Sie sprechen Pfälzisch, Hessisch, Bayrisch oder auch Romanes. Die Familie Lagrenes lebt seit Jahrhunderten in Deutschland. Ganz einfach ist das nicht.
Beim Gedanken an seinen Abiball beschleicht Daniel Braun ein mulmiges Gefühl. Seine Großmutter ist eingeladen. Was, wenn sie da von Auschwitz erzählt? „Auf dem Gymnasium habe ich gesagt: ’Ich bin Deutscher‘, was ja auch stimmt.“
Daniel ist einer von schätzungsweise 70.000 Sinti und Roma, die seit Generationen in Deutschland leben. Sie nennen es Zuhause, doch ihre Beziehung zum Land ist kompliziert. „Offiziell sind wir deutsche Staatsbürger. Nur würden wir uns nie als 100-prozentige Deutsche bezeichnen. Wir haben eine andere Mentalität, ein anderes kulturelles Erbe.“
Die deutschen Sinti und Roma sprechen Pfälzisch, Hessisch, Bayerisch oder Sächsisch und eben auch Romanes – die Sprache der Sinti und Roma. Daniel ist einundzwanzig Jahre alt, seine Worte wählt er mit Bedacht. Er nennt sich Sinto der „vierten Generation“ – eine Zeitrechnung, die mit dem Albtraum von Auschwitz beginnt. 500.000 europäische Sinti und Roma wurden deportiert und ermordet, ihre Verfolgung wurde nach dem Krieg ignoriert. Daniels Urgroßmutter trägt die tätowierte Nummer auf dem Arm, seine Oma wuchs mit dem Trauma ihrer Mutter auf. Es lässt sie bis heute nicht los.
Daniel hingegen kämpft mit anderen Geistern: gegen das Klischee des „typischen Zigeuners“, der stiehlt, bettelt und betrügt, und gegen seine Angst, so abgestempelt zu werden. Dabei wissen viele Menschen nicht mal, was es bedeutet, Sinti zu sein. Continue reading Hausbesuch bei Sinti-Familien: Mit Hornhaut auf der Seele
Category Archives: Deutschland
Vorurteile gegen Roma: „Diskriminieren, wo es geht“
Das Bild von den armen, arbeitssuchenden Rumänen, die massenhaft in Berlin einreisen, ist antiziganistisch, sagt Marius Krauss vom Verein Amaro Foro.
taz: Herr Krauss, Ihr Verein Amaro Foro demonstriert am Freitag gegen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Warum?
Marius Krauss: Friedrich macht seit Monaten Stimmung gegen Rumänen und Bulgaren sowie gegen Asylsuchende aus den Balkanländern, insbesondere gegen Roma. Er fordert etwa ein „Schnellverfahren“ für Roma, die Asyl beantragen. Aber ein Recht muss für alle gleichermaßen gelten. Leben wir in einem Rechtsstaat oder nicht?
Er meint wohl, die Mehrheit der Deutschen denkt wie er.
Das glaube ich zwar nicht. Aber es stimmt, dass antiziganistische Stimmungen in der Bevölerung stark vorherrschen. Und Friedrich spielt mit der Angst der Leute nach dem Motto: Uns geht es schlecht, und jetzt kommen auch noch die und nehmen uns was weg. Dieser Rechtsruck passiert gerade europaweit.
Aber ist die Angst nicht verständlich? Wenn man durch Berlin läuft, sieht man immer mehr bettelnde Roma.
Gegenfrage: Woher wissen Sie, dass das Roma sind?
Stimmt, ich denke das nur. Sie sehen so aus, wie man sich Roma vorstellt.
