Category Archives: Beiträge auf Deutsch

PRESSEMITTEILUNG “Unfassbare Geschichtsvergessenheit”- Anlässlich des Gedenkens an den Holocaust kritisiert Amaro Foro e.V. die geplanten Sonderlager für Balkanflüchtlinge und die „sicheren Herkunftsstaaten“

Die von Horst Seehofer vorgeschlagenen Sonderlager für Balkanflüchtlinge – viele von ihnen Roma – kritisiert Amaro Foro e.V. auf das Schärfste. „Anlässlich des 2. August wird in Deutschland von Sinti und Roma des Genozids im Nationalsozialismus gedacht. In der Nacht zum 2. August wurden in Auschwitz fast 3000 Menschen im sogenannten Zigeunerlager ermordet. Es ist unfassbar, dass heute ein Ministerpräsident in Deutschland tatsächlich Sonderlager für eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen vorschlagen kann, ohne sofort zurücktreten zu müssen“, so Merdjan Jakupov, Vorsitzender von Amaro Foro e.V. und selbst Rom aus Mazedonien.

Bereits im letzten Jahr wurden Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt, sodass Asylbewerber von dort inzwischen nach einem Schnellverfahren wieder abgeschoben werden können. Aktuell wird diskutiert, Albanien und das Kosovo ebenfalls zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. „Bisheriger moralischer Tiefpunkt der Debatte ist jedoch der Vorschlag von Horst Seehofer, Flüchtlinge aus den Westbalkanländern in gesonderten Lagern unterzubringen, um sie möglichst schnell wieder abschieben zu können. Da in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem Roma aus diesen Ländern in Deutschland Asyl beantragen, schlägt Seehofer de facto Sonderlager für eine bestimmte ethnische Gruppe vor“, kritisiert Pressesprecherin Andrea Wierich. „Ebenfalls indiskutabel ist der Vorschlag vom Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Manfred Schmidt, Flüchtlingen aus den Westbalkanländern das Taschengeld zu streichen.“

Die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten beruht auf einer sehr einseitigen Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung. Nicht nur ein von Pro Asyl in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, sondern auch die Richtlinien des Europäischen Rates legen fest, dass eine politische Verfolgung nicht zwingend von staatlichen Akteuren ausgehen muss – entgegen der aktuellen Auslegung der Bundesregierung. Die Richtlinien des Europäischen Rates legen fest, dass Flüchtlinge dann nicht abgeschoben werden dürfen, wenn ihnen ein „ernsthafter Schaden“ droht, der auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, etwa Menschenrechtsverletzungen oder Übergriffe durch die Justiz (vgl. Art. 2, 6 und 8 der Richtlinie). Die Bundesregierung erkennt jedoch nur schwerwiegende staatliche Repressionen als politische Verfolgung an.

„Das ist auch der Grund für die extrem niedrigen Anerkennungsquoten von Asylanträgen aus den Westbalkanländern. Deutschland ist hier als Hardliner einzustufen – die Anerkennungsquote für Asylanträge aus Mazedonien etwa liegt in Deutschland bei 0,6 Prozent, in Frankreich jedoch bei 16,9 und in der Schweiz gar bei 22,2 Prozent“, erklärt Wierich. „Auch die Einstufung von Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer ist deshalb eigentlich nicht mit europäischem Recht vereinbar.“

„In den Westbalkanstaaten sind Roma sowohl vom Arbeitsmarkt als auch vom Bildungs- und Gesundheitssystem ausgeschlossen. Sie leben in undokumentierten, offiziell nicht existierenden Slums und sind gewalttätigen Übergriffen sowohl durch rechte Gruppierungen als auch immer wieder durch die Polizei ausgesetzt“, so Jakupov. „Sie haben keinen Zugang zu Sozialleistungen; elementare Bürgerrechte scheinen für sie nicht zu gelten. Hinzu kommt, dass Mazedonien – vom Westen bisher weitgehend ignoriert – dabei ist, sich zu einer Diktatur zu entwickeln. Präsident Nikolai Gruevski schürt Spannungen zwischen ethnischen Gruppen, um seine Macht zu festigen, die Medien sind gleichgeschaltet und es gibt politische Gefangene – etwa Oppositionelle und kritische Journalisten. Weitgehend unbekannt ist bisher auch, dass bei der Polizeiaktion im Mai, bei der es 22 Tote gab, die Opfer vor allem Roma waren.“

