Das Thema „Flüchtlinge“ ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Ob am Arbeitsplatz, in der Schule, am Stammtisch oder in allen Medien – das beherrschende Thema dieser Zeit sind die Menschen, die nach Europa kommen. Doch selten geht es in den Gesprächen oder Nachrichten um die Ursachen und Hintergründe für diese Fluchtbewegungen, sondern allein um den Fakt, dass diese Menschen zu „uns“ kommen, „hier“ versorgt werden müssen und „unser“ Geld kosten. Es ist 2015 und auf dem Weg nach Europa, auf der Flucht vor Krieg, Terror und Armut sterben zehntausende Menschen. Das europäische Grenzregime lässt Zäune an den Außengrenzen aufstellen, um sich zu „schützen“, in Österreich ersticken zig Menschen in einem zugeschweißten LKW und in Ungarn müssen Tausende Geflüchtete unter unwürdigen Bedingungen bei Wind und Wetter vor dem Ostbahnhof Budapests ausharren, weil ihnen die Weiterreise verwährt wurde.
Auch nach Mecklenburg Vorpommern gelangen Geflüchtete. Laut einer neuesten Studie steht das Bundesland an zweiter Stelle der „ängstlichsten“ Bundesländer Deutschlands. In M-V haben 72% der Befragten Angst vor „Spannungen durch Zuzug von Auländern“ und 69% vor einer „Überforderung von Behörden/Bürgen durch Asylbewerber“. Dieser Trend setzt sich vorallem in den ostdeutschen Bundesländern fort. Das ist nicht verwunderlich, sind es doch oft die Flächenländer, in denen es oft, im Gegensatz zu Ballungszentren wie Berlin oder Hamburg, kaum realen Kontakt zu geflüchteten Menschen gibt. Ein Kennenlernen und Verstehen der Gründe für Flucht und Vertreibung ist damit oft nicht möglich. Zudem schüren NPD, „besorgte Bürger“ und andere rassistischen Gruppen diese Ängste mit Ressentiments und verdrehen Fakten. Diese entbehren jeglicher Grundlange, wie die Gruppe „Pro Asyl“ hier aufschlüsselt.
Hetze, Fremdenfeindlichkeit und Deutschtümlerei sind auch in Burg Stargard kein Fremdwort. Nach dem Bekanntwerden, dass vorübergehend ca. 30 geflüchteten Menschen in Burg Stargard untergebracht werden, formierte sich in der lokalen NPD-Struktur prompt „Widerstand“. Bei einer Kundgebung am 21.08.2015, auf dem Burg Stargarder Marktplatz trafen sich knapp 40 Rassisten. Als Redner für die angereisten Kameradschaftler und vermeintlichen „Kritiker“ stellte sich neben Hannes Welchar (Infos zur Person bei Indymedia und der taz) auch der ortsansäßige NPDler Norman Runge (Infos zur Person bei Indymedia und dem Nordkurier) zur Verfügung.
Doch es blieb ihnen nicht vergönnt ungestört ihre Parolen zu verbreiten – viele Refugee-Supporter_innen artikulierten lautstark ihren Protest gegen die NPD-Veranstaltung. Um ihrem Frust über Gegenwind Luft zu machen, versuchten die Neonazis und Rassisten die Gegendemonstrant_innen anzugreifen – am Rande der NPD-Kundgebung wurde ein Aktivist von einem Teilnehmer der NPD Veranstaltung absichtlich mit einem Auto angefahren, eine Frau wurde mehrfach getreten.
Statt sich zu provozieren und sich die Beine auf dem Marktplatz in den Bauch zu stehen, luden Aktivist_innen vom zeitgleich stattfindenden Alternativen Jugendecamp (AJUCA) die in Burg Stargard untergrachten Geflüchteten zum Fußballturnier und Essen ein – der Pressebericht.
Tagsdarauf sollte im Rahmen eines Aktionstages eine angemeldete Kundgebung des AJUCAs unter dem Motto “Gegen Alltagsrassismus, für eine Willkommenskultur in Burg Stargard” gemeinsam mit den Geflüchteten vor Ort stattfinden. Diese musste jedoch vorzeitig zur Sicherheit der Teilnehmenden abgebrochen werden. Örtliche Neonazis, mit Steinen und Flaschen bewaffnet, griffen die überwiegen jugendlichen Teilnehmenden an. Einen ausführlichen Bericht dazu gibt es auf Kombinat Fortschritt oder dem ZEIT-Blog Störungsmelder und in der Pressemitteilung des Camps. Die örtliche Polizei gibt indes vor, nichts davon mitbekommen zu haben und sieht dabei eher eine „Flüchtlingsproblematik“ – die Begrifflichkeit spricht für sich. Dieser Vorfall reiht sich in die gewaltätigen und rassistischen Übergriffe in ganz Deutschland ein.