Unter den Bettlern sind viele, die keinen Roma-Hintergrund haben. Sie werden nur dazu gemacht: Das Betteln wird zu einer Roma-Eigenschaft gemacht, Armut wird dazu gemacht, Diebstahl ebenso. Außerdem: So viele sind es ja auch nicht, die herkommen. Es gibt in Berlin vielleicht 7.000 Rumänen und etwa doppelt so viele Bulgaren. Und wie überall in Europa sind von diesen Migranten etwa zehn Prozent Roma, mehr nicht. Man tut immer so, als kämen sie in Massen – aber das stimmt nicht.
Wieso ziehen eigentlich so viele Rumänen nach Neukölln?
In Neukölln gibt es einen ganz speziellen Fall: Hierher zogen mit der Zeit 1.500 Menschen aus demselben rumänischen Dorf namens Fontanelle. Sie sind der Grund, warum man über den angeblichen Massenzuzug nach Neukölln redet. Außerdem fallen sie auf, sie tragen Kopftuch und viele Röcke und haben viele Kinder. Was niemand sagt: Sie gehören zu den evangelikalen Pfingstlern und dürfen nicht verhüten. Aber weil sie auch Roma sind, ist für die meisten die Sache klar: Roma und viele Kinder gehört ja zusammen. Das passt perfekt zum antiziganistischen Bild. Die anderen Roma, die es auch gibt, erkennt man gar nicht als solche.
Die Neuköllner Stadträtin Franziska Giffey (SPD) hat vor kurzem gesagt, ihr Bezirk stoße an seine Grenzen. Es gebe eine Schule, in der ein Viertel der Schüler aus Rumänien stamme.
Da kann ich nur raten, die Kinder auf mehrere Schulen zu verteilen. Dieses ganze Prinzip mit den so genannten Willkommensklassen, in denen nur Kinder aus einer Region oder einer Ethnie zusammensitzen – manchmal für mehrere Jahre –, ist fragwürdig. Das nennt sich Segregation und ist eigentlich verboten.
Sie sitzen mit Ihrer Beratungsstelle auch in Neukölln. Welche Probleme haben die Menschen, die zu Ihnen kommen?
Die Themen ändern sich. Als wir angefangen haben vor vier Jahren, ging es in der Beratung viel um das EU-Freizügigkeitsgesetz. Fälschlicherweise hieß es ja oft, etwa von Herrn Friedrich, Rumänen und Bulgaren dürften nur drei Monate in Deutschland bleiben. Bei den Ämtern verhielt man sich entsprechend. Diese Barrieren mussten wir erstmal abbauen. Dann ging es viel um Arbeit: Wie finde ich überhaupt welche, wie kann ich mir über Freiberuflichkeit oder einen künstlerischen Beruf etwas aufbauen?
Und heute?
Es kommen zum Beispiel Leute, denen eine Hausverwaltung sagt: Nein, an Rumänen vermieten wir nicht, das sind eh „Zigeuner“. Die nehmen kein Blatt vor den Mund. Bei Ämtern sind sie etwas vorsichtiger mit ihrer Wortwahl, aber ansonsten diskriminieren sie, wo es geht. Also, die Beschwerden über Antiziganismus nehmen zu. Dieses Problem muss endlich angepackt werden. Denn es ist die Wurzel aller Benachteiligungen und sozialer Ausgrenzungen.
Quelle: taz.de
Stand: 24.10.2013
Armut in Berlin: Zwischen Görlitzer Park und Kotti
Nachts schläft Olanda Grigore mit ihrer Familie im Zelt. Am Tag putzt sie Autoscheiben. Viel von Berlin kennt sie nicht. Aber sie hofft auf Arbeit – und einen Schulbesuch.
Olanda ist schüchtern, wenn man sie anspricht, lächelt aber vertrauensvoll, wenn sie Rumänisch hört. Ihr Blick ist müde, die Finger sind etwas geschwollen, das Haar ist lang, war einmal kastanienbraun gefärbt, man kann noch Restfarbe an den Spitzen entdecken. Olanda redet nicht lange, sie hat keine Zeit und keine Antwort auf die Frage, ob es ihr in Berlin gefällt, nur ein flüchtiges Schulterzucken. Schon ist sie zurück auf der Straße.
