Category Archives: Antiziganistische Klischees

Versuchtes Tötungsdelikt an Polizistin: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wehrt sich gegen rechtsextreme Pauschalisierung

Hohe Wellen schlägt weiterhin die Auseinandersetzung zwischen einer Sinti-​Großfamilie und der Polizei, die sich am Sonntag nach einem Hilferuf von Angehörigen der Hochschule für Gestaltung im Technikpark Gmünd-​West („Krähe“) abspielte.

Wie berichtet, gab es zunächst die Bitte der Stadtverwaltung, dass die Wohnwagenkolonne den Schießtalplatz verlassen möge, weil dort der Maimarkt aufgebaut werde. Sodann fuhren die etwa 50 Sinti unberechtigt eine Wiese am Gmündtech in der Krähe an, wo Studenten eine genehmigte Veranstaltung aufbauen wollten. Die Situation eskalierte.
Es kam zu einem Großeinsatz der Polizei. Bei der Weiterfahrt zum Wanderparkplatz am Limes-​Informationszentrum im Rotenbachtal, den Ordnungsamtsleiter Gerd Hägele als Bleibe zugewiesen hatte, fuhr der 45-​jährige Fahrer eines Wohnwagengespanns eine Polizistin an und verletzte sie.
Ermittelt wird nun gegen den 45-​Jährigen wegen eines versuchten Tötungsdeliktes gegen weitere Personen wegen Beleidigung. Er sitzt in Haft. Die Landfahrer blieben nur eine Nacht in Gmünd und hinterließen am Montagabend nun den Limes-​Wanderparkplatz in einem üblen Zustand: Säckeweise Abfall und Wertstoffe (jede Menge leere Getränkedosen) wurden zurückgelassen. Die Fläche und angrenzende Böschungen war zudem durch Unrat verschmutzt, der vorher dort noch nicht abgelagert war. Auf diesen „Abschiedsgruß“ eingehend, erklärte gestern der Gmünder Ordnungsamtsleiter, dass er diese Vorgänge nicht verstehe. Mit dieser Familie, die schon mehrmals in Gmünd zu Gast gewesen sei, habe es bislang noch keine Probleme gegeben. Für die Beseitigung der Abfälle durch das Baubetriebsamt der Stadt sei von dieser Landfahrer-​Großfamilie seither auch immer ganz selbstverständlich eine Kaution von 200 Euro hinterlegt worden. Diesmal jedoch laut Hägele nicht. Gestern Morgen wurde die wilde Müllkippe gleich aufgeräumt. Andererseits schade, weil Büchsen– und Flaschensammler angesichts dieses „Reichtums“ tagsüber noch ihre helle Freude gehabt hätten.
Das Verhalten der Sinti-​Familie hat sehr viele emotionsgeladene Kommentare in Internetforen, seit zwei Tagen leider auch zunehmend in rechtsradikalen Netzwerken ausgelöst. Vieles ist nicht zitierfähig, weil auch verfassungswidrig und menschenverachtend. Auf Nachfrage der Rems-​Zeitung hat gestern auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg reagiert. Pressesprecher und Justitiar Arnold Roßberg bat dringend um Beachtung des gesellschaftlichen Grundprinzips, wonach das Verhalten einzelner Personen nicht für das Bild einer ganzen Bevölkerungsgruppe stehen dürfe, sondern jeder einzelner Mensch für sich selbst verantwortlich sei.
Folgende Erklärung übermittelte Arnold Roßberg am Abend: „Wir kennen weder den Vorfall noch die beteiligten Personen und können auch nicht beurteilen, wie es zu den in Ihrem Artikel geschilderten Vorfällen mit der Verletzung der Polizistin und der Gefährdung weiterer Beamten gekommen ist. Die Angelegenheit ist sehr unschön und sollte auch nicht bagatellisiert werden.
Der Vorfall darf dennoch — wie es bereits auf rechtsextremistischen Internet-​Seiten massiv geschieht — nicht dazu benutzt werden, in rassistischer Weise über die gesamte Minderheit herzuziehen. Auch im Hinblick auf die Täter dieses Falles gilt: In unserem Rechtsstaat hat nur jeder einzelne sein Fehlverhalten zu verantworten, nicht seine Familie, seine Abstammung, Religionszugehörigkeit oder sonstige Gruppe, der er angehört. Dieser Verfassungsgrundsatz ist auch gegenüber den Sinti und Roma zu beachten und verbietet Verallgemeinerungen und Stigmatisierungen gegenüber der Minderheit. Sinti und Roma in Deutschland leben in den unterschiedlichsten Lebens– und beruflichen Situationen quer durch alle gesellschaftlichen Schichten.
Sie haben ein Recht darauf, vor rassistischen Pauschalverdächtigungen und –zuschreibungen geschützt und wie jeder andere Bürger rechtsstaatlich behandelt zu werden.“