„In Serbien ist die Situation von Roma ähnlich. Dort können rassistische Mobs ungestraft zu Hate Crime gegen Roma aufrufen, gewalttätige Übergriffe sind keine Seltenheit“, erklärt Violeta Balog, serbische Romni und Gründungsmitglied von Amaro Foro e.V. „Es ist unfassbar, dass dennoch Roma aus den Westbalkanstaaten in Deutschland nicht als schutzbedürftig anerkannt, sondern als Wirtschaftsflüchtlinge diskreditiert werden. In einem Land, in dem es bereits einmal Sonderlager für Roma gab, ist eine solche Geschichtsvergessenheit unfassbar.“

Quelle: Amaro Foro
Stand: 03.08.2015

„NEIGHBOURS IN THE HOOD“ – Herbstschule Antiromaismus und Self-Empowerment

Die Diskriminierung und Verfolgung der europäischen Rom_nja und Sint_ezze hat lange Traditionslinien, die bis in die Gegenwart reichen. Kaum eine andere Minderheit wird so umfassend mit negativen Stereotypen belegt. Die Folgen sind verheerend: Die Chancen für sozialen Aufstieg sind massiv beschränkt, rassistische Angriffe keine Seltenheit. Trotzdem bleibt der gesellschaftliche Aufschrei aus. Für Sachsen scheint die Geschichte und Gegenwart der Rom_nja und Sint_ezze ein geradezu blinder Fleck. Die rudimentäre Forschung erlaubt kein klares Bild zur lokalen Verfolgungsgeschichte im Nationalsozialismus. Auch der allgemeine Kenntnisstand und Wissen über die aktuellen Lebenssituationen und politischen Perspektiven hier lebender Rom_nja und Sint_ezze sind sehr gering.

Hier setzt die Herbstschule an. In der besonderen Umgebung des Festspielhauses Hellerau werden wir viereinhalb intensive und anregende Tage verbringen. Im Vordergrund stehen Wissensvermittlung, Selbstreflexion in Bezug auf eigene Vorurteilsstrukturen, Self-Empowerment teilnehmender Rom_nja und die lokale politische Vernetzung. Versierte Expert_innen geben einen Einstieg in das Thema Antiromaismus, zusammen nähern wir uns der (lokalen) Verfolgungsgeschichte der Rom_nja und Sint_ezze, besuchen und diskutieren künstlerische Beiträge, organisieren den Austausch mit sächsischen und tschechischen Selbstvertretungsorganisationen. Ziel ist die nachhaltige Vernetzung aller Teilnehmenden. Die Herbstschule wendet sich an alle Interessierten, besonders aber an Menschen, die sich gegen Antiromaismus engagieren oder dies vorhaben.

Quelle, Programm und Anmeldung: Weiter Denken
Stand: 22.08.2015

Antiziganismus-Fundstück in der TV-Serie „Constantine“

In der TV-Serie „Constantine“ in der Folge „The Darkness Beneath“, in der es um einen Dämonenjäger geht, werden auch uralte antiziganistische wieder aufgewärmt. So heißt es von Constantine:

„There is nothing blacker than gipsy magic.“

Die ‚Böse‘ in dieser Folge ist tatsächlich eine Romni, die nicht nur „schwarze Magie“ ausübt, sondern auch besonders lustvoll-verführerisch ist. Dazu ist sie auch in dieser Folge noch die Mörderin der ganzen Geschichte.
Drei Klischees in einer Folge.

„Unmenschliche Behandlung“: Belgien verurteilt

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Belgien we­gen „unmensch­li­cher Behand­lung“ einer Roma-Fa­mi­lie aus Serbien ver­urteilt

Die Straßburger Richter gaben am Diens­tag einem Ehe­paar und sei­nen fünf Kindern recht, die 2011 in Belgien erfolg­los einen Asyl­antrag ge­stellt hat­ten. Vor ihrer Abschiebung war die Fa­milie vier Wochen lang obdachlos, ob­wohl eines ih­rer Kinder schwer­behindert und ein ande­res noch ein Säug­ling war. Die Roma leb­ten eine Woche lang auf einem öffentlichen Platz und drei Wochen lang im Nord­bahn­hof von Brüssel. (…) Einige Wochen nach der Rück­kehr nach Serbien starb das behin­derte Mädchen. Eine bel­gi­sche Berufungs­kam­mer hat­te zuvor den Aus­weise-Be­scheid noch we­gen Formfehlern auf­geho­ben – nach­dem die Fa­milie Belgien schon ver­lassen hat­te. (…) Laut dem Straß­bur­ger Urteil muss Belgien der Roma-Fa­milie 22.750 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Quelle: dRoma-Blog
Stand: 11.07.2015