Die 14-Jährige lehnt sich an der Kottbusser Straße auf die Haube eines Autos, beginnt es zu waschen und spricht die Autofahrer auf Rumänisch an: „Lasa-ma sa spal, da-mi si mie un euro, bitte.“ – „Lass mich waschen, schenk mir auch einen Euro, bitte.“ Die Reaktion der Fahrer ist unterschiedlich: verblüfft, genervt, neugierig, gelassen. Viele reagieren zu spät: Bevor sie mit einem Kopfschütteln oder dem Zeigefinger ein Zeichen geben können, dass sie ihre Autoscheibe nicht gewaschen haben wollen, hat Olanda schon längst Wasser draufgespritzt.
Wenn die Ampel Grün zeigt, kommt sie zurück auf den grünen Mittelstreifen, beantwortet der Journalistin ein paar Fragen und ist schnell wieder weg. Denn Zeit ist Geld: An guten Tagen verdienen sie und ihre Geschwister zusammen 5 bis 10 Euro. An schlechten sind es 3 bis 5 Euro. Continue reading Armut in Berlin: Zwischen Görlitzer Park und Kotti
Anschlag auf Sinti und Roma-Zentrum
In Oldenburg wurde ein Brandanschlag auf ein Kulturzentrum für Sinti und Roma verübt. Der Verein berichtet von Drohungen eines Neonazis.
Auf ein Kulturzentrum für Sinti und Roma in Oldenburg ist in der Nacht zu Montag ein Brandanschlag verübt worden. Unbekannte zündeten die Fußmatte vor der Eingangstür mit Brandbeschleunigern an. Gemeldet worden ist das Feuer gegen zwei Uhr nachts – ein Bäcker, der seine Arbeit begann, soll es zufällig entdeckt haben.
Wenig später sei das Feuer von allein wieder erloschen, ohne dass die Feuerwehr eingreifen musste. Fotos zeigen starke Rußspuren im Eingangsbereich des Kulturzentrums, das im Oldenburger Stadtteil Kreyenbrück liegt. Der Türrahmen wurde angesengt und die Lackierung ist von der Hitze geplatzt. Die Höhe des Schadens konnte die Polizei nicht beziffern. Menschen wurden nicht verletzt.
Noch in der Nacht kontrollierte die Polizei einen 25-jährigen Verdächtigen in der Nähe des Tatorts. Noch sei unklar, ob der Mann mit der Brandstiftung in Verbindung steht, sagte Polizeisprecher Mathias Kutzner. Zu Tatmotiven oder einer möglichen rechtsextremen Einstellung des Verdächtigen wollte er keine Angaben machen. Allerdings gebe es für die Polizei „zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund“. Continue reading Anschlag auf Sinti und Roma-Zentrum
Antiziganismusvortrag und Jam Session
Am Dienstag, den 29. Oktober wird in der Wagenburgkneipe ein Vortrag zum Thema Antiziganismus gehalten. Der Vortrag beginnt um 20 Uhr. Deswegen macht die Kneipe an diesem Tag schon um 19 Uhr auf und heißt seine Gäste willkommen.
Im Anschluß gibt es noch eine nette Jam Session. Es werden zwar ein paar Instrumente schon dort sein, bringt aber doch auch eigene Instrumente mit. Wie immer gibt es dazu lecker Essen und Getränke. Also laßt euch nicht lumpen und schaut mal vorbei.
Wagenburgkneipe, Eisenhutstraße 66Antiziganismus gestern und heute
Als Antiziganismus wird im deutschsprachigen Raum die Feindschaft gegenüber und die Klischees über die Bevölkerungsgruppe der Sinti und der Roma bezeichnet. Unter Antiziganismus ist aber nicht nur der Hass auf die Bevölkerungsgruppe zu verstehen, sondern auch die scheinbar „positiven“ Vorurteile. Doch diese „Zigeuner“-Bilder sind nur die andere Seite der antiziganistischen Medaille.
