kritik. antifa. marxismus.

„Anti-Babypille“ – Eine feministische Perspektive?

Die „Anti-Babypille“ (auch „Pille“) ist ein modernes Verhütungsmittel, welches durch regelmäßige Einnahme den Eisprung hormonell unterdrückt. Diese Ovulationshemmung ist also eine Zykluskontrolle bzw. Manipulation und keine Abtreibung, wie es der martialisch klingende Name vermuten lässt. Aus diesem Grund wird der gängige Begriff „Anti-Babypille“ in diesem Text durch die Begriffe Pille, Ovulationshemmer oder Kontrazeptivum ersetzt.In vielen feministischen Bewegungen galt diese Pille als Mittel der Emanzipation und Selbstbestimmung, eine pharmazeutische Freiheit, die ermöglichte den Koitus ohne schwangere Folgen zu genießen. Selbstverständlich gehört es zur Befreiung der Frau* über Schwangerschaft und Sex zu bestimmen, jedoch möchte dieser Text erklären, warum diese Ovulationshemmer nicht der richtige Weg dorthin sind und beschreibt den Weg des Kontrazeptivums selbst:

Gestern

Als teils deutsche Entwicklung hat die Pille, wie sollte es anders sein, eine düstere Vergangenheit: Carl Clauberg und die Schering-Kahlbaum AG, um die Täter auch zu benennen, testeten ihre Hormonpräparate an unschuldigen Frauen im Block 10 des Konzentrationslagers Auschwitz.[1] Auch die weitere Forschung an dem damaligen Medikament, was als „Mittel gegen Menstruationsbeschwerden“ deklariert wurde, nutzte ahnungslose Frauen als Versuchskaninchen: So wurde es in Slums in Puerto Rico getestet[2]; bis es 1960 in Deutschland zugelassen wurde. Es dauerte ein Jahrzehnt um die Skepsis der Frauen* zu überwinden, bis schließlich in den 70er Jahren eine Welle von Pillen-Konsument*innen losbrach. Trotz dem Widerstreben der Kirche wurde die Pille in vielen Industrienationen ein ausschlaggebendes Verhütungsmittel, das sich sogar in der Geburtenrate erkennen lässt.[3]

Heute

Bei den heutigen Präparaten hat die Empfängnis-Wahrscheinlichkeit bei korrekter Anwendung einen Pearl-Index von 0,1 bis 0,9 – sehr unwahrscheinlich.[4] Diese Sicherheit bewegt viele Frauen* dazu, diesen Weg der Verhütung zu wählen, und Frauenärzt*innen verschreiben sie bereits an 11-Jährige*, sodass im Alter von 19 drei von vier Frauen* mit Ovulationshemmern verhüten.[5] Dabei gilt das Medikament als vollkommen harmlos und wird jungen Frauen* sogar verabreicht, um ihre* Akne, Brustgröße, Körperbehaarung oder Menstruationsstärke zu regulieren. Viele Eltern willigen dem täglich konsumierten Medikament ein, um eine Teenie-Schwangerschaft ihrer Tochter* zu umgehen. Die Folge ist, dass viele Frauen* das Medikament Jahre lang, manchmal bis zu einem Kinderwunsch, nehmen.Doch kann das überhaupt gesund sein? Zunächst besteht der Ovulationshemmer aus körpereigenen Hormonen wie künstlichen Östrogenen und Gestagene, die je nach Firma unterschiedlich zusammengesetzt sind und entweder in mono-, bi- oder triphasischer Kombination eingenommen werden. Die Wirkung ist dabei immer ähnlich: Östrogen verhindert die Follikelreifung über Steuerung des FSH (Follitropin, ein Hormon) – es kommt nicht zum Eisprung. Falls doch, wirkt Gestagen gegen die Einnistung der Eizelle. Nach täglicher Einnahme (meist 21 Tage) wird dann eine Pause (meist 7 Tage) vorgesehen, in der die Konsument*innen eine „Regelblutung“ haben, welche allerdings eine Abbruchsblutung ist und sich z.B. in der Intensität zur normalen Menstruation unterscheidet. Hier sei zu erwähnen, dass es auch Pillen gibt, die ohne Pause genommen werden und deren Langzeitfolgen nicht ausreichend erforscht sind. Außerdem sind „Minipillen“ ohne Östrogen auf dem Markt erhältlich, die durch verdickten Schleim den Gebärmutterhals oder –mund verschließen und den Eisprung verhindern können.[6] Zuletzt gibt es noch die „Pille danach“, sie ist weder Verhütungsmethode im klassischen Sinne noch -wie oft angenommen- eine Abtreibung. Das bedeutet sie verhindert weder den Eisprung vor dem Koitus, noch entsorgt sie irgendeinen Embryo. Stattdessen grätscht sie hormonell in den Zyklus ein, abhängig vom Zeitpunkt an dem sie eingenommen wird. Dies sollte zeitnah nach dem unverhüteten Geschlechtsverkehr geschehen.[7] Die „Pille danach“ hat einen schlechten Ruf, da sie zwar wie die Pille hormonell aber stärker dosiert eingreift. Dennoch ist sie ein wichtiges Mittel, um Frauen* zu helfen, bei denen ein Verhütungs-Unfall passierte oder die gegen ihren Willen verhütungslosen Sex hatten. Selbstverständlich ist die „Pille danach“ kein TicTac, aber warum ist die einmalige Hormoneinnahme verurteilter als die dauerhafte Einnahme der Pille mit denselben Folgen? Und warum wird es dann eigentlich immer noch gesellschaftlich stark abgelehnt, dass Trans-Menschen Hormone zur Verfügung stehen? Bei allen Ovulationshemmungsformen treten ähnliche Nebenwirkungen auf, zu denen neben körperlichen Beschwerden, wie Migräne, Übelkeit bis zum Erbrechen, Gewichtszunahme und Brustschmerzen, auch psychische Auswirkungen, wie emotionale Verstimmungen gehören. Aber auch ein Schwinden der Libido – was nur ein kleiner Hinweis darauf ist, dass die Pille wohl nicht die sexuelle Befreiung der Frau* darstellt. Ernsthafte Langzeitfolgen sind ebenfalls bekannt, wo es in manchen Fällen zu Leberstörungen und Thrombose kam.[8] Es scheint also doch ein ernsthafter Eingriff in den Körper zu sein, täglich Hormone zu nehmen – welch´ Wunder –, sodass einigen Frauen* sogar strikt davon abgeraten wird. Dazu gehören Frauen* mit Auffälligkeiten, die im Kontext mit Thrombose, Lebererkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Depressionen und Tabaksucht stehen. Nur das genaue Krebsrisiko scheint immer noch ungeklärt: einige Studien stellen ein erhöhtes Risiko für Gebärmutterhalskrebs, Leberkrebs und Brustkrebs fest, andere zeigen, dass Ovulationshemmer das Risiko von manchen Krebsarten (Eierstock- und Gebärmutter-schleimhautkrebs) senken.[9] Dabei spielt auch die Medikament-Generation eine wichtige Rolle, da aktuelle Pillen sich z.B. in Dosierung von alten unterscheiden; dennoch aber keinen generellen Fortschritt darstellen.[10]