Quelle: Rems Zeitung
Stand: 13.05.2014

Protest gegen NPD: Osnabrücker hängen Wahlplakat ab

Drei junge Männer haben in Osnabrück öffentlichkeitswirksam ein Plakat der rechtsextremen NPD abgehängt. Offiziell ist das möglicherweise eine Straftat. Die Aktion haben sie in einem Video auf Facebook gepostet. Dafür ernten sie viel Zuspruch.

Jeffrey Laubinger, Dany Franz und Jers Jimmy Dean Laubinger und ein weiterer Freund stehen am vergangenen Mittwochabend an der Atterstraße in Eversburg. Es ist heller Tag, sie sind unvermummt. Über ihnen hängt ein Plakat der NPD. Darauf zu lesen: „Geld für Oma statt für Sinti und Roma“. Nach einer kurzen Erklärung nehmen sie das Plakat ab und sagen, dass sie es jetzt dahin bringen, wo es hingehört: auf den Müll. Zuvor sagen sie noch, dass sie nicht dazu aufrufen, es ihnen gleichzutun.

Das Video posten sie auf Facebook. Jers Jimmy Dean Laubinger, Musiker und Tätowierer aus Osnabrück, erklärt: „Wir sind alle deutsche Sinti, und es war klar, dass wir das nicht so hängen lassen können.“ Eigentlich wäre es Aufgabe der Stadt, die Plakate abzuhängen, meint Laubinger. „Aber wenn die Stadt nichts für sich selbst tut, dann müssen wir eben etwas für die Stadt tun.“ Laubinger: „Wir haben eine große Familie und wollen nicht, dass die Kinder so ein Plakat sehen und nach Hause kommen und fragen, warum wir Sinti Omas das Geld wegnehmen.“ Er nennt noch einen weiteren Grund: „Unsere Großeltern waren zum Teil in Konzentrationslagern der Nazis und die denken, es geht wieder los, wenn sie solche Plakate sehen.“

„Nicht verstecken, weil ich rassistisches Plakat abhänge“

Es sei klar gewesen, dass sie nicht einfach heimlich ein paar Plakate abnehmen, berichtet Laubinger. „Es ist eine symbolische Aktion und für die Konsequenzen stehen wir gerade. Ich möchte mich nicht verstecken, weil ich ein rassistisches Plakat abhänge. Auch wenn es offiziell möglicherweise eine Straftat ist“, sagt Laubinger. Die Rückmeldungen bei Facebook seien bisher durch die Bank positiv. „Das Video ist bis Donnerstagmittag bereits über 1.000 Mal geteilt worden und das innerhalb von 16 Stunden.“

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert die Stadt auf, die Plakate abzuhängen. „Der Spruch ist extrem rassistisch und diskriminiert eine anerkannte Minderheit“, sagt Olaf Cramm vom DGB Osnabrück gegenüber unserer Redaktion. Er sieht die Kommune in der Pflicht. „Die Stadt muss sich politisch eindeutig positionieren, das ergibt sich aus der deutschen Geschichte und aus dem Titel Osnabrücks als Friedensstadt.“ Cramm räumt ein, dass es rechtlich wohl keine Handhabe gegen die Plakate gibt. „Dann muss sich die Stadt was einfallen lassen und die Plakate beispielsweise mit Verweis auf die Verkehrssicherheit abhängen lassen, weil sie zu hoch hängen.“ Cramm: „Und die Stadt sollte schnell handeln. Es ist unerträglich, dass diese Plakate hier seit Tagen hängen.“

Slogan kein Straftatbestand

Der Pressesprecher der Stadt, Sven Jürgensen, sieht keine Möglichkeit für die Stadt, gegen die Plakate vorzugehen. „Es gibt mehrere Gerichtsurteile, die in dem Slogan keinen Straftatbestand sehen. Das müssen wir als Stadt akzeptieren.“ Die NPD sei keine verbotene Partei. „Die Stadt ist im Wahlkampf zu strikter Neutralität verpflichtet und hat die Plakate inhaltlich nicht zu bewerten.“ Sich der Plakate mit Verweis auf eine eventuelle Verkehrsgefährdung zu entledigen, sei für die Stadt keine Option. „Das ist kein Weg, den man als Stadt gehen kann.“ Die Stadt Bad Hersfeld hatte die gleichen NPD-Plakate während der Bundestagswahl im vergangenen Jahr abhängen lassen, musste sie aber nach einem Gerichtsurteil wieder aufhängen. Das Verwaltungsgericht sah in dem Slogan keinen Straftatbestand erfüllt.