Diese Variante des Rassismus hat eine lange Tradition und führte im Nationalsozialismus zur Ermordung von schätzungsweise 500.000 Sinti und Roma.
Bis heute ist in Deutschland Antiziganismus immer noch weit verbreitet. Auf den Schulhöfen oder in den Fußballstadien ist „Zigeuner“ ein gebräuchliches Schimpfwort.
Auch schüren Politiker*innen und Medien häufig Vorurteile oder machen mit Antiziganismus rechtspopulistische Politik.
Der Vortrag widmet sich den verschiedenen Facetten des Antiziganismus und soll auch Raum für Fragen bieten. Der Referent Lucius Teidelbaum betreibt zusammen mit einem Freund den Antiziganismus-Watchblog „antizig.blogsport.de“.
Quelle: TüInfo
Stand: 21.10.2013
„Friedrich es Reicht! Schluss mit der rassistischen Hetze“
Friedrich, es reicht! Schluss mit der rassistischen Hetze gegen Menschen aus Rumänien, Bulgarien und Asylsuchende! Wir fordern Solidarität insbesondere mit Roma! Kommt alle zur Demo am 25.10.2013 – 12:00 Uhr Treff und Startpunkt an Sinti und Roma Denkmal sowie Kundgebung 14:30 Uhr vor dem Bundesinnenministerium!
Bundesinnenminister Friedrich macht in den Medien zum wiederholten Male Stimmung gegen rumänische, bulgarische Einwander_innen sowie Asylsuchende aus den Balkanländern, insbesondere gegen Roma. Er fordert die Europäische Union auf, die EU-interne Abschiebung zu ermöglichen und betont, dass es die Einwanderer_innen vor allem auf deutsche Sozialleistungen abgesehen hätten. Für Asylsuchende aus den Balkanländern hat er ein Schnellverfahren eingeführt.
Wir sind empört über diese rassistische Verleumdungskampagne gegen eine – überall in Europa – massiv ausgegrenzte und benachteiligte Gruppe. Immer wieder ist darauf hingewiesen worden, dass Friedrich nicht nur mit falschen Zahlen und Fakten argumentiert und sogar ungehemmt Statistiken vorlegt, die seine Behauptungen überhaupt nicht belegen, sondern vor allem in höchst populistischer Weise Ängste und rassistische Ressentiments der herkunftsdeutschen Bevölkerung schürt. Er baut eine absurde Drohkulisse auf und ermutigt so zur Ausgrenzung, Diskriminierung und Bedrohung einer ethnischen Gruppe, der in Deutschland ohnehin schon mit Feindseligkeit und Gewalt begegnet wird. Leider zeigt sich Friedrich völlig resistent gegen besseres Wissen und sachliche Argumente.
EU-Bürger_innen aus Rumänien und Bulgarien beziehen in Deutschland in der Regel keine Sozialleistungen, weil sie diese von deutschen Behörden überhaupt nicht bewilligt bekommen. Dies steht in absolutem Widerspruch zum europäischen Recht und ist schon vielfach kritisiert worden. Oft sind EU Bürger_innen aus Rumänien und Bulgarien (insbesondere der Roma-Minderheit) gezwungen, aufgrund der eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit als Selbstständige unter prekärsten Bedingungen zu arbeiten. Sie sind Opfer von Lohndumping, genießen keinerlei arbeitsrechtlichen Schutz und auch keine Absicherung durch Sozialversicherungen. Profiteur ist dabei einzig und allein die deutsche Wirtschaft, die im Sinne der Profitmaximierung massiv Gebrauch von dieser Möglichkeit zur Prekarisierung und Ausbeutung macht. Wer schmarotzt hier von wem?