Aufruf zum Gedenken am 2. August 2015, um 14 Uhr am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma am Schwanenteich in Leipzig

Als „Porajmos“ (dt. „das Verschlingen“) wird in Romanes der Genozid an den Sinti und Roma während der Zeit des Nationalsozialismus bezeichnet. Trauriger Höhepunkt des Völkermordes war der 2. August 1944, der sich dieses Jahr zum 71. Mal jährt. An diesem Tag wurde der Abschnitt BIIe im Konzentrationslager Auschwitz geräumt und die 2897 noch verbliebenen Sinti und Roma in den Gaskammern ermordet. Allein in Auschwitz starben zwischen Februar 1943 und August 1944 19300 in diesem Abschnitt untergebrachte Menschen. Insgesamt fielen hunderttausende Sinti und Roma den Nazis zum Opfer. In Deutschland ist das Bewusstsein für die leidvolle Geschichte der größten Minderheit Europas und die eigene Verantwortung dafür jedoch kaum ausgeprägt.

Auch heute ist diese Bevölkerungsgruppe rassistischen Angriffen ausgesetzt, die teilweise lebensbedrohlich sind. So fand 2009 in Klingenhain unweit von Leipzig ein Brandanschlag statt, bei dem das Haus und Gewerbe einer Sinti Familie niederbrannte, die daraufhin ihren Wohnort verließ, da sie um ihr Leben fürchten musste. Vorausgegangen waren jahrelange Anfeindungen, Drohungen und Angriffe mit eindeutig rassistischem Hintergrund. Auch im Leipziger Stadtteil Volkmarsdorf wurde im Herbst 2010 massiv Stimmung gegen ansässige Roma gemacht, die in verbalen und tätlichen Übergriffen mündete. Diese Übergriffe finden nicht irgendwo weit weg statt, sondern in unserer unmittelbaren Umgebung und trotzdem nimmt der überwiegende Teil der Gesellschaft daran keinen Anteil, selten wird darüber überhaupt medial berichtet. Aus der Mitte unserer Gesellschaft werden Roma zu tausenden abgeschoben. In ihren Herkunftsländern des Westbalkan erwartet sie Ausgrenzung und Diskriminierung. Mit der Erklärung von Bosnien, Mazedonien und Serbien zu so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ zeigt die schwarz-rote Bundesregierung, dass sie nichts aus der Geschichte gelernt hat. Continue reading Aufruf zum Gedenken am 2. August 2015, um 14 Uhr am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma am Schwanenteich in Leipzig

Initiative „Queer Roma“: „Roma und schwul, geht das überhaupt?“

Der Kölner Gianni Jovanovic hatte mit 18 schon Frau und Kinder – und dann sein Coming-out. Nun kämpft er mit seiner Initiative Queer Roma gegen Homophobie und Rassismus.

Auf dem Wagen tanzt eine Drag-Queen in pink, mit einem Fächer vertreibt sie die Kölner Sommerhitze. Davor laufen Männer in dunkelblauen T-Shirts, einer schwenkt eine Fahne. So weit, so normal auf dem Christopher Street Day. Doch dies ist kein Truck wie die anderen: Es ist ein kleiner Wohnwagen. Auf den T-Shirts der Männer und Frauen davor steht Queer Roma. Hinter dem Mann mit der bunten Roma-Flagge hält jemand ein Plakat hoch, darauf steht nur ein Wort: Liebe.

Durch das Leben von Gianni Jovanovic, 37, zieht sich noch ein anderes Wort, eines, das mal einen gleichgültigen, mal einen hasserfüllten Klang hatte: Zigeuner. Er bekam es als Kind in Rüsselsheim zu hören und später in Darmstadt. Heute spielt Jovanovic souverän mit den Klischees. Doch für ihn war es viele Jahre ein doppeltes Versteckspiel: Einerseits hielt er vor Fremden lieber geheim, dass er zu der Minderheit der Roma gehört. Und andererseits wusste in seiner Roma-Community niemand, dass er schwul ist. Nicht seine Eltern, nicht einmal seine Frau.

