CA-Prozess Bericht: C.

Im Sommer 2019 sind im Rahmen der Räumung der Insel einige Vorwürfe an Clemens Leder öffentlich geworden, die seine Position innerhalb der Insel, aber auch in der ganzen linken Szene sehr in Frage gestellt haben. Clemens selbst hat daraufhin erst in einer Mail, später in einem Gespräch, vorgeschlagen einen CA-Prozess zu beginnen, damit die Vorwürfe bearbeitet werden können. Ein CA-Prozess ist kein Gerichtsprozess, sondern soll einem Menschen, der sich übergriffig verhalten hat, helfen das eigene Verhalten kritisch zu analysieren und dann eine eigene Verhaltensänderung zu erreichen. Dabei soll die Perspektive der Betroffenen und die Wahrung ihrer Interessen beachtet werden. 
Da er den Wunsch wiederholt geäußert hat, haben wir eine Gruppe mit 3 Personen gegründet und einen CA-Prozess begonnen. Wir sind alle der Meinung gewesen, dass wir Menschen das Recht einräumen wollen, dass sie sich ändern können. Wir kannten Clemens alle auch persönlich und wollten ihm eine Chance geben sich zu verändern.
Wir haben am Anfang Texte durchgelesen, wie CA-Prozesse laufen könnten und uns dann für einen etwas eigenen Weg entschieden. So waren wir der Ansicht, dass wir eine absolute Definitionsmacht nicht umsetzen können, sondern nur mit Fällen arbeiten können, wo wir auch selbst den Übergriff dem Täter erklären könnten. Außerdem war es uns schwer möglich mit einer festen Betroffenen-Unterstützungsgruppe zu arbeiten, da es verschiedene Betroffene gab, welche nicht unbedingt miteinander arbeiten wollten.
Das Ziel blieb aber die ganze Zeit, eine Verhaltensänderung von Clemens zu erreichen, da wir diese von Anfang an als notwendig erachtet haben. Dies sollte durch einen Verstehensprozess erfolgen, den nur Clemens selbst erreichen kann.
Da es verschiedene Vorwürfe gab, welche teilweise auch sehr diffus waren, haben wir öffentlich dazu aufgerufen, uns Situationen zu schicken, in denen Clemens sich übergriffig verhalten hat. Insgesamt wurden uns 15 verschiedene Vorwürfe geschickt. Zu einzelnen Vorfällen gab es sogar Berichte von verschiedenen Personen.
Bei 2 Situationsbeschreibungen haben wir, nachdem wir nachgefragt haben, nicht genug Informationen bekommen, um die Art und Schwere des Übergriffs dem Täter verständlich zu machen.
Als Beispiel nehmen wir den Vorwurf, dass Clemens einmal (wir haben auch gefragt, ob es mehrmals oder systematisch passiert ist) in einer Diskussion das Wort wieder übernommen hat, ohne dass die Person schon fertig war (Sie hatte nur pausiert). Natürlich ist dies kein gutes Verhalten, in diesem Fall auch sexistisch und wenn dies systematisch vorkommt, hätten wir es auch behandelt, aber da es ihr nur einmal aufgefallen ist, fanden wir es schwierig darüber einen Prozess zu führen da es uns so nicht möglich schien, ihm die Übergriffigkeit des Verhaltens zu erklären. Im Nachhinein finden manche von uns, dass diese Situation dennoch gut gewesen wäre, um zum Beispiel gleichberechtigte Diskussionsregeln zu erklären. Der zweite Vorwurf ließ sich in mehrere Richtungen interpretieren und leider haben wir auf Nachfragen keine Antwort mehr bekommen. Ohne weitere Informationen konnten bzw. wollten wir diese beiden Vorwürfe nicht weiter bearbeiten.
