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Timo Groenke – DJV-Neonazi als Jugend-Schiedsrichter

Wenn es um Neonazis im Sport geht, stehen in der Regel jene Akteure im Vordergrund, die als aktive Athlet*innen oder Trainer*innen auftreten. Daneben gibt es jedoch weitere Möglichkeiten, um sich im Vereinsleben von Sportclubs oder im regelmäßigen Spielbetrieb einzubringen. Das Schiedsrichterwesen ist eines dieser Felder für eine potenzielle rechte Einflussnahme. In Berlin betätigt sich beispielsweise der gewaltbereite Neonazi Timo André Groenke aus dem Umfeld der extrem rechten Netzwerke um „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Jung & Stark“ (JS) seit anderthalb Jahren als Schiedsrichter und Sportfotograf für Sparta Lichtenberg. Doch auch darüber hinaus ist der Jugendliche politisch enorm umtriebig. Momentan inszeniert er sich mit einem neuen News-Portal als mediales Sprachrohr für die extrem rechten Demonstrationen von Ferhat Sentürk in Berlin.

Timo Groenke als Teil jugendlicher Neonazinetzwerke…

Erstmalig trat Timo Groenke, der sich selbst auch „Pumba“ nennt, am 29. Spetember 2024 politisch in Erscheinung [Bild 1]. An diesem Tag fuhr er mit einer Gruppe von Neonazis aus dem Spektrum von DJV und JS zu einem Aufmarsch nach Görlitz fuhr. Unter ihnen waren beispielsweise Carsten Grasse oder Christopher Wetzels. Während letzterer in Görlitz Ordner war, nahm Groenke nur an der Versammlung teil. Drei Wochen später, am 19. Oktober 2024, war er jedoch schon selbst Ordner beim Neonazi-Aufmarsch von DJV und JS gegen eine feministische Antifa-Demonstration in Berlin-Marzahn [Bild 1]. Seine Beteiligung an strukturellen Aufgaben zeigt, dass er innerhalb kürzester Zeit das Vertrauen der Organisierenden gewinnen konnte. Seitdem fällt er regelmäßig im Kontext dieser neuen Netzwerke junger Neonazis auf und ist bundesweit aktiv. Zusammen in einer größeren Gruppe, zu der unter anderem Philippe Benecke, Vincent Gutjahr und Erik Franke gehörten, besuchte Groenke am 18. Januar eine extrem rechte Demonstration der „Freien Sachsen“ in Chemnitz sowie am 14. Februar 2025 den geschichtsrevisionistischen Neonazi-Aufmarsch in Dresden [Bild 1].

In einer ähnlichen Konstellation nahm er am 22. Februar am Wahlkampfabschluss der AfD in Berlin-Hohenschönhausen teil [Bild 2]. Obwohl Groenke noch nicht so lange wie die anderen Akteure erkennbar aktiv ist, bewegt er sich inzwischen im organisatorischen Kern dieser Vernetzungen jugendlicher Neonazis. Er ist damit eine Ausnahme, da die Zusammensetzung der extrem rechten Cliquen um DJV und JS ansonsten sehr wechselhaft ist. Abseits eines Kerns von kontinuierlich aktiven Akteuren konnten nur wenige andere Personen dauerhaft gebunden werden. Dabei scheint Groenke auch kein Problem mit Gewalt zu haben. Er hält engen Kontakt mit Neonazis wie Benecke oder Gutjahr, die Ende Oktober 2024 beide wegen gewalttätiger Angriffe von der Polizei durchsucht wurden. Zudem fiel Groenke selbst bereits im Kontext von Übergriffen auf. Am 19. Oktober 2024 war er mit Christopher Wetzels Teil einer Neonazi-Gruppe, die nach einem Angriff am Rande des Aufmarschs von der Polizei kontrolliert wurde [Bild 1]. Im Nachgang postete er spöttische Fotos von anwesenden Journalist*innen und outete diese in Anti-Antifa-Manier auf seinem Instagram-Account [Bild 3]. Ohnehin sind Groenkes Auftritte auf Social-Media-Plattformen eine Ansammlung hetzerischer Statements sowie von völkischen bis offen nationalsozialistischen Sympathiebekundungen. Neuerdings ist beispielsweise in der Profilbeschreibung auf dem Instagram-Account „bxn_pumba“ ein doppelter Blitz als Anspielung auf das Symbol der SS zu finden. Zuvor nutzte „Pumba“ unter anderem den Zahlencode „88“ als Chiffre für „Heil Hitler“ in seinem Profilnamen [Bild 3].

und Scharnier zur AfD

Dennoch sucht Timo Groenke, wie viele Mitglieder der jugendlichen Neonazi-Netzwerke, auch Anbindungen an gemäßigtere Kreise der extremen Rechten. So nahm Groenke allein im Jahr 2025 mindestens zweimal an Wahlkampfveranstaltungen der AfD in Berlin teil [Bild 2]. Am 22. Februar trug er währenddessen sogar eine Jacke mit dem Logo des Lichtenberger Bezirksverbandes. Diese blauen Jacken waren in der Vergangenheit nur selten zu sehen und wurden ausschließlich von Parteimitgliedern getragen. Es ist somit davon auszugehen, dass Groenke Mitglied in der AfD ist und somit eine Scharnierfunktion zwischen der Partei und außerparlamentarischen Neonazi-Strukturen ausübt. Dazu passt ebenfalls, dass Timo Groenke am 8. Januar eine Versammlung des Marzahn-Hellersdorfer Bezirksverbandes der AfD gemeinsam mit Jannik D. Giese besuchte. Dieser tauchte Ende 2024 zum ersten Mal als Leiter einer extrem rechten Demonstration in Berlin-Friedrichshain auf, die er zusammen mit dem ehemaligen AfD-Politiker Ferhat Sentürk aus Aachen organisiert hatte. Inzwischen hat es sich Sentürk zur Aufgabe gemacht, regelmäßig Versammlungen gegen „Linksextremismus“ in Berlin zu organisieren. Dabei gibt er sich nach außen teilweise politisch gemäßigt, richtet sich allerdings dennoch vorwiegend an die neuen Neonazi-Netzwerke, die solche Geschenke zur politischen Selbstdarstellung nur schwer ausschlagen können. Allerdings bestehen auch Spannungen, da Sentürk innerhalb der Rechten politisch höchst umstritten ist. So empfahl Timo Groenke seinen Kameraden auf seinem instagram-Profil im Vorfeld von Sentürks Demonstration am 22. Februar in Berlin-Mitte noch: „Scheißt auf die Türkendemo!“ [Bild 3].

