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Gedenken an die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma

SPD bemüht um Gräbererhalt

In Berlin und Brandenburg ist am Freitag der im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma gedacht worden. Im Bundesrat sagte Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) 69 Jahre nach dem sogenannten Auschwitz-Erlass: „Wir dürfen nicht vergessen und müssen uns erinnern.“ Jeder zweite Sinto und Roma in Europa habe den Holocaust nicht überlebt. Auch in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg wurde am Freitag an die Opfer des NS-Völkermordes erinnert. An der Gedenkveranstaltung nahm auch der Präsident des Zentralrates der Sinti und Roma, Romani Rose, teil.

Der Bundesrat gedenkt stets in seiner letzten Sitzung vor Weihnachten der von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Sinti und Roma und der Jenischen. Am 16. Dezember 1942 hatte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, im „Auschwitz-Erlass“ die vollständige Vernichtung der europäischen Sinti und Roma angeordnet. Rund 23.000 Angehörige dieser Minderheit aus elf europäischen Ländern wurden in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, darunter 10.000 deutsche Sinti und Roma. Insgesamt fielen 250.000 bis 500.000 Angehörige dieser Minderheit dem NS-Rassenwahn zum Opfer.

Seehofer drückte in der Gedenkfeier auch seine Erschütterung über die Neonazi-Mordserie aus und sprach von einer Schande. Das Mitgefühl gelte den Angehörigen. „Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antiziganismus und Antisemitismus haben in diesem Land keinen Millimeter Platz“, betonte der bayerische Ministerpräsident. Die Demokratie müsse wehrhaft bleiben. Seehofer verwies auf den Beschluss der Ministerpräsidenten von Donnerstag, ein NPD-Verbot anzustreben.

An der Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen nahmen neben Zentralratspräsident Rose auch Brandenburgs Innenstaatssekretär Rudolf Zeeb (SPD) sowie zahlreiche Überlebende und Familienangehörige teil, teilte die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in Oranienburg mit. Im KZ Sachsenhausen waren mehr als 1.000 Angehörige der Minderheit inhaftiert.

Die SPD-Bundestagsfraktion sprach sich anlässlich des Jahrestags des „Auschwitz-Erlasses“ für den Erhalt von Gräbern von Sinti und Roma aus. „Wir sind bemüht, eine bessere Antwort als die bisherige zum Anliegen der Sinti und Roma zu finden“, sagte der für das Thema zuständige Abgeordnete Franz Müntefering dem epd.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatte gefordert, die Gräber von NS-verfolgten Vertretern der Minderheit auf Dauer zu erhalten. Nach Angaben des Zentralrats handelt es sich bundesweit um etwa 2.500 Grabstätten. Wegen abgelaufener Grabrechte drohe ihnen die endgültige Beseitigung.

Der Bundestag hatte Ende Oktober eine Änderung des Gräbergesetzes beschlossen. Ein dauerhaftes Ruherecht besteht danach für die Gräber von Kriegsopfern und Opfern des NS-Regimes, wenn die Betroffenen vor dem 31. März 1952 gestorben sind. In einer Petition an den Bundestag wurde auf eine Verschiebung des Stichtags für Sinti und Roma gedrängt. Auf Initiative der SPD-Fraktion wurden daraufhin Anfang Dezember Experten zu dem Thema angehört.

Eine Stichtagsänderung müsse für alle Gruppen und Personen gelten, die im Gräbergesetz angesprochen seien, erläuterte Müntefering. Diese Gräber lägen verstreut auf Friedhöfen, so dass etwa eine Lösung gefunden werden müsse, falls ein Friedhof entwidmet werde. Bis Februar solle die Anhörung ausgewertet werden. „Wir arbeiten an einer Regelung, die allen wichtigen Gesichtspunkten dieser Thematik gerecht wird“, sagte der ehemalige SPD-Vorsitzende.

Quelle: epd
Stand: 03.01.2012

„Auch heute ist es noch schwer“

Manfred Böhmer lebt in Osnabrück und vertritt als Vorsitzender des Niedersächsischen Verbandes Deutscher Sinti die Interessen von 12.000 Sinti. Er sitzt mit seinem Sohn Romano im Büro der Beratungsstelle für Sinti und Roma in Hannover. Der Vater spricht über Auschwitz, der Sohn über Diskriminierung bei der Arbeit und beim Sport.

taz: Herr Manfred Böhmer, wie haben Ihre Eltern den Genozid an den Sinti überlebt?

