Nähe zur „Anastasia“-Bewegung: Vorwürfe gegen Hillentruper Kommune Rawaule
Dörentrup-Hillentrup. Im Dunstkreis der so genannten Anastasia-Bewegung vermischen sich esoterisch ausgerichtete Gruppen, alternativ wirkende Projekte und rechtsextreme Ansichten. Auch in Hillentrup soll es Anastasia-Anhänger in der Rawaule-Lebensgemeinschaft geben. Extremismus-Fachmann Sascha Schmittutz vom Kreis Lippe warnt vor Unterwanderung von Projekten durch Rechtsextreme.
Quelle: Jens Rademacher / Lippische Landes-Zeitung vom 10.10.2021
Der WDR hatte berichtet, dass sich Rawaule-Bewohner der Anastasia-Bewegung zurechnen. In dem Bericht finde sich ein „Bündel von Falschbehauptungen“, sagte ein Rawaule-Bewohner der LZ. Weiter wollte sich die Rawaule nicht äußern, weil die LZ auf ihre Bedingung nicht eingegangen ist, ihr den Artikel vor der Veröffentlichung vorzulegen. Daraufhin wollten die Bewohner der LZ ein schriftliches Statement senden und schriftlich Fragen beantworten. Beides geschah nicht.
Benannt nach dem Straßennamen
In einem auf Facebook veröffentlichten Statement bestreitet die Gruppe die Rechtsextremismus-Vorwürfe. Der Rawaule-Bewohner, der das Facebook-Statement verfasst hat, betont darin, er habe eine Antifa-Gruppe gegründet, als 1989 die „rechtspopulistischen Republikaner mit ihrem Franz Schönhuber an der Spitze mit ausländerfeindlichen Parolen auf Stimmenfang“ gingen. Indirekt bestätigt das Statement allerdings die Nähe einiger Bewohner zu Anastasia. Denn es heißt, es stünden nicht alle Bewohner hinter der Anastasia-Bewegung. Im Umkehrschluss bedeutet das: Andere aber schon.
Die Rawaule-Lebensgemeinschaft, benannt nach dem Straßennamen, hatte sich im Jahr 2015 im alten Schulgebäude nahe der Hillentruper Kirche gegründet. Nach eigenen Angaben leben dort zur Zeit neun Menschen. Eine der Mitgründerinnen ist vor einiger Zeit ausgezogen. Die Rawaule sei ein „Begegnungsort für Denkfreiheit, Kreativität und Wissensweitergabe“, heißt es auf ihrer Internetseite. Zentrale Punkte sind die Idee des Gemeinschaftseigentums, wie die LZ 2018 schrieb, die Selbstversorgung und die „gesunde, faire und ökologische Ernährung aus unserer großen Gemeinschaftsküche“.
„Wir müssen aufpassen“
Punkte wie gesunde Ernährung, autarkes Leben, Ökologie, Klimaschutz oder Permakultur sind nach den Worten von Sascha Schmittutz vom Kreis Lippe Anknüpfungspunkte für Rechtsextreme – und „zu wichtig, um sie rechten Ideologien zu überlassen“, wie Schmittutz sagt. Er ist für die Koordination der Prävention vor Rassismus und Extremismus und für Demokratie-Förderung zuständig und sagt mit Blick auf die Anastasia-Bewegung: „Wir müssen als ländlicher Kreis aufpassen, dass Menschen mit einer solchen Gesinnung uns nicht Vereine und Projekte durch ideologische Unterwanderung kaputtmachen.“
Sprich: Rechtsextremisten nutzten solche Themen und Gruppen, um dort anzudocken. Wenn von Anastasia-Anhängern behauptet werde, dass man eher links sei, „dann habe ich meine Zweifel“, sagt Schmittutz.
Die Anastasia-Bewegung fußt auf einer Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre, die auf den ersten Blick eher ins esoterische Milieu passt. Die Anastasia-Bücher seien nicht antisemitisch, heißt es im Rawaule-Statement. Doch Fachleute widersprechen: Darin würden eben nicht nur naturreligiöse Anschauungen verbreitet, sondern auch rechte und antisemitische Verschwörungsmythen. So stellt die Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus wendet, fest: „Die Buchreihe des russischen Autors verbreitet unverhohlen antisemitische und rassistische Ansichten“ und diene als Inspiration für völkisch-esoterische Siedler. Nach Schmittutz’ Worten heißt es ab dem vierten Buch der Reihe, Juden seien auserkoren, die Weltherrschaft an sich zu reißen. „Eine unerträgliche Ideologie“, stellt der Präventionsbeauftragte fest.