Unterstützung zugesagt

Bei der Polizei hat man noch keine Kenntnisse vom Verschwinden des NPD-Plakats, heißt es auf Anfrage unserer Zeitung. „Die NPD hat bisher keine Anzeige erstattet.“ Bei der Aktion handele es sich vermutlich um einen geringfügigen Diebstahl oder eine Sachbeschädigung. Allerdings unterliege die Polizei einem Strafverfolgungszwang und müssen auch von sich aus tätig werden, wenn eine Straftat vorliege.

Den drei jungen Männern, die das Plakat öffentlichkeitswirksam abgehängt haben, sagt Gewerkschafter Cramm seine Unterstützung zu, sollte die Aktion rechtliche Konsequenzen haben. „Die jungen Männer haben eindeutig Zivilcourage bewiesen, auch wenn wir natürlich nicht dazu aufrufen, es ihnen gleich zu tun.“

Quelle: Osnabrücker Zeitung
Stand: 15.05.2014

„Sie drohten uns, nannten uns Affen und Unmenschen“

In der Stadt Slawjansk in der Ostukraine wurden Roma-Häuser beschossen und geplündert. Journalisten und Einwohner der Stadt werden als Geiseln gehalten. Unter der Bevölkerung herrscht Angst.

Pawel sammelt Glasscherben vor seinem Haus in der ostukrainischen Stadt Slawjansk. Die Fenster sind zerbrochen. Die schwere Metalltür ist mit Schusslöchern versehen. Er und seine Frau Natalia trauen sich nicht mehr, zu Hause zu übernachten. Auch ihre acht Kinder und zehn Enkelkinder und viele Verwandte, die in den Nachbarhäusern der Roma-Gemeinde leben, sind jetzt weg. Am vergangenen Freitag kamen in der Dunkelheit ein Dutzend Männer zu ihren Häusern. Einige von ihnen trugen Tarnuniformen, andere Zivilkleidung, waren dafür maskiert, erzählt Pawel, der aus Angst seinen Nachnamen nicht nennen will. Sie waren bewaffnet und schossen in die Luft, auf die Fenster und Türen, brachen Fensterläden auf. „Gebt uns euer Geld, das ganze Gold und Drogen“, sollen sie geschrien haben. Den Hund der Familie haben sie direkt erschossen, um zu demonstrieren, dass sie es ernst meinen.

Im Haus von Natalia und Pawel herrscht Chaos. Im Schlafzimmer liegen Schubladen der Kommode auf dem Bett. Die maskierten Männer durchwühlten Schränke auf der Suche nach Geld. Im Wohnzimmer liegen Bettwäsche und Geschirr herum, das sind Waren, mit denen Natalia auf dem Markt handelt. Mehrere Kartons davon nahmen die Bewaffneten mit. Sechs weitere Häuser wurden ebenfalls beschossen und geplündert, erzählt Pawel. „Wir haben Angst“, sagt seine Tochter. „Sie drohten uns, nannten uns Affen und Unmenschen.“

Am Wochenende sind die meisten Roma aus den Nachbarhäusern zu ihren Verwandten in der Gegend gefahren. Der 29-jährige Roman Tscherepowski ist mit seiner blinden Mutter noch geblieben. Am Dienstagabend hat er den zweiten Überfall erlebt. Wieder kamen Männer in Tarnuniformen, brachen das Tor auf, schossen in die Fenster und verlangten nach Geld. Tscherepowski versteckte sich und sah zu, wie sie versuchten, die Tür des Nachbarhauses zu zerschießen. Vor dem Zaun liegt noch eine Hülse von der Makarow-Pistole. Continue reading „Sie drohten uns, nannten uns Affen und Unmenschen“

Ermittlungen zum NSU-Mord: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert Entschuldigung wegen diskriminierender Aussagen

Am Rande des NSU-Prozesses in München hat Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, eine Entschuldigung von der Regierung in Baden-Württemberg gefordert.

