Sicherheitsfirma beschäftigte Neonazi zur Weihnachtszeit

Die Indizien seien durchaus vorhanden, sagte Richter Martin Borowsky gestern und betonte zugleich, sehr viel vom Schutz der Meinungsfreiheit zu halten. Fast politisch deshalb war sein Rat an die Jenaer Firma „VIP Schild Security“ zu verstehen: Sie sollte den Vorwurf, Rechtsradikale zu beschäftigen, dringend und öffentlich und schnell ausräumen. „Sie können sich durch alle Instanzen klagen. Den Stempel kriegen sie sonst nicht weg.“ Die Firma beabsichtigte gestern in einem Eilverfahren, eine einstweilige Verfügung gegen Weimars Bündnisgrüne zu erwirken: Die Fraktion hatte im Februar die Stadtverwaltung Weimar für ihr „unsensibles Vorgehen“ kritisiert. Sie habe ein Unternehmen mit der Bewachung des Weihnachtsmarktes betraut, die Neonazis beschäftigen. So meldeten Internetportale unter anderem, dass der umtriebige Neonazi Michel Fischer aus Tannroda im vergangenen Jahr zum Sicherheitspersonal beim Schlossgrabenfest in Darmstadt gehörte. Die Firma wehrt sich jetzt dagegen. Der Vorwurf sei geschäftsschädigend in einer Stadt wie Jena und ihren ausgeprägten antifaschistischen Strukturen, die bis zum Oberbürgermeister reichten. Man beschäftige keine Neonazis sagte die Geschäftsführerin Katrina Fenk. Gleichwohl könne man nicht in die Köpfe aller 250 Mitarbeiter, allesamt Minijobber, schauen, betonte sie. Borowsky: Ein Fall reich aus. Fenk: Das ist nicht gerecht. Borowsky: Wir sind in Jena. Wir hatten den Thüringer Heimatschutz und den NSU. Borwosky erwähnte die Indizien: Hinweise auf Fischer, aber auch auf andere Personen, die nach Angaben einschlägiger Portale eine rechte Gesinnung haben und zumindest für das Unternehmen gearbeitet haben sollen. Der Anwalt der Bündisgrünen, der Leipziger Jürgen Kasek, der zugleich Vorstandssprecher der Partei in Sachsen ist, übergab dem Richter die Hinweise. Fenk und ihr Anwalt Torsten Rödiger wiederum warfen den Weimarern – gestern vor Ort war die Vorstandsprecherin Ines Bolle – vor, nicht sauber genug recherchiert zu haben: Man dürfe nicht einfach ungeprüft die Hasstiraden der Landtagsabgeordneten Katharina König übernehmen. Es ging eben nicht nur um den Vorwurf, das Unternehmen beschäftige Neonazis. Es soll auch für die AfD bei deren Aufzug am 21. Januar iN Jena tätig gewesen. Laut Fenk aber sei man von RTL angefragt worden, ein Kamerateam während der Demonstration vor denkbaren Übergriffen zu schützen. Der Richter, der von sich selbst sagte, sich seit Jahren gegen Neonazis in Erfurt zu engagieren, hätte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wahrscheinlich zurückgewiesen. Zumal es formale Kritikpunkte gab: Da die Pressemitteilung im Februar von der Stadtratsfraktion kam, die Verfügung aber sich gegen den Kreisverband richten sollte, stand nach Kaseks Einschätzung gestern schlicht die falsche Antragsgegnerin vor Gericht. Kommunalrechtlich seien Fraktion und Partei zu trennen. Zu einer Entscheidung allerdings kam es nicht, da das Eilverfahren direkt in der Hauptsache münden wird und mit dem 23. Mai bereits ein Termin feststeht. Bis dahin soll zumindest innerhalb der grünen Fraktion die Frage erörtert werden, ob ein ernsthafter Güteversuch möglich ist. Torsten Rödiger verdeutlichte jedenfalls, dass man in irgendeiner Form eine Richtigstellung erwarte. Kasek zweifelte, ob das Verfahren überhaupt die bete Methode sei, der Firma ein sauberes Image zu verschaffen. Schon jetzt kündigte er einen Zeugen an, der das Unternehmen belasten werde. Kasek hält Vorlesungen an der juristischen Fakultät in Jena und kennt offenbar Männer, die für das Unternehmen gearbeitet haben. „Ich gehe gerne ins Hauptverfahren und mache eine große Nummer draus“, meinte er. Und sprach später in den Fluren des Landgerichts vom Streusand-Effekt: Ein Phänomen, wonach der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken, öffentliche Aufmerksamkeit nach sich zieht und dadurch das Gegenteil erreicht wird, das nämlich die Information einen noch größeren Kreis an Menschen bekannt wird.

 

Quelle: TLZ vom 1.4.2016: „“Wir hatten den NSU““