Morgen

Doch was ist dann der Verhütungsfortschritt und die sexuelle Befreiung der Frau*? Zunächst einmal sollten die Absichten geklärt werden: Soll lediglich die Schwangerschaft verhindert werden oder ein genereller Schutz vor allem, was Sperma noch mit sich bringen kann? An dieser Stelle soll noch einmal explizit auf die verkürzte Darstellung von Sex hingewiesen werden: Bei Betrachtung der Ovulationshemmer, wird von einem Koitus ausgegangen, bei dem ein Mensch (der befähigt ist schwanger werden zu können), sich vor dem Sperma eines Menschen schützt, der bei der Interaktion befähigt ist, damit die Eizellen anderer zu befruchten. Auf andere Formen von Sex kann daher leider nicht eingegangen werden. Dennoch können bei diesem Sex, wie auch bei den meisten anderen Sexformen (wie beispielsweise Oral- oder Analverkehr) Krankheiten übertragen werden, vor denen die Ovulationshemmer keinerlei Schutz bieten. Oft sind sie daher als Verhütungsmethode für heterosexuelle Monogamie angepriesen (das gilt es ein anderes Mal zu verurteilen) oder als Absicherung, falls beispielsweise das Kondom versagt, um zumindest die Schwangerschaft zu verhindern – eine falsche Herangehensweise. Denn auch 2020 stellen sexuell übertragbare Krankheiten (bzw. Erreger) – wie HIV, Chlamydien, HPV, Syphilis, Feigwarzen, Tripper, Hepatitis, Herpes etc. – noch eine Gefahr dar, die nicht unterschätzt werden sollte. Den einzigen Schutz können hier nur Kondome, Lecktücher, Femidom und Impfungen (gegen beispielsweise Hepatitis A, B bald C und HPV) darstellen und sind unumgänglich bei Safer Sex mit Menschen mit unbekanntem Gesundheitsstatus.[11] Aber auch hier gilt: Safer sex ist kein safe sex, wem also die eigene Gesundheit und die der Sexualpartner*innen am Herzen liegt, sollte sich regelmäßig auf Krankheiten testen lassen. Dabei hat die Anzahl an Sexualpartner*innen, ihr Geschlecht, ihre Sexualität oder Herkunft keine Aussagekraft über den Gesundheitsstatus. Monogam-lebende Menschen können erkranken, wie Partner*innen-wechselnde Menschen; homosexueller wie heterosexueller Verkehr kann anstecken. Daher darf das Betonen von Krankheiten nicht als Vorwand für die Einschränkung der Sexualität der Frau* genutzt werden! Mit Vorkehrungen kann jede*r so viel Sex(partner*innen) haben, wie gewollt und Krankheiten dürfen niemals als Fundament für Slutshaming oder Sexismus ausgelegt werden.Geht es lediglich um das Vermeiden einer Schwangerschaft, gibt es einige Alternativen zur Pille. Manche bringen auch ihre Nebenwirkungen mit sich, da z.B. Hormonspirale und Hormonpflaster, wie sich erahnen lässt, ebenfalls mit Hormonen arbeiten. Auch chemische Verhütungsmethoden (wie Zäpfchen, oder einige Diaphragmen und Portiokappen) können hier oft nicht überzeugen.