Mittlerweile hat er sich halbherzig von diesem Post distanziert. Stattdessen macht er nun offensiv Werbung für Sentürks Demonstration am 22. März durch Friedrichshain. Hierfür hat Groenke sogar eigens einen neuen Blog aufgesetzt. Auf „DEaktuell“ möchte er laut eigener Aussage „Demonstrationen und deren gesellschaftliche Bedeutung“ darlegen [Bild 4].

Die behauptete politische Neutralität ist dabei vor allem ein Ablenkungsmanöver. Sie fungiert als Deckmantel, um extrem rechte Inhalte und Personen, wie Julian Milz, den ehemaligen Anführer von DJV, unkritisch als normalen Teil der politischen Auseinandersetzung zu präsentieren. Mit diesem Vorgehen steht Timo Groenke für eine andere strategische Ausrichtung extrem rechter Politik. So zeichnen sich DJV und JS in ihrer Außenkommunikation dadurch aus, vorwiegend ihre eigene Klientel anzusprechen und mit ausgeprägten Feindbildern zu mobilisieren. Demgegenüber verfolgt Groenke eher eine Einspeisung neonazistischer Vorstellungen in gesellschaftliche Bereiche außerhalb der Szene.

Der extrem rechte Jugendschiedsrichter

Zu einer solchen (unbewussten) Strategie der niedrigschwelligen rechten Raumnahmen passt auch das sportliche Engagement Groenkes als Schiedsrichter [Bild 5].

Bereits im Juli 2022 legte er, damals noch bei Rot-Weiß 90 Hellersdorf angebunden, die Prüfung beim „Berliner Fußball-Verband“ (BfV) ab. Sein erstes Spiel leitete er am 1. Juli 2023. Zwei Wochen später wechselte er zu Sparta Lichtenberg [Bild 6].

Seitdem pfeift Groenke regelmäßig Fußballspiele in Berlin. Bislang hat er 26 Begegnungen betreut. Die meisten davon fanden in den Altersklassen der C- und D-Jugend statt. Dementsprechend waren die Spieler*innen größtenteils unter 15 und teilweise auch unter zwölf Jahre alt. Erst in jüngster Zeit begann Groenke ebenfalls Spiele in den höheren Altersbereichen der A- und B-Jugend zu pfeifen. Es ist schwer vorzustellen, dass ein gewaltbereiter Neonazi, der zuvor noch zu Aufmärschen durch die Bundesrepublik gefahren ist, am nächsten Wochenende ein Fußballspiel fair und unvoreingenommen allen Beteiligten gegenüber leiten kann. Am Beispiel Timo Groenke zeigt sich, warum der Schiedsrichter*innenposten insgesamt für die extreme Rechte als politischer Türöffner genutzt werden kann. Da Vereine zunehmend Schwierigkeiten haben, Personen für diese Aufgabe zu finden, machen sich aktive Schiedsrichter*innen schnell unverzichtbar und können so auch als Neonazis unwidersprochen in das Vereinsleben hereinwachsen. Es ist kaum vorzustellen, dass niemandem die politischen Einstellungen von Timo Groenke aufgefallen sind. Zum einen geht er beispielsweise in den sozialen Medien sehr offen damit um. Zum anderen zeigt die Qualität seiner Äußerungen, zum Beispiel in Bezug auf Ferhat Sentürk, wie tief verwurzelt rassistische Vorurteile bei ihm sind. In diesem Sinne verstößt die Schiedsrichter-Tätigkeit von Timo Groenke klar gegen die Vorgaben der „Schiedsrichterordnung“ des BfV. Dort heißt es unter Punkt zwei der Präambel: „SR [Schiedsrichter] lehnen jegliche Form von Diskriminierung, Gewalt und Rassismus ab […]“. Auch die Satzung von Sparta Lichtenberg verbietet rassistische Diskriminierung im Rahmen des Vereins. Dennoch war Groenke dort nicht nur als Schiedsrichter tätig, sondern durfte sich auch als Sportfotograf versuchen. Seine Bilder wurden sogar auf offizielle Kanälen von Sparta Lichtenberg geteilt und damit sein Business promotet [Bild 7].

Das Schiedsrichter*innen-Wesen neu denken

Dass Timo Groenke als bekennender und gewalttätiger Neonazi überhaupt Fußballspiele im Jugendbereich leiten durfte, ist ein klarer Verstoß der Fürsorgepflicht des Verbandes und des Stammvereins gegenüber den minderjährigen Spieler*innen. Hier zeigt sich, dass die bestehenden Mechanismen zur Durchsetzung der auf dem Papier geltenden Regularien in der Praxis zu wenig Anwendung finden. Es reicht nicht, blind darauf zu vertrauen, dass verantwortungsvolle Positionen auch von verantwortungsbewussten Personen besetzt werden. Stattdessen müssen Vereine und Verbände sowie Trainer*innen und Schiedsrichter-Kolleg*innen genau hinschauen, mit wem sie an diesen neuralgischen Punkten zusammenarbeiten und welche Vorstellungen diese Personen vertreten. Zudem müssen bei Verstößen wirkungsvolle Maßnahmen zur Durchsetzung der bestehenden Vorgaben existieren. Ansonsten bietet gerade das Schiedsrichter*innen-Wesen ein Einfallstor für die extreme Rechte auf der Suche nach einem gesellschaftlichen Resonanzboden. Akteure wie Timo Groenke stehen für eine breit aufgestellte politische Strategie, die neonazistische Straßengewalt, eine sich nahbar gebende Parteipolitik und gesellschaftliches Engagement zu verbinden versucht, um in unterschiedlichen Bereichen den eigenen Wirkradius als bekennender Neonazi zu erweitern und neue Räume zu eröffnen. Dies ist nicht weniger gefährlich als ein offen gewalttätiger Neonazismus, für den DJV und JS stehen. Vielmehr zeigt gerade eine Person wie Timo Groenke, dass beide Aspekte extrem rechter Politik nicht voneinander getrennt werden können.