Betroffen sind von dieser Situation nicht nur Roma, aber auf denen scheint Friedrich am liebsten rumzutrampeln. Und mit ihm die deutsche Mehrheitsgesellschaft.
Anker Wir haben genug. Friedrichs Hetztiraden erfüllen uns mit Ekel und Scham. Wir möchten ein Zeichen setzen für ein solidarisches Miteinander aller Menschen in Berlin und in Deutschland und Europa, gegen Rassismus, Ausbeutung, Ausgrenzung und Gewalt. Wir fordern eine gerechte Asylverfahrensprüfung für alle Menschen die in Deutschland Asyl suchen und kein Schnellverfahren. Wir heißen alle Roma in Deutschland willkommen und setzen Friedrich ein deutliches „Es reicht!“ entgegen. Am 25.10.2013 um 12:00 Uhr Starten wir am Sinti und Roma Denkmal und um 14:30 Uhr werden wir Friedrich mit einer Demonstration vor dem Bundesinnenministerium zeigen, dass für seinen Rassismus kein Platz ist in Deutschland und überall. Kommt alle und seid laut, seid bunt, seid kreativ!
Quelle: Amaro Foro. e.V.
Stand: 21.10.2013
Duisburger Zustände aufmischen!
Stellungnahme des Antifa AK Köln zum Brandanschlag in Duisburg-Hochheide
In der Nacht zum 10.Oktober hat ein Feuer in einem ausschließlich Roma bewohnten Wohnhaus in Duisburg-Hochhausen zu zahlreichen Verletzungen geführt. Die aus dem Schlaf gerissenen 42 Bewohner_innen konnten schlimmerem entgehen, weil sie sich auf das Häuserdach retteten. Die Polizei Duisburg kann nach ersten Ermittlungen nicht mehr leugnen, dass das Feuer gelegt worden ist. Wir sprechen allen Bewohner_innen unser Mitgefühl für dieses traumatische Erlebnis aus.Diese Meldung reiht sich ein in eine langjährige Tradition in Duisburg. Eine Tradition zutiefst antiziganistischer und rassistischer Hetze eines wiederentdeckten reaktionären Bürgermobs.
Dass Geflüchtete hier nicht willkommen sind, drückt sich noch viel zugespitzter aus. Das zeigt das junge Phänomen aus Duisburg oder Berlin-Hellersdorf der von organisierten Neonazis und Rechtspopulist_innen begleiteten rassistischen Bürgerversammlungen, die nicht nur geistig gegen die „Fremden“ Brände stiften. Bestimmte Unterkünfte für Geflüchtete sind tagtäglich bedroht; sie werden regelmäßig beleidigt, bedroht, auf den Häuserwänden finden sich Parolen wieder, die an die Tage vor den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen erinnern. Diese Analogie wird im Internet nicht nur befeuert, sondern einer Wiederholung der Geschichte wird regelrecht herbeigesehnt: Auf Facebook wird mittlerweile offen gefordert, die Häuser der Roma anzuzünden.
Die Polizei ist zwar anwesend, doch außer ein paar Alibi-Festnahmen unternimmt sie nicht viel. Kein Wunder, bieten deutsche Institutionen doch den Nährboden solcher Zustände. Seit Jahren skandalisieren antirassistische Initiativen die menschenunwürdigen Zustände in deutschen Unterkünften für Geflüchtete. Dank der selbstorganisierten Refugee-Proteste der letzten Jahre rückt dieses Thema zumindest wieder stark in die Öffentlichkeit; Sprachrohr sind dabei nicht irgendwelche Lokal- oder Kommunalpolitiker_innen, die stellvertretend die Geflüchteten mundtot machen und als Lippenbekenntnisse selten mehr gebacken bekommen, sondern die Betroffenen selbst. Spätestens die Aufdeckung der skandalösen Verwicklungen deutscher Geheimdienste und die mediale Aufarbeitung in Sachen NSU verdeutlicht, dass deutsche Institutionen an der mörderischen rassistischen Mobilisierung mindestens aktiv beteiligt sind. Die antirassistische und antifaschistische Demonstrationsparole „Nazis morden, der Staat schiebt ab – das ist das gleiche Rassisten-Pack!“ bewahrheitet sich selten so sehr wie im Herbst 2013.