Ein weiterer konkreter Vorwurf wurde (mit Einverständnis von Clemens) von einer anderen Person in der Insel mitgehört und diese Person hat dann spontan gesagt dass „sie es war, nicht Clemens”. Nach einer Rücksprache stellte sich heraus das die Person welche uns den Vorwurf geschickt hatte, gar nicht wusste, wer Clemens ist. Wir fanden dies im Prozess störend, da Clemens damit bei dem Gedanken unterstützt wurde, dass er für alles verantwortlich gemacht wird. Es ist möglich und verständlich, nach einem Aufruf wie wir ihn gemacht haben, innerhalb eines Ortes verschiedenes problematisches Verhalten einer Person zuzuordnen. Trotzdem bitten wir zu bedenken, dass es leider viele Übergriffe und problematische Verhaltensweisen in der Szene gibt, und sie nicht dadurch bearbeitet werden können, dass man sie einer Person überstülpt und sie damit aus der Welt sind. Problematische Verhaltensweisen müssen unserer Ansicht nach auch in anderen Prozessen als CA-Prozessen bearbeitet werden und wenn es Übergriffe gibt, sollte man diese den jeweiligen Täter:innen zuordnen. Wir denken aber, dass sehr viele Faktoren dazu beigetragen haben, dass es zu der Verwechslung kam.
Die anderen 12 Vorwürfe sind wir einzeln mit Clemens durchgegangen und haben versucht, ihm zu erklären, warum sein Verhalten falsch war und welche Auswirkungen dieses auf andere Menschen hat. Insgesamt gab es 11 Treffen (wobei wir einmal von Clemens versehentlich versetzt wurden), bei einigen wurden aber mehrere Vorwürfe gemeinsam besprochen. Einige andere Vorfälle hingegen wurden mehrfach angesprochen, weil sie Clemens auch besonders beschäftigt haben. Normalerweise waren wir als CA-Gruppe immer zu zweit, manchmal aber auch zu dritt oder alleine. Clemens hat alle Vorwürfe angehört und auch bei den Erklärungen zugehört und uns unsere Sicht (die wir teilweise von Betroffenen bekommen hatten) darstellen lassen.
In einigen wenigen Fällen hat Clemens bestritten, dass die Vorfälle überhaupt vorgefallen sind. Diese haben wir zurückgestellt in der Hoffnung sie dann bearbeiten zu können, wenn er bei anderen gelernt hat wie problematisch sein Verhalten ist. In den meisten Fällen hat er die Situationen in etwa bestätigt, jedoch nicht eingesehen, dass sein Verhalten falsch war. Nur in wenigen Situationen war er selbst der Meinung, dass er sich falsch verhalten hat, hat dies aber immer als „nicht soo schlimm” abgetan. Wir haben versucht, diese Situationen, in denen er selbst eingesehen hatte, dass sein Verhalten falsch war, mehr zu bearbeiten und ihm klar zu machen, was sein Verhalten für andere Personen bedeutet. Auf diese Weise wollten wir ihn zu der Einsicht bringen, dass er die Verantwortung dafür hatte, dass Menschen ihn auch in der Öffentlichkeit kritisieren und diese Kritik an sich berechtigt ist und somit auch die Folgen, die sich daraus für ihn ergeben.
Auch haben wir ihm anhand eines Falls zeigen können, dass er selbst Grenzen hat, die er bei anderen verletzt hatte. Insgesamt gab es gelegentliche Eingeständnisse, dass er sich dafür „mal entschuldigen müsste”. Dies ist jedoch, so weit wir wissen, nie passiert und es blieb auch das Gefühl, dass Clemens erwartete, mit der Entschuldigung sei die Sache wieder gut. Einwürfe von uns, dass dies nicht so einfach ist für die Betroffenen, hat er abgetan.
Unser Angebot und unsere Forderung das ganze auch durch Texte von anderen Betroffenen oder theoretische Texte oder Medien zu bearbeiten, hat Clemens mit dem Hinweis, dass diese Methode nichts für ihn sei, abgelehnt. Auch Betroffene teilten unsere Idee, das es vermutlich besser sei, erst einmal theoretische Texte zu Übergriffen zu lesen, um Verständnis zu erzeugen.
Auch ein Angebot, einen moderierten Chat oder Mailkontakt herzustellen, damit er so Kontakt zu den Menschen zu bekommt, die ihm Vorwürfe gemacht haben, hat Clemens abgelehnt. Er wollte entweder zumindest direkten unmoderierten Mailaustausch oder persönliche Treffen mit Betroffenen.