Übersicht: Teilnehmende des Neonaziaufmarsches am 14.12.2024 in Berlin-Friedrichshain

Am 14. Dezember 2024 blockierten Antifaschist*innen einen extrem rechter Aufmarsch in Berlin-Friedrichshain. Unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ hatten sich zuvor rund 100 Personen aus unterschiedlichen Spektren der extremen Rechten versammelt. Obwohl die Teilnehmenden aus der gesamten Bundesrepublik angereist waren, blieb die Demonstration damit deutlich hinter den Erwartungen der Organisatoren vom sogenannten „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“ zurück. Aufgrund der Gegenproteste konnte der Aufmarsch erst mit enormer Verspätung beginnen und wurde nach einem Bruchteil der geplanten Route von der Polizei aufgelöst. Wer waren die Teilnehmenden dieses extrem rechten Mobilisierungsdesasters?

Bis zur Veröffentlichung des Aufrufs war das organisierende Bündnis noch nie politisch in Erscheinung getreten. Seitdem gab es einige Hinweise, dass dahinter ein Zusammenschluss von Teilen der „Jungen Alternative“ (JA) aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg sowie Einzelpersonen aus dem Zusammenhang von Neonazigruppen wie „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Jung & Stark“ (JS) stecken könnte. Diese Verbindung bestätigte sich am 14. Dezember. So präsentierte sich Ferhat Sentürk aus Aachen als Sprachrohr der Versammlung. Begleitet wurde der extrem rechte Selbstdarsteller, der kurz vor dem Aufmarsch aus der AfD ausgetreten war, von seinem politischen Wegbegleiter Daniel Emonts, der weiterhin in den Strukturen der AfD und JA in Nordrhein-Westfalen aktiv ist. Wie Sentürk nahm auch Emonts im Oktober 2024 an der BPA-Fahrt des extrem rechten Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich teil. Seine Anwesenheit beim Aufmarsch verdichtet die Hinweise, dass sich die Organisationsstruktur maßgeblich im Rahmen der aus Bundesmitteln finanzierten Fahrt vernetzt hat. Aus Berlin und Brandenburg traten vor allem bekannte Gesichter aus dem Kontext von DJV und JS in hervorgehobenen Positionen auf. Geleitet wurde der Aufmarsch von Jannik D. Giese, der am Vortreffpunkt unter anderem von Unbekannt 100(Spitzname „Pumba“) und „Unbekannt 113″ (Celine“) begleitet wurde. Als Ordner beteiligten sich vorwiegend junge Neonazis. Als Teilnehmende in Erscheinung traten vorwiegend bekannte Gesichter, die über den Sommer vor allem im Rahmen extrem rechter Störaktionen gegen CSD-Demonstrationen bundesweit aufgefallen waren (u.a. Leon und Aaron, bisher „Unbekannt 39“). Unter ihnen befanden sich mit Christopher Wetzels, Philippe Beneke und Felix gleich drei Neonazis, deren Wohnungen im Oktober 2024 aufgrund von gewalttätigen Übergriffen auf Antifaschist*innen durchsucht wurden. Für Julian Milz, den Kopf von DJV in Berlin, der seit den Durchsuchungen in Untersuchungshaft sitzt, wurde ein Solidaritätsbanner gezeigt. Im Laufe der Versammlung wurde es zwischenzeitlich zum Sichtschutz beim Urinieren umfunktioniert.

Demgegenüber verzichteten andere Personen, die zuvor mit dem Aufmarsch und dem organisierenden Bündnis in Verbindung gebracht wurden, auf eine persönliche Anwesenheit. Auch Luka Zechel aus Bad Freienwalde ließ sich nicht in Berlin blicken. Versammlungleiter Giese verkündete vor Ort, dass ein Freund die Demonstration angemeldet habe. Es ist möglich, dass Zechel dieser Freund gewesen sein könnte. Maximilian Fritsche von der Barnimer AfD hatte sich schon vor dem 14. Dezember von der Versammlung distanziert und folgte damit der Parteilinie in Berlin und Brandenburg. Dennoch waren mit Daniel Emonts, dem extrem rechten Influencer „Dennis“, der unter seinem Pseudonym „Der Fürst“ beim Aufmarsch reden sollte, und dem extrem rechten Streamer Sebastian Weber („Weichreite TV“) bekannte AfD-Mitglieder auf der Versammlung anwesend. Zudem bekundeten die Teilnehmenden mehrfach durch Parolen ihre Unterstützung für die Partei. Bereits seit Monaten herrscht in den Netzwerken der jugendlichen Neonazis eine große Zustimmung zur AfD.

Im Vorfeld versuchte der Aufmarsch am 14. Dezember eher einem bürgerlich-konservativen Bild zu entsprechen. Am Ende glich er aber der Neonazi-Demonstration von DJV und JS am 19. Oktober in Berlin-Marzahn. Dabei zeigte sich erneut, dass dieses Spektrum bisher nicht eigenständig in der Lage ist, funktionierende Versammlungen zu organisieren. Schon ohne die antifaschistischen Blockaden warteten die Neonazis stundenlang auf ihren angekündigten Lautsprecherwagen, der jedoch nie ankam. So mussten sie auch die mitgebrachten Boxen unbenutzt auf der Demo umhertragen. Obwohl die Organisierenden im Vorfeld mehrfach die Demonstratinosroute geändert hatten, um Gegenproteste zu erschweren, sahen sie sich einer vielfachen Zahl an Antifaschist*innen gegenüber. Ohne die tatkräftige Mithilfe der Berliner Polizei, die zwei kleinere Blockaden auf der Wegstrecke räumte, wäre der extrem rechte Aufmarsch keinen Meter gelaufen. Vor der Versammlung wurden einige Neonazis bereits bei der Anreise verhaftet, nachdem sie in Lichterfelde-Ost einen Wahlkampfstand der SPD angegriffen hatten. Demgegenüber fielen die anwesenden Teilnehmenden vor allem mit einem teilweise exzessiven Alkoholkonsum auf. Es bleibt abzuwarten, ob das „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“, das aktuell verzweifelt um Mitglieder wirbt, seiner Ankündigung weiterer Demonstrationen in der Zukunft nach der Blamage tatsächlich Taten folgen lassen wird.

Neonazidemo am 14.12. in Berlin – Rechte Vernetzung mit Bundesmitteln?