Manfred Böhmer: Die haben überlebt, weil sie von den Alliierten befreit wurden. Nach den Planungen der Nationalsozialisten dürften heute hier gar keine Sinti mehr leben. Mein Vater war in Auschwitz, meine Mutter wurde mit ihrer ganzen Familie im Mai 1940 ins Generalgouvernement Polen deportiert. Die erste Verhaftung betraf meinen Großvater und zwei ältere Brüder in Thüringen, das war 1938. Wie uns ging es den meisten Familien.

Wie groß war die Familie 1938?

Manfred Böhmer: 100 Personen, davon sind 60 ins Generalgouvernement verschleppt worden. Von Hamburg aus, sie waren mehrere Tage unterwegs, sie sind auf Toten gelegen. Ich könnte da manches sagen, aber ich möchte das nicht.

Zielort in Polen war ein Getto?

Manfred Böhmer: Ja. Meine Oma mit fünf Töchtern, deren Kinder, darunter der jüngste Sohn, sind wie Vieh aus den Waggons und in Wohnungen gejagt worden, in denen, das wussten sie nicht, Juden lebten, bis sie ermordet wurden. Aus den Fenstern der Getto-Wohnungen sind Kissen geflogen. Als sie näher gekommen sind, und sich die Kissen anschauten, waren die blutig. In den Kissen hatte die SS die Säuglinge der Juden erschossen. In diesem Getto war ein Teil meiner Familie bis 1944, dann waren die Russen im Anmarsch. Mein Schwiegervater und andere sind zum Getto-Kommandanten gegangen und haben gesagt: „Die Kinder leiden, die Leute sind krank, sie hungern.“ Es gab nur noch ein Dreieck Kommissbrot und einen Teller Suppe mit einem Blatt Kohl pro Tag. Continue reading „Auch heute ist es noch schwer“

Spiegel antiziganistischer Vorurteile

Im Juni und September 2011 brachte Spiegel TV zwei Berichte über rumänische Flüchtlinge in Berlin-Neukölln, die nicht nur vor lauter Vorurteilen und Verurteilungen triefen, sondern auch gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen und antiziganistische Meinungsmache betreiben.

Stell dir vor: Es klingelt an der Tür, Sie öffnen und schauen direkt in eine laufende Kamera. Obwohl Sie zu verstehen geben, nicht gefilmt werden zu wollen und die Tür wieder schließen, sehen Sie sich kurze Zeit später im Fernsehen. Noch dazu wird Ihr Haus gezeigt, Ihre Straße genannt und Ihr Türschild gefilmt. Im deutschen Rechtsstaat gibt es ein Gesetz, dass derlei Vorgehen verbietet: Das Kunsturhebergesetz. Teil des Gesetzes ist das Recht am eigenen Bild. Demnach darf jeder bestimmen, ob und in welchem Zusammenhang Bilder von ihm oder ihr veröffentlicht werden dürfen.

„Kontaktaufnahme“ bei laufender Kamera

In dem im September auf Spiegel-TV ausgestrahlten Bericht „Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße Berlin“ wird den Anwohnerinnen und Anwohnern der Harzer Straße dieses Recht allerdings nicht zugebilligt. Stattdessen bedienen sich die Reporter einer Herangehensweise, die mehr als fragwürdig ist: Durch den Blick der Kamera werden die Anwohnerinnen und Anwohner zu rechtlosen Objekten – es wird auf sie herabgeschaut, es wird über sie be- und gerichtet, ohne dass eine Erlaubnis dazu als nötig angesehen wird. Indem sie mit laufender Kamera privaten Raum betreten, üben die Reporter eine Macht aus, die ihnen nicht zusteht. Auch in dem Bericht „Einwanderer Elend: Die neuen ‚Gastarbeiter‘ vom Ost-Balkan“ wird eine solche Methodik angewandt. Die Reporter bemängeln, dass die Klärung bestimmter Problematiken „meist schon an der Kontaktaufnahme scheitert“. Als die Erwachsenen dem Kamerateam bei deren „Kontaktaufnahme“ mit laufender Kamera keine Auskünfte geben wollen, werden hier sogar einige Kinder gegen den Willen der Eltern gefilmt und befragt. Continue reading Spiegel antiziganistischer Vorurteile

Roma Sammelabschiebung – Protest – Wintererlass!