[12] Dann bleiben nur noch mechanische Verhütung wie Kondome etc. oder andere Wege wie Sterilisation, Kupferspirale oder Temperaturmethode – nun gilt es abzuwägen und eine persönliche Entscheidung zu treffen. Dabei sollte der feministisch-politische Ton sein, nicht in Kauf zu nehmen, die eigene Gesundheit oder Libido zu opfern, um mit einem Sperma-Übertragendem Menschen verkehren zu können. Auch sollte bei der Gesundheit nicht nur an Nebenwirkungen, sondern auch an Übertragungen während des Koitus gedacht werden: hier hilft nichts, als Flüssigkeiten von anderen Körpern abzutrennen oder sich bei Ärzt*innen zu versichern, dass keine Krankheit vorliegt (bzw. sie entsprechend behandelt wird). Manche Befälle im Intimbereich können dann zwar immer noch übertragen werden, jedoch sind die meisten Krankheiten mit Kondom, Lecktuch oder Femidom zunächst in die Schranken gewiesen. Eine mechanische Barriere stellt für viele Menschen auch ein Schwinden des Gefühls dar. An dieser Stelle seien einmal all die Männer gegrüßt, die ihren Penis „nicht in irgendeine Tüte stecken“, weil „es sich dann nicht so geil anfühlt“ und sie dann „im schlimmsten Fall gar nicht kommen können“ – na Glückwunsch, da seid ihr ja auch mal mit dem Problem konfrontiert! Aber vielleicht wollen ja auch andere den Plastikmüll vermeiden; dann heißt die Alternative nicht hormonelle Verhütung (die auch der Umwelt schadet), sondern eben das regelmäßige Testen und der offene Umgang mit Themen wie Krankheiten aber auch mit Sexualität an sich – und genau das ist die Befreiung der Frau*: Das Thematisieren ihres* Körpers, ihrer* Gesundheit und ihrer* Vorlieben, ohne ihr* die Verantwortung der Verhütung aufzuzwingen. Also her mit den Verhütungsmethoden für Männer*!

Quellen

[1] Hans-Joachim Lang: Die Frauen von Block 10. Medizinische Versuche in Auschwitz. Weltbild, Augsburg 2018

[2] „Für und wider die Anti-Baby-Pille“, http://www.zeit.de/…/fuer-und-wider-die…/komplettansicht

[3] „Trendwende bei der Geburtenrate“, http://www.demografie-portal.de/…/Zusammengefasste…

[4] „Wie sicher ist die Pille“, http://www.fernarzt.com/…/ant…/wie-sicher-ist-die-pille/

[5] „Viele Mädchen unterschätzen das Risiko der Pille“, http://www.welt.de/…/Viele-Maedchen-unterschaetzen-das…

[6] „Antibabypille“, https://de.wikipedia.org/wiki/Antibabypille

[7] „Pille danach“, https://de.wikipedia.org/wiki/Pille_danach

[8] „Nebenwirkungen Pille“, https://www.cyclotest.de/nebenwirkungen-pille/

[9] Studie der International Agency for Research on Cancer (IARC), 2005

[10] „Aktueller Stand zum Thromboserisiko”, http://www.pharmazeutische-zeitung.de/aktueller-stand…/

[11] „Sexuell übertragbare Krankheiten”, http://www.profamilia.de/…/sexuell-uebertragbare…

[12] „Chemische Verhütungsmittel“, http://www.profamilia.de/…/chemische-verhuetungsmittel…

* Der Stern wird genutzt, um zum einen die Vorstellung von nur zwei Geschlechtern bei geschlechtsspezifischenn Ausdrücken zu sprengen und andererseits die Offenheit dieser Ausdrücke darzulegen: Mit dem Begriff “Frau” würden Menschen, die sich damit zwar nicht indentifizieren aber auch schwanger werden können, unter der Tisch fallen. Auch Menschen, die nicht schwanger werden können, sollen bei diesen “weiblichen” Begriffen eingeschlossen werde, da sich “Frau” nicht durch Funktionsfähigkeit oder Anwesenheit von beispielweise einem Uterus definiert.