Am 14. Dezember 2024 soll in Berlin unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ eine extrem rechte Demonstration stattfinden. Der Aufruf dazu kommt von einem sogenannten „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“. Wer dahinter steht, ist nicht offiziell bekannt, da sich bisher nur wenige Personen öffentlich zu dieser Struktur bekannt haben. Neben „Junge Alternative“ (JA) Mitgliedern aus unterschiedlichen Teilen der Bundesrepublik tauchen auch Neonazis aus Berlin und Brandenburg im Rahmen der Demonstration auf. Die Verbindung zwischen diesen regional sehr unterschiedlichen Akteuren könnte der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich sein. Recherchen legen nahe, dass sich die Struktur um den 14. Dezember auf einer von Helferich angebotenen Berlinfahrt vernetzt haben könnte. Hat der Abgeordnete aus Bundesmitteln ein extrem rechtes Treffen finanzieren lassen?

Die AfD lädt nach Berlin…

Matthias Helferich ist das „freundliche Gesicht des NS“. So zumindest bezeichnete sich der Dortmunder Bundestagsabgeordnete und AfD-Politiker in internen Chats. Dennoch konnte er 2021 über die Landesliste der Partei in Nordrhein-Westfalen in den Deutschen Bundestag einziehen. Allerdings löste er mit seiner extrem rechten Ausrichtung eine Kontroverse aus, in deren Verlauf er auf die Aufnahme in die AfD-Fraktion verzichtete. Trotzdem nominierte ihn sein Kreisverband der AfD erneut zum Direktkandidaten. Helferich zeigt sich gerne als Mitglied und Fürsprecher der extrem rechten Parteijugend. Somit ist Helferich ein bundesweit wichtiger Schnittpunkt zwischen offen völkischen Teilen der AfD, unterschiedlichen Verbänden der JA und Strukturen der außerparlamentarischen extremen Rechten. Allein 2024 organisierte er zwei Veranstaltungen mit dem völkischen Publizisten Götz Kubitschek (zuletzt am 4. Dezember 2024 im Bundestag). Zudem spendete er im November öffentlichkeitswirksam eine vierstellige Summe an das extrem rechte Kampagnen-Netzwerk „Ein Prozent“.

Obwohl Matthias Helferich fraktionslos ist, genießt er die regulären Privilegien eines Bundestagsabgeordneten. Dazu gehört unter anderem die Möglichkeit über das Bundespresseamt mehrmals im Jahr „politisch interessierte Bürger“ kostenlos für mehrere Tage nach Berlin einzuladen. Diese sogenannten BPA-Fahrten umfassen Besuche von Museen, Gedenkstätten und politischen Institutionen sowie ein kleines Rahmenprogramm mit Restaurant- und Kneipenabende. Matthias Helferich nutzte dieses Angebot in der Vergangenheit regelmäßig. Seine dritte BPA-Fahrt im Jahr 2024 fand vom 10. bis zum 12. Oktober statt. Nur wenige Tage zuvor wurde der Account „Aktives Berlin“ auf Telegram erstellt und eine erste Aktion angekündigt.

Der Fahrt-Zeitraum war gezielt gewählt. Am 10. Oktober hielt Helferich als selbsternannter „Bundestags-Talahon“ eine rassistische Rede im Parlament. In Jogging-Anzug und mit Goldkettchen trat er ans Podium, um mit der Karnevalsnummer Klickzahlen auf Social Media zu generieren. Im Anschluss an seine Rede traf sich Helferich in voller Verkleidung mit den Teilnehmenden der Fahrt und ließ sich von ihnen für die rassistische Provokation feiern. Neben der schamlosen Selbstvermarktung von Matthias Helferich stand unter anderem noch ein Besuch beim Bundesnachrichtendienst auf dem Programm. Am 11. Oktober ging es für die Teilnehmenden der Fahrt in den Bundestag für eine Diskussionsrunde mit Helferich, Roger Beckamp und Eugen Schmidt (alle AfD). Anschließend erfolgte ein Besuch ins Berliner Abgeordnetenhaus, wohin die extrem rechte Reisegesellschaft aus NRW von Thorsten Weiß eingeladen wurde. Weiß, ein enger Freund von Björn Höcke, ist der ehemalige Obmann vom völkischen „Flügel“ in Berlin und eine profilierte Figur am völkischen Rand der AfD. In diesem Sinne scheint Helferich seine BPA-Fahrten gezielt für eine Vernetzung von extrem rechten Kräften in der AfD zu nutzen, um so deren Einfluss in der Partei auszubauen.

und die extreme Rechte kommt zusammen

Dementsprechend lohnt sich auch ein Blick auf die Teilnehmenden der BPA-Fahrt. Unter ihnen fällt besonders Ferhat Sentürk auf. Wenig Wochen nach dem Berlin-Besuch wird der extrem rechte Möchtegern-Influencer als erste Person öffentlich in einem Video für das „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“ auftreten.

Diese Parteinahme verwundert, da der Aktionsschwerpunkt des politischen Selbstdarstellers zuvor vor allem im Raum Aachen lag. Dort engagierte sich Sentürk seit Anfang 2024 in der lokalen AfD und stieg schnell als Beisitzer in den Vorstand des Stadtverbandes auf. Parallel bemühte er sich um eine starke Anbindung an die Strukturen der JA in Nordrhein-Westfalen, ohne jedoch zu deren engerem Führungskreis zu gehören. In diesem Zusammenhang dürfte auch der persönliche Kontakt zu Matthias Helferich zustande gekommen sein. Im Rahmen der BPA-Fahrt im Oktober scheint Sentürk sogar der Ansprechpartner für die Teilnehmenden aus dem Raum Aachen gewesen zu sein.