Der Rassismus der Anwohner_innen von Duisburg-Hochheide ist kein Zufall. Er ist das Resultat einer Gesellschaftsform, die Menschen nur als verwert- und vernutzbare Quelle von Arbeitskraft kennt. Einer Gesellschaftsform, für die Menschen, die vor Krieg, vor Hunger, und vor Verfolgung flüchten, nur Überflüssige sind. Für die Bewohner_innen der stärksten Wirtschaftsstandorte sind die geflüchteten Menschen Projektionsfläche für das, was sie sich durch die Arbeitsschinderei selbst versagen mussten und deshalb hasserfüllt gewendet in der Vorstellung des „Anderen“ ausmachen. Sie erblicken in ihnen „Faulenzer“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“. Doch Menschen fliehen, weil sie in ihrer Heimat keine Chance hatten, weil ihre Nationen im globalen Monopoly die Verlierer_innen sind. Die BRD hingegen gilt mit seinem Status als „Krisengewinner“ als besonders sicherer und damit beliebter Zufluchtsort. Seit der Euro-Krise und dem von der Regierung Merkel als „Rettung“ beschönigten unerträglichen Sozialkahlschlag in der europäischen „Peripherie“ sind neben Menschen aus Afrika und Asien auch zunehmend Europäer_innen in der Bundesrepublik auf der Suche nach einem besseren Leben. Doch willkommen sind sie hier nicht. Das sagen die europäischen Innenminster_innen so ganz direkt auf sämtlichen Konferenzen zur Flüchtlingspolitik. Deutschland stellt eine Speerspitze dar, mit jedem weiteren gekenterten Schiff vor Lampedusa wollen hier Hardliner_innen wie Innenminster Friedrich die Mauern der „Festung Europa“ direkt noch höher bauen und das Meer noch schärfer überwachen lassen.
In Zeiten, wo sich das Kapital schon längst grenzen- und schrankenlos bewegen kann, gilt dies für Menschen noch lange nicht. Die Bundesrepublik, die sich insbesondere durch Exporte und damit durch Zugriff auf andere nationale Ökonomien bereichert duldet keine Geflüchteten, deren Heimatländer sie maßgeblich mit in den Ruin treibt. Aus der gnadenlosen kapitalistischen Konkurrenz entwickelt sich ein Denken, dass jedes Leben nach Verwertbarkeit und Herkunft sortiert.
Es ist noch nicht bewiesen, dass der Brandanschlag von Duisburg-Hochheide aus der breiten rassistischen Atmosphäre in Duisburg heraus verübt worden ist. Die Polizei impliziert in ihren Aussagen, dass die Bewohner_innen des Hauses sich vielleicht doch selbst angezündet haben, weil „Derzeit […] keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund“ vorliegen würden. So etwas zeigt, dass trotz Lichtenhagen und NSU die deutschen Behörden auf dem rechten Auge blind sind und noch immer zuerst die Betroffenen selbst verdächtigten, wie sie es nach dem NSU-Anschlag in Köln-Mülheim jahrelang praktiziert haben. Was auch immer die Ermittlungen der Polizei zu Tage fördern oder auch nicht: um den rassistischen Normalvollzug im Fall des Häuserbrandes von Duisburg zu finden, braucht man keinen nationalsozialistischen Brandstifter. Es bleibt dabei: diese Gesellschaft – und nicht nur ein „vermeintlicher extremer Rand“ – ist durch und durch rassistisch.
