Koreanerinnen auf Goetheplatz getreten

Am Abend des 7. November sahen sich Jong Sun und Hwa Song von vier Männern umringt, kräftig und kahl. Während einer Grimassen schnitt und sein Gesicht so nah vor Jong Sun hielt, dass das Mädchen seinen Atem ertragen musste, hatten die anderen Kerle die Studentinnen umzingelt. Des einen Fußtritt bekam Hwa Song zu spüren. Ein anderer spuckte Jong Sun ins Gesicht. Dies alles trug sich vorm „mon ami“ zu. Noch fünf Tage später bebt Jong Sun vor Angst. Ihre Freundin hat Mühe, die Tränen zurück zu halten. Der beiden Frauen Erlebnis – das sich mitten in der Stadt ereignete, die große Stücke auf sich und eine Sonderrolle in Thüringen, im Osten, im ganzen deutschen Staate beansprucht – hat das Zeug, Weimar zu demaskieren: allen Bemühungen des „bunten Hauses“ zum Trotz als sehr ostdeutsch, sehr banal. In Shanghai, wo Weimar derzeit eine gute Figur zu machen versucht, dürften solche Nachrichten hinreichend Wucht haben, die zarten Wirtschaftskontakte zu belasten. „Ich weiß, dass das in Ostdeutschland so ist.“ Jong Sun fügt sich ins Schicksal, weil es ihr nicht gegeben ist, der muskelbepackten Feigheit den Kampf anzusagen. Nicht zum ersten Mal ließ sie die Pöbeleien junger Weimarer über sich ergehen. Dieses war aber das erniedrigestende Erlebnis der letzten zwölf Monate. Leichte Beute, die beiden Ausländerinnen, klein, fragil, gerade recht als Generinnen für „echte Deutsche“. Nach dem Outing der Frauen hatten sich weitere ausländische Studenten mit ihren unschönsten Erlebnissen offenbart. Ein ganzer Rattenschwanz faschistoider Angriffe kam aufs Tapet: Ein spanischer Student war im Juli von drei Jugendlichen in der Amalienstraße vom Rad gestoßen, getreten und schwer verletzt worden, ein Amerikaner vor seiner Wohnung bedroht, eine Austauschstudentin aus Japan angespuckt worden … Immer nach der Regel der Feigheit: mindestens drei gegen einen. „Fast jeden Ausländer in Weimar betrifft es irgendwann“, sagt Daniel Thompson. Der US-Amerikaner vom Verband der ausländisch Studierenden glaubt, dass ihm seine weiße Hautfarbe und das Beherrschen der deutschen Sprache die feige Brut weitgehend vom Hals halten. Aber auch er verkneift es sich, bestimmte Kneipen zu besuchen. Nicht überrascht über diesen Vorfall ist Weimars Ausländerbeauftragte Helena Mühe: Oft wagten due angepöbelten Ausländer nicht, zur Polizei zu gehen – und schützten so die Täter. 900 Ausländer studieren in Weimar. Zumindest Hwa Song wird demnächst nicht mehr dazu gehören. Sie sucht sich einen Ort, an dem sich willkommen ist. Er wird nicht in Ostdeutschland liegen.

 

Quelle: TLZ vom 13.11.2003: „Wieder rechte Übergriffe“

 

Am 20.11.2003 schreibt die TLZ im Artikel „Übergriffe aufgeklärt“:

Die brutalen Skinhead-Überfälle auf ausländische Studierende der Bauhaus-Universität sind aufgeklärt: Die Kripo Weimar hat eine Gruppe von zehn Tatverdächtigen ermittelt, die zwischen 14 und 18 Jahre alt sind und unter denen sich ein 15- und ein 17-jähriger als die beiden Hauptverdächtigen herauskristallisieren haben sollen. Die teilte gestern die Polizeidirektion Jena mit. Die beiden Beschuldigten kommen nach bisherigen Erkenntnissen nicht nur als Täter für den Übergriff vom Freitag, den 7. November, auf zwei koreanische Studentinnen in Frage. Sie sollen sich zudem eines versuchten Raubes schuldig gemacht haben, bei dem einem japanischen Studenten ein Fahrrad entrissen werden sollte. Diese Tat hatte sich bereits am 7. November in der Erfurter Straße ereignet. Angezeigt worden war sie aber erst in der vergangenen Woche, nachdem durch die TLZ-Berichterstattung die ausländerfeindliche Tat vom Goetheplatz bekannt geworden war, der sich die jungen Männer aus der Neonaziszene schuldig gemacht hatten. An jenem Freitagabend waren zwei Studentinnen aus Südkorea am Goetheplatz von etwa vier Männern umzingelt und angepöbelt, getreten und bespuckt worden. Aus Angst vor Satisfaktion hatten die beiden Opfer zunächst nicht gewagt, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. So war es der TLZ-Bericht vom 13. November, der den Impuls für erste Ermittlungen der Kriminalpolizei zu diesem Übergriff gegeben hatte. Vom Leiter der Weimarer „Netzwerkstelle gegen Rechts“ war der TLZ-Bericht indes in einem Kommentar für den Sender Radio Lotte als „betroffenheitstriefender Artikel“ herabgewürdigt worden. Dabei hatte sich gezeigt, dass gerade die Publizität, die einherging mit der exemplarischen Berichterstattung dieses einen Vorfalls unter vielen weiteren Vorfällen, dazu führte, das Betroffene von weiteren Handgreiflichkeiten und Pöbeleien mit ausländerfeindlichen Hintergrund Mut fassten und Anzeige erstatteten. Laut Kripo sollen die Hauptverdächtigen weitere Straftaten begangen haben: Sachbeschädigung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Verstöße gegen das Waffenrecht. Wie es heißt, sollen die Jugendlichen während der meisten Taten unter Einfluss von Alkohol gestanden haben. Die Staatsanwaltschaft Erfurt prüft gegenwärtig, ob einem Haftantragstattgegeben werden kann. OB Volkhardt Germer trifft heute im Rektoramt der Bauhaus-Universität die Opfer des Übergriffs.