Doch wie Helferich ist auch Sentürk in der AfD nicht unumstritten. Anfang Oktober organisierte er einen Stammtisch der JA in Aachen. Als rund 40 Antifaschist*innen versuchten die Veranstaltung zu blockieren, griff Sentürk diese körperlich an. Im Anschluss distanzierte sich der AfD-Kreisverband Aachen von ihm und brachte sogar ein Parteiausschlussverfahren ins Spiel. Am 1. Dezember eskalierte der parteiinterne Streit öffentlich. Als Sentürk von einer Sitzung des Kreisverbandes ausgeschlossen werden sollte, lieferte sich eine Rangelei mit dem anwesenden Sicherheitsdienst. Inzwischen gibt er an, selbst aus der AfD ausgetreten zu sein und eine neue rechte Partei gründen zu wollen. Dennoch bewirbt Sentürk weiterhin die Demonstration vom 14. Dezember. Vor diesem Hintergrund erscheint diese einerseits wie der Versuch eines politischen Egomanen, sich mit einem Schlag einen Namen innerhalb der extremen Rechten bundesweit machen zu wollen, und andererseits auch als beleidigte Rache an linken Strukturen nach der antifaschistischen Blockade von Sentürks JA-Stammtisch in Aachen.

Extrem rechtes Vernetzungstreffen in Berlin

Doch Ferhat Sentürk war nicht der einzige Akteur der extrem rechten Demonstration in Berlin, der im Rahmen von Helferichs BPA-Fahrt auffiel. So veröffentlichte der Eberswalder AfD-Lokalpolitiker Maximilian Fritsche ein Foto, das ihn mit Helferich in gemütlicher Bierrunde im „Valentin“ an der Hasenheide in Neukölln zeigt. Der Brandenburger Neonazi Luka Zechel teilte ebenfalls ein Foto von sich und Helferich, das ebenfalls in dem Neuköllner Restaurant aufgenommen wurde. Auf beiden Fotos trägt Helferich eine hellgraue Anzugjacke mit schwarzem Einstecktuch, ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte mit hellem Muster.

In seinen online-Auftritten ist er in diesem Outfit bei genau zwei Veranstaltungen zu sehen. Das ist einmal die Diskussionsveranstaltung im Bundestag am 11. Oktober und der Besuch im Abgeordnetenhaus am gleichen Tag (siehe Bild 3). Es ist somit davon auszugehen, dass die Kneipen-Fotos ebenfalls am 11. Oktober und damit im Zeitraum der BPA-Fahrt aufgenommen worden sind. Aufgrund der gut gefüllten Tische im Hintergrund könnte der Besuch im „Valentin“ sogar ein offizieller Punkt der vom Bundespresseamt organisierten Fahrt gewesen sein.

Einige Zeit später tauchten Maximilian Fritsche und Luka Zechel dann ebenfalls im Kontext der extrem rechten Demonstration am 14. Dezember auf. So wurde Fritsche in einer Veröffentlichung vom „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“als Organisator angeführt.

Der Tischler Fritsche aus Eberswalde sitzt für die AfD in der Stadtverordnetenversammlung und ist Beisitzer im Barnimer Kreisvorstand. Zudem ist er in der JA Brandenburg aktiv, ohne dort im Vordergrund zu agieren. Bei öffentlichen Aktionen tauchte er zum Beispiel am 8. und 15. Januar 2024 mit einer JA-Delegation bei den „Bauernprotesten“ in Berlin auf. Am 22. April 2024 nahm er an einer AfD-Kleinstkundgebung gegen einen geplanten Solarpark in Falkenberg/Mark teil und am 16. Juli 2024 besuchte die Versammlung gegen das Verbot des extrem rechten Medienunternehmens „COMPACT“ in Falkensee. Insgesamt verfügt Fritsche wie auch Sentürk über ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein, ist in der AfD jedoch politisch eher unbedeutend. Nichtsdestotrotz ist er in die Strukturen der JA eingebunden und gut mit Akteuren der außerparlamentarischen Rechten vernetzt.

Wahrscheinlich kam über ihn auch der Kontakt zu Luka Zechel zustande. Dieser lebt unweit von Eberswalde in Bad Freienwalde. Bis zum Frühjahr 2024 war Zechel vorwiegend aus einer rechtsoffenen Szene bekannt, die sich rund um den örtlichen Bahnhof trifft. Im Juli tauchte er im Kontext des versuchten Neonazi-Angriffs auf den CSD in Berlin auf. Zuletzt nahm er am Neonaziaufmarsch der beiden Gruppen „Deutsche Jugend Voran“ und „Jung & Stark“ am 19. Oktober 2024 in Berlin-Marzahn teil. Zechel sucht sowohl Kontakt zur AfD, beispielsweise auf deren „Familienfest“ in Bad Freienwalde, als auch zu den neueren jugendlichen Neonazivernetzungen. Es ist somit möglich, dass während der BPA-Fahrt von Matthias Helferich nicht nur der völkische Rand der AfD zusammenkam, sondern ebenso die Vernetzung mit gewaltbereiten Neonazis betrieben wurde. Kurz nach dem Bekanntwerden der Demonstrationsanmeldung in Friedrichshain begann Zechel jedenfalls, die Veranstaltung massiv auf seinen Social-Media-Seiten zu bewerben und damit zielgerichtet in das Spektrum der neuen Neonazizusammenschlüsse zu pushen.

Julia Ender und Luka Zechel auf dem „Familienfest“ der AfD am 14.09.2024 in Bad Freienwalde, Foto: Pressefuchs

Hofiert ein Bundestagsabgeordneter Neonazis?

Diese ausgestellte Begeisterung könnte auch damit zusammenhängen, dass Jannik D. Giese, der mutmaßliche Leiter der Demonstration am 14. Dezember, ein enger Freund von Zechel ist. Darüber hinaus ist zu Giese relativ wenig bekannt. Zuletzt nahm er am Neonaziaufmarsch am 19. Oktober in Berlin teil. Auch Jannik D. Giese tauchte im Zusammenhang mit der BPA-Fahrt vom Abgeordneten Matthias Helferich auf. Es existieren gemeinsame Fotos von Giese, Fritsche und Zechel an einem unbekannten Ort, die aufgrund der Kleidung höchstwahrscheinlichaus dem Zeitraum der Berlinfahrt stammen. Zudem prahlte Giese im Anschluss an das Wochenende damit, am 10. Oktober im Bundestag gewesen zu sein.