Quelle: Indymedia
Stand: 11.10.2013
Sinti und Roma loben Reaktion der Stadt
„Wir werfen nicht auf Zuruf Einzelner eine hundertjährige Tradition über Bord“, sagt ein Sprecher des Verbands kulinarischer Lebensmittel. Die gesellschaftliche Diskussion werde zwar sehr genau beobachtet. Bisher sehe man aber keinen Grund für eine Umbenennung. Die meisten Menschen würden mit dem Begriff „Zigeunersoße“ schließlich etwas Positives verbinden.
Auch der Hotel- und Gaststättenverband hält den Begriff „Zigeuner“ für unproblematisch. Er stünde für pikantes Essen – und damit für Lebensfreude. Wenn Menschen sich diskriminiert fühlen, werde man das „natürlich ernst nehmen“. Aber die Suche nach Alternativen sei eben nicht einfach. Lebensmittelbezeichnungen sollen dem Kunden schnelle Orientierung bieten, damit der es sich nicht kurzfristig noch anders überlegt.
Thomas Volk, 50, Küchenchef der Rathauskantine Hannover, hat nun jedenfalls sein „Zigeunerschnitzel“ zum „Balkanschnitzel“ umgetauft. „Nun ist das Gericht regional verankert und niemand muss sich mehr angegriffen fühlen“, erklärt er. „Wir kochen hier schließlich im öffentlichen Dienst und der ist für alle Bürger da.“ Dass die Sprachkritik auch seine Küche erreicht hat, hält er für ein gutes Zeichen. „Nur, weil Begriffe wie Zigeuner vor 50 Jahren in Ordnung waren, müssen sie es ja heute nicht mehr sein“, sagt der politisch korrekte Küchenmeister.
Der Vorsitzende des Forums der Sinti und Roma in Hannover, Regardo Rose, lobte die Reaktion der Stadt: „Das ist wirklich eine gute Nachricht und zumindest schon mal ein kleiner Erfolg.“ Für Küchenchef Volk spielt das Zigeunerschnitzel ohnehin keine große Rolle: „Bei den Fleischgerichten ist die Currywurst der Dauerbrenner.“ Aber mehr als fünfzig Prozent der Gäste in der Rathauskantine Hannover wählten mittlerweile ohnehin lieber ein rein vegetarisches Gericht.
Quelle: Süddeutsche
Stand: 08.10.2013
Sprachkritik an Traditionsessen: Hannover verbannt das Zigeunerschnitzel
Als erste Stadt Deutschlands benennt Hannover ein Traditionsessen um: Das „Zigeunerschnitzel“ fliegt von den Speisekarten aller kommunalen Einrichtungen. Doch die Debatte um die politisch korrekte Bezeichnung von Mahlzeiten geht weiter.
Es ist ein Klassiker in Imbissbuden und Kantinen, in Landgaststätten und Großküchen: das „Zigeunerschnitzel“. Paniertes Fleisch, kurz gebraten, das in roter Soße, einem Gemisch aus Paprika, Zwiebeln, Tomaten, Champignons und scharfen Gewürzen, schwimmt.
Von den Speisekarten der Stadt Hannover ist das „Zigeunerschnitzel“ verschwunden. Und das nicht wegen des streitbaren Geschmacks, sondern wegen des Namens. Die niedersächsische Landeshauptstadt hat den Begriff „Zigeuner“ offiziell aus ihren kommunalen Einrichtungen verbannt. Als erste Stadt Deutschlands.
Damit reagiert sie auch auf die Forderung des Forums der Sinti und Roma in Hannover, die Mitte August die Hersteller von „Zigeunersoßen“ aufgefordert hatten, diese umzubenennen, weil der Begriff diskriminierend sei. Seitdem wird mal wieder gestritten, ob der Begriff „Zigeuner“ als Name eines Lebensmittels rassistisch ist oder nicht.