Ihm zufolge propagieren die Anastasia-Bücher auch Blut-und-Boden-Ideologie, die mit der die Ablehnung von Zuwanderung einhergehe. Der Lüdenhauser Pfarrer Horst-Dieter Mellies, Beauftragter der Lippischen Landeskirche für Weltanschauungsfragen und Sekten, weiß, dass auch der Gedanke der „Reinheit der Art“ eine Rolle spielt.
Anastasia-Gruppe wollte sich auch in Detmold niederlassen
Die Amadeu Antonio Stiftung erläutert außerdem: Die Anhänger der rechts-esoterischen Bewegung versuchten, autarke Selbstversorger-Siedlungen aufzubauen. Davor warnt auch Mellies: Es könne ganz harmlos anfangen. „Man bezieht ein verlassenes Gehöft, bringt sich in das Gemeinwesen ein und fängt dann an, seine Inhalte zu transportieren.“ Und die seien nicht harmlos. Auch im Kreis Lippe soll eine Anastasia-Gruppe aus dem Detmolder Raum ein großes Haus mit Garten gesucht haben. In Extertal soll es dann den vergeblichen Versuch gegeben haben, ein leerstehendes Gebäude zu kaufen. Für Mellies ist nach dem Studium der Rawaule-Internetseite und anderer verbundener Seiten nicht von der Hand zu weisen, dass es hier eine Verbindung zu Anastasia gibt. Für eine genauere Beurteilung fehle ihm aber das Material.
Auf Facebook teilen manche Rawaule-Mitglieder beziehungsweise ehemalige Mitglieder esoterische Themen, Impf-Skeptiker-Posts, aber nach Schmittutz’ Worten auch Seiten, die für Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker interessant sind. Darüber hinaus werden Inhalte geteilt, mit denen Hartz-IV-Empfänger und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden sollen. Schmittutz fordert deshalb auch mit Blick auf die Menschen in solchen Projekten: „Man muss sich gegenüber denjenigen abgrenzen, die Anastasia befürworten.“ Ähnlich sieht es Pfarrer Mellies: Wer sich für Anastasia interessiere, „der muss wissen, unter welcher Fahne er mitläuft“. Er warnt: Die Esoterik-Szene habe eine „offene Flanke in den rechten Rand hinein“.
Dorfbewohner haben Kontakt zu Rawaule-Bewohnern
In Hillentrup selbst, wissen Dorfbewohner zu berichten, habe man durchaus Kontakt mit den Rawaule-Bewohnern. „Es war bislang eine vernünftige Nachbarschaft“, sagt ein Hillentruper. So wollten die Rawaule-Leute demnächst wieder mit anderen Hillentrupern Saft pressen. Rechtsextreme Ansichten hätten Bewohner nicht geäußert. Auch sei kein Versuch bekannt, andere zu bekehren. „Aber was die hinter ihrer Haustür machen, weiß ich natürlich auch nicht“, sagt der Hillentruper.
Dörentrups Bürgermeister Friso Veldink zeigte sich denn auch überrascht von dem Bericht. Er habe sich in seiner Gemeindeverwaltung erkundigt: Dort sei nichts Negatives bekannt. Es folgte ein persönliches Treffen zwischen Veldink und fünf Rawaule-Bewohnern, in denen diese betont hätten, sie richteten sich nicht dogmatisch nach irgendeiner Lehre, sagt Veldink. Überdies hatte die Rawaule die Nachbarn kürzlich zu einem „Bürgerabend“ eingeladen. Er sei nicht beunruhigt, betont der Bürgermeister, werde sich aber weiter informieren, was es mit der Bewegung auf sich hat. „Wir werden die Augen weiter offen halten, um rechtsextreme Tendenzen in Dörentrup frühzeitig zu erkennen.“