Wer außer Ferhat Sentürk von den Organisatoren des Neonaziaufmarsches in Berlin regulärer Teilnehmer der Fahrt von Helferich war, kann momentan nicht abschließend geklärt werden. Zumindest kamen auch andere Berlin-Gäste von Helferich nicht aus seinem Wahlkreis. Letztendlich ist es auch wenig relevant, wo sich Fritsche, Zechel und Giese getroffen haben und ob sie dies bereits während des offiziellen Programms taten. Sicher ist, dass sie sich später mit Matthias Helferich (und wahrscheinlich auch Ferhat Sentürk) trafen, um ihre Pläne bei einem Bier im „Valentin“ zu konkretisieren. Somit konnten erst durch die von Helferich organisierte Fahrt alle zentralen Akteure der extrem rechten Demonstration vom 14. Dezember in Berlin zusammenkommen. Der Bundestagsabgeordnete hat damit aller Wahrscheinlichkeit seine aus Bundesmitteln finanzierten Privilegien genutzt, um im Kontext einer vom Bundespresseamt finanzierten Fahrt extrem rechte Strukturen außerhalb der AfD miteinander zu vernetzen. Höchstwahrscheinlich hat er dabei sogar bekannten Neonazis einen kostenlosen Berlinaufenthalt bei Essen und Getränken ermöglicht. Hier zeigt sich exemplarisch, wie von der AfD aufgestellte Abgeordnete die Spielräume ihrer Mandate ausnutzen, um auch außerparlamentarisch politische Wirkungen zu entfalten.

Der harte Kern der Neonazigruppen DJV & JS (Outingplakat, aktuelle Einschätzung, Razzien und nächste Neonazidemo)

Stand Dezember 2024. Einige Informationen wurden aktualisiert.

Für die neuen Neonazivernetzungen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Jung & Stark“ (JS) war der vergangene Monat ziemlich turbulent. Zuerst hatten beide Zusammenschlüsse am 19. Oktober 2024 den ersten Neonaziaufmarsch in Berlin seit 2020 organisiert. Auf diese Weise versuchten sie, eine parallel stattfindende feministische Antifa-Demonstration zu stören. Trotz bundesweiter Mobilisierung kamen jedoch nur circa 150 Neonazis nach Berlin-Marzahn. Wenige Tage später folgte dann am 23. Oktober eine Reihe an Razzien gegen DJV, JS und ihre Umfelder. Hintergrund waren vornehmlich polizeiliche Ermittlungen zu mehreren Übergriffen in der Vergangenheit. In Rahmen der Geschehnisse sind einige neue Informationen ans Tageslicht gekommen, die wir im folgenden Übersichtsartikel zusammengefasst haben. Mittlerweile hat sich ein konstanter personeller Kern beider Gruppen herauskristallisiert. Mit einem Outingplakat sollen die gewalttätigen Neonazis bekannt gemacht werden und Personen für die von ihnen ausgehenden Gefahren sensibilisiert werden. Weiterhin soll der Übersichtsartikel eine kurze Einschätzung über aktuelle Verbindungen von DJV zu anderen Gruppierungen geben und eine Einschätzung zu deren Beteiligung bei der angekündigten rechten Demonstration am 14.12.2024 in Berlin-Friedrichshain.

 Die Köpfe der Demonstration am 19. Oktober 2024

Nachdem für den 19. Oktober 2024 eine feministische Antifa-Demo in Berlin-Marzahn angekündigt wurde, begannen die Kreise um DJV und JS mit einer Gegenmobilisierung. Ihre Strategie erinnerte dabei an die neonazistischen Proteste gegen CSD-Veranstaltungen in den letzten Monaten. Mit einem eigenen Aufmarsch wollten die Neonazis Dominanz auf den Straße ausstellen und so andere Meinungen und Lebensentwürfe unsichtbar machen. Zu diesem Zweck mobilisierten beide Gruppen bundesweit und konnten unter anderem eine kleinere Delegation von „Revolte Chemnitz“ nach Berlin locken. Insgesamt blieb der Neonazi-Aufmarsch mit rund 150 Teilnehmenden deutlich hinter den Erwartungen der Organisierenden zurück. Auch die gewählte Taktik, mehrere hundert Meter hinter der antifaschistischen Demonstration zu laufen, hat nicht zur Attraktivität der Neonaziversammlung beigetragen. Dennoch kam es im Vorfeld und im Umfeld des Aufmarsches zu verstärkten Neonazi-Aktivitäten, was sich auch in körperlichen Übergriffen äußerte.

Als organisatorischer Kern des Neonaziaufmarsches traten größtenteils die aus den letzten Monaten bekannten Gesichter auf. Geleitet wurde die Versammlung erwartungsgemäß von Julian Milz, dem Kopf von DJV in Berlin. Als Anmelder trat jedoch Erik Franke auf, wohnhaft in Berlin-Hellersdorf, gemeldet in Berlin-Lichtenrade (bei seiner Mutter Yvonne Franke). Eine weitere Person aus dem Kreis der Mitorganisatoren war Leon. Der Fan von Hertha BSC in der Vergangenheit schon bei vielen Neonaziversammlungen gegen CSD-Veranstaltungen aufgefallen. Zuletzt versuchte er unter dem Namen „Hauptstadtrevolte“ eine Ortsgruppe der „Jungen Nationalisten“ (JN) in Berlin zu gründen. Allerdings kam dieser Ansatz bisher nicht über den virtuellen Raum hinaus.

Insgesamt zeigte sich beim Aufmarsch am 19. Oktober, dass DJV und JS nicht mit etablierten Neonazistrukturen verbunden sind. So nahmen zwar bekannte Akteure aus dem Spektrum von „Die Heimat“ (u.a. Andreas Storr, Andreas Käfer), aus dem Spektrum des „III. Wegs“ (u.a. Andi Körner) sowie lokale Neonazis (René Uttke, Kai Milde und Katrin Körner) zu Beginn an der Demonstration teil. Doch blieben sie insgesamt im Hintergrund. Auf der Versammlung waren ebenfalls Kleidungsstücke der Neonazi-Organisationen „Die Heimat“ und „III. Weg“ bzw. ihrer jeweiligen Jugendgruppen anzutreffen. Diese wirkten jedoch eher wie modische Accessoires und weniger als explizite Zugehörigkeitsbekenntnisse.