„Zigeunersauce“ wird vorerst bleiben
Seinen Namen hat das Schnitzel übrigens von der „Zigeunersauce“, die seit 1903 in Auguste Escoffiers „Guide culinaire“ belegt ist. Vom österreichisch-ungarischen Kaiserreich hatte sich das Essen einst über Europa ausgebreitet.
Der „Negerkuss“ ist schon lange in keinem deutschen Supermarktregal mehr zu finden. Die „Zigeunersoße“ aber wird wohl vorerst bleiben. Denn während die Stadt Hannover auf die Betroffenen reagierte, sträubt sich sowohl der Verband der Hersteller kulinarischer Lebensmittel, als auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, die bisherige Begriffspolitik zu überdenken.
Quelle: Süddeutsche
Stand: 08.10.2013
Verband Deutscher Sinti und Roma beantwortet NPD – Werbung mit Plakataktion
Zivilgesellschaftliche Institutionen, Städte und Kommunen erklären ihre Solidarität mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma. Ein sichtbares Signal des Schulterschlusses ist jetzt ein gemeinsames Plakat, welches noch vor der Bundestagswahl gegen Ausgrenzung und Rassismus aufruft. Die Amadeu Antonio Stiftung fördert die Kampagne.
»100% Made in Germany – Gegen Ausgrenzung und Rassismus« Das ist die Botschaft, die der Verband Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Schleswig-Holstein mithilfe von Unterstützern und Förderern in Form einer Plakataktion in Schleswig-Holstein den Bürgerinnen und Bürgern näherbringen will. »100% Made in Germany«, weil es das ist, was deutsche Sinti und Roma, unter Wahrung ihrer Identität, empfinden. Ein Teil der Gesellschaft zu sein, der hier geboren wurde oder angekommen ist, der hier ausgebildet wurde oder der durch seine Qualifikationen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die volkswirtschaftliche Entwicklung unterstützt, der durch das Einbringen der eigenen Kultur die politische und gesellschaftspolitische Vielfalt in Deutschland mitgestaltet.
»100% Made in Germany«, weil die deutschen Sinti und Roma dieses Land lieben, sich hier zu Hause fühlen und der Meinung sind, dass es in dieser, unserer Gesellschaft keinen Platz für Rassismus, Ausgrenzung und Fremdenhass geben darf. geschürt wird diese rassistische Grundstimmung durch Rechtsextreme Parteien wie der NPD, die im Bundestagswahlkampf voll auf antiziganistische Haltungen in der GEsellschaft setzte. Auf einem der Plakate hieß es beispielsweise „Geld für die Oma – statt für Sinti und Roma“.
Und die Gesellschaft antwortet: Viele Institutionen, Stiftungen Vereine und Verbände haben sich spontan mit den in Deutschland lebenden Sinti und Roma solidarisch erklärt und die menschenverachtenden Aussagen der NPD auf das Schärfste verurteilt. Auch sämtliche demokratische Parteien haben hierzu klar Position bezogen. Aber auch einzelne Bürgerinnen und Bürger haben sich zu Wort gemeldet: »Ich möchte mich bei allen Sinti und Roma dafür entschuldigen und Sie um Verzeihung bitten. Ich schäme mich!« Zuschriften wie diese machen Mut und zeigen, dass sich die Mehrheitsbevölkerung nicht von rechtsradikaler Propaganda instrumentalisieren lässt.
Als sichtbares Zeichen wird der Landesverband dieses Plakat noch vor der Bundestagswahl in den Straßen verschiedener schleswig-holsteinischer Städte aufhängen lassen. Es ist als Aufruf zu verstehen, am 22. September 2013 keinen rechtsradikalen Parteien Tür und Tor zu öffnen – und sei es nur dadurch, dass man überhaupt zur Wahl geht. Ein weiteres Plakat, ohne Wahlaufruf, wird unter anderem an Schulen, kommunale Einrichtungen und Jugendzentren verteilt werden.
Quelle: Amadeu Antonio Stiftung
Stand: 08.10.2013