Mit Beginn der Corona-Epidemie, haben wir dann die persönlichen Treffen mit Clemens eingestellt und auch auf seinen Wunsch hin erst einmal mit Betroffenen geredet um herauszufinden, ob jemand bereit ist, direkt mit ihm zu reden. Er selbst war der Ansicht, dass wir vermutlich Vorwürfe falsch darstellen oder zumindest einige der Vorwürfe Missverständnisse seien, die durch ein persönliches Gespräch aus den Weg geschafft werden können. Wir haben dies zwar anders gesehen, aber da wir keinen weiteren Ansatz hatten, versucht dies umzusetzen.
Nach ersten Rücksprachen gab es dann eine Betroffene, die an sich bereit gewesen wäre direkt mit Clemens zu reden und ihn mit seinen Handeln zu konfrontieren. Aber mit stärker werdender Corona-Pandemie kam aus Sorge vor Ansteckung kein Treffen zu Stande. 
Gleichzeitig wurde Clemens Kommunikation gegenüber den Betroffenen immer unangenehmer und herabwürdigender (Bezeichnung der Vorwerfenden als „Hater”) und er führte sich mehr als Opfer auf, statt als Mensch, der sein Verhalten bedauerte. So mussten wir den Betroffenen mitteilen, dass wir Sorge haben, sein Verhalten bei einem solchen Treffen könne wieder übergriffig sein. Ihm selbst ging es immer mehr darum den Prozess endlich abzuschließen.
Parallel dazu hat er sogar das Eingeständnis, dass Verhaltensweisen von ihm problematisch waren, wieder zurückgenommen. Dazu kam, dass wir erfahren hatten, dass es weitere, neue problematische Verhaltensweisen gab, während der CA-Prozess lief. Den Wunsch, diese auch in den Prozess einzubeziehen, haben wir aber erst einmal abgelehnt, weil wir schon zu den Zeitpunkt sehr pessimistisch in den weiteren Prozess gesehen haben und ihn nicht noch erweitern konnten.
Letztendlich haben wir alles auf die eine Möglichkeit, die Clemens akzeptierte, gesetzt, dass eine direkt betroffene Person ihn konfrontiert und damit vielleicht eine letzte Chance besteht dass ein Umdenken einsetzt.
Wir haben uns überlegt, wie so ein Treffen gestaltet werden kann, dass es Clemens schwer macht wieder übergriffig zu werden. Die meisten Ideen dazu wurden aber von Clemens, der „Gleichberechtigung” auf einem Treffen forderte, abgelehnt. Clemens war nicht bereit auf Bedingungen einzugehen und spätestens Ende 2021 war niemand mehr bereit mit ihm zu reden. Daher haben wir den Prozess dann als gescheitert eingestuft.
Wir müssen selbstkritisch anmerken, dass wir zu viel Zeit auf Clemens verwendet haben. Wir haben bis zuletzt nicht heraus gefunden, ob Clemens nicht lernen wollte oder nicht lernen konnte. (Teilweise ließen seine Wiederholungen von Diskussionen darauf schließen, dass er sich Ergebnisse von Diskussionen nicht merken konnte oder wollte). Gerade, dass ganze Diskussionen sich fast wortgleich wiederholt haben, und das Ergebnis danach von Clemens wieder vergessen wurde, stellte uns vor nicht überwindbare Hindernisse.
Selbstkritisch müssen wir auch eingestehen dass wir, je schlechter die Treffen liefen, desto unmotivierter selbst wurden. Auch wenn Corona einen großen Anteil daran hatte, dass der Prozess kaum noch fortgesetzt wurde, hätten wir eigentlich selbst überlegen können, dass der Prozess zu dem Zeitpunkt schon als gescheitert angesehen werden müsste. Spätestens nachdem neue Ereignisse in der Tradition seiner vorherigen problematischen Verhaltensweisen zu sehen waren. Da er jedoch immer wieder Versprechungen gemacht hat sich zu ändern, haben wir sehr lange gehofft, doch noch den richtigen Ansatz dafür zu finden. Das heißt, wir haben einen Teil der Schuld für den fehlschlagenden Prozess bei uns selbst gesucht, was sicher nicht ganz falsch ist, aber den Prozess damit unnötig in die Länge gezogen, um Clemens nicht unrecht zu tun, was wiederum einige von uns als falsch und unfair gegenüber Betroffenen empfinden.