Erneut wurde eine von Frontex organisierte Sammelabschiebung von Roma am Düsseldorfer Flughafen durchgeführt. 30 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet wurden am Mi, den 07.12.11 wahrscheinlich erneut über die Fluggesellschaft Air Berlin nach Pristina, in den Kosovo abgeschoben – jedoch nicht ohne erheblichen öffentlichen Druck. Das Innenministerium musste die Abschiebung von zumindest ca. 20 Personen aus NRW aussetzen.

Der erst letzte Woche im NRW Innenministerium abgelehnte Wintererlass für Abschiebungen in den Kosovo, wird nun erneut innerhalb der rot-grünen Landesregierung diskutiert werden müssen. SPD Innenminister Jäger beugte sich bisher dem bundesweiten Druck, in NRW keine andere Linie zu fahren und den Wintererlass in diesem Jahr nicht zu gewähren. Auch nach mehreren Berichten über die katastrophalen und lebensbedrohlichen Zustände im Kosovo, beruft sich Jäger und Anhängerschaft auf einen Bericht des Bundesamt für Migration, welches mit ihrem angeblichen Hilfsprojekt „Ura 2“ die tatsächlichen Umstände für die Abgeschobenen verschleiert.

Der Protest von antirassistischen Initiativen und die Unterstützung durch Verbände und Medien erzeugte enormen öffentlichen Druck, wonach sich zumindest die Grünen innerhalb der Landesregierung endlich etwas bewegen mussten und sich auf bestehende Koalitionsvereinbarungen beriefen, welche nicht erst seit gestern einen Wintererlass vorgesehen haben. Continue reading Roma Sammelabschiebung – Protest – Wintererlass!

Ganz unten in Neukölln

Die Situation von Roma im Berliner Bezirk Neukölln ist prekär, Wohnungsnot und Armut sind ihre größten Probleme…

Seit einiger Zeit widmen sich die Medien dem sogenannten »Roma-Problem«. Berichtet wird über die Roma fast ausschließlich im Zusammenhang mit Verwahrlosung, Diebstahl und Bettelei, man bedient sich jahrhundertealter antiziganistischer Ressentiments. Bei einer im Juni von Spiegel-TV gesendeten Reportage folgte die Darstellung ihrer Lebensumstände dem Muster »Zigeunerfolklore, Scheibenputzen und Bettelei«. Nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens im Jahr 2007 haben viele Angehörige der in Osteuropa verfolgten und diskriminierten Roma-Minderheit von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich in Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten niedergelassen. Hierzulande konzentriert sich die Bericht­erstattung der Medien häufig auf den Berliner Stadtbezirk Neukölln, in dem viele der Zugezogenen leben.

Wie viele Roma genau in Neukölln leben ist unklar, die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe wird statistisch nicht erfasst. Schätzungen des Berliner Senats gehen von 15 000 bis 20 000 Roma aus Rumänien und Bulgarien aus, hinzu kommt eine unbekannte Anzahl nicht angemeldeter Personen. Die Situation der Einwanderer ist äußerst prekär: Ohne Anspruch auf Sozialleistungen sind sie auf schlecht bezahlte Gelegenheitsarbeiten angewiesen. In den rumänischen und bulgarischen Botschaften, die unter anderem auch für die Krankenversicherung zuständig sind, sind sie weiterhin der gewohnten Diskriminierung ausgesetzt, die häufigen Polizeikontrollen sind ein Beleg für die antiziganistischen Vorurteile hierzulande. Und auch in Neukölln, einem ohnehin relativ armen Bezirk, sind die Roma nicht gut angesehen, wie Betroffene immer wieder berichten. Besonders bei der Wohnungssuche bekommen Roma-Familien das zu spüren: Weil sie aufgrund von Vorurteilen seitens der Vermieter nur schwer legal Wohnungen mieten können, sind sie auf überteuerte und überbelegte Wohnungen und informelle Mietverhältnisse angewiesen. Continue reading Ganz unten in Neukölln