Angesichts diskriminierender Aussagen bei den Ermittlungen zur Terrorzelle NSU fordert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine Entschuldigung von der Regierung in Baden-Württemberg. „Unsere Minderheit ist unter einen Generalverdacht gestellt worden“, sagte der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, am Mittwoch in München am Rande des NSU-Prozesses am Oberlandesgericht. In Akten der Polizei zum NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 in Heilbronn werden Roma als „Zigeuner“ bezeichnet.

Über einen in Serbien vernommenen Roma-Mann heißt es, die Lüge sei „ein wesentlicher Bestandteil seiner Sozialisation“. Der Zeuge hatte mit dem Mord nichts zu tun.
Die Tat hatten die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt. Das kam allerdings erst nach dem Ende der Terrorzelle im November 2011 heraus. Mundlos und Böhnhardt hatten der in einem parkenden Streifenwagen sitzenden Kiesewetter und ihrem Kollegen Martin A. in den Kopf geschossen. Kiesewetter starb noch am Tatort, Martin A. überlebte den Angriff. Er hat im Januar im NSU-Prozess ausgesagt. Martin A. kann sich allerdings kaum noch an die Tat erinnern.
Die Polizei hatte bei der Suche nach den Mördern an Michèle Kiesewetter auch Roma als mögliche Tatverdächtige in den Blick genommen. Am Tatort, der Theresienwiese nahe dem Bahnhof Heilbronn, hatten sich während des Verbrechens mehrere Schausteller aufgehalten, darunter einige Roma.
Im Juli 2009 reisten drei Kriminalbeamte nach Serbien und befragten einen Roma-Mann. Nach dem Verhör, bei dem ein Lügendetektor eingesetzt wurde, sagten einheimische Psychologen, sie seien sicher, der Mann wisse entgegen seiner Behauptungen über die Tat Bescheid. So steht es in den Akten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Die Psychologen hätten betont, bei dem Mann handele es sich „um einen typischen Vertreter seiner Ethnie“. Das heiße, die Lüge sei ein wesentlicher Bestandteil seiner Sozialisation. Der Mann sei „offensichtlich seit seiner frühesten Kindheit in einer Welt von Lügen
und Betrug aufgewachsen“. Die rassistischen Äußerungen über den Zeugen und die Roma generell übernahm das Landeskriminalamt ohne eine distanzierende Erklärung in die Ermittlungsakten.
Darin befinden sich nach Angaben der Nebenklage-Anwältin Angelika Lex noch weitere Hinweise auf „institutionellen Rassismus“. So werde eine „Zigeunerin“ erwähnt, die sich zur Tatzeit in Haft befunden habe. Trotzdem habe die Polizei bei ihr einen DNA-Test vorgenommen, sagte Lex. Die Anwältin vertritt die Witwe des im Juni 2005 von Mundlos und Böhnhardt in München erschossenen Griechen Theodoros Boulgarides.

Aus Sicht von Romani Rose ist es unerlässlich, dass sich auch in Baden-Württemberg ein Untersuchungsausschuss des Landtages mit dem NSU-Komplex und Fehlern der Ermittlungsbehörden auseinandersetzt. Rose verwies zudem auf die Affäre um zwei Kollegen von Michèle Kiesewetter, die dem rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan angehört hatten. Und der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma betonte, gerade in Deutschland mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit gebe es eine besondere Verantwortung zur Aufklärung der skandalösen NSU-Geschichte. Das NS-Regime hatte mehrere 100 000 Sinti und Roma, mutmaßlich eine halbe Million, ermordet.

Quelle: Der Tagesspiegel
Stand: 16.04.2014

Romani Rose: „Vorurteile gegen Sinti und Roma sitzen tief“

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, kämpft für die Rechte der größten europäischen Minderheit. Im DW-Interview zum internationalen Tag der Roma sagt er, was sich dringend ändern sollte.

DW: In Deutschland sind Sinti und Roma als nationale Minderheit anerkannt. In Europa wird über Strategien zur Integration der Roma debattiert. Wie zufrieden sind Sie mit der Situation der Minderheit in Deutschland und Europa?

Romani Rose: In einigen Bereichen hat sich etwas verbessert, aber womit wir gar nicht zufrieden sind, ist die Lebenssituation der Roma-Minderheit in Osteuropa. Da gibt es Situationen, die katastrophal sind. Sie sind mit den Werten, die wir uns in Europa nach dem Krieg aufgebaut haben, nicht im Einklang, sie sind menschenunwürdig.

Was sind das für Verhältnisse und welche Länder machen Ihnen besonders Sorgen?