„Das Coming-out war für mich der schlimmste, aber auch der wichtigste Schritt in meinem Leben“, sagt Jovanovic. Continue reading Initiative „Queer Roma“: „Roma und schwul, geht das überhaupt?“

Bulgarien: Gruppe wollte Roma-Siedlung stürmen

Ort seit drei Wochen von Polizei abgeriegelt, auch Fußballhooligans an Protesten beteiligt

Sofia – Die ethnischen Spannungen in Bulgarien nehmen vor der Kommunalwahl im Herbst zu. In der Nacht auf Dienstag versuchten 50 bis 60 Personen, eine illegale Roma-Siedlung nahe dem südwestbulgarischen Dorf Garmen zu stürmen, meldete die bulgarische Nachrichtenagentur BGNES. Laut Polizeiangaben hatten sich die Randalierer auf eine Schlägerei mit den Roma vorbereitet.

Die Polizei, die das Roma-Viertel seit drei Wochen abriegelt, konnte die Gruppe demnach gegen 1.30 Uhr aufhalten. Die Situation in Garmen eskalierte Ende Mai, als ein Streit zwischen Dorfbewohnern und einer Roma-Familie in einer Massenschlägerei mit einer Dutzend Verletzten endete. Seitdem steht der Ort unter Polizeischutz, da die Behörden nicht ausschließen, dass der Konflikt ausufert. Anlass für diese Vermutung gibt die Teilnahme von rechtsradikalen Fußballhooligans an den darauffolgenden Kundgebungen der Dorfbewohner gegen die Kriminalität unter den Roma.

Schwelender Konflíkt

Der Konflikt war nicht der erste in Bulgarien. 2011 löste ein tödlicher Verkehrsunfall in Südbulgarien eine bis dahin beispiellose Anspannung zwischen der bulgarischen Bevölkerung des Landes und der Roma-Minderheit aus. Nun hat die Spannung zwischen Bulgaren und Roma auch in der Hauptstadt Sofia zugenommen. Seit vergangenem Wochenende protestieren bulgarische Familien gegen das „asoziale Verhalten“ der Einwohner eines der Roma-Viertel in der Millionenstadt. Am Montagabend kam es zu Ausschreitungen, als sich der friedlichen Kundgebung Fußballhooligans angeschlossen haben. Die Polizei hat 20 Menschen vorläufig festgenommen.

Die ethnische Spannung hat bereits auch für kontroverse politische Kommentare gesorgt. Konservative Politiker der Regierungskoalition in Sofia werfen der liberalen Minderheitspartei DPS Stimmenkauf in den Roma-Gettos vor. So behauptet der Vorsitzende des mitregierenden konservativen Reformblocks Radan Kanew, die illegalen Roma-Gettos in Bulgarien werden absichtlich geduldet. „Die asoziale Lebensweise der Roma-Gemeinschaft wird politisch unterstützt, denn nur ungebildete und sozial genötigte Menschen neigen leicht dazu, ihre Stimmen bei Wahlen zu verkaufen“, analysiert Kanew am Vorabend der Kommunalwahlen im Herbst. In kleinen Ortschaften, wie Garmen, könne der Stimmenkauf den Wahlausgang entscheiden.

Quelle: Der Standard
Stand: 16.06.2015

Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt: „Brigade Halle“ unter Beobachtung

Seit einem Jahr hetzt eine rechtsextreme Gruppierung in der Silberhöhe gegen Roma und Flüchtlinge. Der Verfassungsschutz ist alarmiert.

Die rechtsextreme Vereinigung Brigade Halle steht unter Beobachtung das Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt. Das geht aus dem nun veröffentlichten Vorjahresbericht des Geheimdienstes hervor. In dem Dossier wird die Gruppierung als tonangebender Akteur beschrieben, der im Stadtteil Silberhöhe „Angst vor Ausländern“ schüre – die Agitation richte sich vor allem gegen Asylsuchende und zugezogene Roma-Familien.