Mob zündet Roma-Lager in Turin an

Nach einem falschen Vergewaltigungsvorwurf einer jungen Italienerin hat ein Mob am Samstagabend in Turin ein Camp der Roma-Minderheit in Brand gesetzt. Laut „Welt“ nahmen rund 500 Menschen im Viertel Vallette im Nordwesten Turins an einem Protestzug gegen die Roma teil, der in Gewalt umschlug. Die APA berichtet, dass „rund hundert mit Knüppeln, Steinen und Brandsätzen bewaffnete Menschen“ das Camp angriffen und Autos und Hütten in Brand steckten. Zwei Baracken wurden dabei Presseberichten zufolge vollständig zerstört. Verletzt wurde niemand; die Bewohner des Camps waren, offenbar aufgeschreckt durch Protestplakate, bereits zuvor aus ihren Unterkünften geflüchtet. Auslöser des Pogroms war die Notlüge einer 16-Jährigen, die – um ihre Beziehung zu einem Erwachsenen vor ihrer Familie zu verbergen – behauptete, auf dem Nachhauseweg von „zwei Zigeunern“ vergewaltigt worden zu sein. Als sie später ihre falschen Anschuldigungen bei der Polzei zurückzog und eingestand, freiwillig Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, stand das Roma-Camp bereits in Flammen. Wie die APA berichtete, schritt die Polizei „nach dem Bekanntwerden der Lüge“ gegen die Gewalt ein und nahm zwei Männer fest.

Quelle: dRomA
Stand: 12.12.2011

Duisburger Verein beklagt sich bei Minister über „Bulgaren-Problem“

In einem offenen Brief an Innenminister Ralf Jäger beklagt sich der Vorsitzende des Vereins Zukunftsstadtteil Hochfeld über die mangelnde Integration der zugezogenen Roma aus Bulgarien. In dem Schriftstück schwingt eine Menge Sarkasmus mit, allein der Titel „Das Wunder von Hochfeld“ spricht Bände.

Es schwingt schon eine Menge Sarkasmus mit in dem offenen Sendbrief, den der Verein Zukunftsstadtteil Hochfeld nun an den NRW-Innenminister Ralf Jäger geschrieben hat. Allein der Titel „Das Wunder von Hochfeld“ spricht Bände. Denn ganz im Gegensatz zum „Wunder von Marxloh“, das den Bau der Moschee in Norden im gesellschaftlichen Konsens beschreibt, ist Hochfeld weit davon entfernt, in einem gesellschaftlichen Konsens zu leben.

Grund: Die etwa 4100 zugezogenen Roma aus Bulgarien. Offiziell sind laut dem Amt für Statistik 1800 Menschen aus Südosteuropa nach Hochfeld gezogen. Doch laut Zukunftsstadtteil e.V. ist es nach aller Erfahrung „nicht unrealistisch, wenn noch einmal genau so viele Menschen aus dieser Region derzeit zur Probe in Hochfeld wohnen, um zu schauen, ob sie sich hier ansiedeln möchten.“

Deren Integration, so schreibt es der Vereins-Vorsitzende Dr. Michael Willhardt voller grimmiger Ironie, könne „als erfolgreich abgeschlossen gelten“.

Das sei unter anderem den „engagierten Vermietern“ zu verdanken, die vollkommen unbürokratisch kleine Wohnungen mit „zehn, ja 20 Matratzen ausgestattet“ hätten, auf „schriftliche Vereinbarungen aller Art“ verzichteten, um „bei den Übernachtungsgästen bescheidene zehn bis 15 Euro je Matratze täglich, oft sogar persönlich, zu kassieren.“

Handlungskonzept für Hochfeld soll noch im Dezember verabschiedet werden

Auch die Stadt bekommt ihr Fett weg, weil sie so „praktische und pragmatische Lösungen “ beim Thema Schulpflicht gefunden hat. Weil selbige nicht konsequent durchgesetzt werde, müsse man ja kein Geld für zusätzliche Klassen ausgeben, was man ja eh nicht habe.

Ein Eingeständnis, dass auch das Handlungskonzept für Hochfeld kennzeichnet, das am 12. Dezember in der Ratssitzung verabschiedet werden soll. Denn darin sind zwar viele wünschenswerte Aktionen beschrieben, doch bis auf die Übernahme von Kosten für Pflichtausgaben, sieht die Stadt keinen finanziellen Spielraum. Sie bittet, wahrscheinlich vergeblich, um „flankierende Drittmittel der EU, des Bundes und des Landes.“