Doch mit diesen Vorfällen leider nicht genug – wie nun bekannt wurde, sind vom NPDler Norman Runge wöchentliche bis Ende Oktober auf dem Burg Stargarder Marktplatz unter dem Motto “Für die Zukunft unserer Kinder!“ Kundgebungen angemeldet. Dass die vorrübergehend in Burg Stargard untergebrachten Geflüchteten seit Ende August 2015 in anderen Orten im Landkreis untergebracht wurden, ist für Runge und seine Gefolgsleute dabei nicht von Interesse. Vielmehr geht es darum, turnusmäßig ein Klima der Angst und Verunsicherung zu schaffen und die Parolen von sofortiger „Rückführung“ und deutscher Abschottung als Lösung des Problems zu verkaufen – der Wahlkampf zur Landtagswahl 2016 scheint damit eröffnet. Gleichermaßen hat die regionale Naziszene eine Gelegenheit, mal wieder aufzulaufen, während man sich in den vergangenen Jahren in Burg Stargard vor allem mit sich selbst und dem verteilen von Propaganda vergnügt hat.
Am Freitag, den 28.08.2015 versammelten sich erneut ca. 60 Neonazis auf dem Marktplatz. Neben den üblichen Gesichtern aus Burg Stargard und dem Umland reisten insbesondere aus dem Raum Waren NPD-Anhänger und Mitglieder rechter Kameradschaften an. Kaum jemandem der Passant_innen wurde klar, was der Haufen mit dem falsch geschriebenen Transparent überhaupt zu sagen hatte. Erst Gerüchte deuteten an, dass ein Burg Stargarder Neonazi aufgrund seiner Beteiligung beim Angriff auf die Teilnehmer_innen des AJUCAs suspendiert worden wäre.
100 Gegendemonstrant_innen störten inklusive Trommelgruppe und Chor die Kundgebung. Nicht nur die Teilnehmer_innen der Gegenveranstaltung lieferten deutliche Signale der Ablehnung in Richtung Nazis, auch die Kirche machte mit, als Zeichen des Protestes läutete die Glocke am Marktplatz für ca. 20 Minuten. Zeitgleich verbrachten zahlreiche Aktivist_innen den Abend gemeinsam mit den geflüchteten Menschen in der Jugendherberge am Lagerfeuer. So wurde der Kontakt intensiviert und sich besser kennen gelernt. Nach einer Stunde packten die Rassisten zusammen und gingen in eine Kneipe – der lokalen Szenetreffpunkt – die sich in der Nähe der Jugendherberge befindet, in der die Geflüchteten untergebracht waren.
Die bis dato dritte Veranstaltung der Neonazis am Freitag, den 04.09.2015 lief ähnlich ab wie die in der Woche zuvor. Dieses mal waren es im Vergleich zur Vorwoche mit ca. 40 Leuten deutlich weniger Nazis, allerdings mit Unterstützung aus Neubrandenburg, aus Friedland sowie dem Lautsprecherwagen der Landes-NPD, der die Rosenstadt mit rechter Liedermachermusik beschallte. Der Gegenprotest aus ca. 70 Menschen versuchte mit Sprechchören und Trommeln die Rede, die der Burg Stargarder NPDler Norman Runge hielt, zu stören. Erneut bauten die Nazis nach einer Stunde wieder ab, doch im Gegensatz zur Vorwoche wurde noch deutlicher, dass sich die rechte Szene der Region in Burg Stargard versammelt und zusammen zu raufen versucht.
Viele könnten sich Freitag Abend schönere Dinge vorstellen, als jede Woche aufs neue den NPDlern in Burg Stargard die Stirn zu bieten – aber gerade jetzt, in Zeiten, in denen randalierende Mobs in Heidenau als Asylkritiker verniedlicht, aggressive Nazis als Betrunkene runtergeredet und tagtäglich Unterkünfte und Einzelpersonen angegriffen werden, ist dies wichtiger denn je Menschen, die nicht ohne Grund ihre Heimat, ihr Haus, ihre Familien, ihre Freunde verlassen und sich todesmutig nach Deutschland und Europa durchkämpfen, benötigen Unterstützung und Schutz vor „Betrunkenen“, „Asylkritikern“ und Abschiebebehörden.
Egal, ob im Bus, im Café oder freitags auf dem Marktplatz – jede_r ist aufgerufen, sich Nazis und Rassisten immer dort, wo sie in Erscheinung treten, in den Weg zu stellen! Verteilt Flyer um Anwohner_innen über den braunen Spuk in ihrer Stadt aufzuklären. Lasst rassistische Kommentare auf dem Pausenhof, am Arbeitsplatz, an der Kasse oder am Abendbrotstisch nicht verhallen, sondern kontert mit Fakten. Es gibt keine Flüchtlingsproblematik, nur eine Rassismusproblematik!