In den Augen des Verfassungsschutzes zählt die Stadt Halle zwar nicht zu den landesweiten Zentren rechtsextremer Gewalt – das sind laut dem Bericht Dessau-Roßlau, der Saalekreis und der Landkreis Wittenberg – doch der Brigade gilt dennoch ein besonderes Augenmerk. Denn, so heißt es in dem Dossier, „die Kampagnen speziell gegen rumänische EU-Flüchtlinge der Volksgruppe der Roma“ sprechen „auch in Teilen das bürgerliche Spektrum an“. Die Verfassungsschützer konstatieren der rechtsextremen Brigade eine Entwicklung vom Internet- zum Straßenphänomen. Nachdem die Mitglieder im vergangenen Sommer zunächst durch Propaganda im Internet aufgefallen seien, hätten sie auf der Hooligans-gegen-Salafisten-Demonstration in Hannover im Herbst den ersten Auftritt auf der Straße gehabt. Die Verfassungsschützer registrierten bei der Großdemonstration 25 Personen, die T-Shirts mit der Aufschrift „Brigade Halle“ trugen. Continue reading Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt: „Brigade Halle“ unter Beobachtung

Das Politische Buch „Niemand ist ein Zigeuner“

Vorurteilen gegen Sinti und Roma begegnete Wolfgang Wippermann schon als Kind. Und nichts hat sich seitdem geändert. In einem engagierten Buch schreibt der Historiker gegen die Diskriminierung an.

Die erste Begegnung mit den Vorurteilen gegen Roma macht Wolfgang Wippermann 1951, mit sechs Jahren, im Garten der Großmutter. Als eine Gruppe Roma sich dem Haus nähert, nimmt die Großmutter schnell die feuchte Wäsche von der Leine, bekreuzigt sich und erklärt dem Enkel: Die „Zigeuner“ seien furchtbare Menschen, stählen Wäsche und kleine Kinder. Mit dieser Anekdote beginnt Wippermanns Aufruf „Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils“, und damit ist auch der Ton gesetzt: keine nüchterne Analyse, sondern ein teils persönliches, oft zorniges Plädoyer.

Feindbild vom „faulen und asozialen“ Roma wieder neu belebt

Bis heute, so der Historiker, werden in ganz Europa Sinti und Roma ausgegrenzt und verfolgt. Mit der jüngsten Debatte um eine Armutszuwanderung aus Südosteuropa ist das alte Feindbild vom faulen und asozialen Roma auch hierzulande wiederbelebt worden. Wippermann unterscheidet religiöse, soziale, romantisierende und rassistische Motive für die Diskriminierung von Roma, die er zu einer eigenständigen Ideologie zusammenfasst, den Antiziganismus. Dieser beginne schon mit dem Wort „Zigeuner“. Wippermann knöpft sich den Ausdruck begriffsgeschichtlich vor, erklärt, warum es diffamierend ist, aus Roma „Zigeuner“ zu machen und warum die Bezeichnung aus dem Vokabular verbannt gehört. Er beschreibt, wie im Mittelalter erstmals Negativbilder der Sinti und Roma aufkamen und sich verfestigten, wie sich religiöse und soziale Vorurteile immer stärker mit rassistischen Zuschreibungen mischten, wie diese in der NS-Zeit im Genozid an den Roma gipfelten. Ein Genozid, den Wippermann nicht als allein deutschen, sondern als gesamteuropäischen Völkermord beschreibt, weil er von Angehörigen anderer europäischer Völker mitbegangen wurde. Beides, „die europäische Kollaboration und die rassistische Motivation des Porrajmos“ (so die Romanes-Bezeichnung für den Völkermord), sei nach 1945 geleugnet worden, in West- wie in Osteuropa. Continue reading Das Politische Buch „Niemand ist ein Zigeuner“