Das sind besonders Bulgarien, Rumänien, aber auch Tschechien und die Slowakei. Dort gibt es informelle Ghettos, die ohne Kanalisation sind, ohne Strom und Wasser. Es gibt Ortschaften, in denen über tausend Menschen leben, die vollkommen ohne Perspektive sind. Diese Situation ist seit vielen Jahren bekannt. Das ist nicht mehr hinnehmbar. Es gibt eine Kindersterblichkeit, die viermal höher ist und die Lebenserwartung ist zehn Jahre geringer im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung.

Was muss passieren?

Bisher ist Hilfe meist daran gescheitert, dass EU-Mittel von den Nationalstaaten gegenfinanziert werden müssen. Deswegen hat der Zentralrat gerade beim „Roma Summit“ der EU in Brüssel gefordert, einen „Roma-Housing-Funds“ zu schaffen. Dort könnten zivilgesellschaftliche Organisationen direkt Gelder abrufen. Es geht nicht nur darum, etwas für Roma zu tun, auch die übrige Bevölkerung sollte man einbeziehen.

Wie steht es um den politischen Willen? Bei den Wahlen in Ungarn z.B. konnte die rechtsextreme Partei Jobbik punkten, die gegen die Minderheit hetzt…

Der Wahlerfolg ist ein Alarmzeichen für Europa. Das Erstarken der extremen Rechten in Europa gefährdet mit ihrem Rassismus besonders die Angehörigen der Roma-Minderheit. Auf der Konferenz in Brüssel haben wir viel über Bemühungen für die Minderheit gehört. Ich war kürzlich in Ungarn und habe mit Ministerpräsident Orban gesprochen. Ich glaube, dass man dabei ist, im Bereich der Bildung und beim Wohnen die Situation zu verbessern. Aber das reicht alles nicht, weil die Situation in diesen Ländern sehr prekär ist.

In Deutschland spricht man meist über Roma, wenn Menschen aus so prekären Verhältnissen zuwandern. Sie nennen die deutsche Debatte über die Zuwanderung aus Südosteuropa „beschämend“, warum?

Sie ist beschämend, weil sie allein auf dem Rücken unserer Minderheit geführt worden ist. Natürlich gibt es eine extreme Armut, das betrifft auch einen Teil der Minderheit, aber wir haben in Europa eine allgemeine Armut von 24 Prozent. Aus Bulgarien, einem Land mit 8,5 Millionen Menschen, haben seit der Wende 3,5 Millionen ihre Heimat verlassen, überwiegend nach Spanien, Italien, Portugal, aber auch nach Deutschland. Darunter sind auch Roma. Das sind Menschen, die jetzt hier arbeiten. Ich sehe das hier in Heidelberg z.B. in der Universitätsklinik, wo sehr viele Angehörige der Minderheit in der Pflege arbeiten, andere auf dem Bau oder in der Landwirtschaft. Das ist eine aufgeblähte Debatte, die mehr geschadet hat, als dass sie der tatsächlichen Situation gerecht geworden ist.

Für wie gefährlich halten sie eine solche Debatte im Europawahlkampf?

Wir kritisieren, dass es oft eine populistische Debatte ist, die auch von demokratischen Politikern geführt wird, anstatt sich mit der Hetze durch rechtsextreme Parteien auseinanderzusetzen. Wohin solche Hetze führt, das haben wir gesehen an den Morden durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Es muss eine verstärkte demokratische Verantwortung geben gerade gegenüber Minderheiten.

Sie haben Vorurteile gegen die Minderheit immer wieder angeprangert, auch bei staatlichen Stellen wie der Polizei. Wie verbreitet sind diese Vorurteile?

Diese Vorurteile gegen Sinti und Roma sitzen sehr tief. Kritik ist natürlich zulässig, aber Kritik verbunden mit der Zugehörigkeit zu einer Minderheit und das auf die gesamte Minderheit zu übertragen, da beginnt der Rassismus. Ich glaube, da gibt es auch in der deutschen Bürokratie viel zu wenig Bewusstsein. Wir werfen immer wieder gerade den Polizeibehörden vor, dass sie eine Art Sondererfassung unserer Minderheit betreiben, die seit 600 bis 700 Jahren in Deutschland lebt. Mir wurde von den Innenministern der Länder versichert, dass dies nicht mehr der Fall ist.