Neonazi-Razzien am 23. Oktober 2024

Am 23. Oktober 2024 folgte dann ein polizeilicher Großeinsatz gegen Akteure aus dem Spektrum von DJV und JS. Hintergrund waren jedoch nicht die Aktivitäten rund um die Demonstration vom 19. Oktober. Stattdessen erfolgten die Durchsuchungen aufgrund mehrerer Übergriffe auf Antifaschist*innen in den vergangenen Monaten, mit denen sich die beteiligten Neonazis breit im Internet brüsteten. Insgesamt wurden am 23. Oktober neun männliche Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren durchsucht. Die Durchsuchungen fanden in Hellersdorf, Köpenick, Marzahn und Neu-Hohenschönhausen sowie im brandenburgischen Letschin und Wandlitz statt. Bestätigt sind dabei Razzien bei den folgenden Neonazis:

Nick Thomas Christopher Wetzels aus Marzahn

Hendrik Boutry (bisher „Unbekannt 42“) aus Marzahn

Aron (bisher „Unbekannt 39“) aus Köpenick

Philippe Beneke (Spitzname: „Calle“) aus Marzahn

Julian Milz, bei dem gewaltbereiten Polizistensohn wurde sein elterliches Wohnhaus in Wandlitz durchsucht

Vincent Gutjahr (Spitzname: „Svenny“) aus Marzahn

„Felix“, der in der Vergangenheit vor allem als regelmäßiger Teilnehmer von Aufmärschen und Aktivitäten aus dem Spektrum von DJV und JS aufgefallen ist

– sowie Anthony (bisher „Unbekannt 46“), der öffentlich bisher vor allem als Ordner bei der Neonaziversammlung im Leipziger Hauptbahnhof sowie bei Aktivitäten außerhalb von Demonstrationen auftrat

Zudem wurde der Maler Janeck Wolfgang G. aus Marzahn-Hellersdorf durchsucht. Bei ihm sind keine engen Verbindungen zum politischen Spektrum um DJV oder JS zu erkennen. Laut Medienberichten geriet er vor allem wegen Fotos in den sozialen Medien ins Visier der Ermittlungsbehörden. Dort posierte er mit Polizeiweste und Schusswaffen. Aufgrund seiner offenen rechten Weltanschauung dürften die Razzien gegen die Neonazigruppen eher ein Anlass gewesen sein, um G. mit zu durchsuchen.

Zur Identität der neunten durchsuchten Person konnten wir keine öffentlich verfügbaren Belege finden.

Neben der genannten Adresse in Wandlitz wurden von Julian Milz noch mindestens eine weitere Anschrift durchsucht. Zuletzt hielt er sich regelmäßig in Marzahn-Hellersdorf auf. Die unklaren Wohnverhältnisse dienten den Ermittlungsbehörden als ein Grund, um eine Untersuchungshaft anzuordnen. Obwohl Julian Milz seit den Razzien inhaftiert ist, hält sich die öffentlich wahrnehmbare Solidarität mit den durchsuchten Neonazis in Grenzen. Eher sind aus den Umfeldern von DJV und JS in den sozialen Medien Distanzierungen von Gewalt zu lesen, die aufgrund der Gewaltbereitschaft vieler Mitglieder allerdings vor allem mit dem Repressionsdruck zusammenhängen. Zugleich haben die Durchsuchungen den Kern der Gruppen näher zusammengebracht. Insgesamt sind JS und DJV nach dem Versammlungsmarathon im Sommer und Herbst inzwischen in die Phase der Konsolidierung eingetreten. Neben den Durchsuchten tauchen nur wenige weitere Personen regelmäßig im Kontext der Gruppen auf. Eine Konstante ist u.a. „Unbekannt 39“ (Rufname „Aaron“) aus Köpenick, zu dem bisher keine weiteren Informationen vorliegen.

Auch abseits der Razzien steigt der Repressionsdruck gegenüber DJV und JS gerade merklich. So musste kürzlich Kevin Taylor Hennig (Spitzname: „Nesto“) für zwei Wochen in den Jugendarrest. Der 18-Jährige Neonazi ist der kleinere Bruder vom Steve Mike Hennig, der um 2010 in der Kameradschaft „FN Mitte“ aktiv war und inzwischen fleißig die AfD unterstützt. Taylor Hennig war in den zurückliegenden Monaten an zahlreichen Störversuchen gegen CSD-Demonstrationen beteiligt und nahm ebenfalls an einer Versammlung der AfD in Berlin-Hohenschönhausen teil.

Einschätzung DJV – III. Weg

Im Zuge der Razzien wurde bei mindestens zwei Neonazis Material vom „III. Weg“ sichergestellt. So sind auf den Fotos der Dursuchungen ein T-Shirt und Flyer der Neonazipartei zu sehen. Zudem waren unter anderem Carsten Grasse, „Unbekannt 46“ sowie Christopher Wetzels in der Vergangenheit mit Bekleidung vom „III. Weg“ ausgestattet. Diese wenigen Anhaltspunkte wurden in der Presseberichterstattung genutzt, um Verbindungen zwischen DJV, JS und dem „III. Weg“ herzustellen. Dieser distanzierte sich umgehend von den durchsuchten Neonazis und stellte klar, dass sie niemals in der Partei oder deren Jugendorganisation aktiv gewesen wären. Hierbei dürfte es sich nicht nur um einen strategischen Schachzug handeln. So gab es zwar in der Vergangenheit durchaus Kontakte zwischen Personen aus dem Spektrum von DJV und JS und dem „III. Weg“. Es ist bekannt, dass Christopher Wetzels an Propagandaaktionen in Berlin-Hohenschönhausen sowie in Erkner beteiligt war. Zudem verteilte er eigenständig Parteiflyer in seiner Nachbarschaft und nahm an mindestens einem Kampfsporttraining vom „III. Weg“ teil. Auch Carsten Grasse stellt sich gerne in die Nähe der Partei, indem er beispielsweise regelmäßig deren offizielle Kleidung trägt und ebenfalls an einem Training teilnahm. Zudem war er mit seinem kleinen Bruder beim Wahlkampfabschlusses in Cottbus und verteilte dort Flyer mit dem „III. Weg“.