Die Lüge vom Asylbetrug

Fluchtgründe von Sinti und Roma werden nicht akzeptiert

»Der Asylantrag einer jüdischen Familie aus Nazi-Deutschland hätte vor 1938 gestellt im heutigen Deutschland keine Chance auf Anerkennung«, so Rechtsanwalt Ullrich Hahn, Mitglied der Rechtsberaterkonferenz des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in Deutschland. Das Grundrecht »Politisch Verfolgte genießen Asyl« wurde seit 1993 erheblich eingeschränkt und diese Einschränkungen von Behörden und der Verwaltungsjustiz systematisch zu Ungunsten von Asylsuchenden ausgelegt. Die Aussage des in Asylverfahren und der Flüchtlingsberatung erfahrenen Juristen ist ernüchternd und zeigt wie sehr das einstige Grundrecht auf Asyl mittlerweile ausgeweidet wurde. »Diese Zigeuner sind Tiere, benehmen sich wie Tiere… aus seinem tierischen Schädel dringen meistens unartikulierte Töne, und das einzige, was er bezüglich dieser elenden Welt versteht, das ist die Gewalt…«, drohte nicht etwa Hermann Göring, sondern Zsolt Bayer, enger Berater und Freund von Staatspräsident Victor Orban, in der ungarischen Tageszeitung »Magyar Hírlap« (Ungarisches Journal). Ein Rom der vor einem solchen Klima oder Mehrfachdiskriminierungen bis hin zu offenen Pogromen in Ungarn nach Deutschland flieht, kann seit dem »Asylkompromiss« 1993 kein Asyl mehr beantragen. Der Zusatz zum Grundgesetz (Artikel 16a) unterstellt, es könne gar keine berechtigten Fluchtgründe aus Staaten der Europäischen Union geben. Ebenso schränkt die Grundgesetzänderung das Grundrecht auf Asyl für Flüchtlinge aus so genannten »sicheren Herkunftsstaaten« erheblich ein. Diese Regelung wird dank einer großen »Schwarz-Grün-Roten«-Koalition aus Bundestag und Bundesrat seit Herbst 2014 auf Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina angewendet. Der Kosovo, Montenegro und Albanien sollen nun folgen, warnt die unabhängige Menschenrechtsorganisation »Pro Asyl«. Eine Katastrophe für Roma aus diesen Staaten. Einhellig bescheinigen ihnen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International Mehrfachdiskriminierungen. »Keine Verfolgung« urteilen dennoch gleichmütig das Auswärtige Amt, die Entscheider der Asylverfahren vom Bundesamt für Migration und die überprüfenden Verwaltungsgerichte. Auch bei der Entscheidung über individuelle Asylgründe, der so genannten Einzelfallprüfung, liegen die Anerkennungsquoten für Roma bei unter 1%. Die als »offensichtlich unbegründet« abgelehnten Asylanträge umfassen körperliche Übergriffe mit stationärer Aufnahme in Krankhäusern über Zwangsprostitution bis hin zur Scheinexekution. Entscheider über Asylverfahren beim Bundesamt und Verwaltungsgerichte begründen ihre Ablehnung der Asylanträge in systematischer Regelmäßigkeit mit angeblichen Widersprüchen in den Aussagen der Geflüchteten oder ihrer Unglaubwürdigkeit. »Zu gut Deutsch«: Der »Zigeuner« lügt. Wenige Ausnahmen einzelner Kammern der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Münster und Stuttgart sehen das Grundrecht auf Asyl durch die Anwendung der »Sicheren Herkunftsstaaten«-Regelung auf die Balkan-Länder im Grundsatz verletzt oder Anerkennen auch die Mehrfachdiskriminierungen als »Verfolgung« im Sinne des Asylrechts. Diese Juristinnen und Juristen liegen aber nicht im Mainstream politischer Meinungsmache. Zunächst wurde von politisch daran interessierten Kreisen eine Diskussion über »Armutsflüchtlinge« und »Einwanderung in die Sozialsysteme« inszeniert. Armut ist jedoch nicht die Ursache für Flucht, sondern Folge von Mehrfachdiskriminierungen. Wer keinen Zugang zu Bildung, Arbeit und sozialer Versorgung hat und systematisch ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt wird, ist eben auch bitterarm. Aufbauend auf der Lüge des »Asylbetrugs« durch Roma-Flüchtlinge sind die jüngsten Tendenzen öffentlicher Meinungsbildung nun Flüchtlinge in »gut« und »schlecht« einzuteilen. Gute Syrer und böse Roma. Durch eine konsequente europäische Abschottungspolitik nimmt Deutschland gemessen an der Gesamtzahl kaum syrische Flüchtlinge auf. Wer nicht im Mittelmeer ersoffen ist und sich irgendwie nach Deutschland durchschlagen konnte oder zu den wenigen Kontingentflüchtlingen aus Syrien gehört, dem soll nun nicht auch noch der Platz in einem deutschen Flüchtlingslager von einem Roma streitig gemacht werden, so die Zynikerinnen und Zyniker von Schwarz bis Grün. Roma bilden die einzige Opfergruppe des Nationalsozialismus, die heute in vielen Ländern Europas wieder zunehmend Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind. Im grün-roten Baden-Württemberg werden sie dennoch wie am Fließband abgeschoben. Zuletzt per Sammelabschiebeflug am 24. März 2015 ab Baden-Airpark, dessen Aufsichtsratsvorsitzender der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann ist. Genau zum Jahrestag, an dem 1944 die Sinti und Roma aus Baden-Württemberg im wenige Kilometer entfernten Offenburger Bahnhof gesammelt und nach Auschwitz deportiert wurden.

Quelle: Antifa Magazin
Stand: 05.06.2015