Kürzlich mussten wir feststellen, dass es in Berlin bei der Aktenerfassung der Polizeibehörden eine Rubrik „Landfahrer“ gibt, ein Begriff, unter dem Mitglieder der Minderheit schon früher erfasst wurden, unabhängig davon, wie sie lebten. Jetzt hat man uns mitgeteilt, die Löschung des Begriffs sei veranlasst. Die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat, wo sich nur der Einzelne für sein Fehlverhalten zu verantworten hat. Eine ethnische Kennzeichnung verstößt gegen internationale Abkommen. Im Nationalsozialismus mussten Sinti und Roma mit einer Armbinde herumlaufen, auf der ein „Z“ für „Zigeuner“ stand. Dieses Trauma steckt in einer Minderheit, die 1933 von heute auf morgen ausgebürgert, deportiert und ermordet wurde.

In Berlin erinnert seit 2012 ein Mahnmal an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Der Auschwitz-Überlebende Zoni Weisz sagte bei der Einweihung, „fast nichts hat die Gesellschaft daraus gelernt“. Können Sie dieses bittere Resümee nachvollziehen?

Man darf nicht übersehen, dass es auch positive Entwicklungen gegeben hat. In Schleswig-Holstein wurde die Minderheit in die Landesverfassung aufgenommen, Sinti und Roma wurde Schutz und Förderung garantiert. In einem Staatsvertrag der Landesregierung von Baden-Württemberg mit unserem Landesverband steht die besondere Verantwortung nach dem Holocaust. Das Denkmal in Berlin direkt am Brandenburger Tor zeigt ein Bewusstsein für den Völkermord an den 500.000 Sinti und Roma im besetzten Europa.

Doch Vorurteile bleiben. Der Antisemitismus wird von vielen geächtet, weil man weiß, dass diese Form des Rassismus eine sehr lange Tradition hat und wohin das geführt hat. Die Feindlichkeit gegenüber unserer Minderheit, der Antiziganismus, hat bis heute eine weite Verbreitung.

2013 hat mit Romeo Franz erstmals erkennbar ein Sinto für den Bundestag kandidiert, jetzt bewirbt er sich für das Europaparlament. Wie wichtig ist ein solches Outing aus der Minderheit?

Das ist natürlich sehr wichtig. Es gibt sichtbare Angehörige der Minderheit, die stigmatisiert werden, weil man immer nur negativ berichtet, und es gibt die unsichtbaren Anderen. Sie sind in der Gesellschaft integriert, wollen aber ihre Existenz nicht gefährden. 64 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnen Sinti und Roma als Nachbarn ab. Aber genau diese 64 Prozent wissen gar nicht, dass sie längst Arbeitskollegen, Nachbarn und Mieter haben, sie wissen nicht, dass sie in Geschäften bei Leuten einkaufen, die Angehörige der Minderheit sind. Auch im Showgeschäft oder im Fußball, überall gibt es Angehörige der Minderheit.

Das Interview führte Andrea Grunau.

Romani Rose ist seit 1982 Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma mit 16 Landesverbänden und regionalen Vereinen. 13 Mitglieder seiner Familie wurden während des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern ermordet.

Quelle: Deutsche Welle
Stand: 08.04.2014

Sprechen und Berichten über Sinti und Roma: Die Klischees sind schlicht falsch

„Antiziganismus ist ein Problem der Mehrheitsgesellschaft – nicht der Sinti und Roma.“ Nur müssen die ja trotzdem mit den zumeist abwertenden Klischees, Vorurteilen und Zuschreibungen leben, die bis heute in Politik, Medien und entsprechend auch am Stammtisch verwendet werden. Deshalb sollten gerade die politischen Eliten und Meinungsbildner*innen darauf achten, Diskriminierung entgegen zu treten, statt sie zu zementieren, fanden die eingeladenen Expert*innen. Denn die meisten Bilder von Sinti und Roma, die durch Köpfe und Medien geistern, stimmen schlicht nicht.

Wer sind „Sinti und Roma“?

Sinti und Roma sollen die Nachfahren von Menschen sein, die vor über 1.000 Jahren aus dem indischen Subkontinent nach Westen aufgebrochen sind. Heute sind die Kriterien, nach denen jemand als Rom identifiziert wird, schwammig: Denn viele, aber nicht alle als Roma angesehene Menschen sprechen die gemeinsame Sprache Romanes. Die offizielle Definition der EU spricht von „ähnlichen kulturellen Besonderheiten“.

