Jugendlicher vorm Schwimmbad geschlagen

Dass ein Saal im Amtsgericht Weimar aus allen Nähten platzt, ist eher ungewöhnlich. Ein Grund für die Resonanz war der Mitangeklagte Michel F., ein umtriebiger Neonazi aus dem Landkreis, der als Anmelder diverser Demonstrationen auch in Weimar Fuß fassen will. Gestern saßen er und zwei weitere junge Männer wegen Körperverletzung auf der Anklagebank. Der Vorfall soll sich im Sommer letzten Jahres vor dem Bad Berkaer Schwimmbad ereignet haben. Danach wird den drei Angeklagten, die der rechten Szene zuzuordnen und zwischen 20 und 25 Jahre alt sind, vorgeworfen einen Jugendlichen nach dem Freibadbesuch mehrfach geschlagen und ihn und seine Freunde anschließend genötigt zu haben, besser von einer Anzeige abzulassen. Bereits am ersten Verhandlungstag zeigte sich der Hauptangeklagte C. umfassend  geständig, blieb aber gestern dem Gerichtssaal unentschuldigt fern. Präsenz dagegen zeigte Michel F. Mit Vater und Frau an seiner Seite, sah er sich Menschen überwiegend linker Gesinnung gegenüber. Leicht reizbar, pöbelte Vater F. rum. Als der Gerichtsdiener den Saal endlich öffnete, offenbarte sich ein Problem. Der Raum fasste lediglich 24 Personen, weitere 30 Leute mussten draußen bleiben. Zur Vernehmung waren vier Zeugen geladen, darunter das Opfer. Akribisch befragte Richter Karl Götz die Jugendlichen nach dem Tathergang. Robert Friedrich, ein Mitarbeiter der Opferhilfe Ezra, saß wie ein Bollwerk zwischen den Befragten und den mutmaßlichen Tätern und schirmte sie vor jeglicher negativer Energie der Beschuldigten ab. Geduldig arbeiteten die jungen Männer mit dem Richter durch ihre Zeugenaussagen. Auch wenn es kleine Unterschiede in den Details gab, so ergab sich am Ende dich ein klares Biel: Vier Tannrodaer Jugendliche zwischen 14 und 17 besuchten das Freibad Bad Berka. Sie hatten ihre Räder dabei und hielten sich vier Stunden dort auf. Als sie das Schwimmbad verließen, um vor der Heimfahrt noch etwas essen zu gehen, folgten ihnen die drei Angeklagten. Der Haupttäter verlangte vom Opfer, sein Fahrrad wegzustellen und fing an, ihm „eine Lektion“ zu erteilen. Mehrere Faustschläge auf den Kopf und Nacken ließen den Jungen zu Boden gehen. Motiv für die Aggression waren neben politischen Differenzen wohl Aufkleber mit Nazi-Parolen, die das Opfer im Bereich des Tannrodaer Markplatzes entfernt hatte. F. hätte seinem schlagkräftigen Freund wohl geraten, „es gut sein zu lassen“. Die jugendlichen Opfer suchten Hilfe beim Bademeister, der offenbar nicht willens war, zu reagieren. Nicht ganz geklärt werden konnte, ob das Nazi-Trio die Jugendlichen bereits im Freibadbereich beobachtet hatte und den Vorsatz fasste, ihnen eine Abreibung zu verpassen. Nachdem sich das Opfer aufgerappelt hatte, gingen die Jungs etwas essen und fuhren dann mit dem Zug nach Tannroda. Das Opfer trug nur leichte Blessuren, wie Schürfwunden an Beinen und Rücken, davon. Im Zug trafen sich beide Parteien wieder. Die Angeklagten ermahnten das Opfer und seine Freunde, von einer Anzeige abzusehen, „das wäre besser für ihre Gesundheit“. Und außerdem sollten sie in Zukunft die Finger von den Nazi-Aufklebern lasen. Interessiert verfolgten die Zuschauer der Befragung. Die beiden Angeklagten wirkten indes sehr routiniert. Michel F., der auf Demonstrationen in Weimar durchaus lautstark ewiggestrige Parolen von sich gibt, hielt sich im Gericht zurück. Seine Familienmitglieder hingegen kommentierten zischend und schnaufend die Aussagen der Zeugen, als wären sie selbst vor Ort gewesen. Und nebenbei erklärte Vater F. seiner Schwiegertochter die örtlichen Gegebenheiten vor dem Bad Berkaer Freibad. Eine kurze Verhandlungspause nutzten die Angeklagten, um sich allein durch die Anwesenheit der Zuschauer provoziert zu fühlen. Prompt flogen Drohungen und Beleidigungen durch den Raum. Als der Richter wieder erschien, nahm er zuerst eine Anzeige eines Zuschauers wegen Bedrohung entgegen. Um den Tatbestand zu klären, sollen weitere Zeugen in zwei Wochen vernommen werden, dann im Schöffensaal, der der interessierten Öffentlichkeit mehr Platz bietet. Dort muss Richter Götz darüber urteilen, ob es sich um gefährliche oder vorsätzliche Körperverletzung handelte. Gegen das Ziel der beiden anwesenden Angeklagten, ohne eine Verurteilung das Verfahren zu überstehen wird sich der Staatsanwalt wehren. Immerhin habe allein die Anwesenheit die Situation vor dem Freibad eskalieren lassen. C. hat geprügelt, die anderen beiden sahen zu und hätten nicht eingegriffen. Zum Showdown kam es, als die Verhandlung beendet war und Angeklagte, Zeugen, Zuschauer und die geduldig im Flur wartende Öffentlichkeit zusammentrafen. Lautstark beschwichtigte Michel F. seinen aufgebrachten Vater, der offenbar kurz davor war fluchend und schimpfend handgreiflich zu werden, selbst und geleitete ihn unter körperlichen Einsatz die Treppe hinunter an die frische Luft.

 

Quelle: TLZ vom 15.3.2013: „Tumulte im Amtsgericht“