Und wieder sind in Weimar Symbole geschändet worden, die für Opfer des Nationalsozialismus stehen. Sieben der insgesamt acht Figuren der Skulpturengruppe auf dem Jakobskirchhof lagen gestern zerborsten am Boden. Eine Figur wurde wahrscheinlich übersehen. Irgendwann zwischen zwei Uhr nachts und sechs Uhr morgens hatten einer oder mehrere Unbekannte sie umgestürzt. Vor einem Jahr war das Buchenwaldmahnmal beschädigt worden. Eine Belohnung von 5000 Mark hat die Polizei inzwischen für Hinweise ausgesetzt, die zum Ergreifen der Täter oder des Täters führen. Eine Gruppe von sieben Kriminalbeamten ermittelt. Auch ein Abteilungsleiter aus dem Thüringer Innenministerium war am Tatort. Gesucht wird in diesem Zusammenhang ein 22 bis 25 Jahr alter, 1,80 Meter großer Mann mit einem doggenähnlichen kurzbeinigen Hund. Er war gesehen worden, als in der Nacht zum Sonnabend die erste Figur umgekippt wurde. Er soll kurze, blonde Haare haben. Die Aufsicht, die Nacht im, für die Jugendkirche durchgehend, geöffneten, Gotteshaus war, hatte vom Tathergang nicht gehört. Erst morgens um sechs Uhr sah sie, was geschehen war. „Es ist eine neue Qualität der Barbarei, dass jetzt das Erinnern an die Opfer gezielt geschändet wird“, sagte Ursula Härtl. Sprecherin der Gedenkstätte Buchenwald, gestern. „Auf den Abschluss der sonst o fröhlichen Jugendkirche ’99 fällt ein schwerer Schatten“, so ein trauriger Jugendpfarrer Hardy Rylke. Gestern endete das mehrwöchige Spektakel der Landesjugendkirche „Im Juli lernen Fische fliegen“. – Die Teilnehmer der Jugendkirche hatten schon am Morgen die umgestürzten Figuren mit Kerzen und roten Rosen geschmückt. Für den Berliner Künstler Stuart Wolfe, der die Häftlingsfiguren schuf, sind Attacken wie diese nicht neu. Bereits am Anhalter Bahnhof in Berlin und in Oranienburg war ähnliches geschehen. „Es gibt offenbar immer noch Menschen, die es als Bedrohung empfinden, wenn sie an die Opfer erinnert werden“, sagte er. DIe Polizei hat noch keine Spur. Stundenlang hatte die Kripo den Tatort untersucht. Fährtenhund Astra war der Witterung, die sie bei einer der Figuren aufgenommen hatte, gut 200 Meter weit gefolgt. Vor einem Tor hinter dem Pfarrhaus verlor sich die Fährte.
Quelle: TLZ vom 29.7.1999: „Gezielte Schändung“