„Roma“ ist der Begriff, auf den sich der „Weltkongress“ der Roma-Nationalbewegung 1971 in London einigte, und der international verwendet wird. Als „deutsche Roma“ werden diejenigen bezeichnet, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Deutschland kamen. „Sinti“ dagegen sind die Nachfahren von Gruppen, die bereits seit dem 15. Jahrhundert nach Deutschland eingewandert sind. Dieser Begriff wird nur in Deutschland, Österreich und Teilen Norditaliens verwendet. Neuzuwanderer*innen aus Rumänien oder Bulgarien sind also keine „Sinti und Roma“, sondern nur Roma. Continue reading Sprechen und Berichten über Sinti und Roma: Die Klischees sind schlicht falsch

Ungarn. Entdemokratisierung, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Homophobie

Seit 2010 regiert die völkische Regierungskoalition, bestehend aus der Fidesz-Bürgerunion und der Christlich-Demokratischen Partei (KDNP) mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Ungarn. Es muss erwähnt werden, dass die extrem rechte Partei Jobbik bei den letzten Parlamentswahlen ebenfalls äußerst stark, nämlich als drittstärkste Partei mit fast 13% ins Parlament kam. Da sowohl die Regierungskoalition, als auch Jobbik die gleiche völkische Ideologie haben, ist es im Zusammenhang mit Ungarn nicht aufschlussreich, über einen „rechten Rand“ zu sprechen, da das, was gemeinhin die extrem rechte Ideologie oder die Ideologie der so genannten „Neuen Rechten“ ausmacht, nämlich die völkische, in Ungarn Mainstream ist.
 
Nation und Europa
So teilen beide die Einstellung, dass die ungarische Nation eine völkische (ung.: népnemzeti), d.h. eine kulturell und blutmäßige und organisch entstandene Abstammungsgemeinschaft, eben eine Volksgemeinschaft, ein Volkstum der Magyaren sei. Die Blut- und Bodenthese ist nicht nur Kernelement der Ideologie von Jobbik, sondern auch der Regierung. Diese Ideologie ist revanchistisch und imperialistisch, da sie unter „Nation“ ein größeres Gebiet versteht, als das, was innerhalb der gegenwärtigen Landesgrenzen liegt,  was zugleich die Infragestellung des sog. „Schandfriedens“ von Trianon (1920) bedeutet. Entsprechend dieser Auffassung der Nation wird das Idealbild von Europa deklariert als ein „Europa der Nationen“ aufgefasst, mit anderen Begriffen ein „Europa der Vaterländer“, das ein Nebeneinander von homogenen Volksgemeinschaften annimmt. In der Forschung wird diese Auffassung oder diese Europakonzeption „Ethnopluralismus“ oder Neorassismus genannt. Nach dem Faschismusforscher Roger Griffin ist das Konzept „Europa der Nationen“ faschistisch.
 
Mediengesetz, Grundgesetz
Die reaktionäre Wende fand ihren Ausdruck in Ungarn bereits im Mediengesetz, das am 01. 01. 2011 in Kraft trat. In der sogenannten „Medienverfassung“, die als eine Art Präambel des Mediengesetzes aufgefasst werden kann, ist neben dem Minderheitenschutz auch der „Schutz der Mehrheit“ vorgeschrieben. Die Präambel des genau ein Jahr später (01. 01. 2012) in Kraft getretenen neuen „Grundgesetzes“ stützt sich auf die völkische Nation. Aus der Präambel ist der Begriff Republik verschwunden, Ungarn heisst jetzt konsequent „Magyarenland“. In der völkischen Kommunikation zählt nicht das Individuum, sondern das nationale Kollektiv. Im Gegensatz etwa zum deutschen Grundgesetz, in dem die Unantastbarkeit der Menschenwürde betont wird, ist in der Präambel des ungarischen Grundgesetzes von „nationalem Glaubensbekenntnis“ die Rede. Die daraus folgende Sakralisierung der Nation ist in Ungarn äußerst lebendig und schlägt sich vor allem in der Verbreitung des Neuheidentums nieder. Obwohl in der Präambel die christlichen Werte hervorgehoben werden, ist das Grundgesetz somit mitnichten christlich, sondern völkisch und letztlich heidnisch. In der Präambel steht auch, dass die „Heilige Krone“ die Kontinuität mit der früheren, „historischen Verfassung“ sowie die „Einheit der Nation“ symbolisiere. Wenn man aber diese Hinweise aus der Kulturgeschichte kennt, dann weiß man, dass es hier um die „Lehre der Heiligen Ungarischen Krone“ geht, eine Lebensraumideologie im Karpatenbecken. Continue reading Ungarn. Entdemokratisierung, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Homophobie

Press TV: French politician makes anti-Roma remark

A far-right politician in France has made a verbal attack against Roma community, saying they should be “concentrated” in “camps,” Press TV reports.

