshops und Podiumsveranstaltungen über die NSU-Verbrechen und ihre Ursachen wie strukturellen Rassismus diskutieren.

Prizreni, der sich in Essen in der Gruppe „Roma Arts Aktion“ für die Rechte der Minderheit engagiert, hätte am Freitag im Hauptprogramm mit anderen über die Perspektiven antirassistischer Initiativen diskutieren sollen. Am Samstag sollte er auf einem Workshop über „Institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus gegen Sinti und Roma und den Widerstand dagegen“ sprechen. Zudem war am Sonntag auf der „Abschluss-Parade“ des Tribunals in der Keupstraße ein Auftritt von Prizreni geplant, der mit seinem Bruder in der HipHop-Combo „K.A.G.E“ Musik macht. Continue reading NSU-Tribunal in Köln: Referent soll zurückkommen

Bulgariens neue Regierung: Pakt mit den Ultrarechten

Im ärmsten EU-Land regiert neu die prowestliche Gerb-Partei mit den Vereinigten Patrioten. In deren Reihen tummeln sich islamophobe und fremdenfeindliche Scharfmacher.

Erstmals nehmen in Bulgarien Repräsentanten der radikalen Rechten Einsitz in einem bulgarischen Kabinett. In der Regierung von Bojko Borisow erhalten die Vereinigten Patrioten zwei Vizeregierungschef-Posten sowie die Ministerressorts für Verteidigung und Wirtschaftspolitik. Borisows bürgerliche Gerb-Partei hatte in der vorgezogenen Parlamentswahl vom 26. März lediglich 95 von 240 Mandaten gewonnen. Continue reading Bulgariens neue Regierung: Pakt mit den Ultrarechten

»Die stehen mit dem Rücken zur Wand«

Eine Leipziger Initiative sammelt Geld, damit sich ungarische Roma selbst helfen

»Es geht hier nicht einfach nur darum, Spenden für arme Menschen zu sammeln«, sagt Richard Gauch von der Bürgerinitiative Leipzig Korrektiv nachdrücklich, »sondern darum, denen zu helfen, die systematisch ausgeschlossen und unterdrückt werden.« Diese Unterscheidung ist ihm wichtig, wenn er über das Hilfsprojekt für ungarische Roma spricht, für dessen finanzielle Unterstützung er wirbt.

In der Tat ist die Minderheit der Roma gerade im wirtschaftlich schwachen Norden Ungarns in einer doppelt schwierigen Situation: Denn zu Arbeitslosigkeit und Armut in der Region kommen der tief in der ungarischen Mehrheitsgesellschaft verwurzelte Antiziganismus und oft auch Schikanen der lokalen Behörden. Dies macht es ihnen nahezu unmöglich, sich aus eigener Kraft aus ihrer Situation zu befreien. Das Projekt, das die Leipziger unterstützen, soll die Roma im nordungarischen Dorf Kálló in die Lage versetzen, sich zumindest mit dem Allernötigsten selbst zu versorgen. So soll etwa eine Maschine für die Herstellung von Biobriketts angeschafft werden, die Altpapier und Laub zu Heizmaterial presst. Außerdem bekommen die Bewohner kostenlos Gemüsesamen, zeitgleich werden ihnen Hilfestellungen zur Pflanzenzucht und Kleintierhaltung gegeben. Auch Nachhilfe für die Kinder und Englischunterricht sind Teil des Projektes, das vor Ort von der ungarischen NGO Bürgerrechtsbewegung für eine Republik betreut wird. Finanziert wird das Ganze zu 90 Prozent aus den Fördermitteln eines Schweizer NGO-Fonds. Um aber diese Mittel abzurufen, muss ein Eigenanteil in Höhe von 3.000 Euro geleistet werden. Dafür sammeln die Leipziger.

Gegründet hatte sich Leipzig Korrektiv allerdings aus einem ganz anderen Grund: Vor genau einem Jahr hatte die Stadt Zoltán Balog, den ungarischen Minister für Humanressourcen in der nationalkonservativen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán, als Ehrengast zum Leipziger Lichtfest eingeladen. Die Regierung Orbán hatte seit ihrem Amtsantritt 2010 massiven Demokratieabbau betrieben, daher fanden die Mitglieder der neu gegründeten Bürgerinitiative Balogs Einladung zu einem Fest für die Demokratie reichlich unpassend und forderten, ihn wieder auszuladen (s. kreuzer 10/2012).

Balog kam trotzdem, doch das politische Interesse für Ungarn war geweckt und erste Kontakte waren geknüpft, etwa zu dem Schriftsteller und Träger des Leipziger Buchpreises György Dalos, der die Initiative tatkräftig unterstützt. Deshalb entschloss man sich, die Empörung über die politischen Zustände in Ungarn mit Fakten zu unterfüttern. Zwei der drei Mitglieder fuhren einen Monat lang in das Land, besuchten zahlreiche Projekte und trafen Aktivisten – unter anderem in Kálló – und waren schockiert über die Lebensumstände der Roma auf dem Land: »Das war für mich das erste Mal, dass ich in einem Slum war«, sagt Stephan Bosch, neben Gauch der zweite Mitreisende. Bosch macht sich keine Illusionen darüber, was ein solches Projekt bewirken kann: »Subsistenzwirtschaft ist kein Ideal, sondern Notwehr. Die Leute stehen mit dem Rücken zur Wand und müssen sehen, wie sie sich selber helfen können, weil ihnen alle andere Hilfe verwehrt wird.« So kann die akute Not etwas gelindert werden, von echter Teilhabe oder Integration sind die ungarischen Roma noch weit entfernt. Für jene Integration zuständiger Minister der Regierung Orbán ist übrigens: Zoltán Balog.

Quelle: Kreuzer Leipzig
Stand: 20.05.2017