Auch, dass Unternehmen „regen Gebrauch“ von ihren Pflichten als „Gastgeber“ machen und die Schwarzarbeiter täglich zur Arbeit abholen, wird von dem Hochfelder Verein sarkastisch angemerkt. Von den mittlerweile 130 jungen Frauen, die sich als gewerbliche Prostituierte angemeldet haben, ganz zu schweigen. Besonders goutiert habe Willhardt den Rat von einem ehemaligen Dezernenten und einem Abteilungsleiter der Arbeiterwohlfahrt: „Wem diese ganze Folklore nicht gefällt – der kann ja wegziehen.“

Quelle: Der Westen
Stand: 02.12.2011

Allein gelassen und ignoriert – Die Bildungsteilhabe der deutschen Sinti und Roma

Viele Sinti und Roma hierzulande sind deutsche Staatsbürger. Dennoch müssen sie mit massiven Bildungsdefiziten leben und haben oft geringere Berufschancen. Schuld daran sind nicht zuletzt die Ausgrenzungsmechanismen von Staat und Gesellschaft.

Die Wohnung, in der es klingelt, steht in einer Hochhausgegend. Der Stadtteil heißt Hasenbergl und ist sozialer Brennpunkt Münchens. Die Wohnung im Erdgeschoss hat die Diakonie angemietet. Die Tür wird zur Hälfte von einem Plakat bedeckt – „Sinti und Roma“ steht darauf fingerbreit schwarz aufgemalt. Zwei Frauen, Mitte 20, kommen hierher zum Alphabetisierungskurs.

Latscho Diwes – Guten Tag! Die deutschen Sinti und Roma wachsen mit zwei „Muttersprachen“ auf. Romanes wird zu Hause gesprochen, gleichberechtigt mit Deutsch. Das Deutsch der Sinti ist ein eigener Dialekt, der innerhalb der Familien weitergegeben wird. Eine Variante, die dem Ostpreußischen ähnelt. Wegen der gepflegten Familienkontakte bis ins Ausland können sie sogar oftmals mehr Sprachen sprechen als andere Menschen in Europa. Aber lesen, schreiben und sich variantenreich ausdrücken, das bereitet den Schülerinnen hier im Hasenbergl große Schwierigkeiten. Kinga Papp, eine Ungarin, die aus Rumänien stammt, ist die Lehrerin der Sintizzas, wie Sintifrauen heißen. Continue reading Allein gelassen und ignoriert – Die Bildungsteilhabe der deutschen Sinti und Roma

Über Roma

Eine Ausstellung in Berlin zeigt Werke von Künstlern, die sich mit kulturellen Zuschreibungen und politischer Repräsentation von Roma in der Gegenwart und in der Vergangenheit beschäftigen.

Im Oktober dieses Jahres räumte die Polizei in Essex im Einzugsgebiet von London einen Wohnwagenplatz. Das Land gehörte zu diesem Zeitpunkt den Bewohnern, auch wenn sie noch nicht über eine offizielle Erlaubnis verfügten, sich auf dem Land niederzulassen oder es zu bebauen. Berichte über diese bürokratische Absurdität und die Bilder von der brutalen Räumung führten dazu, dass die Opfer dieser Polizeiaktion, die Irish Travellers, europaweit ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten.

Irish Travellers sind eine eigene soziokulturelle Gruppe mit nomadischem Lebensstil. Darin ähneln sie den aus Süd- und Südosteuropa stammenden Roma. Einige Roma wiederum hatten sich in einem Bidonville in der Nähe von Paris angesiedelt. Ihre Siedlungen waren bereits im September auf Weisung von Nicolas Sarkozy geräumt und sie selbst nach Rumänien abgeschoben worden.

Bidonville, das bedeutet Slum, Kanisterstadt oder Barackensiedlung. Eine Art Bidonville, ein Flüchtlingslager, auf mutmaßlich verseuchtem Boden, gibt es auch in Osterode im Kosovo, wo Roma leben, die aus der BRD abgeschoben wurden. Ein Bidonville entwickelte sich auch im Sommer dieses Jahres im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg, nachdem zugewanderte Roma aus überbelegten Wohnungen vom Vermieter gekündigt und einfach auf die Straße gesetzt worden waren.

In Osterode wie in anderen Siedlungen können abenteuerlustige Touristen jetzt eine authentische Erfahrung machen: »Hotel Gelem – Embedded Tourism« heißt das Projekt der beiden Schweizer Künstler Christoph Wachter und Mathias Jud, die Touristen in Romasiedlungen unterbringen und derzeit an der Kunstausstellung teilnehmen, die am 11. November im Kunstquartier Bethanien eröffnet wurde. Continue reading Über Roma