Paul-Marie Couteaux, a mayoral candidate for 6th arrondissement of Paris, wrote in a blog posting that the presence of Roma in the French capital was like an “invasion of lepers” that undermined its “aesthetic order.”

“What can the interior minister do other than concentrate these foreign populations into camps where they would no doubt feel that life there was so far removed from their traveling lifestyle that they would rather leave such an inhospitable country,” said Couteaux, a candidate for a fringe party linked to the far-right National Front party.

He has apologized for his remarks, but many believe that he has already made his point to voters ahead of the upcoming election.

Source: Romea.cz
Date: 08.03.2014

Armutszuwanderung: Warum wir die Roma nicht verstehen

Niemand kommt nach Deutschland, um sich dort in eine ominöse soziale Hängematte zu legen. Niemand, auch nicht rumänische Roma, kann Neukölln, Dortmund-Nord oder Duisburg-Marxloh mit dem Schlaraffenland verwechseln. Die Motive für die Zuwanderung sind ganz andere.

Ja, wir wollen Zuwanderung. Nein, wir haben nichts gegen Ausländer und auch nichts gegen Roma, die schließlich Opfer eines Völkermords waren und mancherorts bis heute verfolgt werden. Wir brauchen Fachkräfte, und deren Herkunft oder Abstammung ist uns egal. Was wir dagegen nicht wollen, ist eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme. Es ist ein breiter Konsens, der sich da nach einer Reihe von Provokationen aus der CSU herausgebildet hat, und gegenüber dem, was die Wutbürger wollen, ist es ein Fortschritt. Bloß: „Einwanderung in die Sozialsysteme“ ist schon an und für sich ein tendenziöses Schema, das die wirklichen Verhältnisse schlecht beschreibt. Niemand kommt nach Deutschland, um sich dort in eine ominöse soziale Hängematte zu legen. Niemand, auch nicht rumänische Roma, kann Neukölln, Dortmund-Nord oder Duisburg-Marxloh mit dem Schlaraffenland verwechseln, das die Armutszuwanderer angeblich so anzieht. Die Motive für die Zuwanderung sind ganz andere. Hätte jemand nur ein bisschen genauer hingesehen, so hätte die Debatte wohl einen anderen Verlauf genommen. Die erste größere Gruppe derer, von denen nun schon seit der Vorweihnachtszeit ständig die Rede ist, wurde in Dortmunds Norden gesichtet. Anfangs waren es Frauen aus Stolipinowo, einem Elendsviertel im bulgarischen Plowdiw, die sich prostituierten. In Stolipinowo wird vorwiegend Türkisch gesprochen, in Dortmund-Nord auch – das traf sich gut. Später holten die Frauen ihre Familien nach; die Männer gingen auf den Arbeiterstrich oder begannen, Metall zu sammeln. Dass sie immerhin Anspruch auf Kindergeld hatten, wussten die Zuwanderer aus Bulgarien gar nicht. Folglich bekamen sie auch keines. Erst allmählich hat sich herumgesprochen, dass es Ansprüche auf Sozialleistungen gibt. Seither nehmen sie sie. Wer in einem südosteuropäischen Elendsviertel lebt und dort vielleicht schon groß geworden ist, verhält sich am besten so, wie Slumbewohner das auf der ganzen Welt aus guten Gründen tun: Er setzt sich seine Existenz wie aus einem Flickenteppich zusammen. Man verrichtet Gelegenheitsjobs, sammelt Eisen oder Flaschen, treibt ein wenig Handel, beantragt Transferleistungen, wenn es so etwas gibt. Reicht das nicht aus, kommen vielleicht auch Betteln, Prostitution und kleine Diebereien hinzu. Continue reading Armutszuwanderung: Warum wir die Roma nicht verstehen

Romanian president fined for saying Roma steal

An agency has fined Romania’s president 600 lei ($185) for saying Roma avoid work and make a living by stealing. The National Council for Combatting Discrimination first declined to take the case because President Traian Basescu had made his comments out of the country, during a 2010 news conference in Slovenia. But the Supreme Court ordered the autonomous body under the control of Parliament to take the case, and on Monday it fined Basescu for having said „very few of them (Roma) want to work“ and „traditionally many of them live off stealing.“ He did not immediately react to the ruling. Romania officially has 620,000 Roma, also known as Gypsies, but the number is believed to be far higher because many do not declare their ethnicity to avoid widespread discrimination.

Source: Independent Record
Date: 10.02.2014