Als Resümee sind wir zu der Ansicht gelangt, dass in den Fällen der Übergriffe für Clemens nur Clemens Sichtweise relevant ist und jegliche andere Bedürfnisse von Betroffenen, die er nicht teilt nur Unverständnis bei ihm erzeugen. Nur bei Verhaltensweisen die ihn selbst auch stören, hat er eingesehen, dass sein Verhalten falsch gewesen sein könnte, jedoch diese Erkenntnis häufig nach wenigen Tagen wieder „vergessen”. Ein Verstehen oder Einfühlen in die Betroffenen war (außer zu Beginn des Prozesses und wir sind unsicher, ob dies nicht gespielt war) nicht zu erkennen.
Er stellt damit insbesondere für Personen, die sich in schutzbedürftigen Situationen befinden eine Gefahr dar, da er ihre Grenzen oft nicht beachtet, weil er sie für weniger wichtig als seine eigenen Interessen hält. Wir denken, dass es auch in Zukunft weiteres problematisches Verhalten geben wird und Clemens sich nicht ändern wird, weil er sein Verhalten auch nicht als problematisch wahrnimmt.
Die Zusammenarbeit von uns als CA-Gruppe hat auch eher schlecht funktioniert. Gerade mit dem Beginn der Corona-Pandemie, haben wir uns nur noch sehr unregelmäßig getroffen und den Prozess auch damit unnötig verlängert. Des weiteren haben wir definitiv zu wenig Rücksprache mit den Betroffenen gehalten, gerade in der Anfangszeit. Allerdings hat alleine die schiere Anzahl der Betroffenen es schwer gemacht die Wünsche der Betroffenen, die sich teilweise völlig widersprachen, zu beachten. Dies hat uns überfordert.
Wir haben nach mehr Gruppenmitgliedern gesucht, weil uns das entlastet hätte, aber leider haben sich keine weiteren gefunden. Diese ehrenamtliche  Arbeit zu dritt zu erledigen war sehr schwer. Wir bitten auch zu entschuldigen dass wir den CA-Prozess so lange nicht als gescheitert gesehen haben, da wir aufgrund Clemens ursprünglich formulierten Wunsches: „zu verstehen was er falsch gemacht hat”, zu lange gehofft hatten, ihn doch noch erreichen zu können. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass schon dieser Wunsch nur ein taktischer Wunsch war um sich selbst und die Insel aus der „Schusslinie” zu ziehen.
Solle jemand noch weitere Fragen haben, sind wir gerne bereit diese zu beantworten. Wir werden jedoch die Wünsche der Betroffenen, ihre Fälle nicht zu veröffentlichen nicht brechen, weswegen wir nicht über alle Fälle reden können. Daher haben wir auch die Mails und Kontaktdaten von Betroffenen gelöscht, die dies gewünscht haben.
Die meisten Vorwürfe sind dabei nicht justiziabel, beziehungsweise alleine aufgrund der Situation, dass es keine Zeugen gibt, nicht erfolgversprechend gerichtlich aufbereitbar (Aussage gegen Aussage z.B. in einem Fall von sexueller Belästigung). Um es gerade in Hinblick auf andere Fälle einordnen zu können, wollen wir auch klar stellen, dass es keinen Vorwurf gab, der als Verbrechen betrachtet werden würde.
Für weitere CA-Prozesse in anderen Fällen wünschen wir uns, dass Szeneangehörige sich vorher, ohne konkreten Anlass, mit dem Ablauf eines Prozesses und der Menge von Texten, die es gibt, auseinandersetzen. Wir wünschen uns dazu Lesekreise oder Workshops. Für Gruppen, die sich mit dem/ der Täter*in auseinandersetzen, ist es wichtig, nicht zu große Hoffnungen in Verhaltensänderungen zu setzen. Das Gefühl so viel Zeit und Energie ver(sch)wendet zu haben ohne irgendetwas besser gemacht zu haben, hat auch bei der Aufarbeitung des Prozesses viel Energie genommen und sie unnötig verlangsamt.

Mit solidarischen Grüßen

Die CA-Gruppe Clemens