Bei all diesen Verbindungen handelte es sich jedoch vornehmlich um punktuelle Kontakte. Es ist davon auszugehen, dass der „III. Weg“ mit solchen niedrigschwelligen Aktivitäten versuchte, die Eignung der Neonazis für eine weitergehende Parteiarbeit zu testen. Darüber hinaus gibt es keine Belege für eine engere Zusammenarbeit mit den durchsuchten Neonazis. Das zeigte sich auch auf Versammlungen, die von beiden Spektren besucht wurden. Während Carsten Grasse und sein Bruder beim Aufmarsch vom „III. Weg“ gegen den CSD in Zwickau zwar kurz zwischen den Berliner Parteimitgliedern zu sehen sind, übernahmen sie keine besondere Aufgabe auf der Versammlung. Grasses Bruder trug lediglich gegen Ende ein Plakat. Demgegenüber besuchten einige Mitglieder vom Berliner Stützpunkt des „III. Wegs“ den von DJV mitgestalteten Aufmarsch gegen den CSD in Görlitz. Auch dort sind keine Kontakte zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen belegt. Einzig Grasse bewegte sich kurzzeitig in der Nähe der Berliner „III. Weg“-Mitglieder. Die jeweiligen Akteur*innen blieben allerdings bei der An- und Abreise in ihren eigenen Kreisen; so reiste Grasse mit mindestens 12 weiteren Neonazis aus dem Spektrum DJV und JS mit der Bahn vom Berliner Ostkreuz nach Görlitz.

Alles in allem haben Einzelmitglieder von DJV und JS also durchaus eine Nähe zum „III. Weg“ gesucht. Doch die Kontakte waren eher oberflächlich. Zu einer Aufnahme in die Partei oder ihre Jugendorganisation dürfte es nie gekommen sein. Ob Wetzels oder Grasse überhaupt Anwärter auf eine Mitgliedschaft waren, muss spekulativ bleiben. Zudem dürfte der von massivem Drogen- und Alkoholkonsum geprägte Lebenswandel der Neonazis Grasse und Wetzels kaum dem Selbstverständnis vom „III. Weg“ als neonazistischer Kaderpartei entsprechen. In diesem Sinne waren auch die festgestellten Flyer oder Kleidungsstücke, die die DJV-Neonazis bei sich trugen, größtenteils über den offiziellen Onlineshop („Materialvertrieb“) vom „III. Weg“ erhältlich und damit ohne Mitgliedschaft in der Partei zu erwerben. Trotz der Nähe von einigen Personen zum „III. Weg“ sind DJV und JS kaum auf eine Organissation festgelegt. In der Vergangenheit warben die einzelnen Mitglieder für die Junge Alternative, die Jungen Nationalisten und für den „III. Weg“ im regelmäßigen Wechsel. Auch Wetzels fertigte ein Foto an, auf dem er alle Parteilogos vom „III. Weg“ mit den Buchstaben JN (Junge Nationalisten) übermalte. In den Führungsebenen der entsprechenden Organisationen dürfte diese Beliebigkeit auf keine Gegenliebe treffen.

Die nächste Neonazidemo am 14. Dezember

Am 14. Dezember 2024 ruft ein sogenanntes „Aktionsbündnis Berlin“ zu einer Demonstration auf, die sehr anschlussfähig für neonazistische Mobilisierungen zu sein scheint. Unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ soll der rechte Aufmarsch durch Berlin-Friedrichshain laufen. Wer sich genau hinter diesem „Aktionsbündnis“ verbirgt, ist bisher noch nicht vollständig bekannt. In der Öffentlichkeit positioniert sich vor allem Ferhat Sentürk für die Versammlung. Gegen das AfD-Mitglied aus Aachen ist momentan ein Parteiausschlussverfahren anhängig, sodass er verstärkt den Kontakt zu anderen Gruppierungen der extremen Rechten sucht. Weitere Personen, die neben Sentürk bisher als Organisatoren bzw. Redner auf dem Aufmarsch angeführt werden, sind der rechte Social Media-Kanal „Der Fürst“, der junge AfD-Politiker Maximilian Fritsche aus Eberswalde sowie Jannik D. Giese. Letzterer soll auch Leiter der Versammlung sein. Zudem ist Giese eine personelle Verbindung zum jugendlichen Neonazi-Spektrum um DJV und JS. Jannik D. Giese nahm beispielsweise am 19. Oktober am Neonaziaufmarsch in Berlin-Marzahn teil (Fotos auf dem Plakat). Zudem scheinen Giese und Fritsche mit Luka Zechel befreundet zu sein. Der Neonazi aus Bad Freienwalde wurde bereits beim ersten Störversuch von DJV auf den Berliner CSD von der Polizei festgesetzt. Auch Zechel nahm zuletzt am Marzahner Neonaziaufmarsch teil. Er kann somit weiterhin im Umfeld von DJV verortet werden. Trotz mehrerer öffentlicher Kontaktversuche wurde Zechel jedoch nie als Mitglied der Neonazigruppe aufgenommen. Stattdessen scheint er mittlerweile verstärkt Kontakte im Spektrum der AfD zu suchen, während er online seine Zustimmung zum Nationalsozialismus bekundet.

Durch die benannten direkten Verbindung zum Umfeld von DJV und JS kann der Aufmarsch vom „Aktionsbündnis Berlin“ klar als extrem rechtes Szeneevent eingeschätzt werden und richtet sich auch explizit an dieses Klientel. Dennoch sind die Reaktionen aus den beiden Neonazizusammenschlüssen bezüglich des 14. Dezembers bisher eher gemischt. Während beispielsweise Luka Zechel fleißig die Werbetrommel für seinen Kumpel Jannick rührt, distanzieren sich andere Neonazis von dem vermeintlichen „Selbstmordkommando“.

Fazit

Momentan hat das politische Spektrum um die Gruppen DJV und JS in Berlin mit vielen Problemen zu kämpfen. Dennoch haben sich aus den losen Netzwerken in den vergangenen Monaten kleine aber gefestigte Neonazistrukturen gebildet, die gerade auch durch Straßengewalt auffallen. Mit ihren Aktivitäten und der öffentlichen Präsenz öffnen sie anderen Akteuren der extremen Rechten die Tür, die sich so auch in Berlin einen erhöhten Resonanzraum für eigene Aktionen versprechen. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, zentrale Akteure aus diesem politischen Mischspektrum auf einem Plakat zu sammeln. Dabei handelt es sich um jene Personen, die in den vergangenen Monaten durch eine verstärkte Aktivität oder Gewaltbereitschaft aufgefallen sind bzw. im Kontext vom Aufmarsch am 14. Dezember sowie zukünftigen Terminen aktiver werden könnten.